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1955 schrieb die amerikanische Anthropologin Margaret Mead in einem von der UNESCO herausgegebenen Band mit dem Titel Cultural Patterns and Technical Change, man müsse in der Entwicklungsarbeit in »Übersee« darauf achten, dass die Menschen, deren alltägliche Lebenswelt sich durch die »Entwicklungshilfe« schnell und einschneidend verändere, möglichst geringen psychischen und sozialen Schaden nehmen. Gerade bei den technischen Umbrüchen könne es in der »Heilsgewissheit schneller Veränderungen« zu unvorhergesehenen Störungen kommen. Beispielsweise könnten Traktoren in den ländlichen Gebieten der »Dritten Welt« auf die Bauern erschreckend und terrorisierend wirken, Stress auslösen und zu psychischen Problemen führen. Mead war zu jener Zeit für die 1948 gegründete World Federation of Mental Health (WFMH) tätig, eine Körperschaft der UNO, in deren Rahmen sich gleich mehrfache Entwicklungswelten überlagerten. Die dort verfolgten Diskurse und Praktiken zielten darauf ab, die psychische Innenwelt als Resonanzraum und potentiellen Störfaktor von technischen Entwicklungsprozessen zur Geltung zu bringen. Zugleich machte man nicht nur das seelische Wohlbefinden der »zu Entwickelnden« zum Gegenstand der Sorge, sondern wollte auch durch Seminare und Anleitungsbücher friktionsfreie Kommunikationsräume schaffen, in denen ein »friedliches Zusammenleben« zwischen Entwicklungsexperten, Counterparts und Anwohnern vor Ort möglich würde – so äußerte sich jedenfalls der Leiter der WFMH, der ehemalige Militärpsychiater John Rawlings Rees. Fundamentale Zweifel an den Entwicklungszielen der Technisierung und an der Hierarchisierung der Verhältnisse in der Entwicklungsarbeit äußerten Mead und Rees trotz aller Warnungen vor psychischen Schäden nicht. Vielmehr ordneten sie sich in eine Expertengemeinschaft ein, in der Fachvertreter verschiedener Disziplinen – der Psychologie, der Soziologe, der Anthropologie und der Geschichtswissenschaft, vor allem aber der Ökonomie und der Ingenieurwissenschaften – neue Weltentwicklungsstrategien erarbeiteten, mit deren Hilfe die sozioökonomische Ungleichheit auf der Erde zum Verschwinden gebracht werden sollte.
Der Tourismus als eine scheinbar zweckfreie Reise ist ein Kind des 18. Jahrhunderts, doch sein Aufstieg war aufs engste mit der Entwicklung der Verkehrssysteme im 19. Jahrhundert verbunden. Zur Jahrhundertwende prägte die alljährliche Urlaubsreise den Lebensrhythmus der »besseren Leute« und der »Fremdenverkehr« wurde in einigen Gebieten zum wichtigsten Wirtschaftsfaktor. Ein Netz von Freizeitorten überzog Europa, von Karlsbad bis Biarritz, von Ostende bis Capri. Neben die adlig-großbürgerliche Reiseelite war dabei zunehmend das mittlere, »gut situierte« Bürgertum getreten und schickte sich an, diesen Kulturraum reisend zu erkunden, wobei vielerorts die Deutschen die Briten als zahlenmäßig größte Gästegruppe ablösten.
Als ich mich vor einigen Jahren in der Endphase meiner Dissertation befand, hörte ich in einem Kolloquium an der Universität Bielefeld den Vortrag einer auswärtigen Doktorandin. In der Diskussion verblüffte sie mich und andere
mit der keineswegs ironisch gemeinten Bemerkung, ihre Arbeit sei im Grunde fertig, sie müsse „nur noch geschrieben werden“. Im Herbst 2007 ist das Buch dieser Doktorandin nun erschienen
– mindestens sechs Jahre nach dem erwähnten Kolloquium. Es mag wichtige fachliche oder persönliche Gründe gegeben haben, die einer früheren Fertigstellung im Wege standen. Irreführend ist auf jeden Fall die Annahme, das Schreiben sei ein sachlich und zeitlich abzutrennendes Element, eine der Forschung gleichsam äußerliche und nachgelagerte Phase. Das Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, den engen Zusammenhang von Forschungs- und Schreibprozess zu betonen und die Publikation – als gewünschtes Ergebnis dieses Prozesses – dabei von Anfang an mitzudenken.
Im vorliegenden Artikel wird eine Entwicklung des Konfliktverhaltens von Beschäftigten in den Betrieben der DDR beschrieben, das in den fünfziger Jahren noch deutliche Bezüge einer traditionellen Arbeiterbewegungskultur aufwies, jedoch zunehmend einen individualisierten und privatisierten Charakter annehmen sollte. Die Tradition eines in Gewerkschaften oder Parteien organisierten Arbeiterwiderstandes war in Deutschland bereits 1933 durch das NS-Regime gewaltsam unterbrochen worden und konnte, von einer kurzen Nachkriegszeit abgesehen, in der DDR nicht wieder aufleben. Das diktatorische System hatte die Eigenständigkeit sämtlicher Arbeiterorganisationen, darunter die der Gewerkschaften, bald unterbunden und sie zum Bestandteil seines Herrschaftsapparates gemacht. Die organisierte Arbeiterbewegung war in der DDR eine „verstaatlichte“, sie hatte damit ihren Charakter als autonome Bewegung der abhängig Beschäftigten verloren. Auch die noch bis in die sechziger Jahre häufiger praktizierten individuellen betrieblichen Konfliktaustragungen und die weit weniger verbreiteten kollektiven Widerstände wie Streiks oder Protestversammlungen waren kaum noch mit dezidiert politischen Forderungen verbunden und mit ihren ökonomischen Zielstellungen auf die Verbesserung der Situation meist kleiner Belegschaftsgruppen gerichtet. „Arbeitsniederlegungen“ hatten am Ende der siebziger und in den achtziger Jahren an Zahl und Menge der Beteiligten keine gesellschaftliche Relevanz. Die DDR-Arbei- terschaft war atomisiert, in die Betriebe war nun „Friedhofsruhe“ eingezogen.
Der Beruf nimmt im Leben eines Menschen einen sehr wichtigen Platz ein. Über den reinen Broterwerb hinaus, bestimmt er seine Rolle und Bedeutung in der Gesellschaft. Berufe strukturieren also die Gesellschaft und die Interaktion ihrer Mitglieder. In der DDR waren Arbeit und Beruf zentrale Elemente, die dem Einzelnen gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen sollten. In der Tat wurden soziale Dienstleistungen wie Kinderbetreuung über berufliche, speziell betriebliche Netzwerke verteilt. Die Arbeitsbeziehungen waren für den Einzelnen von zentraler Bedeutung, nicht so sehr hinsichtlich der materiellen Tätigkeit, sondern eher in Bezug auf den „Betrieb als sozialen Ort“, also dem Betrieb als „Verteilungsinstanz von Sozialleistungen“, der Anknüpfungspunkte für informelle soziale Beziehungen“ bot, „die ihr Anwendungsfeld hauptsächlich jenseits der Arbeit und zum Teil auch außerhalb des Betriebes fanden“. So las man in der Erklärung zum 1977 in Kraft getretenen Arbeitsgesetzbuch der DDR, dass die „Arbeit [...] die wichtigste Sphäre des gesellschaftlichen Lebens“ sei. Weiter wurde in dieser Erklärung die Rolle von Arbeit und Beruf nicht nur für die Gesellschaft benannt, sondern ebenso für „die Entwicklung jedes einzelnen ihrer Mitglieder“.
Der Strafvollzug gehörte zu den härtesten Formen der Repression politischer Gefangener in der DDR, in dem Willkür und Schikane den Haftalltag prägten. Gleichwohl unterlag er im Verlauf der DDR-Geschichte Veränderungen, die im Kontext der Entwicklung der Gesamtgesellschaft zu sehen sind und von den wechselnden innen- und außenpolitischen Bedingungen abhängig waren. Einen wesentlichen Einschnitt in der Strafvollzugspolitik bildete das unter Honecker verabschiedete Strafvollzugsgesetz von 1977 (StVG), das sich an den Normen der UNO zur Behandlung von Gefangenen orientierte und Rechtssicherheit für die Häftlinge bringen sollte. Durch die internationale Einbindung der DDR, ihr Ringen um die Anerkennung als gleichberechtigter deutscher Staat, nicht zuletzt, um die Wirtschaft mit Hilfe des Westens zu stabilisieren, war sie im Gegenzug gezwungen, sich internationalen Standards anzupassen. Die Öffnung der DDR nach Westen bewirkte zudem eine größere Durchlässigkeit von Informationen, weshalb man sich gegenüber internationalen Auflagen nicht abschotten konnte. Dem Vorwurf über menschenunwürdige Zustände in den Strafvoll- zugsanstalten wollte sie durch die Fixierung von rechtlichen Normen entgegenwirken.
Mit den Rechtsänderungen von 1977 - einem neuen Strafvollzugsgesetz und dem 2. Strafrechtsänderungsgesetz (StÄG) - reagierte die DDR Erich Honeckers auf die gewandelten außenpolitischen Bedingungen seit Mitte der siebziger Jahre. Nach Unterzeichnung des Grundlagenvertrags mit der Bundesrepublik 1972, der Aufnahme der DDR in die UNO 1973 und der KSZE-Konferenz von Helsinki 1975 erwiesen sich überkommene Gesetzesformulierungen, in denen der westliche oder der bundesdeutsche Imperialismus angeprangert worden war, auf internationalem Parkett als ebenso störend wie extrem repressive Vorschriften im Strafvollzugsrecht.
Kurz nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus hielt der Frankfurter Philosoph Jürgen Habermas fest, der theoretische Fehler der gescheiterten kommunistischen Machthaber habe darin bestanden, das „sozialistische Projekt mit dem Entwurf - und der gewaltsamen Durchsetzung - einer konkreten Lebensform“ verwechselt zu haben. Für diejenigen Historiker, die sich bereits vor 1989/90 eingehender mit der Geschichte der DDR und deren Herrschaftssystem befasst hatten, lagen die Dinge allerdings schon damals komplizierter, und auch heute - achtzehn Jahre nach dem unerwarteten Verschwinden der DDR - ist weiterhin umstritten, wann der schleichende Niedergang des Systems begann und wann es seinen ultimativen „point of no return“ erreichte.
Wie bürgerlich war der Nationalsozialismus? Diese Frage scheint abwegig, angesichts des antibürgerlichen Gestus der Nationalsozialisten und angesichts eines von ihnen gepflegten Antiliberalismus, der neben dem Rassismus und Antisemitismus sowie der entschiedenen Feindschaft gegenüber allem, was links war, als markante Signatur des Nationalsozialismus als »Bewegung« wie als Ideologie vor und ebenso nach 1933 gelten kann. Indes ist diese Frage keineswegs so abwegig, wie sie auf den ersten Blick zu sein scheint. Der SA-Rabauke beherrschte nur bis Mitte 1934 die politische Szenerie. Zumindest in wichtigen gesellschaftlichen Teilsystemen gaben seitdem - oft auch schon vorher - Nationalsozialisten den Ton an, die durchaus auf gute Manieren achteten und die deutsche Hochkultur zu schätzen wussten. So wenig wie das deutsche Bürgertum bis (mindestens) zur Jahrhundertmitte mit Demokratie und Liberalität zu identifizieren war, so wenig ist der Nationalsozialismus auf Antibürgerlichkeit zu reduzieren.