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Manche Bücher sollte man besser vom Ende her lesen, lässt sich doch so ihr archimedischer Fluchtpunkt rasch entdecken. Gewiss, für Kriminalromane empfiehlt sich eine solche Lesart nicht, wohl aber für diesen Essay-Band Hans Magnus Enzensbergers. Darin schließt der Autor seine Reiseberichte aus sieben Ländern mit einem »Epilog« ab, in dem ein fiktiver amerikanischer Journalist namens Timothy Taylor im Jahr 2006 den ebenfalls fiktiven finnischen EG-Präsidenten Erkki Rintala interviewt, der von seinem Amt freiwillig zurückgetreten ist, nachdem er wegen seiner Erfahrungen in den Korridoren der Brüsseler Politik zu einem Gegner der europäischen Integration geworden war.
Jenseits von Zeit und Raum. Flugreisewerbung in den USA und Westdeutschland während der 1970er-Jahre
(2017)
»Getaway. To places you always wanted to see but never thought you could«, lautete die Überschrift einer Werbekampagne der amerikanischen Fluggesellschaft Trans World Airlines (TWA) im Jahr 1971. In großformatigen, mit Farbfiltern hervorgehobenen Bildern von Sehenswürdigkeiten wie dem britischen Parlamentsgebäude in London, dem amerikanischen Grand Canyon oder dem Taj-Mahal-Mausoleum im indischen Agra bewarb sie Reiseziele auf verschiedenen Kontinenten.
Seit dem erfolglosen Putsch am 15. Juli 2016 gilt in der Türkei der Notstand. Mitte April 2017 stimmten nun 51,4 Prozent der Wahlberechtigten für eine Verfassungsänderung, die dem Präsidenten weitreichende Befugnisse verleiht. Der Wahlkampf hatte das Land stark polarisiert, das Referendum war eine Abstimmung für oder gegen das »System Erdoğan«. Aber auch nach der Wahl hat sich die Lage nicht beruhigt – die Opposition zweifelt an der Rechtmäßigkeit der Abstimmung, unter anderem weil kurzerhand 2,5 Millionen ungestempelte Wahlzettel zugelassen wurden...
Längst beerdigt und doch quicklebendig. Zur widersprüchlichen Geschichte der »autogerechten Stadt«
(2017)
Das Automobil steht gegenwärtig wieder einmal im Brennpunkt breiter gesellschaftlicher Debatten um Themen wie Elektromobilität, Car-Sharing, »autonomes Fahren« und verwandte Fragen. Darin kommt ein tiefer Umbruch der automobilen Kultur zum Ausdruck. Wie Konflikte um Fahrverbote in den Innenstädten, den Abriss automobiler Infrastrukturen oder die Erweiterung autofreier Zonen zeigen, erfasst dieser Umbruch auch und gerade die (großen) Städte. Vor dem Hintergrund eines sich andeutenden Abschieds von der Automobilität der Hochmoderne in den metropolitanen Räumen Europas und Nordamerikas gewinnt auch die retrospektive Reflexion über Entwicklungslinien und Wendepunkte der Raumentwicklung im Zeichen des Automobils in »seinem« 20. Jahrhundert stark an Interesse. Dies gilt umso mehr, als der epochemachende Leitbegriff der »autogerechten Stadt« die Genese und die Probleme städtischer Automobilität mehr verdeckt als freilegt.
1991, kurz vor der Abwicklung der DEFA, lief im Ost-Berliner Kino Babylon die nostalgische Filmreihe »Frühe Jahre damals in Berlin«. In einem Streifzug durch die DEFA-Geschichte gab es hier einige alte Berlin-Filme neu zu entdecken: Darunter war auch »Modell Bianka«, ein Paradebeispiel dafür, wie sehr sich die frühe DDR-Filmproduktion für die Arbeits- und Konsumwelt der Frau im Sozialismus interessierte. Besonders das Thema Mode erwies sich in dieser Milieustudie über die Bekleidungsindustrie der DDR als Stoff für heitere Unterhaltung...
Seit einiger Zeit erfreuen sich Themen wie »Gerechtigkeit«, »Würde« oder das »richtige« Leben großer Popularität. Auch in der Geschichtswissenschaft floriert die Erforschung von Moral: »Menschenrechte«, »Transitional Justice« oder »Humanitarismus« sind als neue Themenfelder erschlossen worden. In Frankfurt am Main und Berlin beschäftigen sich größere Forschungsverbünde mit der Analyse normativer Ordnungen moderner Gesellschaften. Unter dem Schlagwort »NS-Moral« geht es um Inhalte und Geltungsmacht einer partikularen Moral des Nationalsozialismus. Zeitlich übergreifende Darstellungen zur Geschichte der »Menschheit« oder des »Westens« verfolgen selbst das Ziel, eine bestimmte (politische) Moral zu rechtfertigen.
Es Ist ein fragend-tastendes sich Annähern an eine historiografische Perspektivumkehr, wie sie aus den zitierten Zeilen von Tony Bennett und Patrick Joyce spricht. Beide haben mit „Material Powers" einen der Bände herausgegeben, die hier zur Diskussion stehen. Für manche Historikerinnen und Historiker mag der,material turn1 eine „Provokation“ bedeuten (so der Untertitel einer Sektion zu Geschichte und Materialität auf dem Historikertag 2012 in Mainz). Doch beweist die gegenwärtige (Wieder-)Annäherung unterschiedlicher kultur- und gesellschaftswissenschaftlicher Disziplinen an die Dimension Materialität, dass Jahrzehnte einer perspektivischen Ent-Materialisierung als Defizit wahrgenommen werden - der Archäologe Bjornar Olsen spricht von einer „kollektiven Amnesie“ der Kultur- und Gesellschaftswissenschaften gegenüber dem Materiellen.
Der Titel legt nahe, es ginge im Folgenden darum, zukünftige theoretische oder empirische Forschungsthemen zu identifizieren, die bislang entweder kaum bearbeitet wurden oder deren weitere Bearbeitung zusätzliche Erkenntnisgewinne verspricht. Zwar wird auch davon noch die Rede sein, aber in erster Linie verfolge ich die Absicht, eine kritische Bestandsaufnahme der derzeitigen sozialwissenschaftlichen Gewaltforschung vorzunehmen, indem ich frage, welche Ansätze sich schon in der Vergangenheit als problematisch erwiesen haben und von welchen somit wohl auch in Zukunft kaum Neues zu erwarten sein dürfte. Mein Text ist thesenartig gehalten und gliedert sich in mehrere Teile: Im ersten Teil zeichne ich einleitend die Frontlinien in der vor etwa 20 Jahren aufgebrochenen und mittlerweile gut bekannten Auseinandersetzung zwischen den sogenannten »Mainstreamern« und den sogenannten »Innovateuren« der Gewaltforschung nach, bevor ich zu diesem ganzen Komplex einige wissenschaftstheoretische Anmerkungen mache, mit denen ich dann zu den Themen des zweiten Teils überleite. In diesem zweiten Teil liegt der Schwerpunkt auf Theorieangeboten, die im Kontext der Gewaltforschung derzeit gemacht werden: Aufgrund einer Reihe aktueller Publikationen zu »Gewalträumen« gehe ich zunächst vergleichsweise ausführlich und kritisch auf diese Problematik ein, bevor ich mich anschließend den organisationssoziologischen Herangehensweisen an das Gewaltthema widme. Im letzten Teil lasse ich mich zunächst von der Beobachtung einer allzu häufigen und leichtfertigen Rede von »Eigendynamiken« und »Prozessen« in der Gewaltforschung irritieren, um schließlich am Ende meiner Ausführungen einige Linien für zukünftige Arbeiten zu skizzieren.
Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges war der Abschied von einem bedingungslosen Fortschrittsglauben gekommen. Die Erfahrungen des Stellungskrieges und der Materialschlacht munitionierten die Fortschrittskritik. Die universitäre Etablierung des Fachs Volkskunde im Jahr 1919 war seit den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts durch wissenschaftliche Zeitschriften, Kongresse und museale Sammlungen vorbereitet und von der »Suche nach dem Elementaren in der Kultur« begleitet worden. Die Hinwendung zu den Dingen, vor allem zu Arbeits- und Hausgerät aus europäischen Reliktgebieten, spielte in diesem Prozess eine wichtige Rolle. Die Frage nach ihrer Bedeutung und Sinnaufladung verdichtete sich mit der Disziplinierung, auch wenn die Erforschung der materiellen Kultur nicht der einzige Gegenstand des Faches war, das sich aus den Philologien herausbildete. Geht man davon aus, dass das 19. Jahrhundert das »Saeculum der Dinge« ist, weil die industrielle Massenproduktion die Verfügbarkeit sowie den Verbrauch der Dinge seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immens steigerte, dann führt der Weg zu der intensivierten Aufmerksamkeit für die Dinge des Alltags in Kunst, Literatur und Wissenschaft in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts.
My Road to Berlin, or Mein Weg nach Berlin, presents a Willy Brandt that confounds a present-day reader’s expectations. While the 1960 autobiography of the then-mayor of West Berlin links his career with the familiar story of democracy’s development in Germany, this work nevertheless retains an unexpected edge. In one surprising scene, the mayor denounces his East Berlin SED counterparts as a ›Communist foreign legion‹ whom ›the citizens of my city had decisively defeated‹ during the Second Berlin Crisis of 1958 (p. 17). In the book, Brandt comes off as a Cold Warrior of steely determination rather than a Brückenbauer bridging ideological divides. Far from being out of character, however, My Road to Berlin captures Brandt at a pivotal moment in his career, when he sought to offer himself to both West German voters and a global public as a viable alternative to Konrad Adenauer.
Die große Bedeutung des Pflegens und Reparierens in der Automobilkultur der DDR hatte Rahmenbedingungen wie etwa Versorgungs- und geplante Infrastrukturmängel, Eigenarbeit im Sozialismus und spezifische Fahrzeugeigenschaften. Selbermachen wird aber auch als möglicherweise universellere, nicht systemspezifische Form der Automobilnutzung und der Mensch-Technik-Beziehung interpretiert, wobei die Kontexte von Nutzerqualifikationen, Freizeitverhalten, Bildung, skills und deren Prestige eine Rolle spielen. Im Rahmen der automobilgeschichtlichen Periodisierung wird Eigenarbeit als Möglichkeit sloanistischer Modifikation fordistischer Einheitsfahrzeuge durch Nutzer gesehen, wobei technische Kreativität ‚von unten‘ zum Tragen kam.
Millionen von Menschen aus zahlreichen Ländern besuchten im 20. Jahrhundert die Schlachtfelder und Soldatenfriedhöfe des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Die Motive und Praktiken der Reisenden waren dabei durchaus unterschiedlich. In den ersten Nachkriegsjahren und -jahrzehnten fuhren viele Angehörige von Kriegstoten zu Soldatenfriedhöfen, Gedenkstätten und ehemaligen Schlachtfeldern. Aber es waren immer auch andere Personen und Gruppen unter den Reisenden, die keine persönliche Beziehung zu den toten Soldaten hatten. Nach dem Ersten Weltkrieg bezeichneten britische Zeitgenossen die Reisen von Veteranen und Angehörigen gefallener Soldaten zu den von ihnen als heilig betrachteten Schlachtfeldern und Kriegsgräbern als Pilgerfahrten und werteten andere Besucher dieser Orte als »Touristen« ab, die sich an den sakralen Stätten nicht angemessen benähmen und aus reiner Sensationslust angereist seien.
Spanien hat sich seit den 1950er-Jahren zu einem der wichtigsten Urlaubsziele in Europa entwickelt. Für die Regionen, in die Touristen aus der ganzen Welt reisten und noch heute reisen, bedeutete dies eine fundamentale Neugestaltung von sozialen Strukturen und Lebensgewohnheiten sowie auch von Landschaft und Umwelt. Der Aufsatz beleuchtet das Verhältnis zwischen Umwelt und Tourismus anhand der Beispiele Mallorca und Costa Brava – ausgehend von den Wahrnehmungen und Handlungen spanischer Akteure, die seit den frühen 1970er-Jahren mit dem Tourismus zusammenhängende Probleme diagnostizierten. Im Zentrum der Analyse stehen zunächst Politiker, die aus ökonomischen Gründen die Bedeutung von Umweltfragen für die langfristige Sicherung des Tourismus erkannten, sowie dann Naturschutzgruppen und Bürgerinitiativen, die sich gegen den weiteren Ausbau des Massentourismus engagierten. Die umweltpolitische Argumentation dieser Gruppen verband sich mit regionalen Identitätsentwürfen und Autonomieansprüchen; sie führte zu Teilerfolgen wie der Ausweisung von Schutzgebieten. Der Beitrag stützt sich auf Quellen aus spanischen Lokal- und Regionalarchiven, auf Material der Umweltinitiativen sowie auf Pressedebatten über den Tourismus.
Staudammbauten in Afghanistan, Ahmed Ben Bella und wie er die Welt sah, die Fotos hungernder Kinder in Nigeria und Bangladesch, amerikanische Agrarwissenschaftler, die in Manila Reissorten züchten, Chinas Werben um Afrika, eine UN-Erklärung, niemals umgesetzt, über die Errichtung einer »Neuen Weltwirtschaftsordnung« – wer hätte vor 20 Jahren vorausgesagt, dass diesen Episoden einmal symptomatische Bedeutung zugemessen würde, wenn es um das Verständnis der internationalen Politik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geht. Wie stark sich das geschichtswissenschaftliche Bild des Zeitraums gewandelt hat, lässt sich tatsächlich, noch vor allen interpretatorischen Einordnungen und methodischen Konzeptualisierungen, besonders eindrücklich an der Fülle neuen Wissens ablesen, das historische Studien in den letzten gut 15 Jahren hervorgebracht haben. Weltregionen, über die man wenig wusste, Akteure, die eher im Hintergrund operierten, politische Projekte, die nebensächlich erschienen, Konflikte, die als sekundär galten, sind inzwischen eingehend erforscht.
Wie klingt Sozialismus im urbanen Raum einer DDR-Bezirkshauptstadt? Diese Frage verknüpft Überlegungen zur Soundgeschichte einer Stadt mit den Aspekten Umwelt und öffentliche Hygiene. Lärm als Problemlage des städtischen Raumes auszumachen, erforderte Perspektivenwechsel, die nicht nur das DDR-Gesundheitswesen vor Herausforderungen stellte. Gesund zu werden, gesund zu bleiben, galten als Anforderungen öffentlich-administrativer Vorgaben an die private Lebensgestaltung. Die entsprechenden Voraussetzungen dafür zu schaffen, das steckte sich die sozialistische Gesundheitsverwaltung als eines ihrer Ziele und Kernaufgaben.
Mit den meisten bedeutenden Wissenschaftstheoretikern des 20. Jahrhunderts hat es die eigentümliche Bewandtnis, dass sich ihr Ruhm auf ein einziges Werk gründet, gegenüber dem ihre anderen Arbeiten wie Nebenwerke erscheinen. Das gilt für Ludwik Flecks »Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache« (1935) ebenso wie für Thomas Kuhns »Struktur wissenschaftlicher Revolutionen« (1962) und Karl Poppers »Logik der Forschung« (1934). Auf Paul Feyerabend (1924–1994) trifft die Ein-Buch-Berühmtheit in besonderem Maße zu...
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