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Philadelphia, Detroit, The Bronx oder Saint Germain des Prés: Manchen urbanen Topographien hat sich die Musikgeschichte so sehr eingeschrieben, dass ihre Ortsnamen wie unverwechselbare Marken synonym für spezifische Sounds oder Pop-Stile stehen. Dies lässt sich auch in Deutschland finden. Seit kurzem wird hier die untergegangene »Halbstadt« West-Berlin mit Macht neu entdeckt. Zahlreiche Romane, Memoiren, Bildbände, Sachbücher und Ausstellungskataloge erinnern an ihre Popgeschichte.[1] Manche dieser Publikationen beschwören eine Art Westalgie,[2] die als retrospektives Unbehagen an den aktuellen Umbrüchen verstanden werden kann. Im Kontrast zur sich rasant verändernden Hauptstadt der Berliner Republik erscheint der Westen der geteilten Stadt darin als ein Ort, der zwar im Zentrum der geopolitischen Konflikte seiner Epoche lag, gleichzeitig aber – zumindest in den letzten zwei Jahrzehnten seiner Existenz – davon scheinbar unberührt die Kulisse einer hedonistischen Freizeitgesellschaft bildete, die sich in künstlerischen Avantgarden sowie politisierten und subkulturellen Milieus formierte. Man mag hier Ansätze der Mythenbildung erkennen, doch rückt damit die Sonderrolle der vergangenen Stadt in den Fokus.
Am 21. Juni 1900 geboren, wächst Willy Stiewe in Berlin auf und studiert nach dem Abitur für kurze Zeit Jura. Ab 1921 ist er in der Redaktion der eben vom Hackebeil-Verlag gegründeten Halbwochenzeitschrift „Große Berliner Illustrierte“ tätig, die 1924 in „Hackebeil’s Illustrierte“ umbenannt wird. Neben dieser Arbeit gibt er 1922 zunächst ein Liederbuch heraus, dem 1924 unter dem Titel Der Krieg nach dem Kriege: Eine Bilderchronik aus Revolution und Inflation ein erstes zeitgeschichtliches Fotobuch folgt.
Ein Zug von Elefanten mit orientalisch bekleideten Reitern und Treibern bewegt sich durch eine – wie die Bildunterschrift verrät – Münchner Straße. Diese Momentaufnahme aus dem Großstadtleben des späten 19. Jahrhunderts verwundert auf den ersten Blick und gehört mit Sicherheit zu einer der ungewöhnlicheren Szenen, die der 2013 erschienene Bildband „München im 19. Jahrhundert. Frühe Photographien 1850-1914“ enthält.
„Ach, dieses Lächeln im Krieg war erschütternder als das Weinen“, schrieb Karl Kraus in „Die letzten Tage der Menschheit“. Und das Lächeln des Wiener Henkers nach der Hinrichtung des italienischen Patrioten Cesare Battisti im Jahr 1916 ist wahrhaft erschütternd. Heiter, als wären sie beim Heurigen, posieren der Henker und seine Assistenten vor der Kamera. Erst auf den zweiten Blick erfasst das Auge den erhängten Mann in ihrer Mitte, der an dem Pfahl wie eine Gliederpuppe wirkt – als Trophäe gehalten vom stolzen Henker, der mit seinen Händen den Besitz anzeigt.
Anton Holzer hat dieses Foto für den Umschlag seines Buchs „Das Lächeln der Henker. Der unbekannte Krieg gegen die Zivilbevölkerung“ gewählt, das 2014 als Sonderausgabe zum 100. Jahrestag des Ersten Weltkriegs in zweiter Auflage erschienen ist. Es reiht sich in eine lange Reihe von Bildern ein, mit denen Holzer die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung im Ersten Weltkrieg im Osten dokumentiert.
Visual History (Version 3.0)
(2014)
In Erweiterung der Historischen Bildforschung markiert Visual History ein in jüngster Zeit vor allem innerhalb der Neuesten Geschichte und der Zeitgeschichte sich etablierendes Forschungsfeld, das Bilder in einem weiten Sinne sowohl als Quellen als auch als eigenständige Gegenstände der historiografischen Forschung betrachtet und sich gleichermaßen mit der Visualität von Geschichte wie mit der Historizität des Visuellen befasst.
Wie für viele neue Staaten und »Entwicklungsländer« in der Ära nach dem Zweiten Weltkrieg spielten transnationale Dynamiken des Wissenstransfers auch für das 1948 gegründete Israel eine wichtige Rolle. Eine geradezu staatstragende Funktion kam dabei der entstehenden Raumplanung zu. Die israelischen Planungseliten waren durch ihr Studium und durch Grundannahmen des »Social Engineering« eng mit der deutschen Wissenskultur und speziell mit der Raumordnung verflochten – auch über die Zäsur von 1945 hinweg. Der Aufsatz untersucht die Rezeption der Theorie »zentraler Orte« im Kontext des ersten, meist als »Sharonplan« bezeichneten israelischen Nationalplans von 1951. Die 1933 durch Walter Christaller publizierte Theorie hatte auch einen konzeptionellen Eckpfeiler des »Generalplans Ost« gebildet, den die SS bzw. der »Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums« (RKF) nach 1939 zur »Germanisierung« der eroberten Ostgebiete entwickelt hatte. Die Ambivalenz der israelischen Rezeptionslinie wird anhand der Biographien dreier Planer geschildert (Eliezer Brutzkus, Artur Glikson, Ariel Kahane).
Subjekt und Subjektivierung
(2014)
Wie werden Menschen zu Subjekten gemacht, und wie machen sie sich selbst zu Subjekten? – fragt Wiebke Wiede und stellt in dem Artikel die wichtigsten Theorieansätze zur Funktionsweise von „Subjektivierung” im 20. Jahrhundert vor. Subjekte konstituieren sich im historischen Raum, und sie unterliegen institutionellen Strukturen und Subjektdefinitionen, die historisch kontingent sind. Demnach spiegeln sich auch in den Subjekttheorien die kulturellen Orientierungsbedürfnisse unserer Gegenwart. Wiede beschreibt das relativ junge Forschungsfeld der Subjektivierung oder „Selbst-Bildungen” und plädiert dafür, die Zeitgeschichte verstärkt einzubinden.
Stadtgeschichte als Zeitgeschichte. Methodische Impulse zur Historisierung West-Berlins. Einleitung
(2014)
Wem gehört die Stadt? Um diese Frage kreisen derzeit viele öffentliche Debatten in Berlin und anderswo. Steigende Mieten, die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, die globale Erschließung des Immobilienmarktes und die zunehmende Touristifizierung der Innenstädte sind nur einige der Themen, die seit einigen Jahren heiß diskutiert werden. Diese breite gesellschaftliche Relevanz hat zugleich zu einem deutlichen Aufschwung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Stadt als gestaltetem und häufig umkämpftem Lebensraum geführt. Dabei werden die städtischen Entwicklungen nicht nur aus sicherer Distanz reflektiert. Vielmehr bietet die Stadtforschung das theoretisch-methodische Arsenal, um bestimmte Prozesse im urbanen Raum zu begreifen und in der öffentlichen Debatte auf den Punkt zu bringen. So hat sich der sozialwissenschaftliche Begriff »Gentrification« inzwischen zu einem politischen Kampfbegriff entwickelt, mit dem die Verdrängung ärmerer Bevölkerungsschichten im Zuge urbaner Aufwertungsprozesse problematisiert wird. Die Grenze zwischen wissenschaftlicher Reflexion und politischer Intervention ist mitunter fließend.
West-Berlin hat Konjunktur. Nostalgische Erinnerungen widmen sich der Insel inmitten der DDR; die alte City West rund um den Breitscheidplatz wird wiederentdeckt; Ausstellungen beschäftigen sich mit West-Berlin und seinen Heroen. Vor allem aber boomt das visuelle Gedächtnis der Teilstadt. In dichter Folge erscheinen derzeit Bildbände mit Fotografien, die von der frühen West-Berliner Nachkriegszeit bis zum Fall der Mauer reichen. Besonders der Bezirk Kreuzberg findet hierbei ein unvergleichliches Interesse: Allein im Jahr 2013 erschien ein halbes Dutzend neuer Bildbände mit zeithistorisch interessanten Kreuzberg-Fotos.
Welche oder wessen Geschichte jüngeren Generationen vermittelt werden soll, ist eine kontroverse Frage. Insbesondere Geschichtsschulbücher sind dabei als ein zentrales Medium der Herausbildung verschiedener regionaler, nationaler und transversaler Identifikationsmöglichkeiten zu begreifen. In ihrem Beitrag skizzieren Felicitas Macgilchrist und Marcus Otto die Potenziale von Geschichtsschulbüchern als zeitgeschichtliche Quellen und diskutieren aktuelle Forschungsfragen und -desiderate hinsichtlich der Untersuchung von Prozessen der Produktion, Verbreitung und Rezeption von Geschichtsschulbüchern.
Schwitzende Werkarbeiter in der DDR, Menschen im Porträt, Bilder als kombinierte Triaden, die ihnen einen neuen Sinn geben – die aktuelle Werkschau des Berliner Fotografen Ludwig Rauch erzählt im Cottbusser Dieselkraftwerk Geschichte und Geschichten. Es geht um die DDR, um Menschen und ihre Biografien: sichtbar gemacht in Porträts und Serien. Das Altern, der Tod und vor allem das Leben sind Motive in Rauchs Werkschau, die er unter dem Titel Noch ein Leben zusammenfasst. Auf drei Etagen begegnen die Ausstellungsbesucher unterschiedlichsten Arbeiten, die auf teilweise überraschende Weise zusammengehören.
Pressefotografie
(2014)
Unter den Begriff der Pressefotografie fallen im engeren Sinn all diejenigen Fotografien, die zum Zweck der Verbreitung in Zeitungen und Zeitschriften aufgenommen werden. Im erweiterten Sinn fallen darunter zudem auch solche Fotografien, die in einem anderen Kontext (zum Beispiel Wissenschaft, Wirtschaft oder Kunst) aufgenommen und dann in Zeitungen oder Zeitschriften publiziert wurden. Darüber hinaus bezeichnet der Begriff der Pressefotografie ein Berufsbild, dessen Protagonisten das Ziel verfolgen, die Öffentlichkeit über regelmäßig erscheinende Printmedien mit Bildern zu versorgen. Dieses Berufsfeld entstand im Verlauf des 19. Jahrhunderts und etablierte sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts, mit der Einführung der Autotypie als neuem Standardverfahren zur Reproduktion von Fotografien, als fester Bestandteil der modernen Medienlandschaft. Waren Zeitschriften anfangs mit Hilfe von Holzschnitten illustriert worden – zum Teil auch mit Holzschnitten, die Fotografien reproduzierten –, erlaubte das Verfahren der Autotypie erstmals den seriellen Abdruck von Fotografien.
Metamorphosen der Fabriksozialisation. Zur Produktion des Arbeiters in Vergangenheit und Gegenwart
(2014)
Kaum ein Thema beschäftigt Soziologie wie Öffentlichkeit in der Bundesrepublik derzeit so nachhaltig wie die »Explosion der Ungleichheit«. Lebenschancen gelten im Zeichen der Expansion des Niedriglohnsektors, prekärer Beschäftigung, prospektiver Altersarmut und geringer sozialer Mobilitätalsgefährdet. Unterschiedliche Gründe werden für die Verschärfung der Ungleichheit angeführt: Die Neujustierung des Sozialen unter neoliberalen Vorzeichen seit den 1980er Jahren, der Umbau der bundesrepublikanischen Sozialsysteme und die zugehörigen Arbeitsmarktreformen im neuen Jahrtausend sowie die unterschiedlichen Wellen der Finanzkrise seit 2008/09, all diese Faktoren haben, wie vielerorts betont wird, ihre Spuren in der Sozialstruktur hinterlassen. In der Bundesrepublik ist es allerdings vorallem der Strukturwandel des Arbeitsmarktes, der die Entwicklung sozialer Ungleichheit prägt. Es befinden sich derzeit so viele Personen in Beschäftigung wie noch nie in der Geschichte, während gleichzeitig die Arbeitslosenquote die niedrigste seit der Wiedervereinigung ist. Nicht mehr der Ausschluss vom, sondern die spezifische Form der Ausbeutung auf dem Arbeitsmarkt wird damit zur entscheidenden Dimension für die Entwicklung sozialer Ungleichheit.
Quelle: Verlag
Markttabu
(2014)
Der Erste Weltkrieg ist auch ein Krieg der Bilder, genauer: ein Krieg, in dem erstmals das Medium der Fotografie massenhaft eingesetzt wurde. Schon der „begeisterte“ Abmarsch der deutschen Truppen Anfang August 1914[1] wurde in unzähligen Aufnahmen dokumentiert. Dabei war die Bildberichterstattung stark der Zensur unterworfen. Alle Kriegsparteien hatten zu Beginn oder während des Kriegs eigene Presse- oder Propagandabüros eingerichtet. Die Kriegsberichte und die Fotografien wurden extrem für propagandistische Zwecke eingesetzt; viele Bilder von der angeblichen Front waren zudem gefälscht bzw. in der Heimat nachgestellt worden. Der Krieg war also auch zu einem Medienkrieg geworden. Andererseits blieben die Kriegsaufnahmen nicht mehr auf Bildjournalisten, Fotografen und Propagandaabteilungen beschränkt. Einige Soldaten besaßen inzwischen Kleinbildkameras und dokumentierten ihre Kriegserlebnisse mit eigenen Fotoapparaten.
Die Vergangenheit ist allgegenwärtig. Wir können sie scheinbar mit all unseren Sinnen wahrnehmen: So hören wir etwa im Radio Kommentare zum Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses, sehen im Fernsehen im Prinzip täglich Sendungen mit historischem Inhalt und lesen in Zeitungen über neueste archäologische Funde.
In spite of the prevailing myth, neither the political self-conception of West Berlin that emerged soon after the war nor the city’s international image were mere by-products of the Cold War. They resulted, rather, from a binational campaign that was based on strategic considerations. Returned Social Democratic émigrés, sympathetic American officials, and certain journalists convinced the German and the American public of West Berlin’s heroic defence of democratic ideals with remarkable speed and success. They could rely on both tangible and intangible resources for their campaign of erecting an ›Outpost of Freedom‹ in what was left of the former Reichshauptstadt. While the heady Weimar days of pre-war Berlin provided countless images that appeared to authenticate this new narrative, the transatlantic network was also able to draw on considerable financial resources and media outlets to promote it. This article seeks to outline the historical actors behind the project and the narratives on which they drew.
In this Issue
(2014)
Hochgespannte Erwartung. H.G. Wells’ Utopie einer »befreiten Welt« am Vorabend des Großen Kriegs
(2014)
In der belletristischen Literatur spiegeln sich nicht nur die Vergangenheitsbilder einer Epoche, sondern ebenso ihre Vorstellungen von der Zukunft. Müsste man eine Rangliste der literarischen Propheten erstellen, welche als Seismographen die Erwartungen und Befürchtungen ihrer Zeit aufnahmen und verarbeiteten, so wäre dem britischen Autor Herbert George Wells (1866–1946) einer der obersten Plätze sicher. Wie kaum ein anderer Schriftsteller und Intellektueller der späten Viktorianischen Ära verknüpfte er in seinen Werken politische Zeitdiagnostik und phantastische Zukunftsvisionen, und dies nicht allein in den bekannten Klassikern der frühen Science-Fiction-Literatur »The Time Machine« (1895) und »The War of the Worlds« (1898). Wells war ein gleichermaßen populärer, produktiver wie politisch entschiedener Autor, der insgesamt mehr als 50 Romane und eine noch größere Zahl von Sachbüchern vorlegte, von zahllosen Erzählungen und journalistischen Gelegenheitsarbeiten ganz abgesehen.
Seit den 1980er-Jahren erlebt die wissenschaftliche Erforschung von Wanderungsprozessen international einen rasanten Aufschwung, und ein Ende der Konjunktur ist derzeit nicht in Sicht. Die Gründe für diesen Forschungsboom sind in erster Linie in aktuellen Konflikt- und Problemlagen zu suchen. Segregationserscheinungen in Kernbereichen der Gesellschaft, allen voran im Wohn- und Bildungswesen, Auseinandersetzungen um religiöse Symbole, vor allem aber die Popularität rechtsextremistischer Parteien und Organisationen, rassistische Ausschreitungen und Fremdenfeindlichkeit sowie nicht zuletzt die seit dem Anschlag auf das World Trade Center in New York im September 2001 verstärkt wahrgenommene Bedrohung durch global agierende Terrororganisationen und vermeintlich kausale Beziehungen zwischen Terrorismus und Einwanderung haben die öffentliche Diskussion über das Für und Wider von räumlicher Mobilität angefacht und das wissenschaftliche Interesse an der Kenntnis von Wanderungsprozessen – deren Ursachen, Verlauf und Folgen – beträchtlich gesteigert.