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Wer heute im Frankfurter Bankenviertel Sozialforschung betreibt und Gespräche mit Finanzexperten führt, stößt immer häuiger auf Berichte wie den eines 50jährigen Investmentbankers, der Folgendes aus seiner Berufsbiographie erzählt:
Nach sieben Jahren in der Zentrale war ich sehr müde und hatte Burnout. Da war ich so um die 40. Wir hatten früh Kinder gekriegt und natürlich geackert ohne Ende. Aber es war auch so, dass man sich dann erst so richtig selbst erlebt hat, beim Reisen zum Beispiel. Das ist natürlich toll, und dann die Goldkarte und die Platinkarte von Amex und so ein Zeugs. Dieses sich selbst erst spüren, wenn man so hyperaktiv ist. Sobald es dann still ist, wird es leer. Das ist bei vielen Investmentbankern so. Die brauchen diese Spannung des Deal-Machens – »wir sind die Deal-Maker«. Das führt zu immer mehr, mehr, mehr – bis man dann abstürzt. Also, ich war total müde. Dann haben die Ärzte mir gesagt: »Du musst sofort raus«. Hab’ dann
eineinhalb Jahre gebraucht...
Gegenstand dieses Beitrags ist die Entwicklung der ambulanten Altenhilfe in der Bundesrepublik Deutschland von der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Beginn der 1970er Jahre, Dabei wir hier das Beispiel der Stadt Frankfurt am Main gewählt, eine Stadt, die relativ führend in ihren Angeboten war, deren Entwicklung aber durchaus mit anderen Städten vergleichbar ist und die durch Hinzuziehen von Berichten und Umfragen aus weiteren Orten, die zum Beispiel im Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche Fürsorge veröffentlicht wurden, mit diesen verglichen wird.
Gegenstand dieses Beitrags ist die Entwicklung der ambulanten Altenhilfe in der Bundesrepublik Deutschland von der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Beginn der 1970er Jahre. Dabei wird hier das Beispiel der Stadt Frankfurt am Main gewählt, eine Stadt, die relativ führend in ihren Angeboten war, deren Entwicklung aber durchaus mit anderen Städten vergleichbar ist und die durch Hinzuziehen von Berichten und Umfragen aus weiteren Orten, die zum Beispiel im Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche Fürsorge veröffentlicht wurden, mit diesen verglichen wird.
Wie für viele neue Staaten und »Entwicklungsländer« in der Ära nach dem Zweiten Weltkrieg spielten transnationale Dynamiken des Wissenstransfers auch für das 1948 gegründete Israel eine wichtige Rolle. Eine geradezu staatstragende Funktion kam dabei der entstehenden Raumplanung zu. Die israelischen Planungseliten waren durch ihr Studium und durch Grundannahmen des »Social Engineering« eng mit der deutschen Wissenskultur und speziell mit der Raumordnung verflochten – auch über die Zäsur von 1945 hinweg. Der Aufsatz untersucht die Rezeption der Theorie »zentraler Orte« im Kontext des ersten, meist als »Sharonplan« bezeichneten israelischen Nationalplans von 1951. Die 1933 durch Walter Christaller publizierte Theorie hatte auch einen konzeptionellen Eckpfeiler des »Generalplans Ost« gebildet, den die SS bzw. der »Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums« (RKF) nach 1939 zur »Germanisierung« der eroberten Ostgebiete entwickelt hatte. Die Ambivalenz der israelischen Rezeptionslinie wird anhand der Biographien dreier Planer geschildert (Eliezer Brutzkus, Artur Glikson, Ariel Kahane).
Die Automatisierung der industriellen Produktion hat innerhalb der Geschichtswissenschaften bislang erstaunlich wenig Aufmerksamkeit gefunden. An einem Fallbeispiel, der Halle 54 bei Volkswagen in Wolfsburg, widmet sich der Aufsatz den Grenzen der (Voll-)Automatisierung, wie sie in den 1980er-Jahren sichtbar wurden. Die Halle 54, eröffnet 1983, wurde zeitgenössisch als »Modell des technischen Fortschritts« bezeichnet. Hier hatte VW in einem weltweit beachteten Versuch die komplizierte Endmontage zu 25 Prozent automatisiert. Die anfangs gefeierten Roboter erwiesen sich jedoch schnell als fehlerhaft. Der Beitrag analysiert insbesondere das Mensch-Maschine-Verhältnis und dessen damalige Bewertung. Das Fallbeispiel verdeutlicht zum einen die aufgeregten Diskurse der 1980er-Jahre um eine scheinbare Wiederentdeckung menschlicher Überlegenheit gegenüber der Maschine; zum anderen zeigt es die Grenzen der Vollautomatisierung in der Endmontage, die bis heute als zu schwierig für Roboter gilt. Gleichwohl führten diese Erfahrungen nicht zu einer prinzipiellen Abkehr von der Automatisierung, sondern vielmehr zu einer »angepassten Automatisierung«.
Die Arbeitsumstände der westlichen Korrespondenten, die während des Ost-West-Konflikts aus der Hauptstadt der Sowjetunion berichteten, waren ein alltäglicher Ausdruck gerade jener widersprüchlichen politischen Entwicklungen, über die sie eigentlich informieren wollten, zu denen ihnen aber oft der Informationszugang und die erforderlichen Übermittlungswege versperrt waren. Der Beitrag beleuchtet die Hindernisse, mit denen die Journalisten um 1960 zu kämpfen hatten und die ihnen selbst nur in zweiter Linie berichtenswert erschienen. Wie gingen die Journalisten an der Schnittstelle zwischen Ost und West mit solchen Schwierigkeiten um? Wenn man die Tätigkeit der westlichen, speziell der westdeutschen Korrespondenten in Moskau näher betrachtet, wird es möglich, ein vielschichtiges und präzises Bild des Ost-West-Konflikts jenseits der außenpolitisch-diplomatischen Ebene zu erhalten sowie die in den westlichen Medien verbreiteten Nachrichten als kontextgebundene Produkte zu analysieren.
Angesichts der kaum zu überschätzenden Bedeutung von Bildern für die Erinnerung und insbesondere von Fotos für das »Erscheinungsbild« der jüngeren Geschichte ist es frappierend, dass das Bildgedächtnis zur Zwangsmigration der Deutschen aus dem Osten am Ende des Zweiten Weltkriegs und in seinem Gefolge bislang kaum Beachtung gefunden hat. Erst in den letzten Jahren haben einige Historikerinnen und Historiker auf diese wichtige Forschungslücke hingewiesen und versucht, sich den kollektiven Bilderwelten von Flucht und Vertreibung anzunähern. Bislang wurden dabei insbesondere zentrale Bildmotive von ikonischer Qualität eruiert – wie der Flüchtlingstreck und das Mutter-Kind-Motiv –, ihre politisierten Entstehungskontexte untersucht und ihr strategischer Gebrauch in der Vertreibungserinnerung bestimmt.
Der »Weltkrieg« oder »Große Krieg« wurde von vielen Zeitgenossen als eines der ruhmreichsten, denkwürdigsten Ereignisse der Weltgeschichte und insbesondere der beteiligten Mächte aufgefasst. So standen auch von Anfang an gestalterische Konzepte zur Ehrung der Gefallenen als »Helden einer großen Zeit« mittels Kriegerdenkmälern, Totenhainen und Ehrenhallen zur Diskussion. Im Gegensatz zu dieser übergreifenden heroisierenden Deutung waren die Erinnerungserzählungen seit 1918 sehr heterogen. Modellhaft für die Bewahrung des Ersten Weltkriegs im »Funktionsgedächtnis« (Aleida Assmann) ist Großbritannien, wo beiden Weltkriegen eine ähnliche Relevanz zuerkannt wird. Der »Armistice Day« am 11. November repräsentiert seit 1920 kontinuierlich die öffentliche Erinnerung an das Ende des »Great War«. Zwei Schweigeminuten »at the 11th hour of the 11th day of the 11th month«, Gedenkveranstaltungen wie jene am »Tomb of the Unknown Warrior« in der Westminster Abbey oder auch historische Fernsehserien, in denen der »Große Krieg« regelmäßig vorkommt, sind Belege für seine Sichtbarkeit und mediale Verbreitung bis heute. Ein Beispiel für das Gegenmodell, in dem der Zweite Weltkrieg den Ersten weitgehend überschrieben hat, ist Österreich, wo nach 1945 dem Ersten Weltkrieg nur geringe Relevanz für aktuelle Identitätskonzepte und Erinnerungserzählungen beigemessen wurde. Zeichensetzungen im öffentlichen Raum beschränken sich (mit regionalen Ausnahmen wie Tirol) weitgehend auf einige Straßennamen und auf Kriegerdenkmäler, die für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs adaptiert wurden. Zwischen diesen Optionen – der Gleichrangigkeit beider Weltkriege oder der Dominanz des Zweiten Weltkriegs – lässt sich die Gedächtnislandschaft in den europäischen Ländern einordnen.
Zu diesem Heft
(2014)
Der Aufsatz untersucht die städtebaulichen Debatten um das leere Zentrum, das die West-Berliner Politik und Stadtöffentlichkeit seit Anfang der 1980er-Jahre neu für sich entdeckten. Als die Internationale Bauausstellung (IBA) an Gestalt gewann, erwies sich die »Stadtwüste« zwischen Reichstag, Mauer, Kulturforum und ehemaligem Prinz-Albrecht-Gelände als besonders sensibel. In verschiedenen Anläufen entwickelten Stadtplaner, Bürgerinitiativen und die Senatsverwaltung Zukunftspläne für das formlose Areal an der Mauer. Je intensiver dieser »Zentrale Bereich« diskutiert, besichtigt und mit Bedeutungen aufgeladen wurde, desto höher wurden aber die Hürden, hier zu bauen. Schon vor 1989 lief die kulturelle Erschließung der Mitte auf die Konstruktion einer bis dahin unbekannten »Geschichtslandschaft« hinaus. »Spuren«, »Orte« und »Räume« fanden ein verstärktes Interesse – sowohl bei den entstehenden Geschichtswerkstätten als auch bei Architekten und Politikern. Zwar führte die West-Berliner Introspektion nicht zu konkreten Bauentscheidungen, doch stellte sie einen breiten, von der eigentümlichen Situation der Inselstadt geprägten Wissensvorrat bereit, der nach 1989 plötzlich höchst relevant und oft handlungsleitend wurde.
»Berlin war anders«, schrieb die Journalistin Susanne Kippenberger 2009 in treffender Hilflosigkeit über das eingemauerte Gebilde zwischen DDR und Bundesrepublik, dessen quecksilbrige Facettenvielfalt so eigentümlich mit seinen scharf markierten Grenzen kontrastiert. Das Berlin, das sie meinte, war West-Berlin – in ihrer Erinnerung einerseits wild und elektrisierend, andererseits übersichtlich und familiär, eigentlich riesengroß und doch eher ein Dorf. West-Berlin war anders – aber wie und was war West-Berlin?
Warum wurde eine West-Berliner Großsiedlung weit über die Grenzen der Stadt hinaus zum viel zitierten Beispiel einer fehlgeschlagenen Stadtplanung und sozialer Probleme? In den Jahren um 1970 erschien eine beeindruckende Zahl an Zeitungsartikeln, Filmen und wissenschaftlichen Studien, die sich mit dem Märkischen Viertel befassten – einer Großsiedlung, die von 1963 bis 1974 am nördlichen Stadtrand West-Berlins entstand. Der Aufsatz folgt der diskursiven Herstellung des Viertels als urbaner Problemzone. Er zeigt, wie darin eine Desillusionierung über die urbane Moderne zum Ausdruck kam, die eng verknüpft war mit der Sorge um eine neue Schicht von desintegrierten Randständigen. Durch ihre Forschungs-, Sozial- und Medienarbeit wirkten in erster Linie Angehörige eines linksalternativen Milieus, das in West-Berlin besonders aktiv war, auf die mediale Darstellung des Viertels ein. In ihrem Bemühen, gesellschaftliche Missstände aufzudecken, trugen sie unfreiwillig zu der nachhaltigen Abwertung des Quartiers bei. Dessen Image war verbunden mit der Suche nach alternativen Beschreibungen der »Ränder« der Gesellschaft angesichts einer sich auflösenden traditionellen »Arbeiterklasse«.
Am 2. Oktober 1985 tagte der Unterausschuss für Sicherheit und Terrorismus des US-Senats anlässlich eines ebenso ungewöhnlichen wie aktuellen Themas: Es ging um die wachsende Zahl so genannter Söldnerschulen und paramilitärischer Ausbildungscamps auf amerikanischem Boden. Am Rande diskutierten die Senatoren über die Verbreitung von Publikationen, die das Söldnerleben glorifizierten. Der demokratische US-Senator Patrick Leahy aus Vermont äußerte sich besorgt über die Entstehung einer »zusammenhängenden Söldnerbewegung«: Bei einigen Mitgliedern dieser Szene möge es sich zwar um »übergewichtige Wochenendkrieger« handeln, doch andere seien »gefährliche Individuen« verschiedener Herkunft und Affiliation – oder US-Bürger, die durch ihre Aktivitäten außenpolitische Schäden verursachten. Die Anhörung war nur eine von mehreren parlamentarischen Untersuchungen, die sich seit Mitte der 1970er-Jahre mit dem Söldnerproblem der USA beschäftigten. Zugleich häuften sich Zivilklagen gegen Söldnerzeitschriften, Anti-Söldner-Komitees von besorgten Bürgern und journalistische Enthüllungsstories. Dies alles waren Reaktionen auf ein Phänomen, das der Autor Peter Tickler als »obsessive amerikanische Begeisterung für den Lebensstil des Söldners« beschrieb.
Wolfgang Kaschuba zählt zu den bekanntesten empirisch forschenden Kulturwissenschaftlern in Deutschland. Er studierte Politikwissenschaft und Anglistik sowie Kulturwissenschaft und Philosophie. 1982 wurde Kaschuba an der Universität Tübingen promoviert, 1987 habilitierte er sich dort im Fach Empirische Kulturwissenschaft/Volkskunde. Seit 1992 lehrt er an der Humboldt-Universität zu Berlin als Professor für Europäische Ethnologie. Kaschuba war stellvertretender Sprecher des transatlantischen DFG-Graduierten-Kollegs »Metropolenforschung Berlin – New York« und Geschäftsführender Direktor des Georg-Simmel-Zentrums für Metropolenforschung. Zudem ist er Mitherausgeber mehrerer Buchreihen und Zeitschriften, darunter »Geschichte und Gesellschaft« sowie »WerkstattGeschichte«. Das Gespräch mit Wolfgang Kaschuba führte Hanno Hochmuth.
Man muss dabei gewesen sein. Wer heute »Dr. Strangelove« einem Publikum von unter Dreißigjährigen zeigt, einer Altersgruppe also, die den Kalten Krieg bestenfalls vom Hörensagen kennt, wird vermutlich gelangweilte oder verständnislose Kommentare hören. Oder die Frage, was es denn um Himmels willen zu lachen geben soll in dieser »schwarzen Satire« über die atomare Vernichtung der Welt, die seit ihrer Uraufführung am 29. Januar 1964 hartnäckig als eine der besten Komödien aller Zeiten gehandelt wird und dem virtuosen, gleich in drei Rollen auftretenden Hauptdarsteller Peter Sellers einen Logenplatz in der cineastischen Ruhmeshalle gesichert hat.
Hochgespannte Erwartung. H.G. Wells’ Utopie einer »befreiten Welt« am Vorabend des Großen Kriegs
(2014)
In der belletristischen Literatur spiegeln sich nicht nur die Vergangenheitsbilder einer Epoche, sondern ebenso ihre Vorstellungen von der Zukunft. Müsste man eine Rangliste der literarischen Propheten erstellen, welche als Seismographen die Erwartungen und Befürchtungen ihrer Zeit aufnahmen und verarbeiteten, so wäre dem britischen Autor Herbert George Wells (1866–1946) einer der obersten Plätze sicher. Wie kaum ein anderer Schriftsteller und Intellektueller der späten Viktorianischen Ära verknüpfte er in seinen Werken politische Zeitdiagnostik und phantastische Zukunftsvisionen, und dies nicht allein in den bekannten Klassikern der frühen Science-Fiction-Literatur »The Time Machine« (1895) und »The War of the Worlds« (1898). Wells war ein gleichermaßen populärer, produktiver wie politisch entschiedener Autor, der insgesamt mehr als 50 Romane und eine noch größere Zahl von Sachbüchern vorlegte, von zahllosen Erzählungen und journalistischen Gelegenheitsarbeiten ganz abgesehen.
Stadtgeschichte als Zeitgeschichte. Methodische Impulse zur Historisierung West-Berlins. Einleitung
(2014)
Wem gehört die Stadt? Um diese Frage kreisen derzeit viele öffentliche Debatten in Berlin und anderswo. Steigende Mieten, die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, die globale Erschließung des Immobilienmarktes und die zunehmende Touristifizierung der Innenstädte sind nur einige der Themen, die seit einigen Jahren heiß diskutiert werden. Diese breite gesellschaftliche Relevanz hat zugleich zu einem deutlichen Aufschwung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Stadt als gestaltetem und häufig umkämpftem Lebensraum geführt. Dabei werden die städtischen Entwicklungen nicht nur aus sicherer Distanz reflektiert. Vielmehr bietet die Stadtforschung das theoretisch-methodische Arsenal, um bestimmte Prozesse im urbanen Raum zu begreifen und in der öffentlichen Debatte auf den Punkt zu bringen. So hat sich der sozialwissenschaftliche Begriff »Gentrification« inzwischen zu einem politischen Kampfbegriff entwickelt, mit dem die Verdrängung ärmerer Bevölkerungsschichten im Zuge urbaner Aufwertungsprozesse problematisiert wird. Die Grenze zwischen wissenschaftlicher Reflexion und politischer Intervention ist mitunter fließend.
West-Berlin gerät in den »Erinnerungsmodus« (Aleida Assmann). Vor dem Hintergrund einer bislang fragmentarischen Re-Lektüre der Halbstadt auf Grundlage von Erinnerungsberichten der »Szene«, Publikationen zeitgenössischer Fotografien und nicht zuletzt der Tagespresse haben sowohl Berliner/innen als auch Auswärtige manche vergessenen oder verlorenen Orte wiederentdeckt.[1] Auffallend ist der Versuch, ein besonderes Lebensgefühl in West-Berlin mit seinen aus der Teilung resultierenden Spezifika sowie personalen Netzwerken und deren Orten zu beschreiben.[2] Was also macht West-Berlin erkennbar? Was war das Charakteristische der »real existierenden« Stadt, der dortigen Lebensweise(n), ihrer Nutzung? Im Erinnerungsmodus wird vorausgesetzt, dass West-Berlin etwas Besonderes gewesen sei. Damit ist ein ganzes Bündel von Faktoren gemeint, angefangen von der politischen Lage über emotionale Einstellungen, der Bedeutung der Teilstadt im individuellen Lebenslauf bis hin zum konkreten Erscheinungsbild. Unzweifelhaft gehört die Materialität der Stadt zu den Rahmenbedingungen, die eine spezielle Lebensweise hervorgerufen und begleitet haben.
Philadelphia, Detroit, The Bronx oder Saint Germain des Prés: Manchen urbanen Topographien hat sich die Musikgeschichte so sehr eingeschrieben, dass ihre Ortsnamen wie unverwechselbare Marken synonym für spezifische Sounds oder Pop-Stile stehen. Dies lässt sich auch in Deutschland finden. Seit kurzem wird hier die untergegangene »Halbstadt« West-Berlin mit Macht neu entdeckt. Zahlreiche Romane, Memoiren, Bildbände, Sachbücher und Ausstellungskataloge erinnern an ihre Popgeschichte.[1] Manche dieser Publikationen beschwören eine Art Westalgie,[2] die als retrospektives Unbehagen an den aktuellen Umbrüchen verstanden werden kann. Im Kontrast zur sich rasant verändernden Hauptstadt der Berliner Republik erscheint der Westen der geteilten Stadt darin als ein Ort, der zwar im Zentrum der geopolitischen Konflikte seiner Epoche lag, gleichzeitig aber – zumindest in den letzten zwei Jahrzehnten seiner Existenz – davon scheinbar unberührt die Kulisse einer hedonistischen Freizeitgesellschaft bildete, die sich in künstlerischen Avantgarden sowie politisierten und subkulturellen Milieus formierte. Man mag hier Ansätze der Mythenbildung erkennen, doch rückt damit die Sonderrolle der vergangenen Stadt in den Fokus.
Unmittelbar nach dem Bau der Mauer, die West-Berlin zu einer eingeschlossenen Stadt machte, bot das bundesdeutsche Fernsehen, dessen selbstverständlicher Teil auch die Sendungen des Senders Freies Berlin (SFB) waren, einen audiovisuellen Kontakt zur Welt nach ›draußen‹ – oft sogar ›live‹, so dass man als West-Berliner teil hatte am Geschehen der westlichen Welt. Für die innere Gemütsverfassung sorgten jedoch spezifisch West-Berliner Programmbeiträge, die vom sicheren und zugleich idyllischen Leben auf der Insel im DDR-Meer erzählten und die ein Gefühl von Geborgenheit vermittelten. Mein frühester Eindruck stammt aus der Serie »Jedermannstraße 11«, die von einem Berliner Mietshaus handelt und von der ich einige Folgen als 17-Jähriger 1962/63 gesehen habe: mit eingängig wiederkehrender Titelmusik, mit bekanntem Personal wie dem in West-Berlin legendären Volksschauspieler Willi Rose, von dem die Eltern schwärmten; herzhaft und immer gut gelaunt, immer einen Scherz auf den Lippen, von seiner Frau (gespielt von Berta Drews) liebevoll in die Seite geknufft. Das Fernsehen war zu dieser Zeit noch ein neugierig-lustvolles Anschauen der Welt im Familienkreis. Denn wie die Menschen in dieser Serie, so lebten wir auch.