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In ihrem Beitrag über „Zeitgeschichte in Museen - Museen in der Zeitgeschichte“ widmet sich Kristiane Janeke der Entwicklung von Museen und Ausstellungen zu zeithistorischen Themen und der interdisziplinären Forschung zu Theorie und Praxis des Ausstellens. Nach Janeke sind zeithistorische Museen in der letzten Zeit in einer zunehmend heterogenen und multikulturellen Gesellschaft zu Bildungsorten geworden, in denen relevante zeithistorische Diskurse reflektiert und durch das Medium der Ausstellung mitgeprägt werden. Anlass genug, dass sich auch Zeithistoriker/innen noch stärker mit der Thematisierung von Geschichte in Museen auseinandersetzen.
In allen europäischen Ländern steht die Entwicklung der Zeitgeschichtsforschung in engem Zusammenhang mit nationalen Traditionen und Traumata. In Frankreich hat sich zwischen Forschung und nationalem Selbstverständnis eine besonders enge Interdependenz herausgebildet. Ebenso wirken die spezifisch französischen institutionellen Rahmenbedingungen auf die inhaltliche und methodische Entwicklung der Wissenschaft ein.
Zwischen Historisierung und Globalisierung: Titel, Themen und Trends der neueren Empire-Forschung
(2011)
The following article examines recent publications on empires and imperial history in world history, covering general overviews, comparative studies and monographs on individual cases. As a preliminary result of a general expansion of empire-studies – diachronically, with regard to different historical spaces and thematically – the authors identify a danger of inflating the concept and thereby weakening its analytical strength. Furthermore, a growing gulf between macro-perspectives and panoramas on the one hand and mikro-analyses on the other makes it difficult to achieve a suitable framework for precise research on empires. The article therefore argues in favour of a meso level, as the comparative view on the complex relation between empires and nation-states in the nineteenth and twentieth century can illustrate.
Während des gesamten 20. Jahrhunderts standen Frauen in den USA im Fokus öffentlicher Debatten und Expertendiskurse, die ihre biologische und soziale Funktion als Mütter künftiger Staatsbürger reflektierten. Diese Auseinandersetzungen um „Concepts of Motherhood“ erlauben Rückschlüsse auf zentrale gesellschaftliche Wandlungsprozesse und deren Gegenbewegungen. So zeigen die hier analysierten Debatten um Frauenrechte, Frauenarbeit und Reproduktion erstens, dass sich Normen und Handlungsspielräume für Frauen zwar sukzessive erweiterten, sie jedoch stets von Forderungen nach einer Re-Biologisierung der Geschlechterrollen bedroht waren. Zweitens wird deutlich, dass das Ideal der „White Middle Class Nuclear Family“ in den Debatten nicht grundsätzlich angetastet wurde. Vielmehr ging es den Beteiligten um die Ausbalancierung der Geschlechterrollen innerhalb dieser Kerneinheit, unter Vernachlässigung der Bedürfnisse und Lebensrealitäten von Müttern aus anderen ethnischen oder sozialen Gruppen.
Im Sommer 1968 wurde der nigerianische Bürgerkrieg durch die Veröffentlichung von Fotos hungernder ‚Biafrakinder‘ zu einem internationalen Medienereignis. Dieser „Bildakt“ bezog einen Teil seiner Wirkungsmacht daraus, dass viele Zeitgenossen die aktuellen Bilder mit Fotografien assoziierten, die während der Befreiung der Konzentrationslager 1945 entstanden waren. Gestützt auf Medienberichte, Publikationen von Aktivisten und Archivmaterial stellt der Aufsatz die Grundzüge der internationalen politischen Kommunikation über Biafra dar und analysiert die Bezüge zur beginnenden kulturellen Erinnerung an den Holocaust. Die Einschreibung Biafras in die Ikonographie des Holocaust ließ eine neuartige Rhetorik des Holocaust-Vergleichs entstehen, durch die sowohl der nigerianische Bürgerkrieg wie auch die Verbrechen des Nationalsozialismus als Genozid sichtbar wurden. Diese Rhetorik erzeugte zwar für kurze Zeit viel Aufmerksamkeit, ging jedoch an der komplexen Realität des Konflikts vorbei. Als sich herausstellte, dass Biafra kein ‚neuer Holocaust‘ war, verloren die Bilder und die dazugehörige Rhetorik des Vergleichs ihre Wirkungsmacht.
In wenigen Jahren ist ein breiter und differenzierter Markt für Geschichte entstanden, auf dem gelernte Historiker mit unterschiedlichen Studienwegen und Ausbildungsintensitäten sehr gute Chancen haben. Eine neuerdings boomende private Kulturwirtschaft braucht Kulturunternehmer, vom Organisator oder Mitwirkenden an ‚Living-History-Events’ über das Angebot von Recherche- oder Erzähldienstleistungen für Unternehmen bis zum Reiseleiter oder ‚Destinationsmanager’ im Kulturtourismus. Chancen haben vor allem breit ausgebildete Historiker, solche, die auch von Antike und Mittelalter eine Ahnung haben, und solche Historiker, die es verstehen, eine aktuelle Nachfrage zu bedienen oder gar neue Bedürfnisse zu wecken.
Dieser Text ist Teil der Buchpublikation: Wolfgang Hardtwig, Verlust der Geschichte – oder wie unterhaltsam ist die Vergangenheit?
Österreich - Die Dominanz des Staates. Zeitgeschichte im Drehkreuz von Politik und Wissenschaft
(2011)
Seit März 2011 können auf Docupedia-Zeitgeschichte unter der Rubrik "Länder" die ersten Beiträge abgerufen werden. Bei den veröffentlichten Texten handelt es sich um überarbeitete und durch Kommentare erweiterte Wiederveröffentlichungen aus dem von Alexander Nützenadel und Wolfgang Schieder herausgegebenen Sammelband „Zeitgeschichte als Problem. Nationale Traditionen und Perspektiven der Forschung in Europa“, der 2004 bei Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen publiziert wurde. Auf Docupedia sind nun zunächst die Beiträge zur Zeithistorischen Forschung in den Niederlanden von Christoph Strupp, zu Österreich von Ernst Hanisch, zur Schweiz von Christof Dipper sowie zu Spanien von Walther L. Bernecker und Sören Brinkmann veröffentlicht worden. Überblicke zum Stand der Zeithistorischen Forschung in weiteren Ländern sind in Planung.
Mit dem Erwerb von rund 20.000 Negativen aus dem Nachlass des tschechischen Fotografen Ivan Kyncl (1953–2004) hat die Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen einen bedeutenden Grundstock für eine fotografische Sammlung zur tschechoslowakischen Bürgerrechtsbewegung der 1970er-Jahre gelegt.1 Das Archiv der Forschungsstelle beherbergt die europaweit umfangreichste Sammlung von so genanntem Samizdat, d.h. von Schriftstücken, die jenseits der staatlichen Zensur im ‚Selbstverlag‘ publiziert worden sind.2 Den Hunderttausenden von schriftlichen Dokumenten steht eine kaum geringere Zahl von Fotografien gegenüber. Diese gelangten eher zufällig zusammen mit den schriftlichen Quellen oder mit gesamten Nachlässen von Dissidenten aus der ehemaligen Sowjetunion, aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn in das Archiv.
In den 1970er-Jahren endete des bundesdeutschen Wirtschaftswunder. Mit den konjunkturellen - und aus heutiger Sicht vergle1chswe1se harmlosen - Krisen von 1966/67 und 1973/74, mit der Aufkündigung des Bretton-Wood-Abkommens 1971, mit dem Ölpreisschocks von 1973/74 und 1979/80, mit der Billigkonkurrenz der fernöstlichen Tigerstaaten und mit den sich am Horizont bereits abzeichnenden fundamentalen Wandlungen von Wirtschaft und Gesellschaft durch Mikroelektronik und moderne Informationstechnologien, für die sich die Bezeichnung »dritte industrielle Revolution« eingebürgert hat, kündigte sich eine anhaltende industrielle Strukturkrise an, die sich derzeit zu einer Fundamentalkrise des globalen Kapitalismus auswächst. Die fordistische Suggestion eines fortwährend boomenden Kapitalismus ohne echte Krise und ebenso die Hoffnung auf eine dauerhafte Voll- oder gar Überbeschäftigung entpuppten sich als Illusion. Stattdessen wurde nun die »Krise des Fordismus« debattiert - und oft sehr Unterschiedliches darunter gefasst. Spätestens in den 1980er-Jahren machte die Formel vom »Ende des Fordismus« die Runde. »Krise« und »Ende« sind jedoch nur die eine Seite der Medaille. Gleichzeitig blieb die Bundesrepublik Deutschland zumindest die erste Hälfte der 1970er-Jahre aber auch von einer bis dahin ungekannten gesellschaftlichen Aufbruchstimmung und Reformeuphorie gekennzeichnet, die etwa Mitte der 1960er-Jahre eingesetzt hatte. Sie zeigte ebenfalls nachhaltige Wirkungen und wird nicht selten durch die von Zeithistorikern unlängst geprägte, deprimiert-ratlose Formel »Nach dem Boom« verdeckt beziehungsweise verniedlicht.
Nimmt man Fritz Fischers Buch heute wieder zur Hand, so versteht man kaum die Aufregung, die es bei seinem Erscheinen ausgelöst hat. Minutiös und in gedrängter Form untersuchte der Hamburger Neuzeithistoriker auf fast 900 Seiten ebenso erschöpfend wie ermüdend die Kriegszielprogramme der zivilen und militärischen Reichsleitung sowie einflussreicher gesellschaftlicher Gruppen des deutschen Kaiserreichs während des Ersten Weltkriegs. (...)
Wiederveröffentlichung von: Klaus Große Kracht, „An das gute Gewissen der Deutschen ist eine Mine gelegt“. Fritz Fischer und die Kontinuitäten deutscher Geschichte in: Jürgen Danyel/Jan-Holger Kirsch/Martin Sabrow (Hrsg.), 50 Klassiker der Zeitgeschichte, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007, S. 66-70.
Der Religionsgeschichte ist vielfach vorgeworfen worden, die entscheidenden methodischen ‚turns‘ und ‚shifts‘ der allgemeinen Geschichtswissenschaft erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung vollzogen zu haben. In der Tat, zu lange wurde die Geschichte von Religionen und Konfessionen lediglich als eine Geschichte von Kirchen und Verbänden beschrieben: Ereignisse und Institutionen rangierten weit vor Praktiken und Mentalitäten. Dies gilt insbesondere für die Zeitgeschichte: Während die Erforschung der religiösen Formationen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit schon längst mit neueren kulturgeschichtlichen Ansätzen operierte, galt es bezogen auf das 19. und 20. Jahrhundert noch immer als innovativ, den Anschluss an die Sozialgeschichte zu vollziehen und hinter den Kirchen und Verbänden das konfessionelle „Milieu“ und Formen kollektiver „Frömmigkeit“ zu entdecken. Nach dem Abschmelzen fester, homogener Konfessionsmilieus spätestens seit den 1960er-Jahren stellt sich nicht nur empirisch die Frage: „Was kommt nach dem Milieu?“ Auch methodisch ist zu überlegen: Was kommt nach der Milieuforschung?
„Gott ist tot – macht nichts“, titelte kürzlich die „ZEIT“ und präsentierte ihren Lesern unter dieser Überschrift „Hausbesuche bei vier Atheisten“. Vergegenwärtigt man sich die Aufmerksamkeitsregeln von Printmedien, die ja vor allem auf das Außergewöhnliche als das Berichtenswerte setzen, dann sind auch diese Skizzen ein Beleg für die neue Konjunktur, die die Religion in all ihren Facetten findet. Hat die bewusste Abwendung von einem transzendental begründeten Glauben, gar an eine personal gedachte Gottheit (schon wieder) Neuigkeitswert? Dass Glauben nicht Wissen sei, sich die Entstehung der Welt auch ohne göttliche Fügung erklären lasse, moralisches Verhalten sich nicht ausschließlich aus religiösen Überzeugungen ableite – taufrisch sind die in den Gesprächen thematisierten Überlegungen nicht.
(Version 1.0, siehe auch Version 2.0)Zeit ist die grundlegendste Kategorie der Geschichtswissenschaft. Historikerinnen und Historiker untersuchen, so könnte man in erster Annäherung formulieren, Wandel in der Zeit; ohne Zeit bzw. eine bestimmte Konzeption von Zeit gäbe es keine Vorstellung von Geschichte und damit auch keine wissenschaftlichen Versuche, sie zu erfassen. Auch wer behauptet, nicht Wandel, sondern Zustände zu untersuchen, interessiert sich für diese als Bedingungen für Wandlungsprozesse.
Am 26. Juli 2010 verkündete das „Rote-Khmer-Tribunal“ in Phnom Penh ein Aufsehen erregendes Urteil: Kaing Guek Eav, der ehemalige Direktor von Tuol Sleng, des zentralen Gefängnisses der kambodschanischen Staatssicherheit, wurde wegen „Crimes Against Humanity“ zu einer Haftstrafe von 35 Jahren verurteilt. Diese Strafe wurde in Anrechnung der bislang verbüßten Untersuchungshaft und wegen ursprünglich illegaler Inhaftierung auf 19 Jahre reduziert. Unter dem Eindruck heftiger Proteste von Seiten überlebender Opfer des Terrorregimes der Roten Khmer und ihrer Hinterbliebenen legte die Staatsanwaltschaft Mitte August Berufung gegen das Urteil ein. Sie forderte eine weitaus höhere Strafe, die angemessen die Schwere der Taten des inzwischen 67-jährigen Kaing Guek Eav – wegen seiner geringen Körpergröße auch Duch (Khmer: „der Kleine“) genannt – zu berücksichtigen habe. Inzwischen haben auch die Verhandlungen gegen vier weitere noch lebende Hauptverantwortliche der vom kommunistischen Regime der Roten Khmer in den Jahren 1975 bis 1978 verübten Verbrechen begonnen. Mit einer Verspätung von drei Jahrzehnten erfährt der kambodschanische „Autogenozid“ nun eine juristische Aufarbeitung.
Als Thomas Morus 1516 seine Geschichte jener fernen Insel veröffentlichte, deren soziale Ordnung das exakte Gegenteil seiner englischen Heimat darstellte, prägte er mit dem Namen dieser Insel – Utopia – einen der einflussreichsten Begriffe der Neuzeit: ein griechisches Kunstwort, das wörtlich ‚Nicht-Ort‘ bedeutet und seitdem immer dort gebraucht wird, wo eine ideale Welt in möglichst radikaler Differenz zur erfahrbaren Wirklichkeit beschrieben wird. Ob auch Morus die von ihm beschriebene Insel als ein Ideal ansah oder sie nur zum Zwecke der Verfremdung seiner Gesellschaftskritik entwarf, ist umstritten. Seitdem aber und bis heute hat der Begriff der Utopie fast ausschließlich die Bedeutung eines so idealen wie irrealen Gesellschaftszustands, dessen konkrete Merkmale natürlich von der jeweiligen Entstehungszeit der Utopie geprägt sind.
Rechtzeitig zu Weihnachten 2008 wetterten kirchliche Würdenträger beider Konfessionen im Zusammenhang mit der Finanzkrise massiv gegen die „gnadenlose Religion des Marktes und Konsums“. Auf protestantischer Seite verdammte der damalige EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber Raffsucht als „Tanz ums goldene Kalb“ und hielt dem Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, eine „Form des Götzendienstes“ vor. Huber, dessen Kirche genau wie ihr katholisches Pendant selbst im schlagartig verrufenen Aktien- und Wertpapiergeschäft investiert hat, bettete seine Kritik an den Symptomen der Finanzkrise in der Hoffnung auf öffentliche Zustimmungsbereitschaft bewusst in religiöse Semantik.
Auch aus der katholisch en Kirche meldete sich vermehrt religiös untermauerte Kapitalismuskritik und sogar Marxsche Kapitalismuskritik, obgleich diese mit dem Vornamen Reinhard statt Karl verbunden ist.
Radiophone Stimminszenierungen im Nationalsozialismus. Eine medienwissenschaftliche Perspektive
(2011)
Walter Benjamin zufolge hat das mediale Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit von Stimmen und Klängen die Tradierung des Wissens aus ihrem Jahrtausende alten Kreislauf mündlicher Erzählung gelöst, die „Geschichten dem Gedächtnis nachhaltiger anempfiehlt“, als es deren mediale Wiedergabe vermag. Je fesselnder die Erzählsituation von Geschichten ist, „desto größer wird ihre Anwartschaft auf einen Platz im Gedächtnis des Hörenden, desto vollkommener bilden sie sich seiner eigenen Erfahrung an, desto lieber wird er sie schließlich eines näheren oder ferneren Tages weitererzählen. Dieser Assimilationsprozeß“, so fährt Benjamin fort, „bedarf eines Zustandes der Entspannung, der seltener und seltener wird. Wenn der Schlaf der Höhepunkt der körperlichen Entspannung ist, so die Langeweile der geistigen. Die Langeweile ist der Traumvogel, der das Ei der Erfahrung ausbrütet. Das Rascheln im Blätterwalde vertreibt ihn. Seine Nester – die Tätigkeiten, die sich innig mit der Langeweile verbinden – sind in den Städten schon ausgestorben, verfallen auch auf dem Lande. Damit verliert sich die Gabe des Lauschens, und es verschwindet die Gemeinschaft der Lauschenden. Geschichten erzählen, ist ja immer die Kunst, sie weiter zu erzählen, und die verliert sich, wenn die Geschichten nicht mehr behalten werden.“
Kyberkratie bezeichnet das Regieren vermittels kybernetischer Methoden, eine kybernetisch aufgeklärte Organisation der Gesellschaft. Der Begriff fasst die Bestrebungen sowjetischer Kybernetiker zusammen, die Anwendung kybernetischer Steuerungsmethoden von der Regelungstechnik nicht nur auf die Erforschung lebender Organismen, sondern auch auf die Wissenschaft von der Gesellschaft auszuweiten. Sie betrachteten die Gesellschaft als ein kybernetisches, durch Rückkopplungen gesteuertes System, dessen Funktionieren sie durch den Einsatz rationaler, expliziter und »objektiver« Methoden optimieren zu können meinten. Kurzum, ihr Anliegen war es, einen Sozialismus mit kybernetischem Antlitz zu schaffen. Kyberbürokratie bezeichnet einen bürokratischen Apparat, der über kybernetische Methoden und Technologien, einschließlich Computer, verfügt.
Am Beispiel der Stadt Frankfurt am Main untersucht der Aufsatz vor allem die Zeit zwischen den frühen 1950er- und frühen 1980er-Jahren, also die von der Geschichtswissenschaft noch kaum betrachtete Phase jüdischen Lebens zwischen der Auswanderung der meisten „Displaced Persons“ und dem vermeintlichen „Coming Out“ der Juden in der Bundesrepublik. Der Fokus liegt auf den Konstitutionsbedingungen und Transformationen der kleinen, keineswegs homogenen jüdischen „Gemeinschaft“. Betrachtet werden insbesondere die individuellen Suchbewegungen, die die Angehörigen der zweiten Generation von Juden in der Bundesrepublik seit den 1960er-Jahren unternahmen – nicht nur, um ihren Platz zu finden in der Gesellschaft der ehemaligen Täter und Mitläufer, sondern auch im Verhältnis zur älteren Generation der Überlebenden. Dabei wird deutlich, dass die Geschichte jüdischen Lebens in der Bundesrepublik nicht allein als Religionsgeschichte zu betrachten ist, sondern ebenso als Migrations-, Sozial- und Mentalitätsgeschichte.
Der versäumte Abschied von der Volksgemeinschaft. Psychoanalyse und „Vergangenheitsbewältigung“
(2011)
Mit dem Essayband „Die Unfähigkeit zu trauern” legten Alexander und Margarete Mitscherlich 1967 einen Schlüsseltext für die „Bewältigung” der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik vor. Der von dem Ehepaar gemeinsam verfasste Titelessay, der ein knappes Viertel des Buches füllte, brachte den seit den späten 1950er-Jahren zunehmend diskutierten moralischen Skandal der „unbewältigten” NS-Vergangenheit auf den – psychoanalytischen – Begriff. Dass das Buch über weite Strecken schwer lesbar war und ist, stand der raschen Verbreitung zumindest seines eingängigen Titels nicht entgegen. (...)
Wiederveröffentlichung von: Tobias Freimüller, Der versäumte Abschied von der Volksgemeinschaft. Psychoanalyse und „Vergangenheitsbewältigung“, in: Jürgen Danyel/Jan-Holger Kirsch/Martin Sabrow (Hrsg.), 50 Klassiker der Zeitgeschichte, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007, S. 66-70.