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Sehnsucht nach einem stillen Land. Wie zwei Reporter der „ZEIT“ im Jahr 1979 die DDR darstellten.
(2009)
Die heutige Lektüre des Buches irritiert, so eigenartig und doch auch vertraut wirkt das vor 30 Jahren entworfene DDR-Bild. Die Texte und Fotos wurden zwischen Herbst 1978 und Sommer 1979 zunächst als einzelne Reportagen im „ZEIT“-Magazin veröffentlicht. Die Journalistin Marlies Menge und der Fotograf Rudi Meisel waren seit 1977/78 die ersten akkreditierten „ZEIT“-Korrespondenten in der DDR - und blieben es bis 1990. Der Hanser-Verlag brachte sieben dieser Beiträge als großformatigen Bildband heraus. Meisel erhielt dafür 1979 den Kodak-Fotobuchpreis.
What have been the contributions of social memory studies to the discourse of German history, particularly about the Nazi past? This essay seeks to distinguish between the memory boom in politics and culture and the more durable insights of social theory and historiography about memory, including insights about this memory boom itself. In particular, it explores mythologies of ‘turning points’ in the discourse of memory, arguing that the attribution of such turning points is often overstated. To be sure, 1989 did mark significant ruptures. But comparing present debates to the Historikerstreit (historians’ dispute) of the mid-1980s, and the Historikerstreit to earlier debates shows that as much has stayed the same as has changed. We remember not just the Nazi past, but the previous ways in which we have remembered the Nazi past, and our mnemonic practices are as much comments on earlier practices as on the event itself.
Noch immer liegen NS- und Genozidforschung weit auseinander – und sind zugleich doch eng miteinander verbunden. Denn zum einen bildet der Holocaust für die Genozidforschung bis heute die Matrix der unterschiedlichsten Typologieversuche. Zum anderen gründet die These von der Singularität des Holocaust notwendig, obgleich meist nur implizit auf dem Vergleich mit anderen Massenmorden. Dennoch arbeiten beide Disziplinen bis heute vielfach nebeneinander her. NS-Forscher ignorieren die Forschungsergebnisse zu den übrigen Völkermorden im 20. Jahrhundert weitgehend und perpetuieren damit die Singularitätsthese durch den eigenen eingeengten, überwiegend nationalgeschichtlich-deutschen Horizont. Die zahlreichen Bücher zu Genoziden basieren hingegen oft auf einem Kenntnisstand des Holocaust, der aus den 1970er-Jahren stammt, und beziehen sich damit sich auf eine gänzlich veraltete Matrix, die wiederum die eigenen Schlussfolgerungen verzerrt.
Die Frage nach den sozialen Effekten des Massenkonsums spielte für Marktforschung, Marketing, Werbung, Konsumkritik, Verbraucherschutz und Verbraucherpolitik in der Bundesrepublik eine entscheidende Rolle. Der Aufsatz nimmt die 1960er- und 1970er-Jahre in den Blick: Die zuvor populäre These, der Massenkonsum habe nach dem Zweiten Weltkrieg die sozialen Hierarchien eingeebnet, verlor nun an Bedeutung. Stattdessen entwickelten Marktforscher, Werbefachleute und Verbraucherschützer das Modell einer Gesellschaft, die sich durch die symbolische Dimension von Konsumgütern erneut ausdifferenziere. Im vorliegenden Beitrag werden die Theoreme der sozialen Nivellierung bzw. Differenzierung als zeitgebundene Deutungsmuster herausgearbeitet sowie mit der Praxis der zeitgenössischen Marktforschung, des Marketings und des Verbraucherschutzes in Beziehung gesetzt. Den Höhepunkt der Auseinandersetzung um Konsum und Gesellschaft markierten die 1970er-Jahre, als massive Konsumkritik die Werbung in eine Krise führte, während der Verbraucherschutz seinen Durchbruch erlebte.
After the Second World War, West German Catholics placed more faith in religious miracles than they did at almost any other period in the modern era. West German congregations reported eleven apparitions of the Virgin Mary to Church officials be-tween 1945 and 1954, as well as Europe’s most prominent twentieth century case of stigmata. Existing scholarship links the popularity of these alleged miracles to the ways in which Marian symbolism articulated anxieties about war trauma and the Cold War. This article illustrates how an interconnected movement of rural women, provincial priests, concentration camp survivors, and former prisoners of war based around Marian visions and stigmata emerged as a reaction not only to the Cold War, but also to Americanisation, consumerism, and the Nazi past. To frame the bitter conflicts between Marian pilgrims and Church hierarchy about the recognition of religious miracles, the article utilises Pierre Bourdieu’s concept of ‘religious field’. It also takes into account the gendered character of the conflicts.
Als im Frühjahr 1998 die Ergebnisse des zweiten Wettbewerbs zum Denkmal für die ermordeten Juden Europas diskutiert wurden und man diese breite öffentliche Debatte sogar als das eigentliche Denkmal für die Opfer des Holocaust bezeichnete, betrat eine „Initiative Denkmal Deutsche Einheit“ die erinnerungspolitische Bühne. In ihrem öffentlichen Aufruf forderte sie die Schaffung eines „Freiheits- und Einheitsdenkmals“, dem die Losung „Wir sind das Volk! Wir sind ein Volk!“ zugrundeliegen sollte. Das Denkmal sollte die friedliche Revolution in der DDR von 1989 würdigen und einen Ausdruck der Freude über die errungene nationale Einheit im Stadtbild der deutschen Hauptstadt darstellen. Der Kontrast zum jüngeren erinnerungspolitischen Diskurs in der Bundesrepublik Deutschland war markant: Dem Tiefpunkt deutscher Geschichte im Völkermord an den europäischen Juden wurde ein Höhepunkt des Freiheitswillens der Deutschen und des Ringens um ihre nationale Einheit gegenübergestellt.
Am Deutschen Eck in Koblenz, wo die Mosel in den Rhein mündet, wurde 1897 ein Denkmal eingeweiht, das Kaiser Wilhelm I. durch eine Reiterstatue ehrte und den Dank deutscher Staaten für die Reichseinigung von 1871 ausdrückte. Die Statue wurde im März 1945 zerschossen und bald danach abgeräumt. Der Sockel wurde 1953, mit Wappen der deutschen Länder und einer Bundesflagge versehen, als „Mahnmal der Deutschen Einheit“ von neuem eingeweiht. Am 3. Oktober 1990 kamen die Wappen der neuen Bundesländer hinzu. Die Statue wurde auf Betreiben privater Stifter rekonstruiert und zum 123. Jahrestag des Sieges von Sedan (1870) wiederum auf den Sockel gestellt. Abweichungen vom Original gingen nicht etwa darauf zurück, dass ein historischer Abstand reflektiert worden wäre, sondern auf fehlerhafte Materialwahl und Modellierung.
Rereading a book is always an uncanny experience in multiple temporalities. If the linguistic turn has taught us anything, it is that the context of reading shapes the meaning of the text that is read. The historicist impulse to reconstruct the original context on the basis of the text itself is at best an asymptotic, at worst a quixotic, pursuit. Yet texts remain, some more so than others. Those texts which continue to be read and reread long after their original context has passed we call ‘classics’. This is a term most frequently applied to literature, of course, but also to philosophy and other scholarly works animated by a generalising impulse. It pertains to works, in other words, which lay claim to a significance transcending their original context. It is rarely applied to works whose principle value is empirical or narrowly scholarly. These are presumed to be only temporarily useful interventions into an ongoing scholarly debate, in which later works draw on and ‘supersede’ the insights of earlier ones, rendering their predecessors superfluous. (Rather the reverse of Jove and his children.) Consequently, relatively few works of historical scholarship are considered classics in the full sense. History’s emphasis on the particular, its frequent skepticism of theoretical generalisations, and its embrace of archival empiricism have all tended to preclude the emergence of a broad canon of ‘historical classics’. There have, however, been exceptions to this rule.
In der Fülle an Literatur über Strafprozesse gegen nationalsozialistische Gewaltverbrecher nimmt ein Buch einen besonderen Platz ein: Hannah Arendts „Eichmann in Jerusalem“. Kaum ein anderes Werk zu diesem Thema hat derart kontrovers geführte und lange nachwirkende Diskussionen ausgelöst. Bis heute wird Arendts Buch als eines der ersten zur Hand genommen, wenn es um den 1961 in Jerusalem durchgeführten Prozess gegen Adolf Eichmann geht, den ehemaligen SS-Obersturmbannführer und Leiter des für die Organisation der Vertreibung und Deportation der Juden zuständigen Referats des Reichssicherheitshauptamtes. Viele andere Arbeiten über den Fall Eichmann sind heute dagegen nahezu vergessen oder nur einem engeren Publikum bekannt.
Kurz nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus hielt der Frankfurter Philosoph Jürgen Habermas fest, der theoretische Fehler der gescheiterten kommunistischen Machthaber habe darin bestanden, das „sozialistische Projekt mit dem Entwurf - und der gewaltsamen Durchsetzung - einer konkreten Lebensform“ verwechselt zu haben. Für diejenigen Historiker, die sich bereits vor 1989/90 eingehender mit der Geschichte der DDR und deren Herrschaftssystem befasst hatten, lagen die Dinge allerdings schon damals komplizierter, und auch heute - achtzehn Jahre nach dem unerwarteten Verschwinden der DDR - ist weiterhin umstritten, wann der schleichende Niedergang des Systems begann und wann es seinen ultimativen „point of no return“ erreichte.
Von Bundeskanzler Adenauer in den 1950er-Jahren initiiert, vom Verband der Heimkehrer, Kriegsgefangenen und Vermisstenangehörigen (VdH) in den 1960er-Jahren realisiert, stellt die „Friedland-Gedächtnisstätte“ eines der monumentalsten westdeutschen Denkmäler der Nachkriegszeit dar. Der Beitrag rekonstruiert ihre Geschichte, wobei zum einen nach Form und Inhalt des Denkmals gefragt, zum anderen ein besonderes Augenmerk auf den Kontext der Entstehung, auf beteiligte Akteure und auf Konflikte gerichtet wird, die sich zwischen den ersten Plänen im Jahr 1957 und der Einweihung im Jahr 1967 ergaben. Die Planung und Errichtung der „Friedland-Gedächtnisstätte“ fällt in eine Phase, in der sich der Umgang mit der NS-Zeit zu wandeln begann. Neben der bis dahin dominanten, auf Kriegsgefangenschaft, Flucht und Vertreibung, Bombenkrieg und Wiederaufbau fokussierten Erinnerung entstand eine kontroverser und (selbst)kritischer werdende öffentliche Bezugnahme auf die NS-Zeit.
A Cold War Museum for Berlin
(2009)
The Cold War is ancient history to young people now. They have no idea of the underlying issues that fueled the Cold War or how it evolved and affected people’s lives. Current college and university students (aged 18-26) were between zero and six years old when the Berlin Wall came down, which is to say they did not live during the Cold War and have no direct understanding of what it was. It really is history to them, seemingly as distant as World War II or maybe even the French Revolution. The Cold War world, of mutually assured destruction, communism vs. capitalism, and Berlin on the front line divided by a wall, has been replaced by fears of terrorism, global warming, and financial crisis.
Als ich mich vor einigen Jahren in der Endphase meiner Dissertation befand, hörte ich in einem Kolloquium an der Universität Bielefeld den Vortrag einer auswärtigen Doktorandin. In der Diskussion verblüffte sie mich und andere
mit der keineswegs ironisch gemeinten Bemerkung, ihre Arbeit sei im Grunde fertig, sie müsse „nur noch geschrieben werden“. Im Herbst 2007 ist das Buch dieser Doktorandin nun erschienen
– mindestens sechs Jahre nach dem erwähnten Kolloquium. Es mag wichtige fachliche oder persönliche Gründe gegeben haben, die einer früheren Fertigstellung im Wege standen. Irreführend ist auf jeden Fall die Annahme, das Schreiben sei ein sachlich und zeitlich abzutrennendes Element, eine der Forschung gleichsam äußerliche und nachgelagerte Phase. Das Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, den engen Zusammenhang von Forschungs- und Schreibprozess zu betonen und die Publikation – als gewünschtes Ergebnis dieses Prozesses – dabei von Anfang an mitzudenken.
Im Frühjahr 2007 veröffentlichte der „Spiegel“ eine Hommage an das „neue Berlin“. Die Titelstory über die „Wiederkehr einer Metropole“ – „Aufgebaut von den Preußen, geschändet von den Nazis, zerstört von den alliierten Bombern, meldet sich Berlin auf der Weltbühne zurück“ – nimmt ihren Ausgangspunkt am „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“. Zitiert wird aus der Besucherordnung, die ein Begehen im Schritttempo vorschreibt, die Lärmen, lautes Rufen und Rauchen verbietet und somit „eigentlich genau regelt, in welcher Gefühlslage hier in den Abgrund der deutschen Geschichte geschaut werden soll“. Doch die Jugendlichen, „die seit den ersten Frühlingstagen […] wieder das Denkmal bevölkern, denken nicht daran, hier nur Trauerarbeit zu leisten. Eine siebte Klasse aus Fürth, soeben noch ergriffen von den Dokumenten im Souterrain des Denkmals, spielte vergangenen Donnerstag inmitten des Stelenfeldes Fangen. Als sich zwei Schüler plötzlich in die Arme fielen, kreischten sie.“ Diese Szene wird zum Symbol für die neue „Leichtigkeit“, die Berlin im Umgang mit seiner traumatischen Vergangenheit erlangt habe: „Vielleicht gibt es ja im Leben jeder Stadt so etwas wie eine Relativitätstheorie. Jedes Ereignis, auch das finsterste, verblasst demnach mit der Zeit. […] Das neue Berlin ist mehr als nur ein Ort des Gedenkens und Trauerns – fröhlich, frech und manchmal mit dreister Leichtigkeit findet die Preußen-Hauptstadt zu einer neuen Identität.“
Die Epoche seit den Revolutionen von 1989 ist bislang eine Domäne der Sozialwissenschaften. Doch die zahlreichen Veranstaltungen zum 20-jährigen Jubiläum von 1989 haben verdeutlicht, dass die Revolutionen und die Zeit der „Transformation“ zur Geschichte werden. Für die zeithistorische Forschung bedeutet das eine Herausforderung. Es gilt, in den kommenden Jahren die wichtigsten Charakteristika dieser Epoche zu bestimmen, sie zeitlich und räumlich einzugrenzen und daraus Fragen für die Forschung abzuleiten. Aus deutscher Sicht war 1989 durch den Fall der Berliner Mauer einerseits ein nationalhistorisches Ereignis. Andererseits waren die Revolutionen und die anschließende Transformation transnationale Prozesse, die nur in einem europäischen, in manchen Aspekten auch globalen Rahmen zu verstehen sind. Schließlich stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zur sozialwissenschaftlichen Forschung. Die Zeitgeschichte sollte die Ergebnisse der so genannten Transformationsforschung nutzen. Aber schon schließt sich die Frage an, ob als Sekundärliteratur oder als im zeitlichen Kontext stehende Quelle. Ferner ist zu diskutieren, inwieweit die Zeitgeschichte die politischen und wissenschaftlichen Paradigmata der Transformationsforschung teilt.
Walther Hofers Dokumentation über den Nationalsozialismus, erstmals im August 1957 erschienen, war bis zum Jahresende 1957 bereits mit 100.000 Exemplaren verkauft. Mit einer Gesamtauflage von über einer Million Exemplaren zählt sie bis heute zweifellos zu den Klassikern dieser Gattung. Der aus der Schweiz stammende Herausgeber lehrte damals an der Freien Universität Berlin; 1952 hatte er sich bei Hans Herzfeld mit einer diplomatiegeschichtlichen Studie über die „Entfesselung des Zweiten Weltkrieges“ habilitiert. Auf schmaler Quellengrundlage inmitten der Ruinen einer geteilten Hauptstadt verfasst, war diese Publikation, die 1954 als erster Band in der Schriftenreihe des Münchner Instituts für Zeitgeschichte erschien, ein mutiges Unterfangen, das den Ruf Hofers als eines NS-Experten begründete. 1960 wechselte er an die Universität Bern, wo er bis zu seiner Emeritierung 1988 den Lehrstuhl für Neuere Geschichte innehatte und sich als langjähriger Nationalrat der konservativen Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (später: SVP) auch aktiv in der Politik betätigte.
Der Tourismus als eine scheinbar zweckfreie Reise ist ein Kind des 18. Jahrhunderts, doch sein Aufstieg war aufs engste mit der Entwicklung der Verkehrssysteme im 19. Jahrhundert verbunden. Zur Jahrhundertwende prägte die alljährliche Urlaubsreise den Lebensrhythmus der »besseren Leute« und der »Fremdenverkehr« wurde in einigen Gebieten zum wichtigsten Wirtschaftsfaktor. Ein Netz von Freizeitorten überzog Europa, von Karlsbad bis Biarritz, von Ostende bis Capri. Neben die adlig-großbürgerliche Reiseelite war dabei zunehmend das mittlere, »gut situierte« Bürgertum getreten und schickte sich an, diesen Kulturraum reisend zu erkunden, wobei vielerorts die Deutschen die Briten als zahlenmäßig größte Gästegruppe ablösten.
Sowjetisierung und Amerikanisierung der sozialistischen Staaten gelten als Gegensätze. Als die DDR in den 1960er Jahren eine technische „Auto-Amerikanisierung“ einleitete, lehnte die Sowjetunion diese jedoch keineswegs ab. Sie förderte sie vielmehr im Rahmen eines transnationalen technischen Großprojekts, des „Einheitlichen Systems der Elektronischen Rechentechnik“ (ESER). Die Übernahme westlicher Technik sollte dazu beitragen, den Westen zu „überholen“, ohne ihn zuvor „einholen“ zu müssen. Zugleich fürchtete man in Partei und Staat, dass durch den Technologietransfer auch westliches Gedankengut in die DDR einsickern könnte. Daher wurde dort, wo die Herrschaft der SED gefährdet schien, die Kontrolle schnell wieder verschärft.
DDR-Museen gewinnen an Bedeutung, je länger die DDR als Staat vergangen ist. Der Umbruch 1989 und damit der Anfang vom Ende der DDR jährt sich in diesem Jahr zum zwanzigsten Mal. Das bedeutet, dass es heute bereits eine Generation
Erwachsener gibt, die nicht mehr selbst in der DDR gelebt haben. Die Erinnerung an die DDR ist mithin im Begriff, von der Erfahrung in die Geschichte überzugehen.
Zunächst ein Beispiel, an dem sich die Ausgangssituation industriebetrieblichen Ordnungsdenkens und social engineerings vergegenwärtigen lässt: Es geht um einen Besuch Willy Hellpachs im Daimler-Werk in Stuttgart/Untertürkheim. Hellpach besichtigte Daimler auf Einladung Eugen Rosenstock-Huessys, zu dieser Zeit Redakteur der »Daimler Werkzeitung«, um den sozialpsychologischen Folgen und Wirkungsgrenzen von Betriebsreformen im Allgemeinen und der Gruppenfabrikation im Besonderen auf die Spur zu kommen.
1977 schalteten Computerwissenschaftler aus Ost und West erstmals eine Datenverbindung durch den Eisernen Vorhang. Am IIASA in Laxenburg bei Wien arbeiteten sie gemeinsam an der Entwicklung grenzüberschreitender Computernetze. Verbesserte Kommunikationsmöglichkeiten sollten die internationale Forschung stimulieren und einen Forschungsverbund schaffen, der weit mehr als die am Institut ansässigen Wissenschaftler umfasste. Hinzu kam die Vorstellung, mit Hilfe elektronischer Datennetze die Gesellschaften effektiver steuern zu können. Diese Planungsutopien gehören der Vergangenheit an, die Vision der Computernetze jedoch ist mit dem Internet Realität geworden.
Erweiterter elektronischer Sonderdruck (Stand: Juni 2009). Für 2008 konnte eine mediale Verwertung von ‚68‘ erwartet werden. Meine Prognose lautet, dass in zehn Jahren, zum 50. Dienstjubiläum von 68, nichts Vergleichbares geschehen wird. Alle 68er haben dann ihre Biografien geschrieben, in den Medien sind die Redakteursposten von anderen eingenommen worden, die keinerlei Generationsromantik mehr empfinden. Nun, 2008, haben sich die Printmedien auf einen mittleren Deutungsweg begeben. Quelle: Verlag
Wenn in diesem Jahr die Bundesrepublik Deutschland auf 60 Jahre einer erfolgreichen Demokratie im Herzen Europas zurückblicken kann, dann ist diese Geschichte untrennbar mit dem Weg der deutschen Katholiken von der unmittelbaren Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis über die Schwelle ins 21. Jahrhundert verbunden. Bis zur friedlichen Revolution im Epochenjahr 1989 und der Wiedervereinigung 1990 war es dem deutschen Katholizismus nur im westlichen Teil Deutschlands möglich, die religiösen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen maßgeblich mitzugestalten. Die Katholiken in der DDR sahen sich bis 1989 dagegen in die Rolle einer politisch und gesellschaftlich bedrückten Minderheit mit sehr geringen influssmöglichkeiten gedrängt. Erst mit dem Fall der Mauer und mit der Deutschen Einheit eröffneten sich jene gesellschaftlichen und politischen Handlungsfelder, die bei allen bleibenden Unterschieden zwischen West und Ost Kirche und Katholizismus in der größeren Bundesrepublik allgemein in den Kontext einer pluralen Gesellschaft und freiheitlichen Demokratie stellen.
Is popular music a tool of consumer capitalist recuperation or can it be a weapon of revolutionary change? The career of the radical rock band Ton Steine Scherben, founded in West Berlin in 1970, suggests that at certain moments, radical music and radical politics can be mutually constitutive. The band’s history provides a richer understanding of the radical left-wing scene in West Berlin at a key moment of transition from the student movement of the 1960s to the anarchist and terrorist scenes of the 1970s, illustrating how an analysis of popular music in its social and cultural setting can broaden historical analysis.
Das 20. Jahrhundert war ein Jahrhundert der Kriege, des Terrors und der Vernichtung, in dem Millionen Menschen dem Wahn von wenigen zum Opfer fielen. Wir verbinden die Gräuel und Schrecken des Jahrhunderts gewöhnlich mit dem Eroberungskrieg und den Vernichtungsexzessen der Nationalsozialisten. In Osteuropa aber wird diese vergangene Wirklichkeit auch mit der stalinistischen Gewaltherrschaft in Verbindung gebracht. In Deutschland, besser: im Westen Europas, ist das Wissen darüber, dass es neben dem Nationalsozialismus noch eine andere mörderische Diktatur gegeben hat, nahezu in Vergessenheit geraten. Dieses Wissen gab es einmal, dann ist es aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht worden, weil die Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Herrschaft alle anderen Erinnerungen überdeckt oder zum Schweigen gebracht haben.
Spannende und spannungsreiche Geschichtserzählungen sind mit der in der populären Geschichtskultur, aber auch in der Geschichtswissenschaft verbreiteten Vorstellung vom »Historiker als Detektiv« eng verknüpft. Diese Metapher
deutet die historiografische Praxis im Rahmen eines »Indizienparadigmas« als akribische »Spurensuche«, die als »Wissenspraxis« und »Orientierungskunst« verstanden werden kann. Damit rücken Geschichtserzählungen in die Nähe populärer detektivischer Narrative, wenn nicht sogar – wie in historischen Kriminalromanen, in historischen Fernsehdokumentationen oder Geschichtsfilmen – die Geschichte selbst »als Krimi« aufgefasst wird.
Die Deutschen tun sich schwer mit dem Kolonialismus. Lange Zeit an Universitäten wie im öffentlichen Bewusstsein ignoriert und vergessen, wird er seit einigen Jahren zwar erinnert, jedoch meist exotisiert und banalisiert. Hegels bekanntes Diktum, dass Afrika keine Geschichte habe, wird offenbar immer noch von vielen geglaubt, zumindest in der Form, dass, wenn es eine Geschichte hat, diese auf jeden Fall keinerlei Bedeutung für die eigene, sei es die europäische, sei es die deutsche, besitze.
History goes pop. In vielen westlichen bzw. westlich orientierten, europäischen wie außereuropäischen Kulturen ist Geschichte ein Gegenstand populärkultureller Repräsentation, Produktion und Konsumtion. Seit den 1980er Jahren ist ein steigendes öffentliches Interesse an Geschichte zu verzeichnen, das seit der zweiten Hälfte der 1990er und insbesondere in den letzten Jahren einen bisher ungekannten Höhepunkt erreicht hat.
Was ist soziale Ungleichheit und welche Erklärungen gibt es dafür? Das ist das zentrale - in Öffentlichkeit, Medien und im Privaten immer wieder heiß diskutierte - Thema dieses Readers. Es berührt Fragen wie: Warum verdienen Manager deutlich mehr als die Beschäftigten des Unternehmens? Warum benötigt man als Ingenieur einen Hochschulabschluss? Warum gibt es so wenige Frauen in Führungspositionen? Und warum gehen Kinder aus Akademikerfamilien eher auf das Gymnasium und die Hochschule als Kinder aus Arbeiterfamilien? Fürall diese Fragen scheint es im Alltag schnelle Antworten zu geben: Manager haben eine höhere Verantwortung für das Unternehmen als die Beschäftigten. Ingenieure müssen sich als Grundlage ihrer Berufstätigkeit zahlreiche Kompetenzen auf einer Hochschule aneignen. Frauen wollen wegen ihrer Kinder nicht in Führungsposition. Oder Kinder aus Akademikerfamilien wissen mehr und erhalten deshalb bessere Noten als Arbeiterkinder. Diese Antworten scheinen plausibel - und sie können für Einzelpersonen auch durchaus richtig sein. Dennoch greifen sie viel zu kurz: Sind es Antworten, die für alle oder die meisten Angehörigen der jeweiligen sozialen Gruppe, also regelhaft zutreffen? Was ist mit verantwortungslosen Managern, hoch
kompetenten Do-it-yourself-»Ingenieuren«, kinderlosen Frauen oder Akademikerkindern, die andere Stärken haben als wissenschaftliche?
Bis vor wenigen Jahren noch konnte der Jurist Raphael Lemkin als ein weitgehend in Vergessenheit geratener Immigrant polnisch-jüdischer Herkunft beschrieben werden. Als Lemkin 1959 in New York City verstarb, war er so mittellos und in Elend geraten, dass das American Jewish Committee sein Begräbnis und seine Bestattung bezahlen musste. Erst 2001 wurde Lemkin der Vergessenheit entrissen, als das Internationale Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien sowie das Ruanda-Tribunal die ersten Urteile für das Verbrechen des Völkermordes fällten.
Die Geschichtswissenschaft stellt sich auf der einen Seite als eine von vielen Disziplinen in einer Universitas litterarum dar, auf der anderen erhebt sie den Anspruch, „alles“ als ihren Gegenstand zu betrachten. War es bis 1945 üblich, in „Geschichte“ immer nur bestimmte Facetten des vergangenen Lebens von Völkern, Staaten, Gesellschaften zu sehen – die Schwerpunkte konnten wechseln, das unterlag einer Art „Mode“ – und diese dann wie in einem „Kanon“ aufzulisten, so ist dieser „Kanon“ seitdem immer fragwürdiger geworden. Zwar gibt es noch die konventionellen Einteilungen, etwa in politische, militärische, wirtschaftliche, kulturelle Geschichte, und die Strukturen traditionsreicher Universitäten werden oft durch althergebrachte Lehrstühle für verschiedene Teilgebiete der Geschichte bestimmt, aber das ist heute nicht mehr die Regel.
Das Denkmal der Freiheit und Einheit Deutschlands soll seine Aussagekraft und seine Wirkung „über die Form und Gestalt entfalten“. Die Entscheidung, einen offenen zweistufigen Gestaltungswettbewerb durchzuführen, ergab sich aus dem Wunsch des Auslobers, in einem möglichst breit angelegten demokratischen, transparenten Verfahren ein breites Spektrum künstlerischer Vorschläge einzuholen. Mit dieser Form des Verfahrens waren Angehörige der verschiedenen Sparten angesprochen – bildende Künstler, Architekten, Landschaftsarchitekten sowie Gestalter im weitesten Sinn. Im vorliegenden Beitrag wird gefragt, auf welche Weise diesem Anliegen entsprochen wurde, welche konzeptionellen und stilistischen Schwerpunkte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gesetzt und welche Bildmotive sie für die gestellte Aufgabe entwickelt haben.
Im historischen Rückblick stellen sich viele Fragen über die DDR noch einmal. Die heutigen Antworten weichen aber mitunter nicht unerheblich von früheren Antworten ab. Dies ist nicht allein auf das Auffinden neuer Daten, Fakten und Quellen zurückzuführen, sondern vielfach auch auf veränderte Denkmuster und andere theoretische Analysemodelle. Die auf dieser Grundlage mögliche Neuinterpretation betrifft unter anderem den historischen Platz, den Charakter der Produktionsweise und die Definition der Wirtschaftsordnung der DDR, darüber hinaus aber auch ihr Verhältnis zur Bundesrepublik. Hier soll der Versuch unternommen werden, die Wirtschaft der DDR im Kontext der Debatte um den Fordismus als Produktions- und Sozialmodell der westlichen Welt zu analysieren und dabei auf einige, bisher in der komparativen DDR-Forschung wenig beachtete Aspekte aufmerksam zu machen.
Die Welt der Gegenwart zeichnet sich durch ein dichtes Netz von globalen, grenzübergreifenden Aktivitäten aus, zu denen die ungeheure Zahl von über 61.100 internationalen Organisationen ebenso beiträgt wie die Veranstaltung internationaler Konferenzen und Kongresse. Der stolze Hinweis auf die Partizipation an internationalen Organisationen gehört zur Selbstdarstellung moderner Außenministerien, und das politische Potenzial von Nichtregierungsorganisationen in der ganzen Breite zwischen WEF-Gegnerschaft und Olympischen Spielen prägt das heutige Verständnis von Internationalität. Angesichts dieser vielfältigen und weltumspannenden Netzwerke ist die Anzahl der derzeit 193 von der UNO anerkannten souveränen Staaten lächerlich gering - und dennoch gibt es keinen Grund, von einem Ende des Nationalstaates zu sprechen.
Kritik der Sicherheit. Vom gouvernementalen Sicherheitsdenken zur Politik der ‚geteilten Sorge‘
(2009)
Sicherheit ist ein «essentially contested concept», ein politisch umkämpfter Begriff. Mit Sicherheit wird heute Politik gemacht, und um die Bedeutung von Sicherheit wird gestritten. Sicherheitsdiskurse bilden zentrale Einsatzstellen, an denen politische und soziale Verhältnisse verhandelt, strukturiert und machtpolitisch gestaltet werden. Vor diesem Hintergrund ist eine dringliche Frage, welche Sicherheitskonzepte derzeit die Macht haben, sich als hegemoniale Formen durchzusetzen und sich weltweit zu globalisieren. Den Konturen dieses Sicherheitsverständnisses denken vor allem kritische Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler nach: Sozialkontrolle, Gesundheitsprävention, privatisierte Kriegsführung, ethnisierende Terrorismusbekämpfung und individuelles Risikomanagement sind Analysefelder, die gegenwärtig im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen und das aktuelle Bezugsfeld des hegemonialen Sicherheitsdenkens umreissen.
Das 20. Jahrhundert hat, in verschiedenen Speichermedien, musikalische Quellen in Hülle und Fülle überliefert. Die Geschichtswissenschaft macht bisher jedoch einen großen Bogen um diese klanglichen Hinterlassenschaften. Von dieser
Diskrepanz geht der folgende Text aus. Er wird erörtern, was gegen die Arbeit mit musikalischen Quellen spricht, warum sie dennoch wichtig sein könnte und welche Schleichpfade sich anbieten, um der Musik historisch auf die Spur zu kommen. Dabei wird weniger eine konkrete Programmatik entwickelt als ein Problem umkreist, das sich als unlösbar und gleichwohl aufschlussreich erweisen könnte.
1955 schrieb die amerikanische Anthropologin Margaret Mead in einem von der UNESCO herausgegebenen Band mit dem Titel Cultural Patterns and Technical Change, man müsse in der Entwicklungsarbeit in »Übersee« darauf achten, dass die Menschen, deren alltägliche Lebenswelt sich durch die »Entwicklungshilfe« schnell und einschneidend verändere, möglichst geringen psychischen und sozialen Schaden nehmen. Gerade bei den technischen Umbrüchen könne es in der »Heilsgewissheit schneller Veränderungen« zu unvorhergesehenen Störungen kommen. Beispielsweise könnten Traktoren in den ländlichen Gebieten der »Dritten Welt« auf die Bauern erschreckend und terrorisierend wirken, Stress auslösen und zu psychischen Problemen führen. Mead war zu jener Zeit für die 1948 gegründete World Federation of Mental Health (WFMH) tätig, eine Körperschaft der UNO, in deren Rahmen sich gleich mehrfache Entwicklungswelten überlagerten. Die dort verfolgten Diskurse und Praktiken zielten darauf ab, die psychische Innenwelt als Resonanzraum und potentiellen Störfaktor von technischen Entwicklungsprozessen zur Geltung zu bringen. Zugleich machte man nicht nur das seelische Wohlbefinden der »zu Entwickelnden« zum Gegenstand der Sorge, sondern wollte auch durch Seminare und Anleitungsbücher friktionsfreie Kommunikationsräume schaffen, in denen ein »friedliches Zusammenleben« zwischen Entwicklungsexperten, Counterparts und Anwohnern vor Ort möglich würde – so äußerte sich jedenfalls der Leiter der WFMH, der ehemalige Militärpsychiater John Rawlings Rees. Fundamentale Zweifel an den Entwicklungszielen der Technisierung und an der Hierarchisierung der Verhältnisse in der Entwicklungsarbeit äußerten Mead und Rees trotz aller Warnungen vor psychischen Schäden nicht. Vielmehr ordneten sie sich in eine Expertengemeinschaft ein, in der Fachvertreter verschiedener Disziplinen – der Psychologie, der Soziologe, der Anthropologie und der Geschichtswissenschaft, vor allem aber der Ökonomie und der Ingenieurwissenschaften – neue Weltentwicklungsstrategien erarbeiteten, mit deren Hilfe die sozioökonomische Ungleichheit auf der Erde zum Verschwinden gebracht werden sollte.
Die Debatte über den Generationenvertrag hat bisher die Generationenbeziehungen in der Familie vernachlässigt. Geld- und Zeittransfers zwischen erwachsenen Familiengenerationen bilden eine informelle Versicherung gegen Lebenslaufrisiken (z. B. Arbeitslosigkeit oder Scheidung), eine Unterstützung für Elternschaft und eine Quelle von Pflegeleistungen für abhängige alte Menschen. Sie tragen überdies zur Integration der Altersgruppen und Generationen in einer alterssegregierten Gesellschaft bei. Die Fähigkeit der Familie, diese Leistungen zu erbringen, wird jedoch durch den ökonomischen, demographischen und sozialen Wandel gefährdet.
Auf der Grundlage des Survey of Health, Agehig and Retirement in Europe (SHARE) gibt der Beitrag eine Übersicht über die Struktur der Familien-Netzwerke der älteren Europäer, beschreibt die Transfermuster zwischen den Generationen und erklärt die Aktivierung von Unterstützung als Funktion des Eintretens von Lebenslaufrisiken. Die Ergebnisse zeigen eine hohe Verbreitung von Mehrgenerationenfamilien und einen Nettotransfer von den älteren Eltern zu ihren erwachsenen Kindern.
Im Hinblick auf Konsequenzen für die Politikgestaltung geht der Beitrag davon aus, dass familiale Unterstützung für die Hilfeleistenden (vor allem Frauen) kostspielig ist und zu individuellen und politischen Dilemmata führen kann. Politische Maßnahmen sollten neue Formen der Verbindung von Pflege- und Erwerbstätigkeit unterstützen und als Generationenpolitik gestaltet werden, d. h. nicht nur auf die primären Zielpersonen gerichtet sein, sondern auch auf deren Unterstützer.
In diesen Sätzen ist anschaulich und wie im Brennglas die zentrale Bedeutung der Wissenschaften für die Kriegführung zusammengefaßt. Darüber hinaus macht das Zitat deutlich, daß der Erste Weltkrieg eine Epochenschwelle markiert - für die Geschichte der Kriege, für die Geschichte der Wissenschaften und für die Geschichte des Verhältnisses beider zueinander. Dies heißt selbstredend nicht, daß die Wissenschaften für die älteren Kriege und in den älteren Kriegen keine Rolle gespielt haben. Sie blieben bis weit ins 19. Jahrhundert jedoch von eher untergeordneter Bedeutung. Das änderte sich mit Beginn der Hochindustrialisierung. Die Entwicklungen seit 1945, sowohl innerhalb der Wissenschaften als auch im Verhältnis von Wissenschaften und Militär zueinander, wiederum unterscheiden sich - allen personellen und auch organisatorisch-strukturellen Kontinuitäten zum Trotz - auf Grund eines völlig veränderten politisch-ökonomischen Kontextes von den Jahrzehnten zuvor so stark, daß es den Rahmen eines Aufsatzes sprengen würde, ihnen gleichfalls nachzugehen. Der Schwerpunkt des folgenden Beitrages liegt deshalb auf dem Zeitraum zwischen 1880 und 1950.
Öffentliche Geheimnisse. Skandale, Politik und Medien in Deutschland und Großbritannien 1880-1914
(2009)
Im ausgehenden 19. Jahrhundert traten in ganz Westeuropa zahllose spektakuläre Skandale auf. Es kam zu Enthüllungen über Korruption, Ehebrüche und koloniale Gewalt, die zu politischen Krisen und grenzübergreifender Empörung führten. Frank Bösch untersucht diese politischen Skandale erstmalig systematisch, international vergleichend und anhand von umfassenden Archivquellen. Er analysiert Verlauf und Wirkungen der Skandale und fragt, inwieweit sie die politische Kommunikation, Machtstrukturen und kulturellen Normen beeinflussten. Zudem zeigt die Studie, wie sich in Deutschland und Großbritannien das Verhältnis von Politik, Medien und Öffentlichkeit veränderte und verdeutlicht die Interaktionen und Annäherungen zwischen den beiden Ländern.
Zu diesem Heft
(2008)
In this Issue
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(2008)
Anfang 1933 war die international hochangesehene Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) bereits eine vergleichsweise altehrwürdige wissenschaftliche Einrichtung. Gegründet wurde sie 1911 als Großorganisation der deutschen Spitzenforschung. Aufgrund exzellenter Arbeitsbedingungen in den Instituten der KWG konnten zahllose Spitzenforscher gewonnen werden; Namen wie Max Planck, Otto Hahn, Lise Meitner, Albert Einstein, Adolf Butenandt, Werner Heisenberg und viele andere sagen genug. Institutionell gegliedert war die KWG in fünf große Säulen.
Im April 2008 wurde in Gegenwart von Simone Veil, der früheren Präsidentin des EU-Parlaments, an der Pariser Universität Sciences Po eine neue und ambitionierte elektronische Informationsquelle freigeschaltet: die Enzyklopädie über Massengewalt oder „mass violence“, wie der Titel im Englischen heißt (das die bevorzugte Sprache dieser Website ist). Das Projekt ist also noch jung, und so nimmt es nicht wunder, dass es trotz einer fast vierjährigen Vorlaufphase nicht frei von Startproblemen ist. Sie liegen zum Teil im monumentalen, aber noch unzureichend eingelösten Dokumentationsanspruch der Enzyklopädie, vor allem aber in der unscharfen Bestimmung dessen, was dokumentiert werden soll.
Die geschichtspolitischen Aktivitäten des Bundeskanzlers Helmut Kohl riefen während seiner Amtszeit vielfach Spott und bei späteren Rückblicken ebenfalls deutliche Kritik hervor. Der „Spiegel“ bezeichnete Kohl im April 1985, anlässlich der Affäre um den Besuch des Soldatenfriedhofs in Bitburg, als „Tolpatsch in höchst sensitivem Gelände“ und beklagte seine „Sucht nach immer neuen Versöhnungsritualen“. Vor dem Hintergrund des Historikerstreits von 1986/87 wurde vielfach gewarnt vor „Entsorgungsversuche[n] zur deutschen Geschichte“ bzw. dem „Versuch, Vergangenheit zu verbiegen“. Diese zeitgenössische Sicht beeinflusste – gewiss nicht ohne Grund – auch wissenschaftliche Analysen. Sabine Moller nannte in ihrer politikwissenschaftlichen Diplomarbeit von 1998 die „Entdifferenzierung von geschichtlichen Ereignissen“ als ein Charakteristikum der Ära Kohl, und selbst der dem Kanzler gegenüber weniger kritisch eingestellte Rupert Seuthe schrieb Kohl in seiner Dissertation von 2001 ein „von Differenzierungsgeboten offensichtlich unbeeinträchtigtes Geschichtsverständnis“ zu.
Die Reise als Ware. Die Bedeutung der Pauschalreise für den westdeutschen Massentourismus nach 1945
(2008)
Die rasch wachsende Zahl von Urlaubsreisen war in der frühen Bundesrepublik eng mit dem Durchbruch der Pauschalreise zum Massenkonsumgut verbunden. Die ökonomische Transaktionskostentheorie hilft, die Ursachen dieses Prozesses zu verstehen. In den 1960er-Jahren entwickelte sich die Pauschalreise zum Motor des Massentourismus, weil sie besonders die Organisation einer Auslandsreise stark vereinfachte. Dennoch blieben traditionelle schichtenspezifische Unterschiede im Reiseverhalten bis in die 1970er-Jahre bestehen. Wie bereits in der Vorkriegszeit waren die neuen Mittelschichten die Träger eines modernen, konsumorientierten Freizeitverhaltens, das in der bundesdeutschen Wohlstandsgesellschaft der 1960er-Jahre seine soziokulturelle Vorbildwirkung entfalten konnte und allmählich zur selbstverständlichen Praxis wurde. Der Aufsatz analysiert die Geschäftsmodelle der großen Reiseveranstalter, liefert statistische Angaben zur wachsenden Popularität von Pauschalreisen und verdeutlicht die Sehnsucht der Bundesbürger nach dem sonnigen Süden.
Die Last der Vergangenheit
(2008)
Das übergreifende Thema dieser Debatte ist der ‚Dialog der Disziplinen‘. Die Gedächtnisforschung eignet sich besonders gut für einen solchen Dialog, denn sie ist selbst ja keine Einzeldisziplin, sondern ein Thema, in dem sich die Fragen vieler Disziplinen kreuzen. Die Neurowissenschaften, die Psychologie, die Psychoanalyse, die Soziologie, die Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaft, die Politologie und nicht zuletzt die Geschichtswissenschaft sind in diesen Diskurs eingebunden. Die verstärkte Beschäftigung mit Gedächtnis und Erinnerung bedeutet für die Geschichtswissenschaft auch, dass sie sich in einer immer stärker ausdifferenzierten Medienlandschaft verorten muss. Die Ge-schichte ‚gehört‘ heute einer ständig wachsenden Gruppe von Sachwaltern - neben den Professoren auch den Politikern, den Ausstellungsmachern, den Geschichtswerkstätten, den Bürgerbewegungen, den Filmregisseuren, den Künstlern, den Tourismusveranstaltern, den Infotainern und den Eventplanern. Das heißt keineswegs, dass der Einflussbereich der Historiker schrumpfen würde - im Gegenteil: Sie werden bei allen Geschichtsprojekten dringend gebraucht, müssen sich aber daran gewöhnen, enger mit anderen Akteuren zusammenzuarbeiten. Die Auseinandersetzung mit Geschichte verlagert ihren Schwerpunkt von der Universität zum Kulturbetrieb und damit zur Logik des Marktes. Im Folgenden sollen zwei Themenbereiche angesprochen werden, die auf eine paradigmatische Weise im Spannungsfeld von ‚Geschichte‘ und ‚Gedächtnis‘ stehen: die Figur des ‚Zeitzeugen‘ und die Frage des Umgangs mit historisch belasteter Vergangenheit.
Im Mai 2006 einigten sich Vertreter der elf Aufsichtsländer darauf, die Ressourcen des Internationalen Suchdienstes (ISD) des Internationalen Roten Kreuzes in Arolsen für die historische Forschung zu öffnen. Bis zum Oktober 2006 unterzeichneten die einzelnen Regierungen das entsprechende Protokoll. Die Ratifizierung durch die beteiligten Staaten zog sich allerdings noch bis November 2007 hin. Für den Präsidenten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Jakob Kellenberger, nahm damit „ein langer und schwieriger Prozess“ sein Ende. Nach jahrzehntelanger Kritik an der Abschottung scheinen die Tore des Suchdienstarchivs nun endlich aufgestoßen zu werden.
Die Zeit der weitreichenden antikommunistischen Repression in den USA zwischen 1947 und 1954, verkürzt als McCarthyism bekannt, ist bis heute ein bedeutsamer Bezugspunkt - sowohl in politischen Debatten wie innerhalb der Historiographie. Während ein erster Abschnitt des Beitrags einen Überblick zum McCarthyism gibt und dabei den Stellenwert von Denunziationen diskutiert, widmet sich ein zweiter Teil am Beispiel des Theater- und Filmregisseurs Elia Kazan konkret der Frage, wie Denunziationen in zeitgenössischen Debatten als liberale, staatsbürgerliche Akte gedeutet und gerechtfertigt wurden. Unter Bezugnahme auf Michel Foucaults Theorie der Gouvernementalität wird erkennbar, dass die zur patriotischen Tat umgedeutete Denunziation für den antikommunistischen Liberalismus nach 1945 die Funktion einer maßgeblichen Selbsttechnologie besaß.