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Über die Kriege nach dem Zweiten Weltkrieg. Tendenzen, ursächliche Hintergründe, Perspektiven
(2003)
Meine unvollständigen und groben Striche zu einem hochkomplexen, strukturgeschichtlichen Vorgang können lediglich andeuten, daß sowohl theoretische Überlegungen als auch empirische Indizien für die These sprechen, daß es sich bei den vielen Kriegen in der Dritten und nun auch vormals Zweiten Welt um einen konfliktiv nachholenden Prozeß kapitalistischer Vergesellschaftung und bürgerlicher Staatskonsolidierung handelt, der eines Tages in eine Zivilisierung wie in den kapitalistischen Metropolen münden müßte. Einen deterministischen Automatismus gibt es dabei allerdings nicht; jeder Schritt in diese Richtung wird aus sozialen Kämpfen hervorgehen müssen. Wohl aber darf man hoffen, daß der Prozeß insgesamt schneller und weniger kriegerisch als in Europa vonstatten gehen wird.
Das 20. Jahrhundert hat, in verschiedenen Speichermedien, musikalische Quellen in Hülle und Fülle überliefert. Die Geschichtswissenschaft macht bisher jedoch einen großen Bogen um diese klanglichen Hinterlassenschaften. Von dieser
Diskrepanz geht der folgende Text aus. Er wird erörtern, was gegen die Arbeit mit musikalischen Quellen spricht, warum sie dennoch wichtig sein könnte und welche Schleichpfade sich anbieten, um der Musik historisch auf die Spur zu kommen. Dabei wird weniger eine konkrete Programmatik entwickelt als ein Problem umkreist, das sich als unlösbar und gleichwohl aufschlussreich erweisen könnte.
Kyberkratie bezeichnet das Regieren vermittels kybernetischer Methoden, eine kybernetisch aufgeklärte Organisation der Gesellschaft. Der Begriff fasst die Bestrebungen sowjetischer Kybernetiker zusammen, die Anwendung kybernetischer Steuerungsmethoden von der Regelungstechnik nicht nur auf die Erforschung lebender Organismen, sondern auch auf die Wissenschaft von der Gesellschaft auszuweiten. Sie betrachteten die Gesellschaft als ein kybernetisches, durch Rückkopplungen gesteuertes System, dessen Funktionieren sie durch den Einsatz rationaler, expliziter und »objektiver« Methoden optimieren zu können meinten. Kurzum, ihr Anliegen war es, einen Sozialismus mit kybernetischem Antlitz zu schaffen. Kyberbürokratie bezeichnet einen bürokratischen Apparat, der über kybernetische Methoden und Technologien, einschließlich Computer, verfügt.
This essay critically engages with the current scholarly debate about ‘connecting lines’ and structural similarities between European colonialism and German National Socialism. Following the recent publication of books on the allegedly genocidal nature of German colonialism and the role of the Herero and Nama wars (1904–07) as a precursor of and model for the German war of extermination in Eastern Europe (1939–45), the essay will critically examine the allegedly ‘exceptional’ character of the German colonial wars within the broader trans-national context of colonial violence. It will be argued that the taboo violation of 1904 was in fact very much in line with common European colonial standards. Furthermore, the essay will critically engage with the question of direct continuities between ‘Windhoek and Auschwitz’, arguing that the German war of annihilation constituted a break with European traditions of colonialism rather than a continuation.
Unter dem Einfluss der politischen Debatten der 1970er und 1980er Jahre entstand die historiographische Teildisziplin der Umweltgeschichte der Sowjetunion. Zunächst arbeitete sie sich an Begriffen wie „Ökozid“ und „Ökonationalismus“ ab. Jüngere Forschungen aus regional-, imperialund globalhistorischer Perspektive haben neue Themen erschlossen. Die Umweltgeschichte demonstriert, wie sehr der Mensch als soziales Wesen in seinem Handeln von der Spannung geprägt ist, seine Umwelt beherrschen zu wollen, sich aber aus seiner Einbindung in Naturkreisläufe
nicht befreien kann.
Bei einer Autopsie der Sowjetunion könnten Historiker auf dem Totenschein vermerken: »Verstorben an Ökozid«. Diese provokante These zweier renommierter westlicher Experten kann den Zerfall der Sowjetunion natürlich nicht hinreichend erklären. Aber aus umweltgeschichtlicher Sicht werden aufschlussreiche Aspekte sowjetischer Geschichte deutlich, die sonst allzu leicht durch das Raster historischer Forschung fallen. So lag die primäre Ursache für den Niedergangsprozess des ersten sozialistischen Staats auf Erden in seinem immer offensichtlicheren Mangel an wirtschaftlicher Leistungskraft, der nicht zuletzt auf den fortgesetzten Raubbau an Natur und Gesellschaft zurückzu-führen ist. Die Sowjetunion erwies sich als unfähig, sich den Bedingungen des postindustriellen Wandels im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts anzupassen. Der britische Historiker Eric Hobsbawm brachte es auf den Punkt, als er schrieb, die Sowjetunion hätte »mit wahrhaft titanischen Anstrengungen die beste Wirtschaft der Welt nach den Maßstäben der I890er-Jahre aufgebaut.« Mit ihrem »ziemlich archaischen, auf Eisen und Rauch beruhenden Industriesystem« geriet sie in den 1970er- und 1980er-Jahren immer tiefer in den Strudel ihres politischen und wirtschaftlichen Niedergangs.
Rechtzeitig zu Weihnachten 2008 wetterten kirchliche Würdenträger beider Konfessionen im Zusammenhang mit der Finanzkrise massiv gegen die „gnadenlose Religion des Marktes und Konsums“. Auf protestantischer Seite verdammte der damalige EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber Raffsucht als „Tanz ums goldene Kalb“ und hielt dem Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, eine „Form des Götzendienstes“ vor. Huber, dessen Kirche genau wie ihr katholisches Pendant selbst im schlagartig verrufenen Aktien- und Wertpapiergeschäft investiert hat, bettete seine Kritik an den Symptomen der Finanzkrise in der Hoffnung auf öffentliche Zustimmungsbereitschaft bewusst in religiöse Semantik.
Auch aus der katholisch en Kirche meldete sich vermehrt religiös untermauerte Kapitalismuskritik und sogar Marxsche Kapitalismuskritik, obgleich diese mit dem Vornamen Reinhard statt Karl verbunden ist.
Die zentrale Forschungsfrage dieses Aufsatzes ist, warum Europäische Staaten im Unterschied zu Staaten in Südostasien, den USA, und Australien die Festlegungen zum Rückführungsverbot aus der Flüchtlingskonvention fortzusetzen versuchten, als Bootsflüchtlinge in den 200er Jahren Zuflucht in ihren Territorien suchten. Zunächst gebe ich einen Überblick, wie Staaten in anderen Weltregionen auf Bootsflüchtlinge, die nach Asyl suchten, seit den 1970er Jahren geantwortet haben und betone ihre Nichtbeachtung der Flüchtlingskonvention. Danach wende ich mich Europa zu und zeige, dass es eine ähnliche Reaktion in den 1990er Jahren gegeben hat. Dies veränderte sich jedoch nach 2000. Dieser Entwicklung widmet sich der übrige Aufsatz, wobei ich den wachsenden Einfluss des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (ECtHR) betone. Da Italien eine besonders große Zahl solcher Asyl suchender Bootsflüchtlinge aufgenommen hat, wird es besonders prominent behandelt.
Die 1980er Jahre können als eine Zeit zunehmender Turbulenzen und Unsicherheiten angesehen werden. Etliche politische Initiativen und soziale Bewegungen entstanden direkt aus den sozialpolitischen Konflikten dieser Zeit. Andere jedoch, die in den 1980er Jahren besonders aktiv waren, bestanden bereits seit Längerem, aber im unruhigen politischen Klima der damaligen Zeit erlebten selbst deren Aktivitäten wesentliche Veränderungen. Eine der langlebigsten dieser Bewegungen war die weltweite Bewegung gegen die Rassentrennung und Diskriminierungspolitik des südafrikanischen Apartheid-Regimes. Ausgehend von den diplomatischen Anstrengungen der südafrikanischen nationalen Befreiungsbewegungen hat sie sich in ein globales Phänomen entwickelt, welches die politischen Erfahrungen vieler unterschiedlicher politischer Kulturen und sozialer Bewegungen nutzen konnte. Nach einem Höhepunkt der Mobilisierung in den späten 1980er Jahren endete das ununterbrochene Bestehen dieser Bewegung mit den allgemeinen Wahlen in Südafrika im April 1994, zu denen erstmals alle erwachsenen Bürger der Republik zugelassen waren.
1988 publizierte Thomas Nipperdey Religion im Umbruch, einen Vorabdruck des Religionskapitels aus dem I. Band seiner Deutschen Geschichte 1866–1918. Das kleine Bändchen zur Religionsgeschichte des Kaiserreichs gilt seitdem als erster, folgenreicher Anstoß für ein neues Interesse deutscher Historiker an den komplexen Religionsgeschichten der Moderne. Unter dem Einfluß von Modernisierungsdogmatikern, die gesellschaftliche Wandlungsprozesse als progressive Rationalisierung aller Lebensbereiche vorgestellt hatten und deshalb «die Moderne» durch Megatrends wie «Säkularisierung», «Dechristianisierung» oder «Entkirchlichung» bestimmt sahen, hatten die Vertreter der klassischen Sozial- und Gesellschaftsgeschichte die Prägekraft religiöser Lebenswelten in modernen Gesellschaften weithin ignoriert und Glaubensorganisationen wie insbesondere die Kirchen bestenfalls als repressive Moralagenturen, «schwarze Polizei» oder herrschaftslegitimatorische Büttel eines autoritären Obrigkeitsstaates in den Blick genommen.
This paper conceptualizes the history of the future in the twentieth century. The present future is always multi-faceted: produced by diverse actors, it concerns different aspects of the world, and is articulated in many ways. We suggest a divergence from the Koselleckian notion of a unified horizon of expectation. Rather than concentrating on the contents of visions of the future, we focus on the processes by which the future is generated. Distinguishing between futures of expectation, creation, risk, and conservation, we offer both a systematic account and a heuristic to analyze the pluralization of the future in the twentieth century.
Seit den 1980er Jahren beschäftigen Prognosen zum anthropogenen Klimawandel Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit gleichermaßen. Von der übertriebenen Gelassenheit der Klimaskeptiker bis zur Hysterie der Alarmisten basieren die Expertisen dabei auf den Prognosen computerbasierter Modelle zur Berechnung zukünftiger Szenarien. Die Heterogenität der Expertisen spiegelt sich in den kontroversen Diskussionen zum Klimawandel wider und kumuliert meist in der Rede von der Unsicherheit der Prognosen.
Im September 2004 gab es in Oxford bereits die fünfte «Global Conference Cultures of Violence». Und an deutschsprachigen Pendants herrscht kein Mangel – zuletzt etwa die Tagung zur Repräsentation von «Gewalt und Moral» an der Universität Basel, Juli 2006, die Sektion über Gewaltbil der auf dem Deutschen Historikertag, die Tagung «Blutige Worte: Sprache und Gewalt» im September 2006 an der FU Berlin, und noch einmal «Gewalt durch Sprache», ebenfalls in Berlin, Anfang November 2006. Das ist eine ganze Menge Gewalt. Ich habe selbst über Gewaltdarstellungen gearbeitet und fleißig Tagungsvorträge darüber gehalten. Aber ich habe allmählich leise Zweifel, ob das alles so richtig läuft mit der Gewalt in den Kulturwissenschaften. Und davon handelt dieser Versuch.
In dem Maße, in dem die Präsentation von Objekten im Museum Anlaß von Fragen, von Neugier und Interesse und nicht die Vorgaukelung einer scheinbar bekannten und feststehenden Geschichte ist, entwickeln sich die Museen in den letzten Jahren auch zunehmend zu Foren der Geschichtskultur, die einer interessierten Öffentlichkeit begleitende und vertiefende Veranstaltungen in Form von Vorträgen, Diskussionen, Filmvorführungen oder Exkkursionen bieten. All diese Aktivitäten haben den Sinn, das Museum als Ort der historischen Wissensvermittlung und zugleich der ästhetischen Anschauung und Wahrnehmung zu befördern.
Die Entwicklung der digitalen Telefonie (1960–1985). Die Kosten soziotechnischer Flexibilisierungen
(2017)
Westliche Wachstumgsgesellschaften haben im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts einen tiefgreifenden Wandel erfahren. Die Veränderungen waren so grundlegend, dass es fast ununmgänglich wurde, dafür eine eigenständige kollektive Umbruchsymbolik zu entwickeln: Ein paar wenige Jahreszahlen und Ereignisse – 1968, 1973/74, 1989/90 – wurden so arrangiert, dass sie das Wichtigste benennbar machten. Der Erinnerungshaushalt konnte damit insofern besser verwaltet werden, als die historische Erzählung ganz selbstverständlich auf bekannte und allen verfügbare Meilensteine zurückgreifen vermochte. Dieselben Meilensteine stabilisieren auch heute noch den Umgang mit unserer Vergangenheit – bis zu dem Masse, in welchem sie gerade den gesellschaftlichen Wandel nicht mehr erklären können, weil die großen Ereignisse fälschlicherweise zu Gründen der gesellschaftlichen Entwicklung gerechnet werden, obwohl sie als Ereignisse vielmehr Effekte des zu erklärenden Wandels gewesen sind.
Vom privatisierten Staat zum verstaatlichten Markt? Eigentum in der Sowjetunion und in Russland
(2013)
In der Sowjetunion bestand eine hierarchisch strukturierte Planwirtschaft mit Staatseigentum nur auf dem Papier. Daneben und mit ihr verknüpft gab es ausgedehnte Zweige der Untergrundwirtschaft und informelle Beziehungsnetzwerke. Die „roten Manager“ hatten sich die Betriebe jedoch nicht angeeignet. Erst in der Perestrojka begann die Privatisierung des Staatsvermögens, das vor allem an Insider aus den Betrieben ging. Anfang der 1990er Jahre sollte mit Hilfe der Gutscheinprivatisierung das ganze Volk zu Eigentümern der Betriebe gemacht werden. Doch erneut setzten sich Privilegierte mit guten Kontakten zur Bürokratie durch. Die Vertreter großer Kapitalgruppen, die als „Oligarchen“ berüchtigt wurden, kauften sich zu Vorzugspreisen in Großunternehmen ein. Das Staatsvermögen wurde rasch und weitgehend, wenn auch äußerst ungleich verteilt. Nur im Energie- und Rüstungssektor wurde die Privatisierung gestoppt. Der volle Schutz des Privateigentums steht noch aus, denn die Machtstrukturen verfolgen viele kleine und mittlere Unternehmen mit falschen Anschuldigungen.
In dem Beitrag wird untersucht, in welcher Weise Lohnzugeständnisse und andere materielle Zuwendungen dazu beigetragen haben, die Industriearbeiterschaft, und hier v.a. die Arbeiter der Metallindustrie, insbesondere in der Phase der Vollbeschäftigung ab 1935/36 politisch ruhig zu halten und insgesamt erfolgreich in den gesamten Wirtschaftsprozeß zu integrieren - ohne gleichzeitig durch eine drastische Erhöhung des Konsumtionsniveaus der Arbeiterschaft die Konsumgüterproduktion 'übermäßig' zu stimulieren und damit die forcierte Aufrüstung grundsätzlich zu gefährden. Ausführlich wird dargestellt, welche Rolle dabei den spezifischen Formen der Leistungsentlohnung zukam. Da die Entwicklung der (Effektiv-)Löhne nur vor dem Hintergrund der Situation auf dem Arbeitsmarkt verständlich wird, wird zu Beginn ein Überblick über die Beschäftigungsentwicklung bis September 1939 gegeben. Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, daß die Erhöhung des Arbeitseinkommens der Metallarbeiterschaft, der am wirtschaftlichen Aufschwung am stärksten partizipierende Teil der Gesamtarbeiterschaft, auch nach Erreichen der Vollbeschäftigung nicht überschätzt werden darf.
Fordismus und Sklavenarbeit. Thesen zur betrieblichen Rationalisierungsbewegung 1941 bis 1944
(2008)
Die arbeitsorganisatorischen und fertigungstechnischen Innovationen, die sich mit den Namen Henry Ford und Frederick W. Taylor verbinden, und ebenso die Gesellschaftsvisionen namentlich des US-amerikanischen Automobilkönigs haben das kurze 20. Jahrhundert entscheidend geprägt, auch und gerade im deutschen Raum. Hier wurde der Fordismus während der Goldenen Zwanziger Jahre, die nach der Währungsstabilisierung 1923/24 begannen und (spätestens) mit dem Schwarzen Freitag, dem 25. Oktober 1929, endeten, allerorten intensiv debattiert.
«Selbstmorde im Auto durch die Einteilung von Abgasen in den Innenraum gibt es heule kaum mehr. Die Abgase der heutigen Autos sind einfach zu sauber dazu.» Diese Aussage eines höheren Beamten des deutschen Umweltbundesamtes am Rande eines Kongresses zum «Auto der Zukunft» illustriert gerade durch ihren Sarkasmus zwei charakteristische Züge moderner Luftreinhaltepolitik: Einerseits weist sie auf die enormen Fortschritte in diesem Politikfeld hin, andererseits zeigt sie implizit auf, wie emotional aufgeladen in den letzten Jahren die Frage der Abgasentgiftung bei Autos diskutiert worden ist.
In den Kultur- und Sozialwissenschaften sind die letzten dreißig Jahre von einem signifikanten Boom zur materiellen Kultur geprägt, der ein immer breiter werdendes Spektrum an Fächern ergreift. Material Culture Studies sind in aller Munde. Damit einhergehend nimmt die Flut der Publikationen zu materieller Kultur zu, und zwar nicht nur in den Fächern Volks- und Völkerkunde sowie Archäologie, die auf die besondere Bedeutung der materiellen Dinge schon in der Periode der Entstehung der Fächer verweisen können. Heute sind auch Soziologen, Religionswissenschaftler, Historiker, Pädagogen und Philosophen dringend daran interessiert, über die Relevanz der Sachen nachzudenken. Der wissenschaftsgeschichtliche Vorsprung der zuerst genannten Fächer bedeutet in keinem Fall, dass deren Vertreter sich nun zurücklehnen und aus dem Fundus ihrer Fächer schöpfen könnten. Die Einsicht in die fächerübergreifende Relevanz dieses Forschungsfeldes paart sich mit dem Eingeständnis, dass keine einzelne Disziplin den Schlüssel zu seiner Bearbeitung in der Hand hält. Mit einigem Recht können die Material Culture Studies heute als ein „postdisziplinäres Feld“ gelten.
Die akademische Geschichtswissenschaft steht mit der Präsentation ihrer Erkenntnisse in der Öffentlichkeit heute in einer bisher nicht dagewesenen Konkurrenzsituation. Fernsehsendungen und -serien bereiten vor allem die NS-Vergangenheit, aber auch wichtige Ereignisse der Nachkriegszeit in einer publikumsgerechten Weise auf. Filme erzählen Geschichten insbesondere aus dem „Dritten Reich“, aus Bombenkrieg und Nachkriegsära. Umfangreiche Dokumentationsreihen haben Konjunktur, gut recherchiert, auf die Erzählung von Zeitzeugen gestützt, mit illustrierender Hintergrundmusik dramatisierend aufgemacht, mit zeitgenössischen Photos und Filmstreifen Augen und Ohren ansprechend.
Geschichtserzählungen haben derzeit eine Konjunktur, die einzigartig ist in der Geschichte der deutschen literarischen Kultur. Der Zusammenbruch der DDR und die deutsche Vereinigung gaben ihr zusätzlichen Auftrieb, doch handelt es sich offenkundig nicht um einen kurzfristigen Wachstumsschub, sondern um eine „Trendperiode“, die in West- und Ostdeutschland, in der alten Bundesrepublik und in der DDR nach einzelnen Vorläufern in den sechziger Jahren anlief und seit nunmehr vierzig Jahren mit einer wachsenden Zahl von Titeln und Auflagen anhält.
Am Anfang des 20. Jahrhunderts stand Mathematikern, Naturwissenschaftlern und Ingenieuren eine Reihe von mathematischen Methoden (numerischen und graphischen Verfahren) sowie technischen Hilfsmitteln (Instrumente, Apparate, Maschinen, Tafelwerke) zur Verfügung, um exakte Lösungen bzw. Näherungslösungen für mathematische Probleme »ausrechnen« zu können, die im Zusammenhang mit ihrer wissenschaftlichen oder praktischen Arbeit auftraten. Ein genauerer Blick zeigt, dass um 1900 ein ganzer »Apparate- und Methoden-Zoo« zur Verfügung stand, dessen Klassifizierung – um im Bild zu bleiben – einen sehr kundigen »Apparate- und Methoden-Zoologen« erforderte, um die »Morphologie« und »Anatomie« der Apparate und deren »Physiologie« (in Bezug auf die informationsverarbeitenden Funktionen) zu überblicken. So gab es z. B. weit verbreitete Apparate und Methoden wie Rechenschieber und Planimeter, mechanische Rechenmaschinen, Multiplikations- und Logarithmentafeln oder das Runge-Kutta-Verfahren zur numerischen Lösung gewöhnlicher Differentialgleichungen, aber auch nur in Einzelexemplaren existierende Geräte, wie die im 19. Jahrhundert verschiedentlich entwickelten Gleichungswaagen.
Es liegt gleichsam auf der Hand, dass Sicherheit immer auch eine räumliche Dimension aufweist – „Territorialisierungsdynamiken“, so stellte der Historiker Eckart Conze fest, „sind über weite Strecken Sicherheitsdynamiken.“ Schon der Geograph Robert Sack fasste Territorialität als ein Bestreben von Individuen oder Gruppen, im Raum auf Personen, Phänomene und Beziehungen ordnend einzuwirken. Durch die Begrenzung eines geographischen Gebiets werde versucht, eine regulative Kontrolle durchzusetzen. Umso mehr erstaunt daher, wie wenig dieser offensichtliche Wechselbezug zwischen Räumlichkeit und Sicherheit in der Theoriediskussion bislang reflektiert worden ist. Dieser Beitrag möchte aus historischer Perspektive einzelne Ansätze systematisch aufeinander beziehen. Er wird zunächst einen kurzen Überblick über die fragmentierte Theorielandschaft geben, um dann am Beispiel zentraler interdisziplinärer Forschungsfelder neue Perspektiven für einen integrierten Gesamtansatz zu erschließen.
Die öffentliche Diskussion um die nationalsozialistische Vernichtungspolitik hat sich durch die Debatte um das Buch von Daniel Goldhagen verändert. Wie immer in solchen Fällen ist diese Debatte nicht frei von schrillen Tönen und absurden Überzeichnungen. Aber bei aller Kritik an dem Buch von Goldhagen ist es doch gewiß eine positive Entwicklung, wenn die Diskussion um Nationalsozialismus und »Holocaust« nun endlich wieder auf das eigentliche Geschehen, den Massenmord selbst konzentriert wird, auf die Motive der Täter, das Leiden der Opfer. Demgegenüber sind Fragen wie: ob der Judenmord als Phänomen der Moderne zu verstehen sei oder nicht, ob er eine Art putativer Notwehr gegen den vermuteten Mordwunsch der Bolschewiki am europäischen Bürgertum gewesen sei und anderes, das in den vergangenen Jahren die öffentliche Debatte bestimmt hat, in den Hintergrund getreten.
Die Welt der Gegenwart zeichnet sich durch ein dichtes Netz von globalen, grenzübergreifenden Aktivitäten aus, zu denen die ungeheure Zahl von über 61.100 internationalen Organisationen ebenso beiträgt wie die Veranstaltung internationaler Konferenzen und Kongresse. Der stolze Hinweis auf die Partizipation an internationalen Organisationen gehört zur Selbstdarstellung moderner Außenministerien, und das politische Potenzial von Nichtregierungsorganisationen in der ganzen Breite zwischen WEF-Gegnerschaft und Olympischen Spielen prägt das heutige Verständnis von Internationalität. Angesichts dieser vielfältigen und weltumspannenden Netzwerke ist die Anzahl der derzeit 193 von der UNO anerkannten souveränen Staaten lächerlich gering - und dennoch gibt es keinen Grund, von einem Ende des Nationalstaates zu sprechen.
In der gegenwärtigen Auseinandersetzung um den Neoliberalismus“ werden immer wieder Argumente verwendet, die die 1970er Jahre als eine Wasserscheide im Übergang zum kalten Turbokapitalismus der Gegenwart sehen. Im Anschluss an Michel Foucaults Vorlesungen zur Geschichte der Gouvernementalität wird davon ausgegangen, der entscheidende Wandel habe darin bestanden, dass die Menschen seitdem permanent in ökonomische Verwertungszwänge eingespannt gewesen seien. Soziales Verhalten sei zunehmend erodiert und diskriminiert worden, während Konkurrenzverhalten und Marktbezug zum Durchbruch gekommen sei. Es sei der „Mensch des Unternehmens und der Produktion“ entstanden, ein „unternehmerisches Selbst“, wie Ulrich Bröckling es nennt, das in allen anfallenden alltäglichen Entscheidungen ökonomische Handlungsmaximen verwendet. Als ein wichtiger Referenzpunkt für diese These wird dabei auf die Neue Konsumtheorie von Gary S. Becker verwiesen, die „ökonomische Theorie des Alltags“, der in den 1970er Jahren als erster ökonomische Analysen zur Beurteilung der Nützlichkeit der Ehe, der „Kinderaufzucht“ oder der Ausbildung verwendete und damit zum punching-ball
der Kritik an der „Ökonomisierung des Sozialen“ aufstieg.
Gelenkte Bilder. Propagandistische Sichtweisen und fotografische Inszenierungen der Reichshauptstadt
(2013)
Berlin als administratives und politisches Zentrum des NS-Regimes war die prominenteste und »produktivste« Bühne der öffentlichen Inszenierung nationalsozialistischer Machtentfaltung. Das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) war die wichtigste Schaltzentrale der NS-Propaganda.
Wenn man sich die Mühe macht und die empirischen Studien zum Geschichtsbewusstsein und zum Geschichtsinteresse von Jugendlichen betrachtet, so gilt für die Einstellung der Schülerinnen und Schüler zum Fach Geschichte noch heute die Einschätzung Klaus Bergmanns, der bereits 1976 pointiert formuliert hatte: „Nach allen empirischen Befunden ist Geschichte für die meisten Schüler langweilig, uninteressant, überflüssig – ein ungeliebtes Schulfach.“ Auch Annette Kuhn fragte zeitgleich in einem programmatischen Aufsatz „Wozu Geschichtsunterricht?“, ob es überhaupt möglich sei, einen Geschichtsunterricht im Interesse der Schüler zu halten. In seinem breit rezipierten Aufsatz über „Begriff und Funktion der Zeitgeschichte“ hat der Autor Eberhard Jäckel bereits 1975 eine heute empirisch nachweisbare Einschätzung abgegeben, mit der er ansatzweise versucht hatte, Antwort auf die Frage zu geben: „Was denn soll jemanden, der Interesse an Geschichte hat, mehr interessieren als die Geschichte seiner Zeit?“ Die empirischen Studien bestätigen diese Aussage. Gerade für die „Periode von 1945 bis heute“ nimmt das Interesse der Jugendlichen an den zeitgeschichtlichen Inhalten deutlich zu. Auch der seit Jahren anhaltende „Geschichtsboom“, die Zuschauerzahlen historischer Spielfime mit zeitgeschichtlicher Thematik wie der „Untergang“, „Hitler – Aufstieg des Bösen“, „Stauffenberg“, das stetig wachsende Interesse an den Knoppschen Dokutainments im Fernsehen und die breite Rezeption zeitgeschichtlicher Kontroversen in der Publizistik scheinen diesen Befund zu stützen.
Kein Aspekt der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine derart rasante Forschungskarriere absolviert wie das Thema „NS-Zwangsarbeit“. Ein kaum mehr überschaubarer Katalog von Veröffentlichungen legt seit den 1980er Jahren die unzähligen Einzelschichten des Themas frei, so dass unser Wissen über dieses in der Geschichte singuläre Großprojekt zur ungehemmten Abschöpfung von fremder Arbeitskraft für die eigene Kriegswirtschaft exponentiell gewachsen ist.
Seit dem Zweiten Weltkrieg prägen die Vereinigten Staaten von Amerika die westliche Welt nicht nur in politischer, sondern ebenso in wirtschaftlicher und technologischer Hinsicht. Während die USA insbesondere in den modernen Schlüsseltechnologien wie der Mikroelektronik und der Antriebstechnik zu den innovativsten und dynamischsten Märkten gehören, war bis in die späten 1960er Jahre hinein in den europäischen Staaten ein Mangel an technologischem Fortschritt spürbar. Am Beispiel der deutschen Computerindustrie befasst sich der Beitrag mit den Bemühungen, diesen Rückstand aufzuholen. Mit Blick auf das von Volker Berghahn geprägte Amerikanisierungs-Paradigma ist dabei vor allem nach den Konsequenzen für die Wettbewerbspolitik der 1950er bis 1970er Jahre zu fragen.
Zwischen Historisierung und Globalisierung: Titel, Themen und Trends der neueren Empire-Forschung
(2011)
The following article examines recent publications on empires and imperial history in world history, covering general overviews, comparative studies and monographs on individual cases. As a preliminary result of a general expansion of empire-studies – diachronically, with regard to different historical spaces and thematically – the authors identify a danger of inflating the concept and thereby weakening its analytical strength. Furthermore, a growing gulf between macro-perspectives and panoramas on the one hand and mikro-analyses on the other makes it difficult to achieve a suitable framework for precise research on empires. The article therefore argues in favour of a meso level, as the comparative view on the complex relation between empires and nation-states in the nineteenth and twentieth century can illustrate.
Ein Paradox prägt die Praxis kommerzieller Buchverlage: Alle wissen um die Unmöglichkeit, Bestseller zu planen und alle sind beständig mit dem Planen von Bestsellern beschäftigt. John B. Thompson, der in seiner Doppelrolle als Buchwissenschaftler und Verleger von Polity Press einen privilegierten Zugang zu den verschwiegenen Zirkeln der Verlagswelt hat, beschreibt den Umgang mit dem Paradox in »Merchants of Culture«, seiner 2010 erschienenen Untersuchung über den Buchhandel in Großbritannien und den Vereinigten Staaten. Thompson charakterisiert das Verlagswesen als eine »black swan industry«, in welcher der glückliche Zufall eine entscheidende Rolle spiele, »da bei vielen, wenn nicht allen Bücher niemand wirklich weiß, wie erfolgreich sie sein werden«. Den Verlegern bleibe bei so viel Unsicherheit nur die Entwicklung einer Strategie, um dem Zufall auf die Sprünge zu helfen.
Als Christoph Kleßmann in den 1990er Jahren erstmals seine Überlegungen zu einer »asymmetrisch verflochtenen Parallelgeschichte« formulierte, war ein solcher Ansatz nicht unumstritten. Wenn beide deutschen Nachkriegsgesellschaften überhaupt zusammen beschrieben wurden, so geschah dies meist im Modus einer normativ aufgeladenen Kontrastgeschichte. Auch die Frage nach Verflechtungen und Transfers stieß seinerzeit angesichts der noch hitzig geführten Debatte um den historischen Vergleich und die jüngere Kulturtransferforschung auf Widerstände. Heute haben sich diese Auseinandersetzungen längst überholt. Die Frage nach Verflechtungsprozessen bedarf nicht länger einer besonderen Legitimation. Ganz im Gegenteil: Seit Jürgen Kockas Kritik an der Verinselung der DDR-Forschung dient das Verflechtungsparadigma vielfach als Rechtfertigung, um sich überhaupt noch mit der Geschichte der DDR zu beschäftigen.
In Marktwirtschaften tragen die Unternehmen nur einen Teil der Kosten des Produktionsfaktors „Arbeit“. Sie entlohnen zwar die im Betrieb geleistete Arbeit, kommen jedoch nicht ohne weiteres für die Sicherung derer auf, die arbeitslos sind oder wegen Krankheit, Invalidität oder hohen Alters vorübergehend oder auf Dauer nicht erwerbstätig sind. Die betriebliche Kostenrechnung ist daher – wenn man die Betrachtung idealtypisch zuspitzt – von einem erheblichen Teil der sozialen Kosten des Produktionsfaktors „Arbeit“ entlastet. Mit anderen Worten: Die betrieblichen Entscheidungen sind nicht unmittelbar an gesamtwirtschaftlich oder gesamtgesellschaftlich definierte Aufgaben und Ziele gebunden; sie können sich vielmehr strikt an Rationalitätskriterien eigener Art orientieren, vor allem an Kriterien der Rentabilität. Diese „Externalisierung von Kosten der freien Verfügbarkeit des Produktionsfaktors Arbeit im freien Arbeitsvertrag“ (M. Rainer Lepsius) trägt zu der hohen Anpassungselastizität und Innovationsfähigkeit der marktwirtschaftlichen Produktionsweise bei. Sie verlangt aber zugleich nach Institutionen der sozialen Sicherung, die die ausgelagerten Kosten auffangen.
Wer war früher da – der Markt oder der Staat? Es gibt Fälle, in denen sich diese Frage ganz eindeutig beantworten lässt: Das sind die Fälle marktschaffender Politik. Im Zuge des neoliberalen Imperativs »mehr Markt!« drang dieser Typ des politischen Handelns auch in Bereiche vor, die bislang zu den Kernaufgaben des »sorgenden Staates« gerechnet wurden. Dabei erwies sich die Privatisierung als einer der wichtigsten Hebel. Zwar dient nicht jede Privatisierung der Herstellung von Marktbeziehungen. Man denke zum Beispiel an die Praxisgebühr oder an viele andere Zuzahlungen zu Leistungen der Krankenkassen, womit Kosten ins Privatbudget der Haushalte verlagert wurden. Umgekehrt lassen sich auch Vermarktlichungstendenzen beobachten, die ohne das Instrument der Privatisierung auskommen wie zum Beispiel der Einbau marktförmiger Elemente in die gesetzliche Krankenversicherung (freie Kassenwahl, Wahltarife). Der folgende Essay konzentriert sich jedoch auf die marktschaffende Hebelwirkung von Privatisierungstendenzen im deutschen Sozialstaat.
Banale Fragestellungen sollten nur dann nützlich sein, wenn die Banalität des Festgestellten so banal nicht ist. Das heißt: Wenn gesagt werden muß - und das Zitat stammt aus einer Satire daß auch in der Nazizeit zwölfmal Spargelzeit gewesen wäre, dann gibt es zwei einander entgegengesetzte Gründe für diesen Satz. Der erste wäre, daß es auch zwischen 1933 und 1945 ein ganz normales Leben gegeben habe, das neben oder gar unabhängig von dem Verbrechen stattfand, dem das Städtchen Auschwitz seinen Namen geben mußte. Es gäbe danach in der Nazi-Zeit ein Leben ohne Verbrechen und ein Leben mit Verbrechen. Das erstere sei von dem letzteren zu trennen. Der zweite, entgegengesetzte Grund für das Diktum wäre der Hinweis, daß auch die Spargelzeit eine andere war, wenn sie gleichzeitig mit dem Verbrechen stattfand. Doch die Alternative wäre nicht mit so starkem Engagement debattiert worden, versteckte sich nicht die Frage nach der Schuld und damit nach den Schuldigen hinter der Erörterung, ob es zwischen 1933 und 1945 ein Leben ohne Auschwitz gegeben haben konnte. Die Kollektivschulddebatte der Nachkriegsjahre führte, wie wir wissen, zu keinem Abschluß, mit dem Buch von Daniel Goldhagen steht sie wieder als Interpretationsraster zur Verfügung.
»Menschenrecht ist, sich einander als Wesen zu behandeln, die sich im Innern gleich und von Außen ähnlich, nur durch die Ungerechtigkeit so unkenntlich geworden sind.« Wer würde heute diesem Diktum eines vergessenen deutschen Publizisten aus dem Jahr 1789 widersprechen wollen? Die Menschenrechte gehören in der Gegenwart zu den wichtigsten Glaubensartikeln liberaler Demokratien. Wer die Menschenrechte anzweifelt, stellt sich anscheinend außerhalb der Grenzen einer universellen Moral im Zeitalter von Weltinnenpolitik. Oft erscheint das individuell-unveräußerliche »Recht auf Rechte« (Hannah Arendt) wie eine überhistorisch-naturrechtliche Selbstverständlichkeit. Die Menschenrechte sind die Doxa unserer Zeit, jene Überzeugungen einer Gesellschaft, die als verinnerlichte, evidente Ordnung stillschweigend vorausgesetzt werden und den Raum des Denkbaren und Sagbaren umgrenzen. Gestritten wird heute nur noch darum, wie man die Menschenrechte diesseits und jenseits des Nationalstaates zur Geltung bringen könnte. Ob sie überhaupt eine sinnvolle rechtliche oder moralische Kategorie für unser politisches Handeln darstellen, steht gleichsam außer Frage. Ziel der in diesem Band versammelten Autoren ist es, historisch zu verfolgen, wie die Menschenrechte in den globalen Krisen und Konflikten des vergangenen Jahrhunderts diese universelle Evidenz gewonnen haben.
Museen sind seit langem keine stillen Musentempel mehr. Das gilt auch für historische und volkskundliche Museen, die im Folgenden ausschließlich behandelt werden. Sie müssen ihr Bestehen durch ihre Erfolge rechtfertigen. Dabei wäre noch ein großes Stück Arbeit zu leisten, um komplexe und mehrdimensionale Erfolgskriterien zu entwickeln. Interessant wären z.B. Indikatoren wie Leserkontakte anhand der Pressemeldungen, Resonanz in fachwissenschaftlichen Publikationen oder die Urteile der Kritik – die aber leider im Museumsbereich ziemlich unterentwickelt ist und keinen Vergleich mit der Literaturkritik aushält. Einstweilen aber, und dazu tragen die Museen durch weitgehende Inaktivität in diesem Bereich bei, bleibt das einzig Messbare oft die Besucherzahl.
Die DDR gilt in ökologischer Hinsicht als failed state. Diese Wertung speist sich aus den Darstellungen der ostdeutschen Umweltbedingungen in der westdeutschen Presse in den 1980er Jahren. Während vor 1981 die Umwelt in der DDR allenfalls eine marginale Rolle spielte, brannten sich während des Wendeherbstes 1989 die Bilder von biologisch toten Flüssen, großflächig absterbenden Wäldern, Tagebau-Restlöchern und unwirtlichen Industrielandschaften in das ikonographische Gedächtnis der Bundesrepublik.
Alter(n) hat sich in der Gegenwart grundlegend gewandelt. Aufgrund der Entwicklung in der Medizin haben heute viele ältere Menschen die Möglichkeit, die Lebensphase Alter nicht nur länger, sondern vor allem länger gesund zu erleben. Dies stellt nicht nur gesellschaftliche Institutionen, sondern auch das Individuum vor neue Herausforderungen. Alter(n) zeichnet sich durch eine nie gekannte Wahlfreiheit aus und sollte deshalb sinnvoll geplant und gelebt werden. Es entstehen neue Märkte und eine Vielfalt von Freizeitaktivitäten für ältere Menschen. Damit geht einher, dass das klassische dreiteilige Modell der Lebensphasen aufgebrochen ist. Statt der Kindheit und der Erwerbsphase einfach den Ruhestand und das Alter entgegenzusetzen, wird das Alter oft selbst noch einmal unterteilt, so dass seit einiger Zeit mindestens vier Lebensalter unterschieden werden.
Vorbei sind die Zeiten, als man sich mit Bemerkungen, daß die meisten Kontroversen über Gewalt aus einem »poor use of words« (Chesnais) resultierten, automatisch auf der »sicheren« Seite wähnen konnte, wenn man nur genügend differenzierte. Vorbei sind auch die Zeiten, in denen Gewalt als ein nichtssagendes Modewort bezeichnet werden konnte, weil »jeder über Gewalt redet, und keiner wirklich darüber nachdenkt« (Hobsbawm). Das Thema Gewalt ist in aller Munde, auch wenn damit je nach politischem, ideologischem oder sozialem Standpunkt höchst unterschiedliche Sachverhalte assoziiert werden. Entsprechend begegnet uns Gewalt in einer Vielzahl von begrifflichen Differenzierungen (direkte und indirekte Gewalt; personale, strukturelle, kulturelle und symbolische Gewalt; psychische Gewalt; progressive und reaktionäre Gewalt; instrumentelle und expressive Gewalt, staatliche Gewalt; legale und illegale Gewalt; legitime und illegitime Gewalt; verdeckte und offene Gewalt – die Liste ließe sich leicht fortführen), in vielen Arten und Formen [...], im privaten Alltag und in der offiziellen Politik, in Strukturen und Sprache eingelagert. Gewalt ist allgegenwärtig, vergeht doch kein Tag, an dem nicht Medien und Presse über die neuesten Gewalttaten und Greuel berichten.
Die Erforschung der Geschichte verfügt selbst über eine höchst interessante Geschichte und entfaltet ihre eigene Dynamik und Agenda. Eine Möglichkeit, jüngste Trends zu charakterisieren, wäre die Feststellung, daß die Internationalisierung der Geschichtsforschung die traditionelle Betonung der "Nation" als Analyseeinheit in bedeutender Weise verändert hat. Nationale Geschichte wurde bereichert, erweitert und in einigen Fällen sogar durch internationale und globale Geschichte in Frage gestellt. In diesem Beitrag möchte ich zunächst auf die Internationalisierung und Globalisierung der Geschichtswissenschaft in den letzten Jahrzehnten eingehen und dann den wachsenden Einfluß diskutieren, den Internationale Geschichte auf nationale Geschichte hatte. Schließlich möchte ich einige Beobachtungen zur Etablierung von Globaler Geschichte als einer Subdisziplin in Abgrenzung von Internationaler Geschichte anfügen.
»Keinem, der dem Wesen der menschlichen Angelegenheiten, das sich in Geschichte und Politik manifestiert, nachdenkt, kann die Rolle, welche die Gewalt seit eh und je in den Beziehungen der Menschen zueinander gespielt hat, entgehen; und es ist auf den ersten Blick einigermaßen überraschend, daß sie so selten zum Gegenstand besonderer Untersuchungen gemacht wurde.« So angemessen diese Feststellung Hannah Arendts im Jahre 1970 auch gewesen sein mag, inzwischen zeigt sich die intellektuelle Szenerie gründlich gewandelt. Gewalt ist in nahezu allen kulturwissenschaftlichen Disziplinen der Gegenwart zu einem beherrschenden Thema geworden. In der Epoche Hannah Arendts jedoch brachte ihre zitierte Aussage eine Theorielandschaft auf den Punkt, in der ein die Nachkriegsgesellschaften des Westens prägender Prozess von Demokratisierung das Problem illegitimer Gewaltausübung zum Verschwinden zu bringen schien. Die Modernisierungstheorie der 60er und 70er Jahre stellt sich unter diesem Gesichtspunkt als eine gegenüber Gewaltphänomenen unsensible Gesellschaftskonzeption dar.
In diesem Aufsatz soll es indessen weniger um den relativen, in der Gerontologie ausgehandelten Stellenwert von der Länge des Lebens einerseits und seiner Qualität und Sinnhaftigkeit andererseits gehen. Was uns beschäftigen soll, ist stattdessen die besondere Form der Zukunft oder, wenn man so will, der besondere Zukunftsbegriff, der sich in Baltes' Text sowie in wissenschaftlichen Studien wie der »Berliner Altersstudie« zu Wort meldet. Dem Aufsatz liegt die Vermutung zugrunde, dass »Alter« und »Altersforschung« zu den wichtigsten »gesellschaftliche Zukunftsformen« des 20. Jahrhunderts gehören, deren Generierungs-, Wirkungs- und Entwertungsmechanismen unbedingt identifiziert und analysiert werden müssen.
Bei der Entwicklung konventioneller und atomarer Waffen nahmen die verantwortlichen Politiker und Militärs der Vereinigten Staaten, Chinas, Frankreichs, Großbritanniens und der Sowjetunion keine Rücksicht auf soziale und ökologische Folgen. Bereits vor dem Kalten Krieg richteten sie militärische Testgelände ein, für die ganze Bevölkerungsgruppen umgesiedelt werden mussten. Indianer, Nomaden und andere Menschen, die in den Augen der Behörden unwichtig waren oder sogar der Landesverteidigung im Wege standen, wurden ihrer Dörfer, Begräbnis- und Kulturstätten, ja letztlich ihrer Lebensweise beraubt.
Rückkehr oder Flucht? Als im Sommer und Herbst 1975 Hunderttausende aus Angola und Mosambik in Portugal eintrafen, schien die Not der Menschen offensichtlich und die Sache klar – doch sie war es nicht. Portugal hatte zwar 1960 die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ratifiziert. Die Regierung vertrat aber den Standpunkt, dass die Ankommenden, von denen viele Hals über Kopf aufgebrochen waren und nun mittelos und tief verunsichert in Notunterkünfte gebracht wurden, keine „Flüchtlinge“ seien.Rückkehr oder Flucht? Als im Sommer und Herbst 1975 Hunderttausende aus Angola und Mosambik in Portugal eintrafen, schien die Not der Menschen offensichtlich und die Sache klar – doch sie war es nicht. Portugal hatte zwar 1960 die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ratifiziert. Die Regierung vertrat aber den Standpunkt, dass die Ankommenden, von denen viele Hals über Kopf aufgebrochen waren und nun mittelos und tief verunsichert in Notunterkünfte gebracht wurden, keine „Flüchtlinge“ seien.