Europa
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Der Aufsatz beschreibt anhand von Fallbeispielen die Einführung von Rechnern/Computern in Industrie und Verwaltung sowie die damit einhergehenden Fortschrittsversprechen und Utopien. Der Nutzen der neuen Technologie war für die Akteure zunächst schwer einzuschätzen; daher gab es ein breites Spektrum von Erwartungen, Euphorien und Ängsten. Den „Elektronengehirnen“ der 1950er-Jahre wie auch den späteren Computern wurde im gesamten Untersuchungszeitraum ein Potenzial zugewiesen, das über die damaligen technischen Möglichkeiten weit hinausging. Ein Schwerpunkt der Diskurse war die Frage nach der Zukunft der Arbeit. Als Computer in Unternehmen und Verwaltungen stärker vordrangen, entstanden zahlreiche soziologische Studien, die aus heutiger Sicht aufschlussreiche zeithistorische Quellen sind. Sie dokumentieren strukturelle Veränderungen der Industriegesellschaft, Erfahrungen von Arbeitnehmer/innen im Umgang mit der neuen Technik und zugleich die wissenschaftlichen Versuche, das Phänomen der Computerisierung zu erfassen.
In the 1980s, when computers became affordable for private households, a hacker or cracking scene, which was the term used by members of this subculture, developed in several western and northwestern European countries. These (almost exclusively male) groups of adolescents ‘cracked’, copied and exchanged computer games. On the basis of magazines and published interviews with former members of this scene, this article shows how cracking became an important current in the broad spectrum of teenage subculture – with specific ethical codes and rituals of masculinity. Its members were by no means lone specialists who eschewed contact with the outside world, but rather developed their own forms of community and communication. This scene did not construe itself as a political counter-culture; it was rather part of the diversifying popular and consumer culture of the 1980s. In the early 1990s, when law enforcing agencies began to prosecute software piracy more resolutely, this computer subculture began to fade. However, it lived on in the field of computer graphics, in electronic music and in the growing IT sector.
„There is no reason for any individual to have a computer in his home.“ Diese Einschätzung Kenneth H. Olsens, seinerzeit Präsident der Digital Equipment Corporation (lange eine der führenden amerikanischen Computerfirmen), stammt aus dem Jahr 1977. Die gesellschaftliche Vorstellung von Computern war damals eng mit Großrechnern verknüpft, die lediglich durch Spezialisten bedient werden konnten. Dieses Paradigma stellten Spielekonsolen wie „Pong“ von Atari allerdings bereits 1975 in Frage. Andere Branchengrößen wie IBM hatten weiterhin Bedenken, ob die Leistung der Großrechner auf einem Schreibtisch Platz finden könne. Unternehmen wie Commodore oder Apple bewiesen ab 1977, dass dies möglich war, indem sie kompakte, sofort nach dem Kauf verwendbare Rechner auf den Markt brachten und sich somit an die Spitze der Computerhersteller katapultierten. Sie setzten damit eine Entwicklung in Gang, die sich zu Beginn der 1980er-Jahre beschleunigte: IBM definierte mit dem „IBM PC 5150“ ab 1981 einen Standard im Bereich der Heimcomputer. Sony und Philips brachten die Digitalisierung im Audiobereich voran und legten die technischen Spezifikationen für die Compact Disc fest.
Die Historiographie zur Entwicklung des heutigen Europa wird vom Fluchtpunkt unserer Gegenwart bestimmt, d.h. vom gegenwärtigen Leitbild europäischer Integration: ein demokratisches, rechtsstaatlich geordnetes, auf wirtschaftlichen Freiheiten, wachsendem Wohlstand und freiwilliger Mitgliedschaft beruhendes politisches Gebilde, das von gemeinsamen Werten im Kanon klassischer Freiheitsrechte und der Verpflichtung zum Frieden bestimmt ist. Darin spiegelt sich die Abkehr von der extremen Gewalt, dem scharfen Nationalismus und der freiheitsvernichtenden staatlichen Lenkungspolitik während der ersten Jahrhunderthälfte.
Am Beispiel von Gustav Krukenberg (1888–1980), der zunächst in den 1920er-Jahren Sekretär des deutsch-französischen „Mayrisch-Komitees“ war, dann 1933 für kurze Zeit den Reichsrundfunk leitete und am Ende des Zweiten Weltkriegs zum „Inspekteur“ der französischen SS-Division „Charlemagne“ wurde, um schließlich in den 1960er-Jahren als führendes Mitglied des „Verbands der Heimkehrer“ für eine deutsch-französische Versöhnung im europäischen Rahmen einzutreten, werden drei verschiedene Typen von Verständigungs- und Europapolitik skizziert, die sich eher einer konservativ-autoritären als einer liberal-demokratischen Europa-Konzeption verdanken. Bei seiner regen Vortragstätigkeit vor allem während der 1960er-Jahre stützte sich Krukenberg auf ein christlich-abendländisches Geschichtsbild, das die Jahre 1933–1945 völlig ausblendete. Die Berufung auf „Europa“ konnte also in sehr unterschiedlichen politischen Konstellationen als verbindendes Stichwort dienen und ermöglichte ein erstaunliches Bewusstsein der Kontinuität.
Am Beispiel des Elsass verfolgt der Aufsatz das Spannungsverhältnis von Europa-Konzepten und regionaler Selbstverortung im 20. Jahrhundert. Der zeitliche Schwerpunkt liegt auf den 1920er- und 1930er-Jahren als der entscheidenden strukturbildenden Periode regionaler Europa-Konzepte. Die damaligen Frontstellungen und Wahlverwandtschaften der Bezüge auf „Europa“, „Volkstum“ und die „deutsch-französische Verständigung“ blieben bis in die 1970er-Jahre prägend. Für die Zwischenkriegszeit ist die Unterscheidung zwischen „liberalen“ und „antiliberalen“ Konzepten zu problematisieren, da die regionalen Europa-Konzepte in den Zusammenhängen von Minderheitendiskussion und elsässischer Autonomiebewegung grundsätzlich ambivalent waren. Erst nach den Locarno-Verträgen (1925/26) zeichneten sich die antiliberalen Orientierungen eines „integralföderalistischen“ Europa-Konzepts deutlich ab. Der Aufsatz betont die Notwendigkeit, liberale und antiliberale Europa-Semantiken in gemeinsamen, längerfristigen Entwicklungsgeschichten zu untersuchen, um so auch die NS-Zeit stärker zu kontextualisieren.
Der polnische Antiliberalismus der 1920er- und 1930er-Jahre versteckte sich in den Formen des polnischen „Patriotismus“, des klassischen „Unabhängigkeitskämpfers“, in dem Wunsch, staatliche Souveränität durch Teilföderationen mit den Nachbarländern abzusichern. Politische Eliten im Polen der Zwischenkriegszeit haben keine Alternative dazu gesehen, mit Europa anders zu sprechen als aus der Position eines „starken“ Partners. Und diese Position glaubten sie nicht durch demokratische Reformen erreichen zu können, nicht durch einen liberalen Umgang mit den Minderheiten, nicht durch bilaterale oder transnationale Zusammenarbeit, sondern durch die Wiederbelebung der Idee der multinationalen Jagiellonischen Union. Sie war ihnen als „Vorstufe“ einer europäischen Integration genug. Näher erläutert werden zwei konkurrierende Varianten der antiliberalen Grundtendenz: Roman Dmowskis nationalistischer, pro-westlicher Entwurf einer mitteleuropäischen Föderation sowie Jozef Piłsudskis autoritärer Entwurf eines slawischen Großraums zwischen Deutschland und Russland.
In der gegenwärtigen Krise europäischer Integration richtet sich der kritische Blick der Historiker auch auf problematische Ursprünge „Europas“ im 20. Jahrhundert, und hier besonders auf die NS-Zeit. Die zeitweilige deutsche Hegemonie über den Kontinent während des Zweiten Weltkriegs, die mit millionenfachen Massenmorden verbunden war, wurde in Teilen der Literatur als Ausdruck antieuropäischer Ideologie und Praxis bezeichnet, die Anwendung des Integrationsbegriffs auf die nationalsozialistische Herrschaftsausübung dagegen scharf kritisiert, ja sogar als „Pseudowissenschaft“ abgetan. Im Kontext des vorliegenden Themenhefts und im Licht neuerer Forschungen soll hier noch einmal gefragt werden, ob und wie sich die Zeit des Nationalsozialismus und besonders des Zweiten Weltkriegs als Teil europäischer Integrationsgeschichte interpretieren lässt.
Die ab 1939 verwirklichten „Großraum“-Pläne der Nationalsozialisten werden mittlerweile auch in der deutschen Zeitgeschichtsforschung als radikale Ausprägung antiliberaler Europakonzepte anerkannt.1 Diese überhaupt als eigenständige europäische Ideen innerhalb politisch konkurrierender Vorstellungen zu behandeln war noch vor zehn Jahren keineswegs gängige Forschungsmeinung. Wenig Aufmerksamkeit wird jedoch nach wie vor den Konzeptionen anderer faschistischer Regimes und Bewegungen zuteil. Diese gerieten im Zuge des Kriegsverlaufs in ein zunehmend konfliktbeladenes Verhältnis zur deutschen Hegemonialmacht, scheiterten gleichwohl weitgehend an der Realität der nationalsozialistischen Herrschaftspraktiken. So steht eine grundlegende Untersuchung der groß angelegten Neuordnungspläne des faschistischen Italiens noch aus.2 In noch stärkerem Maße trifft dies für jene Faschismen im übrigen Europa zu, welche weder vor 1939/40 noch danach unter der deutschen Besatzung die Position eigenständiger Regimes erreichten. Gerade diese Bewegungen entwickelten aber trotz ihres politisch marginalen Einflusses eine beachtliche konzeptionelle Eigenständigkeit und Vielfalt.
In der jüngeren zeithistorischen Forschung haben die europäischen Dimensionen des Nationalsozialismus an Konturen gewonnen. War die Historiographie der „Deutschen Katastrophe“ ein nationales Projekt sui generis und die ältere Forschung lange vorrangig auf die nationalsozialistische Gewaltherrschaft im Deutschen Reich selbst konzentriert, so rücken nun transnationale Fragen verstärkt ins Blickfeld. Im Sinne einer histoire croisée der europäischen Zwischenkriegszeit werden vergleichende wie verflechtungsgeschichtliche Ansätze enger aufeinander bezogen. Das Forschungsfeld hat sich dabei geöffnet – hin zu einer Gewaltgeschichte Europas im 20. Jahrhundert.
Als sich am 16. Dezember 1943 das „Europakränzchen“ im Hotel Esplanade in Berlin traf, eröffnete Hans Kehrl, Chef des Planungsamts im Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion, die Sitzung mit einem Rückblick: Er erinnerte an die „Geburt der europäischen Idee [im] Sommer 1940“, bedauerte jedoch, dass die Zusammenarbeit „der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft“ immer noch zu wünschen übrig lasse. Diese Europa-Rhetorik ist kein Einzelfall, sondern zeigt sich in zahllosen Dokumenten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Das immense Interesse an einer möglichen ‚Neuordnung‘ Europas im nationalsozialistischen Deutschland fand allerdings in der historischen Forschung nach 1945 zunächst keinen Widerhall. Mittlerweile haben die nationalsozialistischen Europavorstellungen mehr Aufmerksamkeit gefunden; entsprechende Quellensammlungen sind jedoch weiterhin rar. In diesem Beitrag werden mit „Anatomie der Aggression“ von Gerhart Hass und Wolfgang Schumann, „Europa und das 3. Reich“ von Hans Werner Neulen sowie „National Socialist Ideas on Europe“ von Michael Salewski drei relevante Zusammenstellungen erläutert und problematisiert.
Die beiden wohl prominentesten antiliberalen Europapläne der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – der während des Ersten Weltkriegs von Friedrich Naumann im Rahmen der deutschen Kriegsziel-Diskussion verkündete „Mitteleuropa“-Plan sowie das „Neue Europa“ der Nationalsozialisten – erlangten nicht nur im öffentlichen Diskurs innerhalb Deutschlands Bedeutung. Als Bedrohungswahrnehmungen waren sie auch in den Ländern der Kriegsgegner präsent. Im Rahmen dieses Beitrags wird die diesbezügliche Berichterstattung englischer und amerikanischer Qualitätszeitungen („Times“, „Manchester Guardian“, „New York Times“, „Chicago Tribune“) untersucht. Mittels einer digitalen Volltextrecherche wird dabei methodisch eine Verbindung von medialer Inhaltsanalyse und Diskursanalyse angestrebt. So erlaubt die Arbeit mit Online-Archiven eine massive Ausweitung des bisher im Rahmen medienhistorisch angelegter Untersuchungen üblichen Quellenfundus sowie die Auswertung langer Zeiträume statt der bisher gängigen Stichproben. Nicht zuletzt die Möglichkeit einer verfeinerten Suche mittels Operatoren, Platzhaltern oder Begriffspaaren bietet unter anderem neuartige Einblicke in die diskursiven Kontexte der beiden antiliberalen Europakonzepte zur Zeit der Weltkriege und gestattet quantifizierende Rückschlüsse bezüglich deren Intensität. Wann und in welchen Formen wurden „Mitteleuropa“ und das „Neue Europa“ der Nationalsozialisten von britischen und amerikanischen Journalisten aufgegriffen? Worin wurde die Bedeutung dieser Konzepte gesehen? Die übergreifende These lautet, dass die massive Angst vor den antiliberalen deutschen Europamodellen bei Engländern und Amerikanern der Einsicht den Weg bereitete, dass eine aktive eigene Europapolitik und letztlich die Ausarbeitung eines alternativen liberal-demokratischen Einigungsplans notwendig sei.
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs schien eine europäische Neuordnung im Sinne internationaler Zusammenarbeit, gemeinsamer liberaler Werte und demokratischer Regierungsformen greifbar zu sein. Kaum jemand ahnte, wie rasch die ideellen Grundpfeiler des westlichen Modells, die US-Präsident Wilson in seinem 14-Punkte-Plan skizziert hatte, durch multiple Krisen erschüttert würden. Die Situation unterschied sich sehr deutlich von den epochalen Zäsuren der Jahre 1945 oder 1989, als die liberale Ordnung in Westeuropa eine historische Legitimation für sich beanspruchte. Nach 1918 zeichnete sich bald ab, dass kein Spielraum für eine selbstgewisse liberaldemokratische Verortung am „Ende der Geschichte“ vorhanden war. Anstelle einer Rückkehr zum optimistischen Fortschrittsparadigma drohte allenthalben Regression.
Am 17. November 1922 erschien in der Wiener Tageszeitung „Neue Freie Presse“ ein „Vorschlag“, den man schon zwei Tage davor in der „Vossischen Zeitung“ hatte lesen können. Der Artikel stammte von Richard Coudenhove-Kalergi und bot eine pointierte Zusammenfassung seines wenig später erscheinenden Bandes „Pan-Europa“. Das Ziel des Autors: Europa solle sich zu einer politischen Einheit zusammenschließen.
Christliches Abendland gegen Pluralismus und Moderne. Die Europa-Konzeption von Christopher Dawson
(2012)
Der englische Kulturhistoriker Christopher Dawson (1889–1970) bewegte sich im Laufe seiner Karriere eher am Rande der institutionellen akademischen Welt. Genau genommen kam Dawson erst 1958 zu akademischen Ehren, als er auf den neu geschaffenen Lehrstuhl für Römisch-Katholische Theologische Studien der Universität Harvard berufen wurde. Dennoch ist Dawsons früheres Werk auch heute noch populär. Insbesondere im katholisch-intellektuellen Milieu bzw. im katholisch geprägten geisteswissenschaftlichen und theologischen Kontext wird Dawson rege rezipiert. Der eigentliche Grund, sein Werk „neu“ zu lesen, liegt an dieser Stelle jedoch in Dawsons Bedeutung für eine Tradition antiliberaler Europa-Konzeption, die in der Zwischenkriegszeit entwickelt, unter anderen Vorzeichen aber auch in der Nachkriegszeit wirkungsmächtig wurde. Dawsons geschichtsphilosophischer Ansatz bestand in einer Fundamentalkritik der europäischen Aufklärung und in der Herleitung Europas über das abendländische Mittelalter, dessen Beitrag zur europäischen Zivilisation er der modernen nationalstaatlichen Entwicklung entgegenhielt. Zentral für Dawsons Werk und sein Wirken war die historische Konstruktion abendländischer Kultureinheit in seinem wohl bekanntesten Buch: „The Making of Europe“ von 1932.
Der Schlaf scheint auf den ersten Blick eine „anthropologische Konstante“ zu sein. Eine Historisierung der Regeln und Praktiken des Schlafs im 20. Jahrhundert kann jedoch zeigen, wie eng Vorstellungen vom „richtigen“ Schlafen an die Machtstrukturen der Gesellschaft geknüpft waren. Dieser Artikel geht der Frage nach, auf welche Weise Arbeitgeber, Sozialplaner, Ärzte und Psychologen auf den Schlaf und damit auf den Körper, die Arbeitskraft und die Zeit des Individuums zuzugreifen versuchten. Anhand von fachwissenschaftlichen Veröffentlichungen und Diskussionen, aber auch von populären Ratgebertexten wird in einem ersten Schritt untersucht, wie und warum der Rhythmus des Schlafs seit Ende der 1920er-Jahre zu einem stark beachteten Thema wurde. In einem zweiten Schritt geht es um die Veränderungen, die der Zweite Weltkrieg im Umgang mit dem Schlaf bewirkte. In einem dritten Schritt wird der entscheidende Bruch in der Mitte der 1950er-Jahre untersucht, der das schlafende und arbeitende Individuum zum Gegenstand einer modernen Schlafforschung und neuer Schlafregeln machte.
Angela Davis war eine der intellektuellen Leitfiguren der afroamerikanischen Bewegungen für Freiheit und Gleichheit in den USA. Als sie von 1970 bis 1972 inhaftiert war, gab es in der DDR eine breite Solidaritätskampagne, initiiert von der SED-Führung und mobilisiert durch die Massenorganisationen. Diese Kampagne verweist auf eine transnationale Dimension in der Geschichte der DDR; Davis wurde als „unsere Genossin“ vereinnahmt. Der Beitrag zeigt, welche Bedeutung die Kampagne im Rahmen der internationalen Anerkennungsbestrebungen der DDR hatte, welchen Stellenwert sie aber auch innenpolitisch gewann. Nach ihrer Freilassung besuchte Davis 1972 und 1973 die DDR und wurde als sozialistische Heldin präsentiert. Dies ist nicht allein als Ausdruck propagandistischer Steuerung zu verstehen, sondern zugleich als Teil einer genuinen Alltagskultur des Kalten Kriegs in der DDR.
Die Lebensgeschichte des SED-Chefs Erich Honecker (1912–1994) gilt gemeinhin als reizlos. Näheres biographisches Interesse hat bislang vor allem die Frage erweckt, weshalb ein so „mittelmäßiger“ Parteifunktionär sich über 18 Jahre lang in der DDR an der Macht halten konnte. Der Beitrag versucht zu zeigen, dass ein klassischer individualbiographischer Zugang dem Phänomen des „blassen Diktators“ Honecker nicht gerecht wird. Erst in einer milieu- und generationsgeschichtlichen Perspektive wird die biographische Bindungskraft des Herrschaftsstils fassbar, den Honecker als Repräsentant der jüngsten Kohorte der ostdeutschen Gründergeneration entwickelte. Die für ihn charakteristische Verbindung von Starrheit und Elastizität trieb zunächst den Übergang der kommunistischen Herrschaft in ihre auf bloße Machtsicherung bedachte Veralltäglichungsphase voran; später beschleunigte sie den Untergang dieses Systems.
Obwohl in der deutschen Zeitgeschichte über den Zugang zu politisch sensiblen Akten seit einigen Jahren diskutiert, mit Archiven und Behörden verhandelt oder gar öffentlich gestritten wird, sind die Vorgeschichten, Wege und Umwege dieser Konflikte noch so gut wie unerforscht. Abgesehen von Astrid M. Eckerts weiterhin einschlägiger Studie zum „Kampf um die Akten“ des NS-Staats nach 1945 hat sich die zeithistorische Forschung selten für die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Faktoren interessiert, von denen der Gebrauch staatlichen Schriftguts durch Historiker, Journalisten und Juristen abhing. Wer sich über den Wandel der Nutzungsbedingungen, der Rechtslage und der gesellschaftlichen Nachfrage nach Akten informieren möchte, kann bislang nur auf wenige Spezialstudien zurückgreifen.
In France, the culture of secrecy continues to dominate access policies. The acceptance of or resistance to this culture by various social actors, including government officials, civil servants such as archivists, historians, independent scholars, and journalists, partly explains the historical tension between advocates of a more restrictive or liberal policy of access to government records deemed ‘sensitive’. Unlike the American case with its long-established right to access, in France, access to information is just starting to be considered a citizen’s right. Initial reactions to the first version of my book (1994) sparked a rather violent debate. In the controversy, most of the archivists and some influential historians either denied or justified the difficulty of accessing so-called ‘sensitive archives’. Indeed, thanks to the ‘invisibility’ of this question until then, a book dedicated to the ‘Vichy Syndrome’, which had been published some years before, did not even mention this problem as evidence of France’s difficulties in facing the past.
After a seven-year period of military dictatorship and following the reestablishment of parliamentary democracy in 1974, historical studies have been a continuously developing field in Greece. Similarly as in Spain and Portugal at much the same time, archives became accessible for academic historians. The general public’s expectations about the establishment of historical ‘truth’ concerning the recent past were pressing.1 It is against this backdrop that we propose to review the changing conditions of historical research and especially the challenges involved in gaining access to primary sources, in particular those related to ‘national matters’. We will try to show the ways in which the particularities of the Greek case have to do with the history of civil rights in the country in the twentieth century, both during the interwar years and – more dramatically – during the Cold War period.
Zur Durchsetzung einer Apologie. Hermann Lübbes Vortrag zum 50. Jahrestag des 30. Januar 1933
(2013)
Soll nun schon an das Jubiläum von Vorträgen erinnert werden, ließe sich fragen. In diesem Fall durchaus, denn gerade der Vortrag des Philosophen und Politikwissenschaftlers Hermann Lübbe anlässlich des 50. Jahrestags der nationalsozialistischen „Machtergreifung“, den er am 15. Januar 1983 im Berliner Reichstagsgebäude hielt, hat in der zeitgeschichtlichen Zunft eine ganz ungewöhnliche Karriere aufzuweisen. Hier, so der weit verbreitete Eindruck, hatte es ein kühl und nüchtern argumentierender konservativer Intellektueller den linken Moralisierern, die den angeblich defizitären Umgang mit der NS-Vergangenheit zur Diskreditierung der bundesdeutschen Gesellschaft funktionalisierten, einmal so richtig gegeben. Der thesenförmige Vortrag, sehr bald und an verschiedenen Orten veröffentlicht, gilt mitunter geradezu als kanonischer Text.
Diesen Spielfilm umgab nicht nur hierzulande lange ein hartnäckiges Missverständnis. Er feiere, so hieß es, eine glitzernde Scheinwelt, in der narzisstische Mitmacher konsumierten statt kritisierten. Er repräsentiere den neukonservativen Wertehimme der „Lord-Extra-Generation angepaßter Jungen und Mädchen“.1 Andere sahen eher Resignation und Flucht vor bedrückenden Gegenwartsproblemen. 1978, auf dem Höhepunkt der so genannten Disco-Welle, waren sich westdeutsche Beobachter aber darin einig, das massenhafte Tanzen zu elektronisch reproduzierter Musik als Anpassung und Entpolitisierung der jungen Generation deuten zu dürfen. Auch nachdem die Welle und die mit ihr verbundene Kulturkritik abgeflaut waren, blieb „Saturday Night Fever“ als belangloses „Sozialaufsteigerfilmchen“ gespeichert. Poststrukturalistisch gewendet lässt sich der Streifen als Auftakt zu einer Reihe international erfolgreicher Tanzfilme wie „Fame“ (1980), „Flashdance“ (1983) oder „Footlose“ (1984) verstehen, die in den neoliberalen 1980er-Jahren dem Publikum ein unternehmerisches Verhältnis zum eigenen Körper nahebrachten.
Wie lässt sich soziale Ungleichheit in staatssozialistischen Gesellschaften konzeptionell fassen? Der Beitrag stützt sich auf neuere Ungleichheitskonzepte der Soziologie und führt die Debatte um das Verhältnis von Sozial- und Geschichtswissenschaften fort – im Hinblick auf aktuelle Fragen einer Gesellschaftsgeschichte der kommunistischen Diktaturen. Diskutiert werden die gewollten und ungewollten Verteilungen sozialer Vor- und Nachteile, die innergesellschaftlichen Diskurse über „Privilegien“ und „arbeiterlichen Egalitarismus“ sowie die sozialen Dynamiken im Vorfeld der Systemtransformationen Ende der 1980er-Jahre. Besonders am Beispiel der DDR zeigt der Aufsatz die „intersektionale“ Verteilung von Armut und Reichtum nach Einkommen, bürokratischen Mechanismen und Effekten des „grauen“ Marktes. Eine weiterführende These lautet: Es gab einen engen Zusammenhang zwischen der sozialen Differenzierung im späten Staatssozialismus vor 1989/90 und der „Verungleichung“ danach.
Im sozialistischen Polen war soziale Ungleichheit kaum ein Thema öffentlicher Debatten. Nach 1989 hingegen wurde sie zu einer Streitfrage, denn die Transformation erzeugte neue Formen von Armut und Reichtum bzw. machte auch ältere Formen stärker sichtbar. Hatten die Polen das politische Establishment der Volksrepublik abgewählt, weil die Regierung ihr Gleichheitsversprechen nicht hatte halten können, oder weil sie sich als unfähig erwiesen hatte, den Niedergang der Wirtschaft aufzuhalten? Meinungsumfragen, die von den 1960er-Jahren bis in die späten 1980er-Jahre durchgeführt wurden, geben darauf einige Antworten; sie werden im vorliegenden Beitrag erstmals systematisch herangezogen und quellenkritisch eingeordnet. Bis Mitte der 1980er-Jahre unterstützte ein großer Teil der Bevölkerung soziale Gleichheit und kritisierte soziale Unterschiede. Das änderte sich fundamental, als die soziale, politische und private Frustration der Bürger zusammenfiel mit einem tiefen wirtschaftlichen Niedergang. Nun wurde das bisherige System als Hindernis auf dem Weg zu radikalen marktwirtschaftlichen Reformen betrachtet. Dass mit solchen Reformen wachsende Ungleichheit verbunden sein würde, war den Befragten durchaus bewusst.
As a striking phenomenon of Soviet consumption, Beriozka stores appeared in the late 1950s and existed until the end of the 1980s. This chain of stores was a state trade organization selling goods that were otherwise in short supply (cars, fashionable clothes, household appliances, etc.) for special ‘checks’ used as equivalents of foreign currency by special groups of Soviet citizens. Similar stores existed in other socialist countries. The article shows that these stores on the one hand became an element of the existing system of state-granted entitlements. The customers were Soviet citizens who earned money abroad as well as people who did not go abroad but received remittances from foreign sources. On the other hand, the development of the black market (barely persecuted by the state) made it possible to purchase Beriozka checks for roubles; so it granted access to sought-after goods (among them even goods from the West) to a wide range of consumers. Paradoxically, Beriozka was criticized and much frequented at the same time.
Welches Maß an Gleichheit muss eine sozialistische Gesellschaft garantieren, und wie viel Ungleichheit benötigt sie, um nicht in Stagnation zu versinken? Solche Fragen beschäftigten die sowjetischen Bürger nicht erst seit der perestrojka, aber in dieser Phase wurde der von der Kommunistischen Partei vorgegebene Diskursrahmen erweitert und schließlich gesprengt. Die Privilegien der Nomenklatura boten das Feld, auf dem über Ungleichheit und Verteilungsgerechtigkeit gestritten wurde. Briefe von Bürgern an die Deputierten des Obersten Sowjets aus den Jahren 1989/90, die in diesem Aufsatz erstmals näher erschlossen werden, geben Einblick in unterschiedliche Positionen. Deutlich wird, dass nicht die Prinzipien der Verteilung als ungerecht galten (Leistungen für Staat und Gesellschaft als primäres Kriterium), aber ihre Ergebnisse. Ausgehend von Fragen sozialer Gerechtigkeit erweiterte sich die Debatte um Fragen politischer Gerechtigkeit; sie mündete in eine grundlegende Kritik an der Parteiherrschaft und beschleunigte den Zusammenbruch der bisherigen Ordnung.
Der untergegangene Staatssozialismus war eine Gesellschaft der Gleichen. Mit ihrer Gleichheit war es aber so eine Sache. Wie es in Orwells „Farm der Tiere“ heißt: „Alle Tiere sind gleich. Aber manche sind gleicher.“ Trotz dieses Einwandes erscheint manchem die Unterscheidung zwischen vergangener Gleichheit und heutiger Ungleichheit plausibel, weil es seit 1989/90 eine rasante soziale Ausdifferenzierung gab. Sie hat den Staatssozialismus nachträglich in ein milderes Licht getaucht. Der vorliegende Essay wird sich mit dem sozialen Wandel und der Entstehung der gegenwärtigen Ungleichheit in Osteuropa beschäftigen – die einigen als gerecht, anderen aber als ungerecht erscheint. Um genauer verstehen zu können, was die Ungleichheit für die Politik und den Alltag in diesen Gesellschaften bedeutet, soll gefragt werden: Wie stand es mit Gleichheit und Ungleichheit im Spätsozialismus? Welche Art von sozialer Ungleichheit bildete sich nach 1989 heraus, und welche Aufgaben für deren politikwissenschaftliche und zeitgeschichtliche Analyse lassen sich identifizieren?
Der Homo Sovieticus und der Zerfall des Sowjetimperiums. Jurij Levadas unliebsame Sozialdiagnosen
(2013)
Der Mythos vom „neuen Menschen“ ist keine sowjetische Erfindung, sondern Teil der europäischen Ideengeschichte seit dem 18. Jahrhundert. Er nahm unterschiedliche Formen und Gestalten an, um zahlreichen politischen Ideologien zu überwältigenden Zielen und damit zu gesellschaftlichem Zuspruch zu verhelfen. In keinem anderen Land hatte der Mythos vom „neuen Menschen“ aber einen so starken Einfluss auf soziale Identitäten und politisches Handeln wie in der Sowjetunion. Die in den 1930er-Jahren zementierte Konzeption vom „Homo Sovieticus“ war zentral für die triumphale Selbstdarstellung des ersten sozialistischen Staats. Sie brachte eine historische Mission der Weltbefreiung und -eroberung und damit einen kollektiven Erlösungsglauben eindrucksvoll zur Anschauung. Darin ging sowohl das klassische marxistische Bild vom kämpferischen, siegreichen Proletariat ein als auch die überlieferte Vision von einer besonderen historischen Bestimmung des russischen Volks. Das sich aus den „neuen Sowjetmenschen“ bildende „Sowjetvolk“ werde aller Ausbeutung und Unterdrückung ein Ende bereiten und neben der Freiheit auch den hehren revolutionären Idealen der Gleichheit und Brüderlichkeit den Weg in die Wirklichkeit ebnen.
Der Beitrag befasst sich mit dem „Peckham-Experiment“, einem Forschungsprojekt, das in den 1930er- und 1940er-Jahren im „Pioneer Health Centre“ (PHC) durchgeführt wurde, einem Freizeit- und Gesundheitszentrum im Londoner Stadtteil Peckham. Im Fokus der Fallstudie steht die Genese neuen präventionsmedizinischen Wissens und neuer vorsorgebezogener Praktiken. Die beteiligten Experten versuchten, das „natürliche“ Potential von Individuen und die sozialen Beziehungen zwischen Familien zu nutzen, um ein gesundheitsförderliches Verhalten zu stimulieren. Das „Peckham-Experiment“ wird im Kontext der britischen wohlfahrtspolitischen Debatten und der biologisch-medizinischen Theorien seiner Gründungszeit analysiert. Gezeigt wird aber auch, dass der neue, stark auf Selbstverantwortung gerichtete Ansatz des PHC sich zudem aus den spezifischen Herausforderungen der „Laborsituation“ ergab, die im Laufe des Experiments zur Revision interventionistischer Vorannahmen führten. Allerdings waren andere Wissenschaftler skeptisch gegenüber den in Peckham gewonnenen Erkenntnissen. Zudem ließ sich das PHC nicht in den neuen „National Health Service“ integrieren. Beides bewirkte 1950 letztlich die Schließung des Centres.
Der Aufsatz entwirft eine Zeitgeschichte der Vorsorge, die sich für den hygienepolitischen Übergang von Praktiken der Intervention und Krisenbewältigung zu Praktiken der Prävention interessiert. Am Beispiel der Pestvorsorge in der Sowjetunion wird erstens ein Prozess der Institutionalisierung, Professionalisierung und Verwissenschaftlichung dargestellt. Zweitens werden die Eigenheiten des sowjetischen Falls herausgearbeitet. Die dortige Pestbekämpfung war bis in die 1930er-Jahre von Interventionen geprägt, die aus einem Repertoire repressiver, im Kontext der Zwangskollektivierung etablierter Maßnahmen schöpften. Der Umgang mit der Pest war nicht mit Aufklärung verknüpft, sondern mit Geheimhaltung. Die Einrichtung eines Netzwerks wissenschaftlicher Forschungsstätten führte zu einem Wandel im Umgang mit der Seuche. Dies war eingebettet in parallele Diskurse über administrative Grenzen und geographisches Wissen. Der Aufsatz stützt sich auf Quellen aus Staats- und Partei-Archiven in der Russischen Föderation und der Republik Aserbaidschan.
Impfungen sind ein Traum der Moderne: Sie versprechen den Schutz ganzer Gesellschaften. In den beiden deutschen Staaten wurde dieser Schutz mit unterschiedlichen Methoden vorangetrieben – das Mobilisieren von Ängsten, Appelle an die Sorge um das Gemeinwohl oder die Durchsetzung von Impfpflichten sollten die Gesundheit des Einzelnen und den „Herdenschutz“ der Gesellschaft sichern. Der Aufsatz erkundet die deutsch-deutsche Geschichte des Impfens von den 1950er-Jahren bis 1989/90. Im Fokus stehen Aushandlungen von Risiko- und Sicherheitsvorstellungen, Versuche eines „Emotion Management“ sowie Debatten über das Verhältnis zwischen staatlicher Interventionsmacht und staatsbürgerlicher „Mündigkeit“. Anhand der Konflikte zwischen der Bundesrepublik und der DDR wird zudem gezeigt, dass der Wettlauf um die bessere Immunisierung ein Kampf um die bessere soziale Ordnung war. Andererseits wird belegt, dass es auf dem Gebiet der Impfpolitik gerade in den 1980er-Jahren eine wachsende Tendenz zur deutsch-deutschen und internationalen Kooperation gab.
Eine Geschichte der genetischen Beratung in der Bundesrepublik ist noch nicht geschrieben. Dies ist erstaunlich, lassen sich in der Verbindung von Beratungspraxis und Behinderung, Konzepten und Kritik an der Humangenetik doch grundsätzliche Fragen zum Wandel von Normalitätsvorstellungen, Geschlechterrollen und Gesellschaftsbildern verfolgen. Im Mittelpunkt des Aufsatzes steht ein brisantes Thema: Sterilisationsempfehlungen für geistig behinderte Frauen und Mädchen, die in den 1970er- und 1980er-Jahren ausgestellt wurden. Am Beispiel einer Hamburger humangenetischen Beratungsstelle betrachtet der Aufsatz das damalige Verhältnis von Genetik, Behinderung, Geschlecht und Vorsorgekonzepten. Die Kritik an der Sterilisationspraxis bildet einen weiteren Schwerpunkt des Beitrags. In den frühen 1980er-Jahren trugen Gegner und Befürworter geschichtspolitisch aufgeladene Kontroversen aus, die neue Blicke auf Behinderung hervorbrachten, zugleich aber auch Ambivalenzen gesellschaftlicher Liberalisierungsprozesse erkennen lassen.
What is striking about recent research on residential care is not only its national bias and its tendency to neglect regional variations in ‘texture’, but also its preoccupation with contemporary issues and its lack of historical context. The notion of contingency, that is, the idea that things might have evolved differently, often seems to be missing. Moreover, most of the literature appears to be one-dimensional, downplaying the diversity, complexity and ambiguity of real developments. It often lacks an awareness of the power of precedents in shaping society’s attitudes to residential care and the practical responses to this problem. This is particularly important because, as this article tries to demonstrate, the present situation of residential care reflects the cumulative impact of traditions and cultural norms, of past decisions and commitments.
Das Jahr 2012 bot der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Köln (BZgA) Grund zum Feiern: Einer ihrer einflussreichsten „Mitarbeiter“ konnte auf 25 Dienstjahre zurückblicken. Rund drei Viertel aller Bundesbürger waren dem Jubilar, der sich seit 1987 traditionell in den Farben Weiß, Rot und Schwarz kleidet, im Vorjahr auf der Straße, im Kino oder im Internet begegnet. Zwar hatte er sich im Laufe der Jahre hier und da etwas verändern müssen – gleichwohl wurde er durch seinen Arbeitgeber niemals ersetzt. Die Rede ist vom Slogan „GIB AIDS KEINE CHANCE“, dem Markenzeichen der zentralen BZgA-Aidspräventionskampagne.
Es ist ein Jahrhundertbuch. 1901 mit über 800 Seiten erstmals veröffentlicht – bei späteren Auflagen waren es meist über 1.000 –, erreichte das Buch 1913 die erste Million. 1929 folgte eine „Neue Dritte Millionen-Ausgabe“, die zu dieser Zeit allerdings eher eine Absicht anzeigte als die tatsächlich erreichte Auflage. Denn 1969, nach mehreren Neuauflagen, Volks- und Buchgemeinschaftsausgaben meldete das Süddeutsche Verlags-Institut Julius Meyer, in dem „Die Frau als Hausärztin“ seit 1901 erschienen war, eine Gesamtauflage von „nur“ 3.365.000 Exemplaren. Die letzten Auflagen publizierte 1979, 1985 und 1993 der inzwischen von Random House aufgekaufte und eingestellte Falken Verlag.
Wie für viele neue Staaten und »Entwicklungsländer« in der Ära nach dem Zweiten Weltkrieg spielten transnationale Dynamiken des Wissenstransfers auch für das 1948 gegründete Israel eine wichtige Rolle. Eine geradezu staatstragende Funktion kam dabei der entstehenden Raumplanung zu. Die israelischen Planungseliten waren durch ihr Studium und durch Grundannahmen des »Social Engineering« eng mit der deutschen Wissenskultur und speziell mit der Raumordnung verflochten – auch über die Zäsur von 1945 hinweg. Der Aufsatz untersucht die Rezeption der Theorie »zentraler Orte« im Kontext des ersten, meist als »Sharonplan« bezeichneten israelischen Nationalplans von 1951. Die 1933 durch Walter Christaller publizierte Theorie hatte auch einen konzeptionellen Eckpfeiler des »Generalplans Ost« gebildet, den die SS bzw. der »Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums« (RKF) nach 1939 zur »Germanisierung« der eroberten Ostgebiete entwickelt hatte. Die Ambivalenz der israelischen Rezeptionslinie wird anhand der Biographien dreier Planer geschildert (Eliezer Brutzkus, Artur Glikson, Ariel Kahane).
Die Arbeitsumstände der westlichen Korrespondenten, die während des Ost-West-Konflikts aus der Hauptstadt der Sowjetunion berichteten, waren ein alltäglicher Ausdruck gerade jener widersprüchlichen politischen Entwicklungen, über die sie eigentlich informieren wollten, zu denen ihnen aber oft der Informationszugang und die erforderlichen Übermittlungswege versperrt waren. Der Beitrag beleuchtet die Hindernisse, mit denen die Journalisten um 1960 zu kämpfen hatten und die ihnen selbst nur in zweiter Linie berichtenswert erschienen. Wie gingen die Journalisten an der Schnittstelle zwischen Ost und West mit solchen Schwierigkeiten um? Wenn man die Tätigkeit der westlichen, speziell der westdeutschen Korrespondenten in Moskau näher betrachtet, wird es möglich, ein vielschichtiges und präzises Bild des Ost-West-Konflikts jenseits der außenpolitisch-diplomatischen Ebene zu erhalten sowie die in den westlichen Medien verbreiteten Nachrichten als kontextgebundene Produkte zu analysieren.
Die Automatisierung der industriellen Produktion hat innerhalb der Geschichtswissenschaften bislang erstaunlich wenig Aufmerksamkeit gefunden. An einem Fallbeispiel, der Halle 54 bei Volkswagen in Wolfsburg, widmet sich der Aufsatz den Grenzen der (Voll-)Automatisierung, wie sie in den 1980er-Jahren sichtbar wurden. Die Halle 54, eröffnet 1983, wurde zeitgenössisch als »Modell des technischen Fortschritts« bezeichnet. Hier hatte VW in einem weltweit beachteten Versuch die komplizierte Endmontage zu 25 Prozent automatisiert. Die anfangs gefeierten Roboter erwiesen sich jedoch schnell als fehlerhaft. Der Beitrag analysiert insbesondere das Mensch-Maschine-Verhältnis und dessen damalige Bewertung. Das Fallbeispiel verdeutlicht zum einen die aufgeregten Diskurse der 1980er-Jahre um eine scheinbare Wiederentdeckung menschlicher Überlegenheit gegenüber der Maschine; zum anderen zeigt es die Grenzen der Vollautomatisierung in der Endmontage, die bis heute als zu schwierig für Roboter gilt. Gleichwohl führten diese Erfahrungen nicht zu einer prinzipiellen Abkehr von der Automatisierung, sondern vielmehr zu einer »angepassten Automatisierung«.
Angesichts der kaum zu überschätzenden Bedeutung von Bildern für die Erinnerung und insbesondere von Fotos für das »Erscheinungsbild« der jüngeren Geschichte ist es frappierend, dass das Bildgedächtnis zur Zwangsmigration der Deutschen aus dem Osten am Ende des Zweiten Weltkriegs und in seinem Gefolge bislang kaum Beachtung gefunden hat. Erst in den letzten Jahren haben einige Historikerinnen und Historiker auf diese wichtige Forschungslücke hingewiesen und versucht, sich den kollektiven Bilderwelten von Flucht und Vertreibung anzunähern. Bislang wurden dabei insbesondere zentrale Bildmotive von ikonischer Qualität eruiert – wie der Flüchtlingstreck und das Mutter-Kind-Motiv –, ihre politisierten Entstehungskontexte untersucht und ihr strategischer Gebrauch in der Vertreibungserinnerung bestimmt.
Hochgespannte Erwartung. H.G. Wells’ Utopie einer »befreiten Welt« am Vorabend des Großen Kriegs
(2014)
In der belletristischen Literatur spiegeln sich nicht nur die Vergangenheitsbilder einer Epoche, sondern ebenso ihre Vorstellungen von der Zukunft. Müsste man eine Rangliste der literarischen Propheten erstellen, welche als Seismographen die Erwartungen und Befürchtungen ihrer Zeit aufnahmen und verarbeiteten, so wäre dem britischen Autor Herbert George Wells (1866–1946) einer der obersten Plätze sicher. Wie kaum ein anderer Schriftsteller und Intellektueller der späten Viktorianischen Ära verknüpfte er in seinen Werken politische Zeitdiagnostik und phantastische Zukunftsvisionen, und dies nicht allein in den bekannten Klassikern der frühen Science-Fiction-Literatur »The Time Machine« (1895) und »The War of the Worlds« (1898). Wells war ein gleichermaßen populärer, produktiver wie politisch entschiedener Autor, der insgesamt mehr als 50 Romane und eine noch größere Zahl von Sachbüchern vorlegte, von zahllosen Erzählungen und journalistischen Gelegenheitsarbeiten ganz abgesehen.
»Berlin war anders«, schrieb die Journalistin Susanne Kippenberger 2009 in treffender Hilflosigkeit über das eingemauerte Gebilde zwischen DDR und Bundesrepublik, dessen quecksilbrige Facettenvielfalt so eigentümlich mit seinen scharf markierten Grenzen kontrastiert. Das Berlin, das sie meinte, war West-Berlin – in ihrer Erinnerung einerseits wild und elektrisierend, andererseits übersichtlich und familiär, eigentlich riesengroß und doch eher ein Dorf. West-Berlin war anders – aber wie und was war West-Berlin?
In spite of the prevailing myth, neither the political self-conception of West Berlin that emerged soon after the war nor the city’s international image were mere by-products of the Cold War. They resulted, rather, from a binational campaign that was based on strategic considerations. Returned Social Democratic émigrés, sympathetic American officials, and certain journalists convinced the German and the American public of West Berlin’s heroic defence of democratic ideals with remarkable speed and success. They could rely on both tangible and intangible resources for their campaign of erecting an ›Outpost of Freedom‹ in what was left of the former Reichshauptstadt. While the heady Weimar days of pre-war Berlin provided countless images that appeared to authenticate this new narrative, the transatlantic network was also able to draw on considerable financial resources and media outlets to promote it. This article seeks to outline the historical actors behind the project and the narratives on which they drew.
Warum wurde eine West-Berliner Großsiedlung weit über die Grenzen der Stadt hinaus zum viel zitierten Beispiel einer fehlgeschlagenen Stadtplanung und sozialer Probleme? In den Jahren um 1970 erschien eine beeindruckende Zahl an Zeitungsartikeln, Filmen und wissenschaftlichen Studien, die sich mit dem Märkischen Viertel befassten – einer Großsiedlung, die von 1963 bis 1974 am nördlichen Stadtrand West-Berlins entstand. Der Aufsatz folgt der diskursiven Herstellung des Viertels als urbaner Problemzone. Er zeigt, wie darin eine Desillusionierung über die urbane Moderne zum Ausdruck kam, die eng verknüpft war mit der Sorge um eine neue Schicht von desintegrierten Randständigen. Durch ihre Forschungs-, Sozial- und Medienarbeit wirkten in erster Linie Angehörige eines linksalternativen Milieus, das in West-Berlin besonders aktiv war, auf die mediale Darstellung des Viertels ein. In ihrem Bemühen, gesellschaftliche Missstände aufzudecken, trugen sie unfreiwillig zu der nachhaltigen Abwertung des Quartiers bei. Dessen Image war verbunden mit der Suche nach alternativen Beschreibungen der »Ränder« der Gesellschaft angesichts einer sich auflösenden traditionellen »Arbeiterklasse«.
Der Aufsatz untersucht die städtebaulichen Debatten um das leere Zentrum, das die West-Berliner Politik und Stadtöffentlichkeit seit Anfang der 1980er-Jahre neu für sich entdeckten. Als die Internationale Bauausstellung (IBA) an Gestalt gewann, erwies sich die »Stadtwüste« zwischen Reichstag, Mauer, Kulturforum und ehemaligem Prinz-Albrecht-Gelände als besonders sensibel. In verschiedenen Anläufen entwickelten Stadtplaner, Bürgerinitiativen und die Senatsverwaltung Zukunftspläne für das formlose Areal an der Mauer. Je intensiver dieser »Zentrale Bereich« diskutiert, besichtigt und mit Bedeutungen aufgeladen wurde, desto höher wurden aber die Hürden, hier zu bauen. Schon vor 1989 lief die kulturelle Erschließung der Mitte auf die Konstruktion einer bis dahin unbekannten »Geschichtslandschaft« hinaus. »Spuren«, »Orte« und »Räume« fanden ein verstärktes Interesse – sowohl bei den entstehenden Geschichtswerkstätten als auch bei Architekten und Politikern. Zwar führte die West-Berliner Introspektion nicht zu konkreten Bauentscheidungen, doch stellte sie einen breiten, von der eigentümlichen Situation der Inselstadt geprägten Wissensvorrat bereit, der nach 1989 plötzlich höchst relevant und oft handlungsleitend wurde.
Stadtgeschichte als Zeitgeschichte. Methodische Impulse zur Historisierung West-Berlins. Einleitung
(2014)
Wem gehört die Stadt? Um diese Frage kreisen derzeit viele öffentliche Debatten in Berlin und anderswo. Steigende Mieten, die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, die globale Erschließung des Immobilienmarktes und die zunehmende Touristifizierung der Innenstädte sind nur einige der Themen, die seit einigen Jahren heiß diskutiert werden. Diese breite gesellschaftliche Relevanz hat zugleich zu einem deutlichen Aufschwung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Stadt als gestaltetem und häufig umkämpftem Lebensraum geführt. Dabei werden die städtischen Entwicklungen nicht nur aus sicherer Distanz reflektiert. Vielmehr bietet die Stadtforschung das theoretisch-methodische Arsenal, um bestimmte Prozesse im urbanen Raum zu begreifen und in der öffentlichen Debatte auf den Punkt zu bringen. So hat sich der sozialwissenschaftliche Begriff »Gentrification« inzwischen zu einem politischen Kampfbegriff entwickelt, mit dem die Verdrängung ärmerer Bevölkerungsschichten im Zuge urbaner Aufwertungsprozesse problematisiert wird. Die Grenze zwischen wissenschaftlicher Reflexion und politischer Intervention ist mitunter fließend.
Wolfgang Kaschuba zählt zu den bekanntesten empirisch forschenden Kulturwissenschaftlern in Deutschland. Er studierte Politikwissenschaft und Anglistik sowie Kulturwissenschaft und Philosophie. 1982 wurde Kaschuba an der Universität Tübingen promoviert, 1987 habilitierte er sich dort im Fach Empirische Kulturwissenschaft/Volkskunde. Seit 1992 lehrt er an der Humboldt-Universität zu Berlin als Professor für Europäische Ethnologie. Kaschuba war stellvertretender Sprecher des transatlantischen DFG-Graduierten-Kollegs »Metropolenforschung Berlin – New York« und Geschäftsführender Direktor des Georg-Simmel-Zentrums für Metropolenforschung. Zudem ist er Mitherausgeber mehrerer Buchreihen und Zeitschriften, darunter »Geschichte und Gesellschaft« sowie »WerkstattGeschichte«. Das Gespräch mit Wolfgang Kaschuba führte Hanno Hochmuth.
West-Berlin gerät in den »Erinnerungsmodus« (Aleida Assmann). Vor dem Hintergrund einer bislang fragmentarischen Re-Lektüre der Halbstadt auf Grundlage von Erinnerungsberichten der »Szene«, Publikationen zeitgenössischer Fotografien und nicht zuletzt der Tagespresse haben sowohl Berliner/innen als auch Auswärtige manche vergessenen oder verlorenen Orte wiederentdeckt.[1] Auffallend ist der Versuch, ein besonderes Lebensgefühl in West-Berlin mit seinen aus der Teilung resultierenden Spezifika sowie personalen Netzwerken und deren Orten zu beschreiben.[2] Was also macht West-Berlin erkennbar? Was war das Charakteristische der »real existierenden« Stadt, der dortigen Lebensweise(n), ihrer Nutzung? Im Erinnerungsmodus wird vorausgesetzt, dass West-Berlin etwas Besonderes gewesen sei. Damit ist ein ganzes Bündel von Faktoren gemeint, angefangen von der politischen Lage über emotionale Einstellungen, der Bedeutung der Teilstadt im individuellen Lebenslauf bis hin zum konkreten Erscheinungsbild. Unzweifelhaft gehört die Materialität der Stadt zu den Rahmenbedingungen, die eine spezielle Lebensweise hervorgerufen und begleitet haben.
Philadelphia, Detroit, The Bronx oder Saint Germain des Prés: Manchen urbanen Topographien hat sich die Musikgeschichte so sehr eingeschrieben, dass ihre Ortsnamen wie unverwechselbare Marken synonym für spezifische Sounds oder Pop-Stile stehen. Dies lässt sich auch in Deutschland finden. Seit kurzem wird hier die untergegangene »Halbstadt« West-Berlin mit Macht neu entdeckt. Zahlreiche Romane, Memoiren, Bildbände, Sachbücher und Ausstellungskataloge erinnern an ihre Popgeschichte.[1] Manche dieser Publikationen beschwören eine Art Westalgie,[2] die als retrospektives Unbehagen an den aktuellen Umbrüchen verstanden werden kann. Im Kontrast zur sich rasant verändernden Hauptstadt der Berliner Republik erscheint der Westen der geteilten Stadt darin als ein Ort, der zwar im Zentrum der geopolitischen Konflikte seiner Epoche lag, gleichzeitig aber – zumindest in den letzten zwei Jahrzehnten seiner Existenz – davon scheinbar unberührt die Kulisse einer hedonistischen Freizeitgesellschaft bildete, die sich in künstlerischen Avantgarden sowie politisierten und subkulturellen Milieus formierte. Man mag hier Ansätze der Mythenbildung erkennen, doch rückt damit die Sonderrolle der vergangenen Stadt in den Fokus.
West-Berlin galt besonders in den 1980er-Jahren als Hochburg der Subkultur, als Labor des stadtpolitischen Protestes und Experimentierfeld einer anderen Stadtpolitik. Speziell der Bezirk Kreuzberg ist mit seiner Geschichte der Hausbesetzungen und regelmäßigen Krawalle, aber auch mit dem Konzept einer »Behutsamen Stadterneuerung« (im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 1984) zum Synonym für eine Stadtentwicklung jenseits des Mainstreams geworden.
West-Berlin hat Konjunktur. Nostalgische Erinnerungen widmen sich der Insel inmitten der DDR; die alte City West rund um den Breitscheidplatz wird wiederentdeckt; Ausstellungen beschäftigen sich mit West-Berlin und seinen Heroen. Vor allem aber boomt das visuelle Gedächtnis der Teilstadt. In dichter Folge erscheinen derzeit Bildbände mit Fotografien, die von der frühen West-Berliner Nachkriegszeit bis zum Fall der Mauer reichen. Besonders der Bezirk Kreuzberg findet hierbei ein unvergleichliches Interesse: Allein im Jahr 2013 erschien ein halbes Dutzend neuer Bildbände mit zeithistorisch interessanten Kreuzberg-Fotos.
Unmittelbar nach dem Bau der Mauer, die West-Berlin zu einer eingeschlossenen Stadt machte, bot das bundesdeutsche Fernsehen, dessen selbstverständlicher Teil auch die Sendungen des Senders Freies Berlin (SFB) waren, einen audiovisuellen Kontakt zur Welt nach ›draußen‹ – oft sogar ›live‹, so dass man als West-Berliner teil hatte am Geschehen der westlichen Welt. Für die innere Gemütsverfassung sorgten jedoch spezifisch West-Berliner Programmbeiträge, die vom sicheren und zugleich idyllischen Leben auf der Insel im DDR-Meer erzählten und die ein Gefühl von Geborgenheit vermittelten. Mein frühester Eindruck stammt aus der Serie »Jedermannstraße 11«, die von einem Berliner Mietshaus handelt und von der ich einige Folgen als 17-Jähriger 1962/63 gesehen habe: mit eingängig wiederkehrender Titelmusik, mit bekanntem Personal wie dem in West-Berlin legendären Volksschauspieler Willi Rose, von dem die Eltern schwärmten; herzhaft und immer gut gelaunt, immer einen Scherz auf den Lippen, von seiner Frau (gespielt von Berta Drews) liebevoll in die Seite geknufft. Das Fernsehen war zu dieser Zeit noch ein neugierig-lustvolles Anschauen der Welt im Familienkreis. Denn wie die Menschen in dieser Serie, so lebten wir auch.
Stress ist ein ubiquitärer Begriff – seine geschichtswissenschaftliche Erforschung aber hat erst begonnen. Der Aufsatz skizziert programmatisch die Genese und die Funktionen des Stresskonzepts im 20. Jahrhundert. Dabei wird Stress nicht in erster Linie als Syndrom und Krisenphänomen betrachtet, sondern als Deutungs- und Handlungsangebot westlicher Gesellschaften, die sich als instabil, wandelbar, innovativ und dynamisch begreifen. Die performative Kraft des Stresses als Modus gesellschaftlicher Selbstreflexion wird in vier historisch und systematisch aufeinander bezogenen semantischen Feldern untersucht: Stress als Regulations- und Anpassungsmodell, Stress als Prinzip der Wettbewerbsgesellschaft (mit engen Beziehungen zu Arbeit, Leistung und Erfolg), Stress als Zivilisationskritik (mit der stressfreien Gesellschaft als utopischem Gegenbild) sowie Stress als flexible Ökologie von Mensch-Umwelt-Verhältnissen. Dabei handelt es sich weniger um eine chronologische Ordnung als vielmehr um Deutungsvarianten, die in unterschiedlichen Verwendungskontexten aufkamen und sich im heutigen Stressbegriff überlagern.
»Aktiv gegen Streß« – mit dieser Schlagzeile informierte »Der Scheibenwischer«, die Werkszeitung der IG Metall für die Beschäftigten der Daimler-Benz AG und der Mercedes-Benz AG am Standort Stuttgart, im Mai 1990 über die laufenden Tarifverhandlungen. Arbeitstempo und Leistungsdruck nähmen rasant zu, diesem Trend müsse man gemeinsam entgegenwirken. Dazu habe die IG Metall für die Tarifrunde ein »Anti-Streß-Paket« geschnürt, in dessen Mittelpunkt die Forderung nach einer 35-Stunden-Woche »für mehr freie Zeit und Lebensfreude« stehe. Die insgesamt acht Seiten des Hefts, das vor allem an die Angestellten in den Verwaltungszentralen des Konzerns verteilt wurde, informierten über Probleme wie Personalabbau, psychische Gründe für steigende Fehlzeiten und drohende Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen durch das von der Unternehmensberatung McKinsey eingeführte Programm zur »Optimierung der Gemeinkosten« (OGK). Hervorgehobene Kästchen definierten zentrale Begriffe der Artikel, darunter »Streß«. Mit Verweis auf das seit 1976 in vielen Auflagen erschienene Buch »Phänomen Streß« von Frederic Vester wurden in knappen Worten medizinischer Hintergrund und psychisch-soziale Folgen der modernen Industriegesellschaft für den »natürlichen Verteidigungsmechanismus des Körpers« zusammengefasst.
Seit den 1960er-Jahren ist die Kopplung von Stress und Vorsorge unter dem Stichwort der »Risikofaktoren« zunehmend populär geworden. Wahrscheinlichkeitskalküle, die auf die Steuerung und Verbesserung der kollektiven Gesundheit der Bevölkerung zielen, werden als Grundlage herangezogen, um dem Individuum eine Selbstverantwortlichkeit für seine Risikovorsorge zuzuschreiben. Dieser Ansatz ermöglicht die Übersetzung statistischer Wahrscheinlichkeiten in eine Hermeneutik des Selbst. Im Rahmen der Prävention verschiebt sich der Akzent von der Krankheitsdiagnostik auf die Gesundheitsvorsorge. Durch die Propaganda zur Risikoverhütung – dass der Gesunde pathogene Faktoren vermeiden solle – verschwimmt allerdings die Grenze zwischen Gesundheit und Krankheit. Das gilt auch für das Phänomen Stress. Obschon Stress selbst nicht als Krankheit gilt, wird in ihm doch ein potentieller Verursacher vermutet: eben ein »Risikofaktor«. Und auch wenn er damit als mögliche Ursache für viele Krankheiten verhandelbar wird, gibt es bestimmte pathologische Erscheinungen, mit denen er eine besonders innige Beziehung unterhält – dazu zählt der Herzinfarkt. Dieser wird zum Synonym für die Folgen eines von zu viel Stress bestimmten Lebens. Die Relation von Stress und Herzinfarkt lässt sich nicht nur medizinisch begründen; ihre kulturelle Plausibilität verweist auch auf eine symbolische Dimension. Das Herz als symbolischer Träger menschlicher Aktivität und Emotionalität gerät unter dem Eindruck der modernen Hetze außer Takt.
Im Laufe des 20. Jahrhunderts verwandelte sich die arbeitsfreie Zeit in ein Produkt der Leistungsgesellschaft: Der »Kult der Effizienz« dirigiere die Freiheit unserer Freizeit, so 1972 der Zukunftsforscher Horst Opaschowski. Jede Leistung bedürfe der »Abschlaffung«, verkündete ein Jahr später der Philosoph Franz Vonessen auf einer von der Carl Friedrich von Siemens Stiftung organisierten Vortragsreihe zum »Sinn und Unsinn des Leistungsprinzips«; eine Ausnahme bilde nur das »ernste Spiel der Gedanken« zum reinen Selbstzweck. Das allein am Erfolg orientierte Leistungsdenken sei ein »tödlicher Scherz«. Die wahre Leistung bestehe in der Ruhe, erinnerte er an Blaise Pascals berühmtes Diktum, also in der Fähigkeit des Menschen, in seinem Zimmer zu bleiben.
Viele Übersichtsdarstellungen zur Geschichte des 20. Jahrhunderts stützen sich auf das »konsumistische Narrativ«: die These, dass die Arbeitsgesellschaft der ersten durch die Konsumgesellschaft der zweiten Jahrhunderthälfte abgelöst worden sei. Betrachtet man dagegen die im Aufsatz besprochenen jüngeren arbeits- und konsumgeschichtlichen Studien, wird erstens deutlich, dass die Etablierung arbeitsgesellschaftlicher Phänomene im Laufe des 20. Jahrhunderts nur langsam erfolgte. Zweitens gewannen konsumgesellschaftliche Strukturen und Angebote nicht erst seit dem »Wirtschaftswunder« der Zeit nach 1945 an Bedeutung, sondern bereits in der ersten Jahrhunderthälfte. Konsum- und arbeitsgesellschaftliche Aspekte, so die These, etablierten sich im deutschsprachigen Raum nahezu parallel. Erstere ersetzten letztere nicht – vielmehr ergänzten sie sich. Vor diesem Hintergrund wird abschließend nach Ansätzen gefragt, die über das konsumistische Narrativ hinausführen.
Guerrilla Mothers and Distant Doubles: West German Feminists Look at China and Vietnam, 1968–1982
(2015)
Communist China and Vietnam looked like the future to many West German feminists in the years after 1968. This article reconstructs a lost history of influence, identification and emulation, tracing some of the ways that Chinese and Vietnamese communism inspired and attracted West German feminists from the late 1960s to the early 1980s. Beginning in a spirit of socialist universalism, West German feminists drew on reports of the experience of East Asian women who they felt lived in the ›liberated zones‹ of post-revolutionary society. Like the French radicals who declared that ›Vietnam is in our factories‹, West German feminists created a global framework for their activism. Looking east, they borrowed or adopted models of consciousness-raising and direct action from China and Vietnam. This article tracks the arc of exchange, from the enthusiasm of the late 1960s and 1970s to the West German feminist disenchantment with both East Asian communism and the global South by the early 1980s.
Wann und wie wandelten sich in der DDR-Gesellschaft langfristig politische Einstellungen und Wertorientierungen, wie sie dann 1989 in der Herbstrevolution sichtbar wurden? Anknüpfend an Konrad H. Jarauschs These von der »Umkehr« als fundamentalem Demokratisierungsprozess im geteilten Nachkriegsdeutschland untersucht der Beitrag die Möglichkeiten und Grenzen der Stellvertreterbefragungen, die das westdeutsche Meinungsforschungsunternehmen Infratest im Auftrag der Bundesregierung von 1968 bis 1989 durchgeführt hat. Befragt wurden westdeutsche Besucher der DDR über die Ansichten eines von ihnen definierten Gesprächspartners im ostdeutschen Staat, den sie besucht und mit dem sie ausführlich gesprochen hatten. Dieser Serie zufolge stand eine breite und wachsende »schweigende Mehrheit« der DDR-Einwohner dem System distanziert gegenüber, war aber weder im westlichen noch im östlichen Sinne besonders ideologisch präformiert. Sie maß die DDR vor allem an ihren praktischen Leistungen im Hinblick auf Lebensstandard und Perspektiven. Das Interesse an Politik sank ab Mitte der 1970er-Jahre, stieg dann aber wieder an und orientierte sich zunehmend an westlichen Politikformen.
Geteilte Geschichte. Plädoyer für eine deutsch-deutsche Perspektive auf die jüngere Zeitgeschichte
(2015)
In der Geschichtswissenschaft boomen derzeit grenzübergreifende Studien. Aus transnationaler Perspektive werden nicht nur Beziehungen zwischen europäischen Ländern untersucht, sondern zunehmend auch globale und außereuropäische Verflechtungen, die bis nach Ostasien oder Afrika reichen. Umso mehr erstaunt, dass 25 Jahre nach dem Mauerfall übergreifende deutsch-deutsche Studien weiterhin selten zu finden sind. Selbst die großen Überblickswerke zur deutschen Zeitgeschichte wähl(t)en selten grenzüberschreitende Perspektiven. Die meisten Historiker/innen im alten Westen empfanden die DDR lange als eine Art »fernes Land«, dessen Erforschung, bis auf wenige Ausnahmen wie die deutsch-deutsche Politikgeschichte und der Mauerfall, den Kolleginnen und Kollegen an ostdeutschen oder Berliner Universitäten überlassen wurde. Auch in den vielfältigen theoretischen Debatten um eine transnationale Geschichte, eine »shared history« oder »entangled history« hat die deutsch-deutsche Geschichte bisher keine Rolle gespielt. Zu unklar erschien vermutlich der Status des Trans-»Nationalen« – in diesem Fall ja eine »trans-staatliche« Geschichte einer später wiedervereinigten Nation. Eine umfassende gesamtdeutsche Gesellschaftsgeschichte steht daher weiterhin aus; ebenso fehlt es an Einzelstudien zu vielen relevanten Feldern.
Viele Anregungen von Frank Bösch greife ich auf, knüpfe Fragen daran und schlage Schwerpunkte vor. Insbesondere plädiere ich für eine Sozialgeschichte, die an gesellschaftlichen Basisprozessen und weniger an staatlicher Politik interessiert ist. Außerdem schlage ich vor, stärker als bisher außerdeutsche Beiträge und solche aus den Kulturwissenschaften in die Bemühungen um eine integrierte deutsche Nachkriegsgeschichte einfließen zu lassen. Meine Überlegungen habe ich in acht Schritte gegliedert.
Im Jahr 2012 kam der Film »Fetih 1453« in die türkischen Kinos. Das Heldenepos um den 18-jährigen Sultan Mehmed II., dessen Truppen die oströmische Hauptstadt einnahmen, war unter Einsatz neuester Computertechnik, Animationen und vielerlei Effekten hergestellt worden. Der Kinostart in Istanbul war – damit die geschichtsträchtige Symbolik sich auch jedem Türken deutlich erschließe – um 14.53 Uhr. Der Film entwickelte sich rasch zum Kassenschlager. Er war nicht nur der teuerste in der Türkei jemals gedrehte Film – seine Produktionskosten beliefen sich auf 17 Mio. US-Dollar –, sondern zog auch die meisten Besucher an.
Design aus der DDR ist heute scheinbar nur ein kunsthistorisches Randgebiet. Doch im Kontext der Dauerausstellung zum »Alltag in der DDR«, die die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nun seit November 2013 am früheren Ort der Sammlung Industrielle Gestaltung in der Berliner Kulturbrauerei zeigt, ist es in den letzten Jahren zu einem kontroversen öffentlichen Thema geworden. Der Konflikt bezieht sich unmittelbar auf diese Sammlung, eine der ältesten zum Design in Deutschland – und mit etwa 160.000 Objekten wohl die umfassendste und vielseitigste zur Produktgestaltung in der DDR, jedoch seit 2005 weder öffentlich sichtbar noch beworben. Aufgrund ihrer wechselhaften Geschichte nach der Wiedervereinigung wurden die Bestände bisher nur überblicksweise erschlossen. Obwohl Forscher sie auf Anfrage einsehen können, wäre eine systematische Katalogisierung, inhaltliche Bewertung und damit bessere Zugänglichkeit nötig.
Am 8. Mai 2015 jährte sich die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht und damit das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa zum 70. Mal. Dieser Termin ist zugleich der 30. Jahrestag eines gedächtnispolitischen Schlüsselereignisses in der bundesrepublikanischen Geschichte, nämlich der Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker (1920–2015) zum 40. Jahrestag des Kriegsendes vor dem Deutschen Bundestag in Bonn. In Nachdrucken, Ton- und Filmaufnahmen bald millionenfach verbreitet und zumal an Schulen intensiv thematisiert, wurde sie anlässlich Weizsäckers Tod zu Beginn dieses Jahres noch einmal nachhaltig im öffentlichen Bewusstsein verankert: Von der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« bis zum »neuen deutschland«, von der LINKEN bis zur CSU – kaum ein Nachruf verzichtete auf eine Würdigung der Rede, als deren normativer Kern seit jeher die Erklärung des im bundesrepublikanischen Gedächtnisdiskurs traditionell umstrittenen 8. Mai 1945 zum ›Tag der Befreiung‹, ein klares Bekenntnis zur Notwendigkeit einer anhaltenden Auseinandersetzung mit dem NS-Regime sowie des Gedenkens an dessen Opfer gelten.
Moskau, Anfang Februar 1974. Der Moskau-Gor’kij-Nachtzug, der die sowjetische Hauptstadt mit der 450 Kilometer weiter nordöstlich gelegenen Industriestadt verband, hatte an diesem Abend eine Schar illustrer Fahrgäste – darunter die bekannte Jazzband »Melodija« unter Georgij Garanjan, ein ganzes Symphonieorchester, bekannte Musikkritiker und zahlreiche Musikenthusiasten. Sie alle folgten dem Dirigenten Gennadij Roždestvenskij, der bereits einen Tag zuvor angereist war, um in Gor’kij (heute Nižnij Novgorod) die letzten Vorbereitungen für die Uraufführung einer Symphonie zu treffen. Ein vielversprechender Komponist mit dem Namen Alfred Schnittke (russ. Al’fred Garrievič Šnitke, 1934–1998) hatte sein erstes symphonisches Werk vorgelegt. Schon sein Abschlusswerk am Moskauer Konservatorium, das Oratorium »Nagasaki« (1958), hatte für Aufsehen und heftige Diskussionen gesorgt. Eine Vielzahl kammermusikalischer und konzertanter Werke war seitdem zur Aufführung gekommen. Die erste Symphonie eines solchen Komponisten versprach aufregende Klänge und neue Perspektiven für die künftige Musikentwicklung. Gespannt warteten die Zuhörer nach ihrer Ankunft im Konzertsaal des Kremls von Gor’kij, welche musikalischen Eindrücke sie erleben würden. Sie wurden nicht enttäuscht.
In den ungarischen Wochenschauen der 1950er-Jahre, »diesen kurzen Propagandafilmen«, wie der ungarische Filmemacher Sándor Buglya schreibt, »sind nur die Bilder wahr. Was aber durch die Filme, die vorgetragenen Dialoge und den Kommentar präsentiert wird, ist eine ständige Lüge. Und natürlich tost ununterbrochen der Beifall. Die Kamera verstellt die Wahrheit, sie gaukelt wirklichkeitsferne Illusion vor.« Nun könnte man darüber streiten, was »wahre Bilder« sind. Entscheidend jedoch ist Buglyas Hinweis, dass jegliche Art von Film, sei es ein Dokumentar-, Wochenschau- oder Spielfilm, die vorfilmische Realität verändert. Buglya schildert, wie in ausländischen und Budapester Wochenschauberichten nahezu dasselbe Bildmaterial verwendet, jedoch mit einander entgegengesetztem Kommentar ausgestrahlt wurde: Während erstere (im Blick auf das Jahr 1956) die Ereignisse eines Volksaufstandes dokumentierten, galten für letztere dieselben Bilder als Beleg einer Konterrevolution. Der Dokumentarfilm, so Buglya, sei kein Abbild des Realen, sondern spiegele mehr oder weniger genau das Verhältnis des Regisseurs zur Wirklichkeit.
In 1967, an exhibition opened in East Berlin that proposed, through an overload of images, to unite the histories of the Soviet Union and the GDR, and to confront international photography exhibitions produced in the United States and West Germany. More than the design principles and methods of this show, entitled Vom Glück des Menschen or On the Happiness of People, directly connect it with Edward Steichen’s The Family of Man exhibition, first presented at MoMA in New York in 1953. Its original title was in fact The Socialist Family of Man, and its designers addressed Steichen’s show directly with a scathing critique that echoes the critical discourse in general around The Family of Man. Ultimately, and despite the acknowledged relationship of the exhibition to its Western model, Vom Glück des Menschen also departed from it, crafting a narrative through photographs specifically designed for a socialist society under construction.
In den 1920er- und 1930er-Jahren gab es, ähnlich wie heutzutage, auf dem deutschen Zeitschriftenmarkt Modemagazine unterschiedlicher Preisklassen, die sich unter anderem durch die in ihnen präsentierte Mode und Modefotografie voneinander unterschieden. Höherpreisige Magazine wie beispielsweise »die neue linie« (1929–1943, Otto Beyer, Leipzig), »Die Dame« (1911–1943, Ullstein, ab 1937 Deutscher Verlag, Berlin) und »Die Mode« (1941–1943, Otto Beyer, Leipzig) richteten sich an gehobenere Schichten und präsentierten ihrer Leserschaft statt konkreter Bekleidungsvorschläge eher einen »Lebens- und Kleidungsstil«. Die abgedruckten Modefotografien orientierten sich an internationalen Fotostandards und sollten Ausdruck einer »deutschen Hochmode« sein.
Im Sommer 1940 kam es in Moskau zu einer denkwürdigen Begegnung. Stalin hatte erfahren, dass sein Jugendfreund, Sergei Kawtaradze, verhaftet und in ein Lager gebracht worden war. Als er davon hörte, erteilte er die Anweisung, den Freund zu entlassen und ihm eine Wohnung in Moskau zu verschaffen. Eines Abends überkam Stalin das Bedürfnis, ihn zu besuchen. Er befahl seinen Geheimdienstchef zu sich, den Georgier Lawrentij Berija, und gemeinsam fuhren sie zu Kawtaradze. Sie klingelten an der Wohnungstür, und eine Frau, die sich mit den Kawtaradzes die Behausung teilte, öffnete die Tür. Als sie den Diktator und seinen Gehilfen im Hausflur stehen sah, geriet sie außer Fassung. Sie stolperte und fiel rückwärts in den Flur. Berija fing sie auf und sagte: »Warum haben Sie denn Angst vor dem Vater der Völker?« Die Frau antwortete: »Ich dachte, dass das Portrait Stalins auf mich zukommt.«
Anfang 2014 konnte der rund 50.000 Aufnahmen umfassende Nachlass des Fotografen Wolfgang G. Schröter (1928–2012) zusammen mit zahlreichen Arbeitsabzügen, Belegexemplaren, der Handbibliothek und biographischen Dokumenten von der Deutschen Fotothek für das »Archiv der Fotografen« übernommen werden. Schröter gehörte zu den paradigmatischen Ausnahmefotografen der frühen DDR. Unter Nutzung der Methoden von Wissenschafts- und experimenteller Fotografie entwickelte er eine eigene Bildsprache, die avantgardistische internationale Fotografie-Entwicklungen aufgriff, ohne diese zu imitieren. Schröters frühe farbfotografische Experimente wurden 1977 im Zuge der Nobilitierung der Fotografie als künstlerisches Medium in der Hallenser Ausstellung »Medium Fotografie« gewürdigt. Bis heute werden seine Aufnahmen in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt.
In der Volksrepublik Ungarn erschien seit 1986 auf Initiative des Zentralkomitees der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei (MSZMP) sowie des Politbüros die Publikumszeitschrift »Képes 7« (»Bebilderte Woche« oder »Die bebilderten Sieben«), die den Lesern als Vorzeigeprojekt der modernen sozialistischen Magazingestaltung angekündigt wurde. Anhand des turbulenten ersten Erscheinungsjahrs von »Képes 7« werden unterschiedliche Praktiken des Umgangs mit Fotografien beleuchtet. Wie sah die bislang kaum untersuchte sozialistische Bildpolitik bzw. Bildlenkung im Alltag aus? Die Bandbreite der Haltungen und Handlungen der Akteure reichte von der Übernahme von Fotos aus westlichen Zeitschriften (»Scherenarbeit«) über die Produktion eigener Reportagen bis hin zu massiven Konflikten um einzelne Bilder oder Themenfelder. Näher betrachtet werden Personen und Institutionen, die am Prozess der Bilderzeugung und massenwirksamen Verbreitung beteiligt waren. Der Aufsatz stützt sich auf die veröffentlichten Ausgaben von »Képes 7«, auf zeitgenössisches Archivmaterial sowie auf eigene Interviews mit ausgewählten Akteuren.
Modeled after the Soviet propaganda magazine SSSR na stroike (›USSR in Construction‹, published 1930–1941, 1949), the Japanese overseas propaganda photo magazine FRONT (1942–1945) provided visual propaganda for the so-called ›Greater East Asia Co-Prosperity Sphere‹, a concept that was proclaimed in 1940 and served to disguise Japan’s quest for hegemony in Asia. Employing the aesthetics of Russian Constructivism and Socialist Realism of SSSR na stroike, FRONT created a visual aesthetic that could be termed Japanese Co-Prosperity Realism. Its dynamic and modernistic design was a transculturally inspired practice by Japanese photographers, graphic designers, journalists and producers of visual media, some of whom had been left-wing intellectuals or had lived and worked in the Soviet Union. In a comparative perspective, this paper carves out the political, cultural and gendered semantics of the (in)visibility of power, political religion and ethnic diversity that such aesthetics entailed. It explores some of the shifting backgrounds against which photographic techniques were enacted, from their avant-garde beginnings to their application in authoritarian regimes.
Albert Gehring, ein 1897 geborener Einwohner des Ortes Ditzingen, setzte in den 1920er- und 1930er-Jahren das Kleinstadtleben seiner schwäbischen Heimat ins Bild. Besonders häufig findet sich im Konvolut von rund 1.000 Glasplattennegativen das Motiv des Festumzuges und damit eines Elements von Festkultur, welches oft als die Grundform nationalsozialistischen Kultes und als erfolgreiches Mobilisierungsinstrument beschrieben worden ist. Gehrings Fotografien ermöglichen am lokalen Beispiel eine differenzierte Perspektive auf die Aushandlungs- und Aneignungsprozesse in der Praxis der Festumzüge. Haben sich die äußere Form der Umzüge, ihre Symbolik und Choreographie – also das, was sie zu vermitteln suchten – mit der nationalsozialistischen Machteroberung von 1933 verändert? Und ging mit diesem möglichen Wandel auch eine veränderte Visualisierung durch Albert Gehring einher? Im Fokus stehen damit fotografische Positionen zu der sich wandelnden Festpraxis des Umzuges: Die Ordnung des Bildes wird in ein Verhältnis zur Ordnung des Festes gesetzt, um Erkenntnisse über die Rolle von Fotografie in Prozessen von Mobilisierung und Partizipation an der Schwelle zur NS-Diktatur zu erlangen.
In der Anti-Apartheid-Bewegung spielte Musik als politisches Medium eine herausragende Rolle, besonders in den 1980er-Jahren. Auf der Basis von Quellenmaterial aus England und aus Südafrika untersucht der Aufsatz die Kontroverse um Paul Simons Album »Graceland« (1986) vor dem Hintergrund des Kulturboykotts. Dieser sollte das Apartheid-Regime auf dem Gebiet der Kultur isolieren, wurde aber seit Mitte der 1980er-Jahre von der Opposition innerhalb Südafrikas immer mehr als Fessel betrachtet. Der African National Congress (ANC) betrieb eine Modifikation des Boykotts – gegen den Widerstand der britischen Anti-Apartheid-Bewegung. Die Kontroverse um »Graceland« steigerte noch die Verwirrung: Es gab unterschiedliche Meinungen zu der Frage, ob Simon durch seine Zusammenarbeit mit südafrikanischen Musikern den Kulturboykott gebrochen habe und wie dies eventuell zu sanktionieren sei. Der Versuch, in Zeiten gesteigerter Medialisierung grenzüberschreitende kulturelle Ströme durch politische Instanzen kontrollieren zu wollen, war letztlich zum Scheitern verurteilt.
»What was it that converted capitalism from the cataclysmic failure which it appeared to be in the 1930s into the great engine of prosperity of the post war Western world?« (S. 3) Das ist die Leitfrage von Andrew Shonfields vor 50 Jahren erschienenem Buch über den »modernen Kapitalismus« der 1960er-Jahre. Wie konnte es zu dem »Goldenen Zeitalter« (Eric Hobsbawm), also der fast drei Jahrzehnte andauernden Nachkriegsprosperität kommen, nachdem der Kapitalismus im Zuge der Großen Depression abgewirtschaftet zu haben schien und sich eine breite ordnungspolitische Debatte um alternative Wirtschaftsformen entwickelt hatte?
Nach 1989 feierten Kommentatoren den finalen Triumph des kapitalistischen Marktes über seinen letzten Widersacher, den sozialistischen Plan. Aber die krisenhaften Wirtschaftsumbauten in der ehemaligen DDR und in Ost(mittel)europa standen noch bevor. Was meinten Ökonomen, Wirtschaftspolitiker oder Manager dieser Umbauprozesse eigentlich, wenn sie von Märkten sprachen? Der Beitrag richtet den Blick auf Vorstellungen im Kontext der 1990 gegründeten Treuhandanstalt und fokussiert Akteure, die in der Rückschau oft als marktgläubige »Exekutoren« des westlichen »Neoliberalismus« auf einem östlichen »Experimentierfeld« kritisiert werden. Deren Marktkonzeptionen fielen keineswegs einheitlich aus; sie konnten einen idealen Endzustand oder aber einen radikalen Prozess meinen. Auch der Glaube an die Gestaltbarkeit von Marktmechanismen erwies sich als wechselhaft. Eine Analyse zeitgenössischer Experteninterviews, die 1992/93 im Auftrag der Treuhand geführt wurden und jetzt wiederentdeckt werden konnten, offenbart schließlich ein breites Spektrum an individuellen Marktdeutungen aus der Alltagspraxis der ostdeutschen Transformation.
The paper explores representations of economic reform in Czechoslovakia immediately before and after the fall of the centrally planned economy in 1989/90. By what means was the concept of rapid economic transition towards a liberal market setting mediated into the academic and the public sphere? How did it achieve wide public consent? In the first part, the paper analyzes the Czechoslovak academic discussion about perestroika in the late 1980s, where a rapid liberal transition was cast by a distinct group of younger scholars as the only possible way of reforming the socialist economy. Their training was based above all on Paul A. Samuelson’s canonical textbook Economics, which presented this discipline almost as a natural science with universal standards. Immediately after 1989/90, when some of these scholars assumed executive positions within the new Czechoslovak government, what were at first purely economic ways of reasoning merged with certain images of the national past, creating a mixture of liberal economic knowledge and national exceptionalism.
Während die Jahrzehnte des Booms nach dem Zweiten Weltkrieg durch eine weitgehend stabile Ordnung geprägt waren, setzte mit dem Sinken wirtschaftlicher Wachstumsraten, dem Zerfall des internationalen Währungssystems und den beiden Ölpreiskrisen im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts eine Zeit zunehmender Komplexität unternehmerischer Entscheidungen ein. Statt der bis dahin dominierenden Orientierung an der Produktion wurde der Markt zum wichtigsten Bezugspunkt und die Kapitalrendite zum maßgeblichen Indikator. Am Beispiel des Chemiefaserproduzenten Enka Glanzstoff bzw. dessen Mutterkonzern Akzo wird gezeigt, auf welche Weise der Markt durch die Öffnung der Vorstandsetagen für externe Berater (in diesem Fall von McKinsey) an Bedeutung gewann. Seit den 1970er-Jahren wurden zahlreiche Unternehmen nach kompetitiv gedachten Organisationsprinzipien umstrukturiert. Trotz der Gegenwehr von Gewerkschaften und Betriebsräten schritt damit auch die interne Vermarktlichung von Unternehmen voran. Während die Unternehmen zudem stärker multinational agierten, gelang dies den Arbeitnehmervertretungen nicht in gleichem Maße.
Die Fernsehreihe »Wettlauf mit der Zeit« stellte von 1986 bis 1989 in über 80 Folgen den Zuschauern die Entwicklung und Anwendung sogenannter Schlüsseltechnologien vor und zeigte deren vorgeblich positive Wirkung sowohl auf die Volkswirtschaft der DDR wie auch auf die gesamte sozialistische Gesellschaft. Die Darstellung erfolgte dabei stets aus produktionsbezogener Sicht, nur selten rückte die Konsumentenperspektive in den Fokus. Schlüsseltechnologien wurden definiert als Techniken, »die auf längere Sicht die Produktivkraftentwicklung in der gegenwärtigen Etappe der wissenschaftlich-technischen Revolution wesentlich bestimmen«. Den Zuschauern der Reihe wurden als solche präsentiert: die Mikroelektronik, die Informatik, CAD/CAM-Systeme, verschiedene Automatisierungstechniken, Formen neuer bzw. verbesserter Energieverwendung und -verwertung, der Einsatz von Biotechnik und die so bezeichnete »sozialistische Umweltgestaltung«. Worin aber bestand nun der »Wettlauf mit der Zeit«?
Das Jahr 1932 war ein Jahr der Extreme, mit gewaltsamen Straßenprotesten, Ausnahmegesetzen und der Rückkehr des Hungers. Es wurde zum negativen Schlüsseljahr der Weimarer Republik. Eine der originellsten, heute allerdings völlig vergessenen Krisendiagnosen dieser Zeit stammt von Richard F. Behrendt, dessen Analyse der »Psychologie der Politik« zentrale Ansätze der historisch-soziologischen Gewaltforschung der letzten drei Jahrzehnte gewissermaßen intuitiv vorwegnimmt.
In den 1990er-Jahren ist das Interesse am Ersten Weltkrieg nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch seitens populärer Geschichtsdarstellungen enorm gestiegen – ein Trend, der bis in die jüngste Vergangenheit angehalten hat. So erlebte das Jahr 2014 eine Vielzahl von Publikationen, Diskussionen, Ausstellungen und Fernsehsendungen zum Thema. Dabei fällt es auch Fachleuten schwer, angesichts des historischen Groß- und Medienereignisses die Übersicht zu behalten. Um diesem mannigfaltigen medialen Angebot ein wissenschaftlich fundiertes Überblicksportal an die Seite zu stellen, wurde im Oktober 2014 die Website »1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War« freigeschaltet, die seither stetig erweitert wird. Um es vorwegzunehmen: Sie besticht durch eine Fülle an erhellenden und thematisch neuen Artikeln zum Ersten Weltkrieg. Mit einer dezidiert globalen Perspektive und verschiedenen Zugriffen (inhaltlich, zeitlich, regional) bietet sie nicht nur gezielte Rechercheoptionen, sondern lädt bewusst zum Stöbern und Lesen ein. Dabei weist das Portal eine sinnvolle und nachvollziehbare Systematik auf.
Das Thema »Erben« besitzt eigentlich alles, was zur Neugier reizt: prominente Schicksale, sozialen Sprengstoff, in materielle Interessen hineingewirkte Emotionen, familiäre Inventuren und kriminelle Energien. Aus diesen Gründen ist das Erben durch alle literatur- oder filmhistorischen Epochen hindurch zu einem Leitmotiv erzählender Genres geworden – vom »König Lear« bis zu den »Buddenbrooks« und von Balzacs »Eugenie Grandet« bis zum »Gestiefelten Kater«. Für Komödien und Dramen aller Art, von Krimis ganz zu schweigen, ist der Erbfall ein überaus dankbarer Plot. Für die zeithistorische Wissenschaft, zumindest für die deutschsprachige, trifft diese Feststellung überraschenderweise kaum zu. Während für die älteren Epochen der Geschichte das Vererben, die Weitergabe von Land und Besitz, der Umgang mit Mitgiften, strategisches Heiratsverhalten oder die adlige Erbfolge seit langem maßgebliche und sehr gut erforschte Themenfelder sind, gilt dies für das 19. und vor allem für das 20. Jahrhundert nur in einem sehr eingeschränkten Maße.
Strafgefangenenarbeit ist ein Merkmal des modernen Gefängniswesens in unterschiedlichen politischen Systemen. Seit einigen Jahren wird in Wissenschaft und Öffentlichkeit verstärkt diskutiert, welche Rolle sie in der DDR spielte und ob der Begriff der Zwangsarbeit dafür geeignet ist – dies nicht zuletzt deshalb, weil auch tausende politische Gefangene von ihr betroffen waren. Der Beitrag untersucht, ob die Arbeitsbedingungen politischer Häftlinge schlechter waren als diejenigen krimineller Insassen und ob die Strafgefangenen insgesamt gegenüber Zivilarbeitern in der DDR diskriminiert wurden. Das Ergebnis ist differenziert: Zwar mussten die Häftlingsarbeiter zum Teil schwerere Tätigkeiten als Zivilarbeiter ausführen, doch gab es je nach Branche und Haftort durchaus Unterschiede. Eine zentral angewiesene Benachteiligung politischer Häftlinge in Bezug auf die Arbeitsbedingungen lässt sich nicht belegen, doch konnte sie eine Folge der Gefängnishierarchie sein, die nicht zuletzt der Kontrolle der politischen Häftlinge diente.
Seit dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts verreiste die Mehrheit der Westdeutschen mindestens einmal im Jahr. Die Urlaubsreisen wurden zunehmend als Pauschalreisen ins Ausland unternommen und stellten für die meisten Haushalte auch in Krisenzeiten ein zentrales Konsumgut dar. Um sich dem Reiseverhalten eines Großteils der Bevölkerung anzunähern, werden hier Pauschalurlaube in Spanien untersucht. Dank des wachsenden Flugverkehrs entwickelte sich gerade dieses Land in den 1970er- und 1980er-Jahren zum beliebtesten Auslandsreiseziel der Westdeutschen. Von der zeitgenössischen Konsumkritik wurden Pauschalurlaube in Spanien jedoch häufig negativ bewertet; individuelle Ansprüche spielten bei dieser Urlaubsform angeblich keine Rolle. Anhand der Urlaubspraktiken, wie sie sich indirekt aus den Angeboten der Veranstalter sowie zusätzlich aus Fotoalben und Erinnerungsberichten erschließen lassen, ergibt sich ein differenzierteres Bild. Massentourismus und die Erfüllung individueller Vorlieben schlossen sich nicht aus; zudem waren Pauschalreisen mitunter der Einstieg in eine selbstständigere Begegnung mit dem Urlaubsland. Der Aufsatz verdeutlicht damit auch das Potential praxeologischer Ansätze zur Erforschung des bundesdeutschen Massenkonsums insgesamt.
Unternehmensplanspiele entstanden in den USA um 1956 aus militärischen Simulationsprogrammen, Fallstudien an Business Schools sowie Kriegsplanspielen und einer Reihe weiterer Einflussgrößen. Angesiedelt am Schnittpunkt von Unternehmensführung, ökonomischen Paradigmen und Computerisierung, bietet das Feld der Unternehmensplanspiele besonders gute Voraussetzungen, um Transformationen gesellschaftlicher Steuerungslogiken nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nachzuvollziehen. In den »ernsthaften Spielen« wurden Praktiken des Entscheidens sowie die Adaption an ein neues Medium und einen veränderten Rationalitätsbegriff (spielerisch) erprobt. Der Aufsatz nähert sich diesem Feld aus einer medienkulturwissenschaftlichen Perspektive. Der Beitrag fokussiert auf die erste Phase der Verwendung von Unternehmensplanspielen bei der Ausbildung von Führungskräften in der Bundesrepublik seit Beginn der 1960er-Jahre. Näher vorgestellt wird der Einsatz des von IBM entwickelten Planspiels TOPIC 1 bei Hoechst.
Picture agencies are mediators between photographers and editorial staffs; they play a crucial role in producing mass media visibility. However, their part in the system of the visual propaganda of the Nazi state is largely unexplored. This article features a controversial case, the American Associated Press and its German subsidiary. By submitting to the Schriftleitergesetz (Editorial Control Law) in 1935, the German AP GmbH (LLC) followed its German counterparts in the process of Gleichschaltung (forcible coordination). Until the United States entered the war in December 1941, AP supplied the Nazi press with American pictures. This service proved to be of particular relevance for propaganda. AP was also allowed to continue its photographic reporting in the Reich. AP pictures taken under the aegis of the Propaganda Ministry, the Wehrmacht and the SS were ubiquitous in the Nazi press. Moreover, the New York headquarters supplied the North American press with these same pictures, where they were published either as news photos or as propaganda images.
Bildagenturen, die zwischen Fotografen und Redaktionen vermitteln, sind zentrale Akteure bei der Produktion massenmedialer Sichtbarkeit. Ihre Rolle im System der NS-Bildpropaganda ist weitgehend unerforscht. Der Aufsatz widmet sich einem brisanten Spezialfall, der amerikanischen Associated Press und ihrer Niederlassung im Deutschen Reich. 1935 unterstellte sich die deutsche AP GmbH dem Schriftleitergesetz und ließ sich damit »gleichschalten«. Bis zum Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 hatte sie eine eminente Bedeutung als transatlantischer Bildlieferant für die nationalsozialistische Propaganda. Außerdem durfte AP weiterhin im Deutschen Reich produzieren. Die von der Agentur unter der Ägide des Propagandaministeriums, der Wehrmacht und der SS aufgenommenen Fotos bestückten die NS-Presse, aber die New Yorker AP-Zentrale stellte sie auch der nordamerikanischen Presse zur Verfügung, wo sie mal als scheinbar neutrale Nachrichtenbilder erschienen, mal ausdrücklich als Propagandabilder gekennzeichnet wurden.
As one of the most viewed films on apartheid South Africa, Sir Richard Attenborough’s Oscar-nominated Cry Freedom helped push the atrocities of the apartheid system to the forefront of public attention. The screenplay was based on South African journalist Donald Woods’ autobiographical books Biko (1978) and Asking for Trouble (1981), which detail Woods’ relationship with Biko and the court trial following Biko’s death in police custody.
Im Sommer 2016 jährt sich der Marsch von 20.000 südafrikanischen Frauen nach Pretoria zum 60. Mal. Am 9. August 1956 besetzten sie das Amphitheater der Union Buildings, des Amtssitzes der Regierung, aus Protest gegen die Ausweitung der diskriminierenden Passgesetze auf nicht-weiße Frauen. Diese Demonstration, organisiert von der Federation of South African Women, war ein Triumph der Opposition. Nur vier Jahre nach dem Marsch der Frauen änderte sich die Lage drastisch – mit dem Massaker von Sharpeville und seinen Folgen. Nach dem Verbot von African National Congress (ANC) und Pan Africanist Congress (PAC) sowie der Verurteilung der Führung von Umkhonto we Sizwe, des militärischen Arms von ANC und Südafrikanischer Kommunistischer Partei (SACP), folgte eine Dekade polizeilich erzwungenen Schweigens. In den 1970er-Jahren nahmen die Proteste gegen die Apartheid weltweit zu, und mit dem Aufstand von Soweto 1976 wurde die »Verwundbarkeit« des Apartheid-Systems sichtbar. Das Interesse der Weltöffentlichkeit sollte nicht nur durch Informationen von »außen« befriedigt werden, sondern verlangte nach möglichst glaubwürdigem Material von »innen«, aus Südafrika selbst. Dieses lieferten in der Bundesrepublik besonders die Anti-Apartheid-Bewegung und die Informationsstelle Südliches Afrika (issa).
»Apartheid tötet – boykottiert Südafrika!«. Plakate der westdeutschen Anti-Apartheid-Bewegung
(2016)
In ganz Nord- und Mitteleuropa bildeten sich in den 1960er- und 1970er-Jahren Anti-Apartheid-Bewegungen, die durch Aktionen in ihren Heimatländern den Kampf gegen die Apartheid in Südafrika unterstützen wollten. In der Bundesrepublik Deutschland wurde am 21. April 1974 im niedersächsischen Othfresen (südlich von Salzgitter) der Verein »Anti-Apartheid-Bewegung in der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin« (AAB) gegründet. Zu diesem ersten Treffen eingeladen hatten der Mainzer Arbeitskreis Südliches Afrika (MAKSA) – ein 1971 entstandener Zusammenschluss evangelischer Kirchenmitarbeiter, die selbst einige Jahre in Südafrika tätig gewesen waren und meist wegen ihrer Haltung zur Apartheid das Land hatten verlassen müssen –, die Arbeitsgruppe »Freiheit für Nelson Mandela«, die aus dem MAKSA 1973 unter der Federführung des Stuttgarter Pfarrers Karl Schmidt hervorgegangen war, sowie der Pfarrer Hans-Ludwig Althaus. Sie wollten über die Situation in Südafrika informieren und Protest gegen die Apartheid mobilisieren. Sie kritisierten insbesondere die Zusammenarbeit der Bundesregierung und westdeutscher Unternehmen mit dem Apartheid-Regime. Der Begriff Anti-Apartheid-Bewegung hat aber eine doppelte Bedeutung: Neben dem Namen des Vereins bezeichnet er zugleich allgemein die gesellschaftliche Bewegung derer, die sich gegen die Apartheid in Südafrika engagierten. Diverse Gruppen waren daran beteiligt; im Laufe der Jahre erstellten sie eine Fülle von Plakaten. Dieser Beitrag soll einen Einblick in die verschiedenen Gestaltungsformen der Anti-Apartheid-Plakate in der Bundesrepublik geben.
Zwischen Hoffen und Bangen. Südafrika im Blick westdeutscher Intellektueller der 1960er-Jahre
(2016)
In den 1960er-Jahren verbreitete sich die Kritik am südafrikanischen Apartheid-Regime weltweit. Aber die Bundesrepublik unterhielt gleichzeitig hervorragende und privilegierte Beziehungen zu den weißen Rassisten am Kap. Südafrika galt als natürlicher Verbündeter im Kalten Krieg gegen den Kommunismus und als Garant für die Sache des Westens im risikoreichen Dekolonialisierungsprozess auf dem schwarzen Kontinent.
Die Mobilisierungskraft der Anti-Apartheid-Bewegungen, die die als rassistisch kritisierte Politik Südafrikas auf die internationale Agenda brachten, ist eines der zentralen Forschungsfelder für die geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Apartheid und den Reaktionen in den westlichen Gesellschaften. Während in den 1960er- und 1970er-Jahren das Aktionsrepertoire der Anti-Apartheid-Bewegungen von Straßenkampagnen und Informationsarbeit geprägt war, wandelte sich in den 1980er-Jahren das Auftreten der US-amerikanischen und europäischen Apartheid-Gegner. Besonders das britische Anti-Apartheid Movement und sein Umfeld hatten erheblichen Anteil an der Etablierung des »Protest[es] gegen die Apartheid als Teil der Massenkultur insbesondere in der Musik«.
Music played an important role as a political medium for the anti-apartheid movement, particularly in the 1980s. Drawing on sources from the UK and South Africa, the article investigates the controversy surrounding Paul Simon’s album Graceland (1986) against the backdrop of the cultural boycott against South Africa. The aim of the boycott was to isolate the apartheid regime in the field of culture, but from the middle of the 1980s, the opposition within South Africa increasingly regarded it as an obstacle. The African National Congress (ANC) pursued a modification of the boycott against the resistance of the British Anti-Apartheid Movement (AAM). The controversy over Graceland only served to compound the confusion: opinions differed as to whether Simon had really breached the cultural boycott by collaborating with South African musicians, and on how this could potentially be sanctioned (in either sense of the word). The incident shows that the attempt to control transnational cultural currents through political institutions in times of increased mediatisation was ultimately doomed to failure.
Während der Apartheid-Ära führten die vielfältigen Verbindungen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) nach Südafrika zu Konflikten im westdeutschen Protestantismus. Einen Streitpunkt bildete die Frage, wie man sich zu Boykotten südafrikanischer Produkte, zu Desinvestitionen und zu Wirtschaftssanktionen verhalten sollte. Dieses Thema wurde in der Bundesrepublik seit Ende der 1970er-Jahre besonders durch die Evangelische Frauenarbeit in Deutschland und deren Kampagne »Kauft keine Früchte aus Südafrika!« in die Öffentlichkeit getragen. Beeinflusst von der Befreiungstheologie und der »Schwarzen Theologie« forderten südafrikanische Kirchen ihre ausländischen Partner wenige Jahre später dazu auf, sich für umfassende Sanktionen in ihren jeweiligen Ländern einzusetzen, um die Apartheid in Südafrika zu überwinden. Dieser Wandel innerhalb der südafrikanischen Kirchen veränderte den westdeutschen Protestantismus nicht nur auf kirchenpolitischer, sondern auch auf theologischer Ebene, wie die Rezeption des »Kairos-Dokuments« südafrikanischer Theologen von 1985 zeigt.
Rund 50 bundesdeutsche Unternehmen hatten während der Apartheid eigene Produktionsstätten in Südafrika. Wie legitimierten diese Unternehmen ihr Engagement? Nachdem gegenüber der Situation der schwarzen Bevölkerungsmehrheit lange eine Ignoranz vorgeherrscht hatte, wurde ab den 1970er-Jahren die Verbesserung der Arbeitsbedingungen schwarzer Beschäftigter ein erklärtes Ziel – als Folge ökonomischer Probleme (wie dem Fachkräftemangel) und eines steigenden politischen Drucks durch Kirchen und Gewerkschaften in der Bundesrepublik. Seit 1977 bildete der »Code of Conduct«, den die Europäische Gemeinschaft erließ, einen institutionellen Rahmen für die Menschenrechte aller Beschäftigten. Im zerfallenden Apartheid-Staat forderten westdeutsche Unternehmen während der 1980er-Jahre politische Reformen und etablierten mit den schwarzen Gewerkschaften stabile Verhandlungsbeziehungen. Anhand des Volkswagen-Konzerns und seiner Tochtergesellschaft Volkswagen of South Africa (VWoSA) wird dieser Prozess nachgezeichnet. Der Konflikt um die Apartheid zählt zu den Ausgangspunkten für die heutige Corporate Social Responsibility multinationaler Konzerne, mit der soziale Normen und Verpflichtungen auch für Tochterunternehmen festgeschrieben werden.
Wie wirkte sich die materielle Beschaffenheit von Kunstgegenständen auf den Kunstmarkt und seine Akteure aus? Alarmiert durch den schlechten Zustand, in dem sich die öffentlichen Kunstsammlungen präsentierten, entwickelte sich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert ein naturwissenschaftlich-technologischer Fachbereich zur Analyse von Kunstmaterialien, der durch stete Innovationen bis heute dynamisch geblieben ist. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse steigerten den Aufwand immens, der betrieben wurde, um Kunstwerke sachgerecht unterzubringen, zu versorgen und zu transportieren. Folglich beeinflussten sie auch die Sichtbarkeit und den ökonomischen Wert von Werken bildender Kunst. Die naturwissenschaftlichen Untersuchungsmethoden unterstützten zudem die Authentifizierung. Damit verringerten sie den Bestand anerkannter Originalwerke und vergrößerten zugleich die Sicherheit bei Kaufentscheidungen. Da sie dem Wahrnehmungsapparat der Menschen in dieser Frage teilweise überlegen waren, erschütterten die neuen Technologien das menschliche Selbstverständnis dabei grundlegend. Eindeutige Urteile ließen auch die naturwissenschaftlichen Befunde allerdings längst nicht immer zu.
Die südafrikanische Apartheid ist zum Bestandteil des »kollektiven Gedächtnisses« nationaler und transnationaler Erinnerungskulturen geworden. Dies betrifft nicht allein die Ereignisse in Südafrika selbst, sondern auch die weltweiten Diskussionen über den Umgang mit der Apartheid, die in den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen ebenso wie in einzelnen Ländern geführt wurden. Die seit den 1960er-Jahren zunehmende weltweite Ächtung der Apartheid als rassistisches Regime hing zusammen mit einem Anwachsen von Anti-Apartheid-Bewegungen in zahlreichen Ländern und neuen Legitimationen westlicher Außenpolitiken. Von den sowjetisch kontrollierten, aber auch skandinavischen Ländern wurden die Befreiungsbewegungen – vor allem der African National Congress (ANC) – materiell unterstützt. Die Auseinandersetzungen über Apartheid und den Umgang mit einem Land, in dem Menschenrechtsverletzungen gesetzlich abgesichert waren, trugen in einem erheblichen Maße zur Etablierung der Menschenrechte als international verbindlicher Norm bei. Das Thema Apartheid bietet die Möglichkeit, transnationale Verflechtungen und gesellschaftliche Wahrnehmungen vertiefend auszuloten sowie die Bedeutung der 1970er- und 1980er-Jahre für die Ausbildung einer »reflexiven Moderne« zu erkunden.
Was ist der Unterschied zwischen einem Trabi und einem Düsenjäger?
Den Düsenjäger sieht man, bevor man ihn hört. Beim Trabi ist es umgekehrt.
Autos aus der Produktion der sozialistischen Staaten gelten als überholt, schadstoffreich und besonders laut. Dies ist nicht erst eine retrospektive Sicht. Für die Besitzer solcher Autos in der Zeit der deutschen und europäischen Teilung waren sie sehr ambivalente Artefakte: Einerseits waren die Mängel offenkundig, anderseits erfuhren die Autos Wertschätzung und Zuneigung, weil der Erwerb eines Pkws nach jahrelanger Wartezeit als wichtiges Zeichen der sozialen Distinktion galt. Die Achtung gegenüber diesen Fahrzeugen war sogar derart verbreitet, dass selbst ein Kind schon anhand der Motorengeräusche erkennen konnte, ob es sich um einen Trabant oder einen Volga handelte. Ein Grund dafür ist selbstverständlich, dass es im Ostblock nur eine begrenzte Anzahl von Autoherstellern gab. Aber hauptsächlich beruhte diese Fähigkeit, Motorgeräusche voneinander zu unterscheiden, auf der persönlichen Erfahrung mit den Autos, die sehr intensiv sein konnte. Der Fokus auf die Geräusche und die Materialität dieser Fahrzeuge erlaubt es daher zum einen, manche Missstände der staatssozialistischen automobilen Gesellschaften kenntlich zu machen; zum anderen gewährt er einen tieferen Einblick in die Alltags- und Erfahrungsgeschichte der Autofahrergemeinschaften.
Die Ausgangsfrage der – hier notwendig kursorischen – Analyse des persönlichen Sachbesitzes einer Schenkerin für die Sammlung eines Museums war diejenige nach dem Quellencharakter der Dingsammlung und ihrer sozialen Dimension. Der erhebliche Umfang der Schenkung könnte, so die Hypothese, ein von den Dingen ausgehendes Bild von einem Leben in der DDR ermöglichen. In der Tat zeigen sich mehrere lebensweltliche Dimensionen, die als Sedimente nunmehr im Museumsdepot zu finden und damit der Forschung zugänglich sind: soziale Praktiken und soziale Beziehungen, Informationen zur Arbeitswelt und zur Einstellung gegenüber der DDR, dazu Fragen eines kommunikativen Gedächtnisses in Dingensembles und biographische Hinweise, die auf die historischen Kontexte eines Lebensverlaufs Bezug nehmen. Die Überlieferungsstruktur ist nach den Aufbewahrungsorten organisiert, reicht aber deutlich über eine Lebensspanne hinaus. Damit wird erkennbar, dass der historisch-analytischen Ordnung eine lebensweltliche voranging, die schließlich zur Übergabe an eine öffentliche Institution führte.
Junge Menschen brauchen moderne Möbel – so lautete sinngemäß der Appell in dem Artikel »Wohnen zwischen Teen und Twen«, der 1962 in der Einrichtungszeitschrift »Die Kunst und das schöne Heim« erschien. Darin bemängelte die Autorin, dass Jugendliche keinen Sinn für die Vorzüge moderner Möbel hätten und hartnäckig an den wuchtigen Einrichtungsgegenständen eines althergebrachten Stils festhalten würden: »Die modernen Möbel werden allgemein als ›zu leicht‹, ›zu empfindlich‹, und per se als ›wenig dauerhaft‹ empfunden.« Dabei sei gerade das in der modernen Inneneinrichtung verwendete Stahlrohr bemerkenswert knickfest und das gebogene Bugholz trotz seiner papierdünnen Leichtigkeit enorm stabil (schließlich werde es erfolgreich im Flugzeugbau verwendet). Das Unbehagen am neuen Wohnen, aller Vorzüge zum Trotz, betraf laut Verfasserin des Artikels beide Geschlechter: Männliche Teenager klagten darüber, dass die modernen Sitzmöbel unbequem und wenig rückenfreundlich seien, während junge Mädchen insbesondere skeptisch auf die neuen Schränke und Regale reagierten und sich die konventionellen tiefen Kommodenschubladen zurückwünschten, um Ordnung halten zu können. Rückwärtsgewandter sei nur die Elterngeneration, die das neue Wohnen komplett ablehne.