Nationalsozialismus
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Seit über neunzig Jahren wird über Inhalt und Reichweite des Faschismus-Begriffs gerungen. Fernando Esposito beleuchtet die Entstehung des italienischen Faschismus kursorisch und gibt einen Einblick in das Selbstverständnis der Akteure. Er stellt die Faschismusforschung im Zeichen des Kalten Kriegs vor, erörtert die Ansätze der neueren Faschismusforschung und ihre Themenfelder, um dann in einem abschließenden Fazit den Mehrwert des Faschismusbegriffs vor Augen zu führen.
Die Besatzung großer Teile Europas in den Jahren des Zweiten Weltkriegs stellte einen tiefgreifenden, häufig krisenhaften Einschnitt in die Normalitätsverhältnisse von 200 Millionen betroffenen Menschen dar. Dennoch hat Besatzung als Erfahrungsgeschichte bisher einen eher geringen Widerhall in der Forschung gefunden, zumal in europäisch-vergleichender Perspektive. Dies ist nicht zuletzt den Begriffen und Konzepten geschuldet, die die Forschung strukturieren. Tatjana Tönsmeyer beleuchtet daher zunächst mit „Widerstand und Kollaboration“ sowie der jüngeren Holocaustforschung zwei einschlägige Interpretationszusammenhänge, bevor sie mit dem Begriff der Besatzungsgesellschaften ein eigenes konzeptionelles Angebot formuliert. Besonderes Augenmerk gilt dabei den Akteur/innen sowie ihren Handlungsoptionen in Interaktion mit den Besatzern.
„Volksgemeinschaft”
(2014)
„Volksgemeinschaft”, wie sie vom NS-Regime propagiert worden ist, hat es als soziale Wirklichkeit nicht gegeben. Nicht in der Feststellung eines sozialen Ist-Zustandes, sondern vielmehr in der Verheißung, in der Mobilisierung lag die politische Kraft. Michael Wildt plädiert in seinem Beitrag dafür, den Begriff der „Volksgemeinschaft“ praxeologisch zu verstehen und nach den Praktiken ihrer Herstellung zu fragen. In dieser analytischen Perspektive bildet „Volksgemeinschaft” keine festgefügte soziale Formation, sondern wäre vielmehr als soziale Praxis zu untersuchen.
Ernst Fraenkels Analyse des NS-Regimes entstand in unmittelbarer, beteiligter Beobachtung. Im Vorwort zur deutschen Ausgabe des „Doppelstaats” schrieb Fraenkel 1974, dass sein Buch auf Quellenmaterial beruhe, „das ich im nationalsozialistischen Berlin gesammelt habe, und auf Eindrücken, die sich mir tagtäglich aufgedrängt haben. Es ist aus dem Bedürfnis entstanden, diese Erlebnisse und Erfahrungen theoretisch zu erfassen, um mit ihnen innerlich fertig zu werden”. (...)
Wiederveröffentlichung von: Michael Wildt, Die Transformation des Ausnahmezustands. Ernst Fraenkels Analyse der NS-Herrschaft und ihre politische Aktualität, in: Jürgen Danyel/Jan-Holger Kirsch/Martin Sabrow (Hrsg.), 50 Klassiker der Zeitgeschichte, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007, S. 19-23
(Version 1.0, siehe auch Version 2.0) Der Begriff Diktatur stammt aus dem römischen Staatsrecht, wo er die temporäre Herrschaft eines Diktators bezeichnete, der zur Verteidigung der Republik über dem Gesetz stand. Diese klassische Bedeutung wurde im 20. Jahrhundert vielfach überformt; der moderne Diktaturbegriff entstand als Eigen- und Fremdbezeichnung für die kommunistische, faschistische und nationalsozialistische Herrschaft. Der Artikel unseres Autoren Jan C. Behrends rekonstruiert die Geschichte des Begriffs im 20. Jahrhundert mit einem Schwerpunkt auf den russischen und deutschen Fall und blickt abschließend auf die zeithistorische Forschung der Gegenwart.
Die Deutschen tun sich schwer mit dem Kolonialismus. Lange Zeit an Universitäten wie im öffentlichen Bewusstsein ignoriert und vergessen, wird er seit einigen Jahren zwar erinnert, jedoch meist exotisiert und banalisiert. Hegels bekanntes Diktum, dass Afrika keine Geschichte habe, wird offenbar immer noch von vielen geglaubt, zumindest in der Form, dass, wenn es eine Geschichte hat, diese auf jeden Fall keinerlei Bedeutung für die eigene, sei es die europäische, sei es die deutsche, besitze.
Der folgende Beitrag unternimmt den Versuch der Gesamtschau auf die veröffentlichte Forschungsliteratur über die nationalsozialistischen Konzentrationslager, wobei unter dem Begriff »Konzentrationslager« diejenigen Lager gefasst werden, die, wie Dachau, Sachsenhausen, Buchenwald oder Auschwitz, der Inspektion der Konzentrationslager (seit 1942 Amtsgruppe D des SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamtes) unterstanden. Thematisiert werden soll, welche Phasen und Zäsuren in der Historiografie der Lager auszumachen sind, welche Autoren oder Akteursgruppen publizierten und welche Themenschwerpunkte diese setzten. Die Übersicht gliedert sich in drei Abschnitte: Zunächst gehe ich kurz auf die Gesamtzahl der Publikationen ein, die in den vergangenen Jahrzehnten über die KZ verfasst worden sind, und typologisiere sie. Zweitens skizziere ich die Phasen der Historiografie der Lager und frage drittens nach den Themen, Fragestellungen und Desideraten der KZ-Forschung.
Fordismus und Sklavenarbeit. Thesen zur betrieblichen Rationalisierungsbewegung 1941 bis 1944
(2008)
Die arbeitsorganisatorischen und fertigungstechnischen Innovationen, die sich mit den Namen Henry Ford und Frederick W. Taylor verbinden, und ebenso die Gesellschaftsvisionen namentlich des US-amerikanischen Automobilkönigs haben das kurze 20. Jahrhundert entscheidend geprägt, auch und gerade im deutschen Raum. Hier wurde der Fordismus während der Goldenen Zwanziger Jahre, die nach der Währungsstabilisierung 1923/24 begannen und (spätestens) mit dem Schwarzen Freitag, dem 25. Oktober 1929, endeten, allerorten intensiv debattiert.
Propaganda gilt als politisches Kommunikationsmittel, um die Meinungen und Verhaltensweisen von Zielgruppen auf ein bestimmtes Ziel hin gerichtet zu beeinflussen. Wird in Deutschland der Propagandabegriff vor allem in den Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus gestellt, fand er in der Vergangenheit genauso Einsatz im religiösen Umfeld, in der französischen Revolution wie auch in der Werbebranche. Thymian Bussemer verweist auf die verschiedenen Arten der Propaganda seit dem 17. Jahrhundert und liefert einen Überblick über die Stationen der Propagandaforschung von historischen Überblicksarbeiten zu einer gesellschaftsgeschichtlichen Betrachtung.
»Volksgemeinschaft« hat Hochkonjunktur. Der Historikertag 2008 widmete ihr eigens eine Sektion. Weithin über die Grenzen der Fachwissenschaft hinaus beachtete, internationale Konferenzen nehmen sich ihrer an. So organisierte das Deutsche Historische Institut London 2010 eine Tagung, deren Referenten- und Teilnehmerliste die renommiertesten Vertreter der Zeitgeschichtsschreibung aufführte. Jüngst widmete sich auch die 4. Internationale Konferenz zur Holocaustforschung, ausgerichtet von der Bundeszentrale für politische Bildung, der »Volksgemeinschaft«. Schon seit längerem ziert der Begriff die Titelseiten zahlreicher populär wie fachwissenschaftlicher Bücher, findet er sich in den Titeln zahlloser Zeitschriftenbeiträge wieder und ist – teils in An- und Abführungszeichen gesetzt, teils nicht – fester idiomatischer Bestandteil der gegenwärtig vorherrschenden zeithistorischen »Meistererzählung« von der nationalsozialistischen Herrschaft.