1950er
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Die DDR ist vierzig Jahre am Leben geblieben, bevor sie - unwahrscheinlich schnell - unterging. Jetzt, wo der Westen der „Sieger der Geschichte“ zu sein scheint, sagen viele, daß die DDR im Grunde nur auf Terror und Repression aufgebaut war. Der alte Begriff vom „Unrechtsstaat“, wie auch das Konzept des „Totalitarismus“, die in den fünfziger Jahren so beliebt waren, finden wieder Gefallen. Manche sagen auch, daß „die Deutschen“ seit eh und je besonders gehorsam gewesen sind.
Die Gründung der DDR im Jahre 1949 und die Konsolidierung der von der SED im Einklang mit der sowjetischen Besatzungsmacht etablierten gesellschaftspolitischen Ordnung markieren einen folgenreichen Transformationsprozeß hinsichtlich des Umgangs mit der Widerstandstradition und der Erfahrung nationalsozialistischer Verfolgung. Mit der Herausbildung des „Antifaschismus“ als für die DDR identitätsbestimmendem und staatstragendem ideologischen Konstrukt kulminiert die bereits in den Vorjahren in der SBZ einsetzende Vereinnahmung einer ursprünglich breitgefächerten und weitestgehend spontanen Erinnerungskultur verschiedener Opfer- und Verfolgtengruppen durch die parteipolitischen Sonderinteressen der KPD/SED. Die nach 1945 in den verschiedensten politischen Lagern favorisierten Vision eines antifaschistischen-demokratischen Neubeginns wurde zu einer bloßen Formel für eine Neuordnung nach sowjetischem Muster ausgedünnt, mit der die noch vorhandenen Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft abgebaut und die Chance einer plural verfaßten Ordnung aufgekündigt wurde. Für das sehr differenzierte und hinsichtlich seiner Neuordnungsvorstellungen oft diffuse nichtkommunistische Spektrum der Verfolgten des NS-Regimes lief dies auf die Alternative hinaus, sich entweder unter die kommunistische Hegemonie unterzuordnen oder den Ausstieg aus dem politischen Projekt DDR zu vollziehen. Dabei ist allerdings die Zäsur des Jahres 1949 nicht absolut, vielmehr handelt es sich bei den genannten Entwicklungen um einen längerfristigen Übergang mit deutlichen Phasenverschiebungen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. Waren die machtpolitischen Prämissen bereits 1947/48 in der SBZ weitgehend geklärt, hielt in anderen Bereichen wie etwa der Kultur, Kunst und Wissenschaft oder auf dem Feld der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus der Eindruck von offenen und wandelbaren Strukturen länger an - wie anders ließe sich die Attraktivität der frühen DDR für ein breites Spektrum emigrierter Intellektueller erklären.
Der 9. November gehört zweifellos zu den beziehungsreiehen und symbolträchtigen Daten der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts: 1918 - Ausrufung der Weimarer Republik, 1923 - Hitlerputsch in München, 1938 - „Reichskristallnacht“, 1989 - Öffnung der Grenze der DDR zur Bundesrepublik. Nicht wenige Reden, Analysen, Essays und Kommentare führender deutscher Politiker und Publizisten sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten anläßlich dieser Daten und ihrer Jahrestage ediert worden. Es wäre daher ein wissenschaftlich reiz- und anspruchsvolles Vorhaben, nicht nur den offensichtlichen oder verdeckten inneren Bezügen zwischen den benannten Geschehnissen nachzuspüren, sondern auch den Umgang der jeweiligen politischen Klasse oder machtausübenden Elite mit der Geschichte des 9. November aufzuzeigen. Ideologische Postulate und politischer Pragmatismus bestimmten letztlich in hohem Maße, ob und wie die verschiedenen Bedeutungsinhalte des Tages miteinander in Beziehung gesetzt, gegeneinander gestellt, verdrängt oder gegenseitig aufgehoben wurden.
Die geschichtswissenschaftliche Erforschung des Umgangs mit der NS-Vergangenheit in den beiden Nachfolgestaaten des „Dritten Reiches“ steht erst in ihren Anfängen, aber ihre Tücken zeichnen sich bereits ab. Eine der Schwierigkeiten besteht darin, daß die Thematik, jedenfalls in der „alten“ Bundesrepublik, über Jahrzehnte hinweg ein zentraler Topos der politischen Essayistik gewesen ist. Der Kern des Problems - definiert nicht als die zu Beginn der sechziger Jahre Dynamik gewinnende „Verdrängungsdebatte“, sondern als die konkrete historisch-politische Auseinandersetzung mit den ererbten Lasten und den alliierten Vorentscheidungen seit Ende der vierziger Jahre und vor allem in den Fünfzigern - ist deshalb überlagert von vielfältigen Meinungsschichten, Deutungen und Kontroversen, durch die hindurchzudringen die Aufgabe entsprechender historiographischer Bemühungen sein muß. Die in letzter Zeit erschienenen Arbeiten zur Geschichte der „Vergangenheitsbewältigung“ in der Bundesrepublik leisten dies jedoch kaum, und einige davon vermitteln im Gegenteil den Eindruck, als ob sie sich von der so lange vorherrschenden meinungsorientierten Betrachtungsweise gar nicht lösen wollten. Eine Geschichtswissenschaft, die diesen Namen verdient, muß aber alles daransetzen, beim Sturm auf tatsächliche oder vermeintliche alte „Legenden“ nicht neue zu produzieren. Das gilt zumal in einem Moment, in dem das für die Westdeutschen von jeher aufregende Thema durch die neugewonnene Möglichkeit des empirischen Vergleichs mit der Entwicklung in der DDR - ganz zu schweigen vom Vergleich mit der hier ausgeklammerten „zweiten Bewältigung“ seit 1989/90 - noch an Brisanz gewinnt.
Die in diesem Aufsatz betrachteten sozialistischen Großbetriebe waren ein Ergebnis der sozialistischen Transformation, die sich in den Ländern Ostmitteleuropas seit spätestens 1947 bei starker Orientierung am sowjetischen Modell vollzog und aus der bis Ende der sechziger Jahre eine weitgehend vollständig ausgebildete Planwirtschaft resultierte. Sozialistische Großbetriebe entstanden in ganz Ostmitteleuropa unabhängig vom Industrialisierungsgrad des jeweiligen Landes. Eine Forschungsarbeit über die sozialistische Transformation am Beispiel der Eisen- und Stahlindustrie in Polen, der Tschechoslowakei und der DDR im Rahmen meiner Dissertation und frühere Forschungen zur deutsch-polnischen Grenzregion haben ergeben, dass die Umsetzung des sowjetischen Modells der Industrialisierung sich vor allem in Bezug auf die Arbeitskräfte am schwierigsten gestaltete. Der Institutionentransfer und die zentrale Planung bis auf die Betriebsebene, das Monopol der Partei und die Verstaatlichung konnten originalgetreu aus der Sowjetunion übernommen werden. Die Mobilisierung der Bevölkerung zu „neuen Menschen“ in Form von Arbeiterbrigaden, dem sozialistischen Wettbewerb und den Massenorganisationen mit dem Ziel der Überwindung des kapitalistischen Systems im Menschen und der Transformation vom letizimi Wir-Denken bereitete den Entscheidungsträgern dagegen die meisten Probleme. Ein Grund dafür war die große Diskrepanz zwischen der von den kommunistischen Parteien propagierten Gleichheit aller Arbeiter und der tatsächlichen ungleichen Behandlung in den Betrieben, die zu Konflikten und schließlich zum Widerstand der Arbeitskräfte führte. Die Arbeiter erkannten diese Diskrepanz sehr schnell, lehnten das Gleichheitsprinzip ab und forderten individuelle Gerechtigkeit. Besonders mit Blick auf die ausländischen Arbeitskräfte, die in den ausgewählten Betrieben in unterschiedlicher Quantität eingesetzt wurden, wird die ungleiche Behandlung sichtbar.
Die von mir untersuchte Migrantengruppe der so genannten „polit. Emigranten“ - im Text auch als Flüchtlinge bzw. einfach als Emigranten bezeichnet - eignet sich nach meiner Überzeugung trotz ihrer vergleichsweise geringen Personenzahl besonders zur exemplarischen Bearbeitung des Themas „Migration und interkulturelle Begegnungen in der DDR- Gesellschaft“, da die Anwesenheit dieses Personenkreises in der DDR, wie die von allen Ausländem, stets an die politische Sanktionierung des SED-Staates gebunden war. Im Unterschied zu den ausländischen Vertragsarbeitem und sowjetischen Besatzungstruppen (GSSD) aber war ihr Aufenthalt in der DDR nicht an eine dauerhafte quasi kasernierte Unterbringung gebunden. Die Emigranten teilten so unmittelbar den Alltag in der DDR mit deren Bevölkerung. Für die „polit. Emigranten“ galt aber zugleich auch, dass sie - als „gute Fremde“ - zumindest als Verbündete, wenn nicht sogar als Vertreter der kommunistischen Staatspartei angesehen wurden, und zwar von der SED selbst wie auch von der DDR-Bevölkerung. In den Augen derjenigen, die heute ein affirmatives Erinnern an den „ersten deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staat“ verteidigen, avancierten die „polit. Emigranten“ und besonders die chilenischen Flüchtlinge daher zum wichtigsten Beleg für den hohen Stellenwert von Solidarität in der kommunistischen Bewegung und die daraus abgeleitete internationalistische Ausrichtung der Ausländerpolitik in der DDR.
Die Geschichte der ausländischen Studierenden in der DDR ist, verglichen mit derjenigen der Vertragsarbeiter der siebziger und achtziger Jahre, der sowjetischen Truppen oder der politischen Emigranten, von der Nach-Wende-Forschung weitgehend ignoriert worden. Das Gegenteil trifft auf die Zeit vor 1989 zu, als die beiden deutschen Staaten auf dem Gebiet des Ausländerstudiums miteinander konkurrierten. Man kann davon ausgehen, dass in der Zeit von 1951 bis 1989 zwischen 64.000 und 78.400 ausländische Studierende aus über 125 verschiedenen Staaten an akademischen Bildungseinrichtungen der DDR einen Abschluss erwarben und damit bis zu drei Prozent aller Hochschulabsolventen in diesem Zeitraum stellten. Seit den sechziger Jahren machten ausländische Studierende im Schnitt bis zu etwa sieben Prozent aller in der DDR lebenden Ausländer aus - wenn man die Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD) nicht mitzählt. Die Abbildung 1 gibt einen Überblick über die wachsende Zahl ausländischer Studierender in der Zeit von 1951 bis 1989. Selbstverständlich war deren Präsenz an den Hochschulen deutlicher spürbar als in anderen gesellschaftlichen Bereichen: so gab es 1989 zum Beispiel 1.200 ausländische Studierende aus 80 verschiedenen Ländern an der Humboldt-Universität zu Berlin, was zehn Prozent aller dort immatrikulierten Studenten entsprach.
Sowjetische Soldaten und Zivilpersonen bildeten mit einer Gesamtzahl von über einer halben Million Menschen die größte Gruppe von Ausländem in der DDR. Durch ihre flächendeckende Präsenz gehörten sie beinahe 50 Jahre lang für einen sehr großen Teil der ostdeutschen Bevölkerung zum Alltag. Nach Schätzungen von Kurt Arlt hielten sich zwischen 1945 und 1994 insgesamt etwa 10 Millionen Bürger der Sowjetunion bzw. ihrer Nachfolgestaaten als Soldaten, Zivilbeschäftigte der Streitkräfte oder deren Familienangehörige auf deutschem Boden auf.3 Verglichen mit den quantitativ deutlich kleineren Gruppen der Vertragsarbeiter und politischen Emigranten stellten sie daher in der DDR gleichsam „die Fremden“ schlechthin dar.
Für alle modernen Gesellschaften stellt die aus transnationaler Migration resultierende interkulturelle Begegnung eine fundamentale Herausforderung dar. Obwohl die DDR eindeutig als Ausreise- und nicht als Einwanderungsgesellschaft charakterisiert werden kann, galt dies auch für den SED-Staat. In der historischen DDR-Forschung ist jedoch dem Umgang mit Fremden und den Bedingungen des Fremd-Seins in der staatssozialistischen Diktatur bislang eher geringe Aufmerksamkeit gewidmet worden. Der vorliegende Band setzt - wie das ihm zugrunde liegende Forschungsprojekt „Fremde und Fremd-Sein in der DDR“ - an diesem Desiderat an.
Als Brigitte Reimann, die literarische Chronistin des Aufbaus von Hoyerswerda-Neustadt, 1968 die Stadt nach einem knappen Jahrzehnt wieder verließ, schreibt sie voller Verwunderung: „Merkwürdig, wie man sein Herz an diese öde Landschaft gehängt hat, an diese unmögliche Stadt, an die Leute, an - Gott weiß was. Wenn ich denke, daß nur ein paar Blöcke in einer Sandwüste standen, als wir hierherkamen, und jetzt ist es eine Stadt von fast sechzigtausend Einwohnern, und das Kombinat ist ein riesiger Komplex geworden.“ Nicht nur die sensible Schriftstellerin besaß ein zwiespältiges Verhältnis zu dieser Stadt, sondern dieses Gefühl zwischen Zuwendung und Ablehnung ist heute noch bei der Aufbaugeneration verbreitet; der Stolz auf das Geleistete herrscht vor, wobei die triste Gegenwart zur Verklärung der Vergangenheit beiträgt. Der Chefarchitekt von Hoyerswerda betrachtete sein Werk bereits 1963 mit einer gewissen Trauer: „Er hat sich seine Stadt auch anders vorgestellt. Er sagt, er habe sich vorgestellt, er werde eine wunderschöne Stadt bauen und später, wenn er alt ist, zuweilen aus Dresden rüberkommen, die Straße entlanggehen und in seiner Stadt Kaffee trinken. Die Mittel für die zentralen Bauten sind rigoros gestrichen worden.“