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»Verdammt von Moralisten, glorifiziert als Kunst, unverzichtbarer Wirtschaftsfaktor für die Medien« – so fasste die Journalistin Eva-Maria Burkhardt 1989 in der Zeitschrift »Auto Motor und Sport« die gesellschaftliche Relevanz von Werbung zusammen. Anschließend ging sie auf die massive öffentliche Kritik speziell an der Autowerbung ein. Diese sei verantwortlich für »Rowdytum und Raserei auf den Straßen«, lautete ein vielfach kolportierter Vorwurf von Experten für Verkehrssicherheit, da sie die Symbole »Sportlichkeit« und »Motorleistung« inszeniere. Sicher vereinfachte die zeitgenössische Diskussion den kausalen Zusammenhang zwischen Bildern von rasenden Autos und schweren Verkehrsunfällen; zumindest die Zahl der Verkehrstoten war in der Bundesrepublik der 1980er-Jahre eher rückläufig. Gleichwohl belegt diese Debatte, wie eng (Auto-)Werbung und öffentlich diskutierte Themen aufeinander bezogen waren. Werbung wirkte dabei als »Zerrspiegel« gesellschaftlicher Realität.
Erinnerung ist die Pathosformel unserer Zeit. Sie ist eine der wichtigsten Orientierungsmarken für die kulturelle Selbstverständigung in der westlichen Welt der Gegenwart, gleichviel, ob es um den Umgang mit der Vergangenheit des 20. Jahrhunderts geht oder um das Modell eines künftigen Europa. Parteiprogramme und Koalitionsverträge kommen nicht mehr ohne geschichtspolitische Bekenntnisse aus; Gedenkstättenkonzeptionen sind ein wichtiger Aspekt politischen Handelns geworden; städtebauliche Grundsatzplanungen kreisen um die Aneignung der ‚historischen Mitte‘, und noch die öffentliche Diskussion über den Umbau der Berliner Staatsoper vollzog sich 2008 in der ungleichen Auseinandersetzung zwischen Klang und Aura, bei der die historisierende Gestalt eines Baues von 1953 wie selbstverständlich den Sieg über die künstlerische Funktionalität und architektonische Modernität eines Alternativentwurfs davontrug. Ungeachtet aller mit ungebrochener Selbstverständlichkeit erwarteten Fortschritte in den Natur- und Lebenswissenschaften: In der sinnweltlichen Grundorientierung hat die Vergangenheitsvergewisserung des 21. Jahrhunderts die Zukunftsgewissheit des 20. Jahrhunderts in erstaunlichem Maße abgelöst, wie Hermann Lübbe in kulturkritischer Perspektive schon vor 25 Jahren diagnostizierte, als er die Kombination von „Traditionsgeltungsschwund“ und „Zukunftsgewißheitsschwund“ zur Ursache „kompensatorischer Konservierungsakte“ erklärte.
Neuzeitliche Kunstwörter entbehren häufig der Anschaulichkeit und semantischen Eindeutigkeit. Was genau unter gegenwartsbezogenen Kreuz- und Kofferwörtern wie »Bionik«, »Glokalisierung« oder »Stagflation« zu verstehen ist, bleibt im allgemeinen Sprachgebrauch diffus, und nicht anders ergeht es fachsprachlichen Neologismen wie »Demokratur« oder »autolitär« in der Zeitgeschichte. Diese Feststellung gilt in noch höherem Maße für Wortschöpfungen an der Schwelle zur Moderne, die erst nach Auswanderung aus ihrem Fachkontext sprachliche Popularität gewannen, während ihre Ursprungsverwendung sich wieder verlor: Mit Monomanie, Neurasthenie und auch Nostalgie werden in der Medizin pathologische Phänomene im Grenzbereich von Gesundheit und Krankheit bezeichnet, die erst durch die Sprachschöpfung als Krankheit konstituiert wurden und heute als »vergängliche Krankheitskonzepte« gelten, stattdessen aber zeitweilig oder dauerhaft Eingang in die Alltagssprache fanden.
Der Aufsatz beschreibt anhand von Fallbeispielen die Einführung von Rechnern/Computern in Industrie und Verwaltung sowie die damit einhergehenden Fortschrittsversprechen und Utopien. Der Nutzen der neuen Technologie war für die Akteure zunächst schwer einzuschätzen; daher gab es ein breites Spektrum von Erwartungen, Euphorien und Ängsten. Den „Elektronengehirnen“ der 1950er-Jahre wie auch den späteren Computern wurde im gesamten Untersuchungszeitraum ein Potenzial zugewiesen, das über die damaligen technischen Möglichkeiten weit hinausging. Ein Schwerpunkt der Diskurse war die Frage nach der Zukunft der Arbeit. Als Computer in Unternehmen und Verwaltungen stärker vordrangen, entstanden zahlreiche soziologische Studien, die aus heutiger Sicht aufschlussreiche zeithistorische Quellen sind. Sie dokumentieren strukturelle Veränderungen der Industriegesellschaft, Erfahrungen von Arbeitnehmer/innen im Umgang mit der neuen Technik und zugleich die wissenschaftlichen Versuche, das Phänomen der Computerisierung zu erfassen.
Heavy Braut, Asphalt Lady, Teufelsbraut und Lady Rock – so lauten Titel einiger Heavy Metal Bands der DDR. Von jungen Frauen, die durch einen Konzertbesuch aus dem starren Arbeits- und Familienalltag ausbrechen, über besessene Motorradfahrerinnen bis hin zu durchtriebenen femme fatales thematisierten Musikgruppen wie Plattform, Hardholz, Feuerstein und Cobra ab Mitte der 1980er-Jahre das weibliche Geschlecht. Lassen die in diesen Songs dargestellten Formen von Weiblichkeit auf die Emanzipation von Frauen in der sozialistischen Gesellschaft schließen? Und bot die von der Einheitspartei propagierte Gleichberechtigung Frauen in der DDR begünstigte Teilhabemöglichkeiten an einer Musikszene, die im „Westen“ traditionell männlich dominiert wurde?
Archiv der Poeten. Eine Anthologie zur Geschichte des lyrischen Sprechens – und der Aufnahmetechnik
(2011)
Mit der Erfindung des Phonographen durch Thomas Alva Edison im Jahre 1877 wurde möglich, was bis dahin ins Reich der Fantasie gehörte: die Speicherung von Schall und Klang. Damit wurde wiederholt und jederzeit abrufbar, was zuvor nur in seiner flüchtigen Einmaligkeit zu vernehmen war: die Stimme, oder konkreter: Gesungenes und Gesprochenes. Gereimtes war es, was Edison als Beweis für das Funktionieren seiner Technik in den Schalltrichter des Sprechapparates hineinrief: „Mary had a little lamb. Its fleece was white as snow. And everywhere that Mary went, the lamb was shure to go.“ Auch wenn diese Aufnahme nicht mehr existiert, da sich die ersten Wachswalzen bloß ein- bis zweimal abspielen ließen, kann man von der Geburt der Tonaufnahme aus dem Geiste des Gedichts sprechen.
Der Erfolg der inzwischen nicht mehr ganz so neuen Informations- und Kommunikationstechnologien sowie die damit verbundene Vervielfachung von Daten und Informationen bedeutet weiterhin eine Herausforderung für die Wissenschaft. Die Option des synchronen Zugriffs auf eine Vielzahl von Informationen, ihre Rasterung mittels Suchmaschinen und Datenbanken dynamisiert und dezentralisiert herkömmliche Wissensspeicher wie Archive, Bibliotheken oder Enzyklopädien. Dies wirft grundlegende Fragen auf: Wie kann zuverlässiges Wissen im Netz generiert, präsentiert und distribuiert werden? Wer bürgt bei einer Vielzahl dezentraler Informationskanäle für deren Validität und Stabilität?
Als reale und symbolische Grenze zwischen Ost und West im Kalten Krieg hat die Berliner Mauer internationale Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Sie ist historisch gut erforscht, und seit 2011 gibt es eine mehrfach prämierte Mauer-App, die Informationen über Bau und Verlauf der Mauer, über Fluchtversuche und das Grenzregime der DDR bietet. Die Jerusalemer Mauer – in weiten Teilen eher ein Stacheldrahtzaun –, erscheint dagegen als Marginalie: Sie markierte keine global bedeutsame Blockgrenze im Kalten Krieg, sondern »nur« die Grenze zwischen dem neuen jüdischen Staat und seinen arabischen Nachbarn. Ihre Lebensdauer war mit 19 Jahren auch kürzer als diejenige ihres Berliner Pendants. Seit die israelische Regierung 2002 mit dem Bau einer Mauer zwischen Jerusalem und dem palästinensisch verwalteten Westjordanland begann, ist diese erste Mauer weitgehend in Vergessenheit geraten.
(Version 1.0, siehe auch Version 2.0)
Unter Historikern ist mittlerweile unumstritten, dass Medien in der Zeitgeschichte eine zentrale Rolle spielen. Sie werden nicht einfach als virtueller Spiegel von etwas „Realem” aufgefasst, sondern als integraler Teil sozialer Wirklichkeiten. Das gilt etwa für ihre materielle Dimension, ihre jeweilige alltägliche Nutzung und ihren Einfluss auf Wahrnehmungen und soziale Praktiken. Insofern erscheint es gerade in der Zeitgeschichtsforschung bei den meisten Themen unumgänglich, die jeweilige Bedeutung von Medien analytisch einzubeziehen. Über eine Geschichte der Medien hinaus steht entsprechend die Medialität der Geschichte und damit die Bedeutung von Medien für historische Entwicklungen zunehmend im Vordergrund zeithistorischer Untersuchungen.
Bildredakteure
(2014)
Die Frage, wie kollektive Bildgedächtnisse entstehen, ist eng verknüpft mit der Frage nach dem ästhetischen und informativen Gehalt derjenigen Bilder, aus denen sich diese Bildgedächtnisse speisen. Häufig repräsentieren sie historisch einschneidende Ereignisse oder Momente: Dies gilt für die oben genannten Bilder ebenso wie für Robert Capas Aufnahmen vom D-Day in der Normandie, das Bild des sogenannten Tank Man in Peking 1989 oder Bilder vom Einschlag der Flugzeuge in das World Trade Center im September 2001. Andere ikonische Bilder zeigen historische Personen in einer Weise, die deren „Wesen“ besonders gut zum Ausdruck bringt (oder zu bringen scheint). Zu dieser Gruppe von Bildern zählen das millionenfach reproduzierte Porträt von Ernesto „Che“ Guevara, ein Schnappschuss von Albert Einstein mit herausgestreckter Zunge oder das Bild von Marilyn Monroe mit fliegendem Rock auf einem U-Bahnschacht. Alle diese Bilder haben ästhetische Qualitäten, die ihre massenhafte Reproduktion und die daraus resultierende Ikonisierung plausibel erscheinen lassen.
Eine Verbindung der Themenfelder »Fotografie« und »Diktatur«[1] führt schnell dazu, dass »Bildpropaganda« als gemeinsamer Nenner ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt. Mit Blick auf die bereits geleistete Forschung gilt dies jedenfalls für die Geschichte des Nationalsozialismus und des Stalinismus, die in dieser Hinsicht besser erforscht sind als verschiedene Diktaturen im Süden oder außerhalb Europas. Wenngleich Fotografie in Diktaturen zweifellos für propagandistische Zwecke eingespannt wurde, so erscheint eine Konzentration auf diese Form der Funktionalisierung des Mediums in vielerlei Hinsicht doch problematisch.
Zeitgeschichte selbst kann man genauso wenig „ausstellen“ wie Geschichte an sich; Museen und Ausstellungen können nur bestimmte historische Artefakte präsentieren und tragen dadurch zur (Re-)Konstruktion von „Geschichte“ bei. Eine Debatte über die Kriterien der Sammlung und Präsentation, wie sie hier angeregt wird, ist dabei zugleich eine über das heutige Museum bzw. die moderne kulturhistorische Ausstellung. Das Museum ist nicht mehr allein die alte „Wunderkammer“, baut aber in seinen Sammlungen historisch und systematisch immer noch auf diesem Prinzip auf. Hinzugetreten ist seit dem 19. Jahrhundert ein zunehmend historisch und an nationalen Konstruktionen orientiertes Präsentations- und Deutungsmuster der Ausstellungen, das eng verknüpft ist mit der Professionalisierung der Ausstellungsmacher. Darüber hinaus sind Museen neuerdings „Informations- und Dienstleistungszentren“ geworden, die die Rekonstruktion von Geschichtsfragmenten mittels Objektarrangements und Textinformationen inszenieren.
Die Wirklichkeit ist angekommen … Ein Dossier aus Anlass des russischen Überfalls auf die Ukraine
(2024)
Dieser Band dokumentiert die Texte von deutschen, ukrainischen, polnischen, US-amerikanischen, belarussischen, georgischen und auch russischen Historiker:innen, die kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 entstanden sind. Sie behandeln ganz unterschiedliche Dimensionen einer geschichtlichen Diskussion, die durch die russische Großinvasion ausgelöst wurde. Denn auch zwei Jahre nach Kriegsbeginn ist die historische Kontextualisierung des aktuellen Geschehens wichtiger denn je.
Die Publikation basiert auf einem Dossier auf dem Online-Portal zeitgeschichte | online (zeitgeschichte-online.de) und wird durch einige Texte zum Thema "Bilder des Krieges in der Ukraine" des Online-Angebots Visual History (visual-history.de) ergänzt. Beide Angebote werden vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) Open Access im Internet zur Verfügung gestellt. Das Werk ist auch als Open Access-Publikation online abrufbar unter www.zdbooks.de.
Christoph Classen, Achim Saupe, Hans-Ulrich Wagner
Wie stellt sich das Verhältnis von Authentizität, Medien und Geschichte
unter den Bedingungen der fortgeschrittenen Moderne dar? Der Sammelband
führt kursorisch in dieses Dreiecksverhältnis ein und zeigt die Probleme
auf, in die das Konzept von Authentizität angesichts der
Unvermeidbarkeit von Medien in historischen und generell kommunikativen
Zusammenhängen führt.
Mit Beiträgen von: Christoph Classen, Miriam Frank, Juliane Hornung,
Judith Keilbach, Sylvia Kesper-Biermann, Georg Koch, Helmut Lethen,
Michael Ostheimer, Raphael Rauch, Brigitte Sahler, Magdalena
Saryusz-Wolska, Achim Saupe, Franziska Schaaf, Julia Schumacher, Daniel
Siemens, Katja Stopka, Hans-Ulrich Wagner