regional übergreifend
„Auf einer Weltkarte ist Europa kaum zu sehen“ - so lautet der erste Satz eines Essays zur europäischen Geschichte, den der französische Historiker Fernand Braudel in den 1980er-Jahren verfasste und der erst kurz nach seinem Tod veröffentlicht wurde. Braudel beschränkt sich nicht darauf, jene geographische Ausgangsposition des Kontinents weiter zu erläutern, die in den vergangenen Jahrhunderten den Schauplatz vielfältiger europäischer Geschichte bildete. Vielmehr zeigt er, wie sehr Europa beständig „über seine räumlichen Grenzen hinausgegriffen“ habe. Braudels Europa ist auch im ausgehenden 20. Jahrhundert noch fast überall, obwohl der Kontinent mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und im Zuge der Dekolonisation vermeintlich in seine alten Grenzen zurückverwiesen worden war.
Geographisch und kulturell scheint der Nahe Osten von Deutschland weit entfernt zu sein. Historisch betrachtet ist dies ein Trugschluss, denn die dort virulenten Konflikte sind eng verflochten mit der europäischen Kolonialgeschichte, der Geschichte des Nationalsozialismus und der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte. Im Alltag sind sowohl der Nahostkonflikt als auch Frieden im Kleinen heute in vielfältiger Weise präsent: Während sich in Deutschland antisemitische und antizionistische, aber auch antimuslimische Angriffe häufen, serviert das von einem jüdischen und einem arabischen Israeli gemeinsam betriebene Berliner Restaurant Kanaan im Prenzlauer Berg »Hummus zur Völkerverständigung«. Das von Daniel Barenboim und Edward Said 1999 in Weimar gegründete West-Eastern Divan Orchestra, paritätisch mit israelischen und arabischen Musiker*innen besetzt, existiert nunmehr seit 20 Jahren und hat einen seiner Arbeitsschwerpunkte in Berlin. Unter den Menschen wiederum, die seit Beginn des Bürgerkrieges in Syrien nach Deutschland kamen, sind nicht wenige Nachfahren von Palästinenser*innen, die im Kontext der israelischen Staatsgründung aus dem ehemaligen britischen Mandatsgebiet flüchteten oder vertrieben wurden.
Kämpfe um Rückführungen prägen das europäische Grenzregime des 21. Jahrhunderts. Wie wir mit dem Konzept der Rückführbarkeit (Returnability) herausarbeiten, kommen dabei »sanfte« Instrumente der sogenannten Rückkehrförderung ebenso zum Einsatz wie gewaltsame Abschiebungen. Diese werden von migrantischen Widerständen herausgefordert. Zentrale Auseinandersetzungen in diesem Rückführungsregime analysieren wir im Zentrum der Europäischen Union und an ihren Rändern: Für Deutschland betrachten wir am Beispiel der bayerischen »Anker-Zentren« die Mikrophysik der Macht in Sammelunterkünften, Rückkehrberatung und Abschiebevollzug. Für Tunesien zeigen wir, wie staatliche Instrumente der Inhaftierung und Abschiebung durch internationale Programme und informelle Praktiken zur Unterstützung »freiwilliger Rückkehr« ergänzt werden. Unsere sozialwissenschaftliche Untersuchung stützt sich auf teilnehmende Beobachtungen, Interviews und schriftliche Quellen. Zeithistorisch bezieht sie die administrativen, diskursiven und politischen Voraussetzungen des heutigen Grenzregimes ebenso mit ein wie die migrantischen Handlungsspielräume und Widerstandspraktiken.
Zu keinem Zeitpunkt wurde der „kurze Traum immerwährender Prosperität“1 intensiver und farbiger geträumt als zu Beginn der 1970er-Jahre. Mit Karl Schillers ökonomischer Globalsteuerung hatte die Große Koalition das Instrumentarium keynesianischer Konjunkturregulierung in ihre Wirtschaftspolitik integriert. Und als die Mini-Rezession von 1966/67 rasch überwunden werden konnte, schien es, als sei der kapitalistische Drache endgültig in Bande geschlagen und in einen Goldesel verwandelt. Ein langfristig stabilisiertes Wirtschaftswachstum würde steigende Einkünfte aus Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen bewirken und so die finanziellen Grundlagen sozialliberaler Reformpolitik dauerhaft sicherstellen. Das war die große Utopie.
Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, seit Grammophon und Telefon ist es möglich, Schallphänomene verschiedenster Art auf Tonträger zu speichern und über größere Distanzen hinweg zu verbreiten. Schallerzeugung und -wahrnehmung wurden zeitlich und räumlich voneinander entkoppelt – die Wahrnehmung bedeutungstragender und ästhetisch gestalteter Klänge wurde von der Anwesenheit schallerzeugender Personen (Sprecher, Sänger, Instrumentalisten) unabhängig. Bislang flüchtig gebliebene Situationsgeräusche konnten nun festgehalten und an ferne Rezipienten verbreitet werden – Anwesenheit und Notation waren keine Grundbedingungen mehr für die Tradierung von Musik. In den 1920er-Jahren entstand mit dem Radio zudem das erste Echtzeit-Massenmedium, das die Technologien von Telephonie und Funk kombinierte und ein großes, räumlich verstreutes Publikum gleichzeitig mit akustischen Reizen belieferte. Speichertechnologien (Schall- und Wachsplatten, später Tonbänder) erlaubten es schließlich, unterschiedlichste Schallphänomene auf ein durchgestaltetes Endresultat hin zu arrangieren, dem seine technischen Herstellungsbedingungen oft nicht anzumerken sind. Diese neuen Audiotechnologien schufen also neuartige Hörkontexte und -gelegenheiten, welche die auditive Wahrnehmung im 20. Jahrhundert entscheidend geprägt haben.
Zum internationalen Holocaust-Gedenktag am 27. Januar 2011 ging das Fotoarchiv der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem ins Netz. Insgesamt wurden bisher etwa 150.000 Fotos digitalisiert und auf der Website zugänglich gemacht. Das Projekt basiert auf einer Kooperation mit Google. Die enorme Materialfülle eröffnet den Besuchern die Möglichkeit, neben „Ikonen der Vernichtung“ selbst neue „Bilderwelten“ aufzutun – zugleich ist das Projekt nicht frei von Startschwierigkeiten.
In den 1960er- und 1970er-Jahren führten die Satiren von Ephraim Kishon (1924–2005) die westdeutschen Bestseller-Listen an. Wie erklärt sich diese Resonanz des israelischen Autors gerade in der Bundesrepublik? Während Kishons Beliebtheit von deutschen Leser*innen (und von ihm selbst) vor allem als ironische Wendung der Geschichte bezeichnet wurde, versucht der Beitrag den publizistischen Erfolg im Kontext der frühen deutsch-israelischen Beziehungen genauer zu bestimmen, indem Akteure und Strukturen des literarischen Feldes betrachtet werden. Zum einen wird Kishons Rezeption in der Bundesrepublik vor dem Hintergrund von Versöhnungsrhetoriken und Auseinandersetzungen um den jüdischen Humor interpretiert. Zum anderen beleuchtet der Beitrag die Bedeutung der beteiligten Zeitungs- und Buchverlage. Die Verlagshäuser Langen Müller (Herbert Fleissner) und Ullstein (Axel Cäsar Springer) spielten eine besondere, politisch hochgradig ambivalente Rolle. Während dieses Netzwerk Kishon vor allem als Unterhaltungsautor darstellte, äußerte er sich nach dem Sechstagekrieg 1967 immer wieder auch politisch in deutschen Medien. Kishon trug damit zu einer Politisierung bei, die bis in die Gegenwart die Rezeption israelischer Literatur in der Bundesrepublik prägt.
Den Grundton setzt ein Paukenschlag: Für den Philosophen und Theologen Ivan Illich (1926–2002) war die »Zunft der Ärzte [...] zu einer Hauptgefahr für die Gesundheit geworden« (S. 9). Polemisch, metaphernreich, in einer polarisierenden und mitunter auch prophetischen Sprache trug Illich Mitte der 1970er-Jahre die These vor, dass der medizinische Fortschritt in seiner Gesamtbilanz nicht zu besseren Gesundheitsverhältnissen geführt habe. Vor allem das Krankenhaus erschien ihm als Verkörperung mannigfacher Fehlentwicklungen moderner Industriegesellschaften und ihrer Heilsversprechen. Illichs sprachgewaltige Kritik richtete sich gegen eine medikale Kultur, die durch die Macht staatlich privilegierter professioneller Experten und ihrer Versuche bestimmt sei, »alle Krankheiten mithilfe von technischen Erfindungen in den Griff zu bekommen« (S. 56). Strenger als Illich, so bilanzierte der »Spiegel«, habe »noch keiner den Medizinmännern die Leviten gelesen«.
Der vorliegende Aufsatz analysiert, wie die aus damaliger und heutiger Sicht unerwartet große Flüchtlingshilfe gegenüber den vietnamesischen »Boat People« aufkam und ihre starke Dynamik gewann. Untersucht wird, welche Rolle zivilgesellschaftliche Gruppen, die staatliche Bürokratie, politische Parteien sowie Medien dabei spielten und wie diese bei der konkreten Aufnahme von Flüchtlingen interagierten. Dabei wird erstens gezeigt, dass anfangs vor allem öffentlicher Druck die sozialliberale Regierung zu einer Aufnahme der Indochina-Flüchtlinge bewegte, sich dann aber zivilgesellschaftliches und staatliches Handeln wechselseitig ergänzten. Das zweite Argument lautet, dass der öffentliche Druck insbesondere durch mediale Kampagnen und durch christdemokratische Initiativen aufkam, die entschieden für die Aufnahme der Flüchtlinge eintraten. Eine wichtige Rolle spielte dabei, so die dritte These, dass die »Boat People« diskursiv mit der deutschen Nachkriegsgeschichte verbunden wurden – speziell mit der Vertreibung der Deutschen am Ende des Zweiten Weltkriegs. Viertens zeigt der Aufsatz, wie Techniken der Flüchtlingsaufnahme und neue Formen humanitärer Hilfe entstanden, die sich als zivilgesellschaftlicher und bürokratischer Wandel interpretieren lassen.
My main argument here is that the story seen from the perspective of the influential year of 1962 reveals a very different historical context, with a different set of actors and a different trajectory and causalities regarding the human rights breakthrough, from those stories focusing on Western agency in the 1940s and the 1970s. It repositions the history of human rights in significant ways and makes apartheid and racial discrimination more crucial to the human rights story than has hitherto been acknowledged. It is also important to emphasize that the positions and arguments presented by countries from the Global South in these UN debates were richly nuanced. These nuances are important if we are to fully appreciate the dynamics during these years. Tanzania differed significantly from, for instance, Senegal in the way it envisaged the scope and applicability of international human rights law and investigatory measures. Tanzania wanted a sole focus on Southern Africa and not beyond; Senegal had a wider perspective. This should remind us that when we are imagining Africa as a historical-political space, we need to allow for diversity, individual histories and agency, aspects that cannot be adequately captured by labels such as ›The Third World‹, ›Global South‹ or indeed even ›Africa‹.
Der untergegangene Staatssozialismus war eine Gesellschaft der Gleichen. Mit ihrer Gleichheit war es aber so eine Sache. Wie es in Orwells „Farm der Tiere“ heißt: „Alle Tiere sind gleich. Aber manche sind gleicher.“ Trotz dieses Einwandes erscheint manchem die Unterscheidung zwischen vergangener Gleichheit und heutiger Ungleichheit plausibel, weil es seit 1989/90 eine rasante soziale Ausdifferenzierung gab. Sie hat den Staatssozialismus nachträglich in ein milderes Licht getaucht. Der vorliegende Essay wird sich mit dem sozialen Wandel und der Entstehung der gegenwärtigen Ungleichheit in Osteuropa beschäftigen – die einigen als gerecht, anderen aber als ungerecht erscheint. Um genauer verstehen zu können, was die Ungleichheit für die Politik und den Alltag in diesen Gesellschaften bedeutet, soll gefragt werden: Wie stand es mit Gleichheit und Ungleichheit im Spätsozialismus? Welche Art von sozialer Ungleichheit bildete sich nach 1989 heraus, und welche Aufgaben für deren politikwissenschaftliche und zeitgeschichtliche Analyse lassen sich identifizieren?
Das Thema Migration hat auch in der Museumslandschaft Konjunktur. Auf Konferenzen werden Formen der Erinnerung von Einwanderung diskutiert, Ausstellungen nehmen sich europaweit verstärkt des Themas an, und in neugestalteten oder überarbeiteten Dauerausstellungen wird der Komplex zum integralen Bestandteil musealer Präsentationen. Neben Migration als Thema für das Museum steht dabei zunehmend die Gründung eigenständiger Institutionen im Raum. Der neuartige Typ Migrationsmuseum soll dabei, seinen Vordenkern gemäß, die übergeordnete Relevanz des Themas signalisieren, einen Erinnerungs- und Repräsentationsort schaffen sowie eine Plattform zur Auseinandersetzung über heutige Einwanderungsgesellschaften bieten. Die Gründung solcher Migrationsmuseen betreiben derzeit Initiativen in Deutschland, der Schweiz und Frankreich.
The introduction to this issue on historical surveillance studies argues for an integrated understanding of surveillance that focuses on the interconnectedness of the state, economy and sciences within the context of different forms of technological revolution. It suggests reading contemporary diagnoses of ‘total surveillance’ from a long-term historical perspective beginning in the seventeenth century. In this light, surveillance is not limited to intelligence history or state control. Rather, it produces patterns of order and data that can be deployed for political processes like urban planning, welfare policy, crime prevention, or the persecution of political opponents. Furthermore, surveillance is also part of the economy, encompassing market and consumption research, advertising, and workplace monitoring. Research into the political and the economic aspects of surveillance should be combined. After defining the term ‘surveillance’ and differentiating between security and surveillance studies, the article provides an overview of different empirical studies in this new historiographical field. It concludes with shortsummaries of the articles collected in this issue.
Jeder weiß, was „die Umweltbewegung“ ist – bis man aufgefordert wird, sie zu definieren. Im Vergleich mit anderen sozialen Bewegungen zeichnen sich Umweltbewegungen seit jeher durch eine besondere Unschärfe aus, die Forscher und Kommentatoren regelmäßig irritiert. Hinter dem Kollektivsingular „Umwelt“ verbirgt sich ein breites Themenspektrum: vom Artenschutz bis zur Pflege des Landschaftsbildes, von der Umweltverschmutzung bis zur Ressourcenschonung. Zudem fehlt ein mächtiges Zentralorgan: Die Organisationen der Umweltszene sind nicht nur in Deutschland ein unübersichtliches Geflecht von regional und thematisch heterogenen Verbänden. Weiter lässt sich eine zentrale Konfliktlinie, anlog etwa zum Gegensatz von Arbeit und Kapital, für ökologische Fragen nur mit Mühe konstruieren. Schließlich greift eine Fixierung auf Verbände offensichtlich zu kurz. Mit Hingabe kultivieren Aktive zum Beispiel den Archetyp des Mahners und Warners, der sich um die Alltagsprobleme zivilgesellschaftlicher Organisation nicht sonderlich kümmert.
Eine »Völkerwanderung«? Die Flucht aus Rumänien und die Flüchtlingspolitik in Österreich um 1990
(2023)
Als sich 1989 der »Eiserne Vorhang« in Europa öffnete, waren im »Westen« die Ängste vor einem ungeregelten Zuzug aus dem sich auflösenden »Ostblock« groß. Dass die Einreise von rumänischen Staatsbürger:innen Anfang der 1990er-Jahre tatsächlich zunahm, wurde als Beleg für die Befürchtungen gesehen. Die Frage nach dem Umgang mit Flüchtlingen aus Rumänien prägte die Auseinandersetzung über Flucht und Migration in Europa jedoch bereits seit Mitte der 1980er-Jahre – auch innerhalb des sozialistischen »Blocks«. Wegen der prekären Wirtschaftslage und der repressiven Politik des Ceaușescu-Regimes versuchten immer mehr Menschen Rumänien zu verlassen. Ihre erste Station war meist Ungarn, das als Reaktion auf die Fluchtbewegung 1989 der Genfer Flüchtlingskonvention beitrat und die Arbeit des UNHCR im eigenen Land zuließ, wovon im Sommer 1989 auch Bürger:innen aus der DDR profitierten, die über Ungarn und Österreich in die Bundesrepublik gelangen wollten. Die internationale Hilfe knüpfte an die Erwartung an, dass durch eine bessere Versorgung in Ungarn der Migrationsdruck auf den »Westen« reduziert werden könne. Diese Hoffnung teilte auch Österreich, wo fremdenfeindliche Stimmungen gegenüber Rumän:innen die Asyl- und Flüchtlingspolitik für die kommenden Jahrzehnte prägten.
Diesen Spielfilm umgab nicht nur hierzulande lange ein hartnäckiges Missverständnis. Er feiere, so hieß es, eine glitzernde Scheinwelt, in der narzisstische Mitmacher konsumierten statt kritisierten. Er repräsentiere den neukonservativen Wertehimme der „Lord-Extra-Generation angepaßter Jungen und Mädchen“.1 Andere sahen eher Resignation und Flucht vor bedrückenden Gegenwartsproblemen. 1978, auf dem Höhepunkt der so genannten Disco-Welle, waren sich westdeutsche Beobachter aber darin einig, das massenhafte Tanzen zu elektronisch reproduzierter Musik als Anpassung und Entpolitisierung der jungen Generation deuten zu dürfen. Auch nachdem die Welle und die mit ihr verbundene Kulturkritik abgeflaut waren, blieb „Saturday Night Fever“ als belangloses „Sozialaufsteigerfilmchen“ gespeichert. Poststrukturalistisch gewendet lässt sich der Streifen als Auftakt zu einer Reihe international erfolgreicher Tanzfilme wie „Fame“ (1980), „Flashdance“ (1983) oder „Footlose“ (1984) verstehen, die in den neoliberalen 1980er-Jahren dem Publikum ein unternehmerisches Verhältnis zum eigenen Körper nahebrachten.
Selten kommt es vor, dass ein Text 25 Jahre nach seinem erstmaligen Erscheinen ins Deutsche übersetzt wird. Das ist beim Mammutaufsatz von Juan José Linz über »Totalitarian and Authoritarian Regimes« aus dem Jahr 1975 der Fall. Und was das Erstaunen noch größer macht: Der deutsche Herausgeber und Übersetzer war Raimund Krämer, ein in der DDR am Potsdamer Institut für Internationale Beziehungen der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR ausgebildeter Wissenschaftler, der sich 1985 dort habilitiert hatte. Ausgerechnet einem Mitglied der einstigen Diplomatenschule der DDR, das einen engen Austausch mit Linz während dessen Georg-Simmel-Gastprofessur an der Humboldt-Universität zu Berlin 1997 gepflegt hatte, kommt nun das Verdienst zu, das Gedankengut des Hispano-Amerikaners im deutschen Wissenschaftsbetrieb stärker bekanntgemacht zu haben. Krämer gefiel die sachliche Analyse, die einen vordergründigen Moralismus mied, und das beiderseitige Interesse für latein- und mittelamerikanische Regierungssysteme dürfte die kollegiale Verbundenheit noch gefördert haben.
Ein Museum lässt Migranten sprechen. Die Wege jüdischer Zuwanderer in die Bundesrepublik Deutschland
(2011)
Die Ausstellung „Ausgerechnet Deutschland!“ dokumentierte die Geschichte von 20 Jahren jüdischer Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland. Gleichzeitig ging sie über ein rein historisches Projekt hinaus: Das Jüdische Museum Frankfurt hat gezeigt, dass eine museale Darstellung nicht nur dokumentieren, sondern auch lebendige Gegenwartskulturen zum Sprechen bringen kann.
Der „Kalte Krieg“, so er sich denn als sinnvoller Epochenbegriff durchsetzt, sollte vorerst nicht insgesamt musealisiert werden. Eine Darstellung der Teilung Berlins, Deutschlands und Europas, aber auch der wechselnden und fortdauernden Verflechtungen würde einen bescheideneren und angemesseneren Rahmen bilden. Eine Ausstellung könnte dabei ein Kern sein, sollte jedoch vor allem eines leisten: eine vielfältige Erinnerungslandschaft in Berlin, in Deutschland, in Europa erschließen und neugierig auf sie machen.
»Die deutschen Juden, denen die neue Wendung nicht unerwartet kommen kann, haben ihre innere Ruhe und Würde zu wahren. Es ist selbstverständlich, daß das deutsche Judentum sich gegen jeden Versuch der formalen und tatsächlichen Entrechtung und Depossedierung mit allen Mitteln und aller Energie zur Wehr setzen wird. Diesen Kampf kann nur ein Judentum führen, das von unbeugsamem Stolz auf sein Volkstum erfüllt ist. Mit Versuchen der Anpassung und Selbstverleugnung ist es vorbei.«