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Ich werde zunächst einen knappen Überblick über die soziale wie politische Zusammensetzung der Abgeordneten geben. Danach werde ich zwei wichtige Debatten und Beschlüsse ausführlicher skizzieren - und zwar zwei Debatten vom Spätsommer und im Herbst 1848, die einerseits ein Schlaglicht werfen auf das ausgeprägt radikalliberale Selbstverständnis der Preußischen Nationalversammlung und andererseits zugleich bedeutsam sind mit Blick auf das Ende der Berliner und damit der Preußischen Revolution. Am Schluß meines Vortrages werde ich dann auf das Ende der Preußischen Nationalversammlung und mit ihr auch das Ende der Revolution in Preußen zu sprechen kommen.
Die Revolution von 1848/49 ist die einzige geblieben, die gesamteuropäische Dimensionen besaß. Sie erfaßte die Schweiz, Frankreich, alle deutschen Staalen, das dreigeteilte Polen (hiervor allem das preußiscl1e Großherzogtum Posen), sämtliche Landesteile der Habsburgermonarchie, neben dem heutigen Österreich mit dem Zentrum Wien vor allem 'Böhmen und Mähren' (heute Tschechien und Slowakei) sowie die ungarische Reichshälfte, die neben eiern heutigen Ungarn außerdem u. a. Slowenien, Kroatien, Serbien und Transsylvanien (das heutige Rumänien) einschloß. Von der Revolution erfaßt wurde außerdem das 'Königreich' Lombardo-Venetien, das damals gleichlalls zum österreichischen Vielvölkerstaat gehörte, Piemont-Sardinien, die (Groß-)Herzogtümer Parma, Modena und Toskana, der Kirchenstaat und nicht zuletzt das sozialökonomisch besonders rückständige Königreich der beiden Sizilien mit der Hauptstadt Neapel. Weitgehend unberührt von revolutionären Erschütterungen blieben lediglich die beiden konstitutionell-parlamentarischen Monarchien in Belgien und Groß Britannien (damals die 'fortgeschrittensten' politischen Systeme) und das zaristische Rußland, in den Augen der Zeitgenossen der „Hort der Reaktion'. In den Niederlanden und den skandinavischen Staaten kam es mehr zu Reformschüben denn zu 'echten' Revolutionen, in dem seit 1830 selbständigen Griechenland , in Irland und in Spanien nur zu kleineren, lokalen Aufständen.
Die traditionelle Revolutionshistoriographie hat für den deutschen Raum bisher in aller Regel lediglich die beiden Großmächte Preußen und Österreich sowie die deutschen Mittelstaaten, Bayern, Württemberg und vor allem das revolutionsbewegte Baden, seltener die hessischen Staaten, Sachsen oder das Königreich Hannover in den Blick genommen, nur ausnahmsweise die deutschen Klein- und Zwergstaaten. Diese Schieflage ist durch die im Jubiläumsjahr 1988 publizierten Forschungsergebnisse zwar ein wenig austariert worden. Aber auch wenn kleinere Fürstentümer jüngst ihre Revolutionshistoriker gefunden haben, so sind die vielschichtigen Beziehungen, das Spannungsverhältnis zwischen benachbarten Groß- und Mittelmächten einerseits sowie Klein- und Zwergstaaten andererseits für die Jahre 1848/49 bisher kaum untersucht worden.
Obgleich der Berliner Handwerkerverein erst 1850 verboten - und 1859 erneut ins Leben gerufen - wurde, beschränken sich die folgenden Ausführungen im wesentlichen auf die Zeit bis Anfang 1848: Mit der Berliner Märzrevolution brach eine neue Zeit an, während der der große Handwerkerverein an Bedeutung verlor. Die über den März 1848 hinausreichenden Wirkungen des Handwerkervereins, seine Bedeutung als Keimzelle der späteren Arbeiterbewegung, werden nur gestreift. In anderer Beziehung wird uns die in dem eingangs zitierten Satz von Born aufgeworfene Frage allerdings näher interessieren: Lange vor der Märzrevolution hatten Vertreter der Obrigkeit den gleichen Verdacht geäußert, bei dem Handwerkerverein handele es sich um einen “Heerd der Hegung und Verbreitung politisch gefährlicher Bestrebungen". Die Frage, warum der Verein von den Behörden dennoch nicht kurzerhand verboten wurde, bedarf der Klärung. In diesem Zusammenhang müssen ferner die Querverbindungen zu liberal- bürgerlichen Vereinen, die in der ersten Hälfte der vierziger Jahre ins Leben gerufen wurden, und zum Bund der Kommunisten wenigstens in groben Zügen nachgezeichnet werden. Schließlich ein terminologisches Problem: Eigentlich müßte man nicht von einem, sondern von vier Berliner Handwerkervereinen in der Zeit des Vormärz sprechen; denn neben dem 'großen' existierten in der preußischen Hauptstadt noch drei kleinere. Allein die Zahl der Mitglieder des ‘großen’ Handwerkervereins (nach seinem Gründer und langjährigen Vorsitzenden auch: Hedemannscher Handwerkerverein genannt) übertraf die der drei kleineren um das vier- bis achtfache. Um ihn geht es in erster Linie: Wenn im folgenden im Singular von 'Handwerkerverein’ die Rede ist, ist stets der große, Hedemannsche gemeint.
Da hier die Wandlungen des Revolutionsbegriffes und ebenso die beträchtlichen Kontinuitäten im Revolutionsverständnis in langfristiger Perspektive zu thematisieren sind, werden im folgenden einleitend (I.) die Begriffe von Revolution, wie sie bis zum Januar/Februar 1848 die öffentliche Diskussion bestimmten, vorgestelit. Im anschließenden Abschnitt (II.) wird das allmählich schärfer konturierte Revolutionsverständnis der Zeitgenossen bis Juni 1848 skizziert. Danach wird (III.) ausführlicher dargesteilt, warum und in welcher Weise die Pariser Junirevolution eine nachhaltige Umwertung des Revolutionsbegriffes zur Folge hatte. Besonders in diesem und dem IV. Abschnitt, in dem es um die Ausbildung der Revolutionsbegriffe der verschiedenen politischen Strömungen geht, wird den Verästelungen des Revolutionsbegriffes nachgespürt. In dem Maße, wie die verschiedenen politischen Strömungen sich auskristallisierten und entschiedener voneinander abgrenzten, gewann auch der Revoiutionsbegriff der verschiedenen 'Parteien' an Kontur. Dem Pluralismus der 'Parteien' entsprach eine Pluralität der Revoiu- tionsbegriffe.
Da eine Arbeiterklasse als relativ homogene, soziale Großgruppe 1848 noch nicht existiert hat, drängen sich als erstes folgende Fragen auf: Was heißt eigentlich 'soziale Unterschichten'? Wie setzten sie sich zusammen? Welches Bewußtsein, welche Verhaltensmuster herrschten in den unteren Sozialschichten?
Mit Blick auf den Charakter und den Verlauf der Revolution
wäre dann genauer zu untersuchen: Welche Veränderungen lassen sich 1848 hinsichtlich Bewußtsein und Verhaltensdispositionen beobachten? Was läßt sich über das Organisationsverhalten insbesondere der Gesellen und Fabrikarbeiter sagen? Abschließend sollen dann einige Thesen zum Verhältnis von Bürgertum und städtischen Unterschichten formuliert werden. Im folgenden geht es ausschließlich um Großstädte, genauer: um die drei großen Metropolen Mitteleuropas, die zugleich für den Verlauf der europäischen Revolution 1848 am wichtigsten waren - um Berlin, um
Paris sowie um Wien.
Das Revolutionsjahr 1848 markiert den Aufbruch in die Moderne. Nicht zuletzt Berlin wurde zum Schauplatz einer fundamentaldemokratischen Bewegung bis dahin unbekannten Ausmaßes, in Dimensionen, wie sie - so muß man leider ergänzen - in den folgenden eineinhalb Jahrhunderten in den an traditionsbildenden demokratischen Ereignissen armen deutschen Staaten eine seltene Ausnahme geblieben sind.
Im Zentrum dieses Aufsatzes steht die europäische Dimension der Revolution. Sie läßt sich auf knappem Raum freilich nicht gleichmäßig ausleuchten. Ich werde mich auf die städtische Revolution konzentrieren - den für den gesamten Revolutionsprozeß eminent wichtigen Agrarbereich also ausklammern - und hier wiederum vor allem die Entwicklungen und Ereignisse in den drei europäischen Revolutionsmetropolen Paris, Wien und Berlin in den Blick nehmen. Der preußischen Metropole gilt darüber hinaus besondere Aufmerksamkeit, weil sie sich im Revolutionsjahr zur informellen Hauptstadt des 1848/49 staatlich ja nur vorübergehend geeinten Deutschlands mauserte. Die folgenden Ausführungen gliedern sich in acht Abschnitte. Sie beginnen jeweils mit einer These, die dann in mehr oder weniger groben Strichen ausgemalt wird.
Die preußische Hauptstadt sei "sehr groß". Man könne "sich leicht verlaufen, so daß man weder Weg noch Steg weiß", mokierte sich wohl auch aufgrund eigener leidvoller erfahrungen der berühmte Historiker Jacob Burckhardt, 1839 aus dem beschaulichen Basel nach Berlin gekommen, um bei Leopold v. Ranke und Gustav Droysen Geschichte zu studieren.Auf andere wirkte die Preußenmetropole nicht so einschüchternd. Obwohl (oder:weil) Berlin im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts gleichsam "blitzschnell" in die erste Garnitur der größeren europäischen Hauptstädte aufstieg, mit altehrwürdigen Metropolen wie Wien gleichzog und andere wie Prag oder Rom in den Schatten stellte, äußerte Heinrich Heine, der mit der traditionsreichen kontinentaleuropäischen Metropole Paris wohl auch eine zu hohe Meßlatte ansetzte, 1822 verächtlich: "Berlin ist gar keine Stadt, sondern Berlin giebt bloß den Ort dazu her, wo sich eine Menge Menschen ... versammeln, denen der Ort ganz gleichgültig ist."