Polen
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Der Artikel betrachtet die späten 1960er- und die 1970er-Jahre als eine Umbruchszeit, in der in West- wie in Osteuropa fundamental neue Gesellschaftsentwürfe formuliert wurden. Ausgehend von 1968 als transnationalem Protestjahr wird gefragt, inwieweit sich die an Bedeutung zunehmenden Oppositionsbewegungen im östlichen Teil Europas von den neuen sozialen Bewegungen in Westeuropa unterschieden. Dabei werden die Geschlechterbeziehungen in den staatssozialistischen Gesellschaften ins Zentrum der Analyse gerückt, und es wird herausgearbeitet, inwieweit die Formung der Geschlechterverhältnisse durch staatliche wie oppositionelle Politik neue Gesellschaftsentwürfe beeinflusste. Die Konservierung traditioneller Geschlechterverhältnisse war sowohl für die Regime als auch für die oppositionellen Bewegungen funktional. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass im östlichen Europa - im Gegensatz zu Westeuropa und den USA - aus den gesamtgesellschaftlichen Protestbewegungen keine einflussreiche Frauenbewegung hervorging.
Der Aufsatz analysiert die Kontakte zwischen der Hauptkommission zur Erforschung der deutschen bzw. »hitleristischen« Verbrechen in Polen und der bundesdeutschen Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen. Welche Dynamiken und Problemfelder entwickelte eine solche Kooperation vor dem Hintergrund des Kalten Krieges? Ein Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf dem jeweiligen Verständnis von Recht und den praktischen Herausforderungen. Da zwischen Polen und der Bundesrepublik bis 1970/72 keine direkten diplomatischen Beziehungen bestanden, war schon die Frage heikel, was »Rechtshilfe« bedeuten konnte. Der Dialog bewegte sich zwischen Kooperationswillen und beidseitiger Frustration, die aus konträren gesellschaftspolitischen und juristischen Voraussetzungen resultierte. Die polnische Hauptkommission war bereits 1945 gegründet worden, die Ludwigsburger Zentralstelle erst 1958. Für die justizielle Aufarbeitung der NS-Verbrechen im bilateralen Kontext bedurfte es mühevoller Verhandlungen. Vielfach berührten sie die Ebene der politischen Emotionen; dies zeigte sich etwa im situativ variierenden Gebrauch der deutschen Sprache durch die polnischen Vertreter. Die Intensität der Kommunikation über das Recht war bemerkenswert, auch jenseits der konkreten Ergebnisse für die Strafverfolgung.
Wie lässt sich soziale Ungleichheit in staatssozialistischen Gesellschaften konzeptionell fassen? Der Beitrag stützt sich auf neuere Ungleichheitskonzepte der Soziologie und führt die Debatte um das Verhältnis von Sozial- und Geschichtswissenschaften fort – im Hinblick auf aktuelle Fragen einer Gesellschaftsgeschichte der kommunistischen Diktaturen. Diskutiert werden die gewollten und ungewollten Verteilungen sozialer Vor- und Nachteile, die innergesellschaftlichen Diskurse über „Privilegien“ und „arbeiterlichen Egalitarismus“ sowie die sozialen Dynamiken im Vorfeld der Systemtransformationen Ende der 1980er-Jahre. Besonders am Beispiel der DDR zeigt der Aufsatz die „intersektionale“ Verteilung von Armut und Reichtum nach Einkommen, bürokratischen Mechanismen und Effekten des „grauen“ Marktes. Eine weiterführende These lautet: Es gab einen engen Zusammenhang zwischen der sozialen Differenzierung im späten Staatssozialismus vor 1989/90 und der „Verungleichung“ danach.
Während des Zweiten Weltkrieges flüchteten etwa 150.000 Europäer vor Krieg und Besatzung nach Großbritannien. Unter ihnen waren Angehörige der vormaligen europäischen Regierungen, Verwaltungen, politischen Eliten, Militärs und Königshäuser. Aus ihren Reihen bildeten sich Nationalkomitees und Exilregierungen, die die nationale Souveränität ihrer Länder trotz deutscher Besatzung aufrechterhalten und als Alliierte für einen gemeinsamen Sieg über Hitler eintreten wollten. Im Zentrum Londons lebten und arbeiteten sie in enger Nachbarschaft. Rechtlich betrachtet erreichten die Mitglieder der Exilregierungen London meist als individuelle Flüchtlinge; sie verließen die Stadt überwiegend als Angehörige anerkannter Regierungen. Eine genauere Untersuchung des »London Moment«, dieser formativen Phase europäischer Politik, bricht den vermeintlichen Gegensatz zwischen Macht und Ohnmacht auf und trägt so zur Reflexion über Flucht und Flüchtende bei. Der Aufsatz erläutert die Entwicklung des rechtlichen Status der Exilanten und folgt vier Fallbeispielen von der Ankunft zur Etablierung in London.
Zeit seines Lebens hat sich Stanisław Lem (1921–2006) dagegen verwehrt, Science-Fiction-Autor genannt zu werden. Natürlich war er selbst an dieser Etikettierung nicht ganz schuldlos, denn wer einen Großteil seiner literarischen Sujets in außerirdische Welten verlagert, von denen »Robotermärchen« und »Sterntagebücher« künden, dem mag es leicht passieren, dass er im Regal des Buchladens neben Perry Rhodan landet. Doch hat Lem nicht allein futuristische Szenerien entworfen. Sein erster Roman »Das Hospital der Verklärung« war ein überaus realistisches Werk, noch dazu mit dem Blick in einen historischen Abgrund: Beschrieben wird die Konfrontation eines jungen polnischen Arztes mit dem Patientenmord an den Bewohner*innen einer Nervenheilanstalt während des Zweiten Weltkrieges durch die deutschen Besatzungstruppen. Dieser Erstling ist hinter den Spiralnebeln der späteren Bestseller des Autors lange Zeit weitgehend verborgen geblieben. Doch ist die Darstellung nicht allein aufgrund ihrer literarischen Qualität bedeutsam, sondern stellt, 1948 geschrieben, eine der ersten intellektuellen Reflexionen des nationalsozialistischen Krankenmordes dar. Vor allem trägt der Text zur Erhellung einer wesentlichen biographischen Dimension von Stanisław Lem bei: seiner eigenen und familiären Erfahrung von Gewaltherrschaft und Besatzungszeit.
Im sozialistischen Polen war soziale Ungleichheit kaum ein Thema öffentlicher Debatten. Nach 1989 hingegen wurde sie zu einer Streitfrage, denn die Transformation erzeugte neue Formen von Armut und Reichtum bzw. machte auch ältere Formen stärker sichtbar. Hatten die Polen das politische Establishment der Volksrepublik abgewählt, weil die Regierung ihr Gleichheitsversprechen nicht hatte halten können, oder weil sie sich als unfähig erwiesen hatte, den Niedergang der Wirtschaft aufzuhalten? Meinungsumfragen, die von den 1960er-Jahren bis in die späten 1980er-Jahre durchgeführt wurden, geben darauf einige Antworten; sie werden im vorliegenden Beitrag erstmals systematisch herangezogen und quellenkritisch eingeordnet. Bis Mitte der 1980er-Jahre unterstützte ein großer Teil der Bevölkerung soziale Gleichheit und kritisierte soziale Unterschiede. Das änderte sich fundamental, als die soziale, politische und private Frustration der Bürger zusammenfiel mit einem tiefen wirtschaftlichen Niedergang. Nun wurde das bisherige System als Hindernis auf dem Weg zu radikalen marktwirtschaftlichen Reformen betrachtet. Dass mit solchen Reformen wachsende Ungleichheit verbunden sein würde, war den Befragten durchaus bewusst.