21. Jahrhundert
Drei Jahrzehnte nach der deutschen Wiedervereinigung im Oktober 1990 rücken deren oft nur schwer überschaubare Nachgeschichten mit Macht wieder ins Blickfeld von Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit. Fortbestehende Ost-West-Differenzen sowie populistische Wahlerfolge werden als Symptome einer noch immer nicht erreichten „Inneren Einheit“ gedeutet. Dementsprechend finden sich Behauptungen und Vermutungen über „Ostdeutsche“ derzeit wieder gehäuft – sei es in Talkshows, in Zeitungen, im Internet, auf Familienfesten oder auch am Stammtisch. Sehr schnell wird dabei die ostdeutsche Vergangenheit zur Erklärung gegenwärtiger Probleme sowie fortbestehender Differenzen herangezogen. Während ein Lager die mentalen Langzeitfolgen sowie das schwierige Erbe der repressiven SED-Diktatur hierfür verantwortlich macht, verweisen andere vehement auf die durch neoliberale Transformationsstrategien ausgelösten, schockartigen Umbruchserfahrungen nach 1990. Gerade jenseits dieser beiden geschichtspolitischen Pole lohnt ein differenzierter Blick auf die jüngste Vergangenheit. Die Frage steht im Raum, was die zeithistorische Forschung zu dem Thema Neues beitragen kann. In diesem Dossier wollen wir eine facettenreiche Bestandsaufnahme aktueller geschichtswissenschaftlicher Forschungen zu Beginn des erwartbaren Jubiläumsreigens 2019/20 wagen und eruieren, welche neuen Deutungsangebote es gibt. Zugleich geht der Blick über die eigene Disziplin hinaus, indem danach gefragt wird, was andere von der Geschichtswissenschaft erwarteten oder erhofften.
1981, kurz nach der Amtseinführung von Ronald Reagan als Präsident: Elizabeth und Philip Jennings sind eine Musterfamilie der weißen Mittelschicht in der Vereinigten Staaten. Mit ihrer 13-jährigen Tochter Paige und dem drei Jahre jüngeren Sohn Henry leben sie in einer Suburbia-Siedlung in Washington D.C. und betreiben in der Stadt ein Reisebüro. Als im Haus gegenüber die Beemans einziehen, eine Familie im gleichen Alter, tun sie das, was man dort in solchen Fällen tut: Sie erscheinen mit selbstgebackenen Brownies zum Antrittsbesuch. Doch die Idylle trügt: Elizabeth (Keri Russell) und Philip (Mathew Rhyes) sind sogenannte „Illegale“, vor vielen Jahren eingeschleuste und mit einer falschen Identität ausgestatte Agenten des sowjetischen Auslandsgeheimdienstes KGB. Familie und Beruf sind Teil ihrer perfekten Tarnung. Und die neuen Nachbarn sind für sie ein gewaltiges Problem, denn Stan Beeman (Noah Emmerich) arbeitet für die Spionageabwehr des Federal Bureau of Investigation (FBI), Abteilung Sowjetunion.
„It’s a Date” ist der erste Spielfilm der ukrainischen Regisseurin Nadia Parfan, die bereits durch ihre Dokumentarfilme bekannt geworden ist. Der fünfminütige Kurzfilm läuft auf der diesjährigen Berlinale in der Sektion Berlinale Shorts. It's a Date wurde aus der Perspektive eines/einer Autofahrer*in in einer einzigen Einstellung ohne Schnitt gedreht. Der Blick ist durch die Windschutzscheibe auf die Straßen von Kyjiw im Morgengrauen gerichtet, inmitten des Krieges. Wie Nadia Parfan selbst erklärt, wurde sie für diesen Film von Claude Lelouch inspiriert, der in seinem Kurzfilm aus dem Jahr 1976 „C’était un rendez-vous“ eine rasante Autofahrt durch das frühmorgendliche Paris zeigt. Nadia Parfan wollte einen ähnlichen Kurzfilm in Kyjiw drehen, noch vor dem russischen Angriffskrieg, konnte dies aber erst im Sommer 2022 machen.
Als Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine angriff, näherte sich das russische Kriegsschiff Moskwa der Schlangeninsel. Die Aufforderung an die auf der Insel stationierten ukrainischen Soldaten, sich zu ergeben, wurde mit einem vulgären Ausdruck quittiert, der auf Deutsch sinngemäß (wenn auch bedeutend abgeschwächt) mit „Russisches Kriegsschiff, verpiss dich“ übersetzt werden kann. Umgehend wurde dieser Spruch unter Ukrainer*innen und sich Solidarisierenden aufgegriffen, auf Demonstrationen sowie in den sozialen Medien reproduziert und der Mut des Soldaten gefeiert: Die Schlangeninsel wurde zu einem Symbol von Heldentum, Widerstand und Trotz und ist seitdem in aller Munde. Doch ‚gibt‘ es die Schlangeninsel nicht erst seit dem Februar 2022 – diese Insel spielte auch schon vorher eine Rolle, und das nicht nur für die Ukraine bzw. Russland. Grund genug, auf die Zeit vor der Ankunft des ‚russischen Kriegsschiffes‘ zu schauen.
Dnipro oder Dnjepr? Über die Ortsnamen, die wir wählen, und die Folgen unserer Entscheidungen
(2024)
Die moderne westliche Welt bekennt sich bewusst zu Toleranz, zur Achtung lokaler Stimmen, zur Demonstration der Ideale der Gleichheit, auch auf sprachlicher Ebene. Wichtige Elemente dieses Prozesses sind das konsequente ‘Gendering‘, die Betonung der Tatsache, dass der gewählte Begriff die Gruppenidentität nicht verletzt und keine koloniale Optik reproduziert. Wie sieht die deutsche Terminologie in diesem Zusammenhang in Bezug auf die Länder Osteuropas aus? In den folgenden Ausführungen geht es nicht um die Nationalisierung der Geschichte, sondern um die Gefahr von Doppelstandards bei der Wahl der Terminologie und die Bedeutung einer angemessenen Darstellung der historischen Vergangenheit und Gegenwart. Eine Darstellung, die allen historischen Akteuren Respekt zollt. Und die Komplexität der Geschichte Osteuropas vermitteln und nicht ausblenden will.
Die Dezember-Ausgabe der Zeitschrift Osteuropa (herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde) widmet sich unter dem Titel „Macht statt Gewalt oder: Gewalt statt Macht, Belarus: Schritte zur Freiheit: oder Repression, Schikane, Terror“ auf über 400 Seiten der politischen Situation in Belarus und der Geschichte des Landes. Wir baten den Chefredakteur der Zeitschrift, Manfred Sapper, um Zusammenarbeit für unseren Themenschwerpunkt zu Belarus und bekamen umgehend die freundliche Genehmigung das Editorial des Themenheftes (10-11/2020) als Reprint zu veröffentlichen.
Jonas Nesselhauf stellt die Ausstellung „9/11: Vom Ereignis zum Gedächtnis“ vor, die noch an diesem Wochenende in den Räumen des Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass der Saarländischen Universitäts- und Landesbibliothek zu sehen ist. Der Beitrag reflektiert anlässlich des 20. Jahrestages des 11. September 2001 über die Möglichkeiten einer Ausstellung gerade angesichts der enormen Visualität der Anschläge und ihres Charakters als globales Medienereignis, das bis heute das kulturelle Gedächtnis unserer Zeit zutiefst prägt. Herzstück der Ausstellung sind die Augenzeugen-Fotografien von Richard Karger, der die Skyline Manhattans am 11. September 2001 in beeindruckenden Bildern festhielt.
Das Thema Vereinbarkeit von Mutterschaft und wissenschaftlicher Karriere wird seit einigen Jahren sehr intensiv diskutiert. Die Publikation von Sarah Czerney, Silke Martin und Lena Eckert geht einen neuen Weg, in dem nicht nur auf das Thema Elternschaft rekurriert, sondern auf ein allgemeines, in der Gesellschaft fest verankertes Bild der Frau als potenzielle Mutter. Es werden Erfahrungen von Wissenschaftler:innen aus verschiedenen Fachgebieten in unterschiedlichen Funktionen gesammelt um ein diverses Bild der Problematik zu zeichnen. Die Unvereinbarkeit sei, so die Herausgeber:innen, den „symbolischen, psychischen, historischen, ökonomischen und politischen Koordinaten geschuldet“. In dieser thematischen Fokussierung wird nichts beschönigt, es werden keine Held:innengeschichten erzählt. Die Publikation ist vielmehr eine Bestandanalyse, die zu dem Schluss kommt: es braucht nicht nur eine Schärfung des Diskurses, sondern konsequente Veränderungen der wissenschaftlichen Praxis.