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Vom privatisierten Staat zum verstaatlichten Markt? Eigentum in der Sowjetunion und in Russland
(2013)
In der Sowjetunion bestand eine hierarchisch strukturierte Planwirtschaft mit Staatseigentum nur auf dem Papier. Daneben und mit ihr verknüpft gab es ausgedehnte Zweige der Untergrundwirtschaft und informelle Beziehungsnetzwerke. Die „roten Manager“ hatten sich die Betriebe jedoch nicht angeeignet. Erst in der Perestrojka begann die Privatisierung des Staatsvermögens, das vor allem an Insider aus den Betrieben ging. Anfang der 1990er Jahre sollte mit Hilfe der Gutscheinprivatisierung das ganze Volk zu Eigentümern der Betriebe gemacht werden. Doch erneut setzten sich Privilegierte mit guten Kontakten zur Bürokratie durch. Die Vertreter großer Kapitalgruppen, die als „Oligarchen“ berüchtigt wurden, kauften sich zu Vorzugspreisen in Großunternehmen ein. Das Staatsvermögen wurde rasch und weitgehend, wenn auch äußerst ungleich verteilt. Nur im Energie- und Rüstungssektor wurde die Privatisierung gestoppt. Der volle Schutz des Privateigentums steht noch aus, denn die Machtstrukturen verfolgen viele kleine und mittlere Unternehmen mit falschen Anschuldigungen.
Seuchen sind die sozialsten aller Krankheiten. Sie treffen ganze Gesellschaften, schüren kollektive Ängste und verschärfen soziale Spannungen. Das Beklagen von „Impfmuffeln“ nach Masernausbrüchen oder Schlagzeilen zu Ebola als „Gefahr für den Weltfrieden“ sind für die gesellschaftliche Tragweite von Seuchen nur zwei aktuelle Beispiele. Diese soziale Dimension macht die Seuchengeschichte relevant. Sie dient den Geistes- und Kulturwissenschaften als Seismograf des Sozialen, mit dem die Tektonik von Gesellschaften und ihre Verwerfungen sichtbar werden. An der Wahrnehmung und Bekämpfung von Seuchen lässt sich den Aushandlungen sozialer Normen, Hierarchien und Ordnungsvorstellungen im historischen Wandel nachspüren.
Ein historischer Rückblick bis zurück an die Schwelle zum 18. Jahrhundert mag für medizinische Praktiker müssig erscheinen. Angesichts beschleunigter wissenschaftlicher Innovation und eines präzedenzlosen Informationsüberflusses aus rezenter Forschung, mit dem Ärzte täglich konfrontiert werden, scheint die Geschichte der Medizin oder spezifisch die der Gesundheitsvorsorge des 19. Jahrhunderts längst nichts mehr mit der Gegenwart zu tun zu haben, geschweige denn uns irgendwelche Einsichten vermitteln zu können. In den folgenden Zeilen soll demgegenüber die These vertreten werden, dass die heute fortschrittlichste Form der individuellen Gesundheitsvorsorge in einigen Aspekten wieder an Konzepte des 19. Jahrhunderts anknüpft. Die rekonstruierbare historische Erfahrung - die einen kursorischen Durchgang durch einige der wichtigen Etappen und Aspekte dieser Geschichte erfordert - könnte helfen, die heutige Situation besser zu verstehen und zu zeigen, dass das, was Ärzte einerseits und Laien andrerseits im Feld der Prävention heute tun, was sie richtig und wichtig finden, vielleicht aber auch, was als besonders neu und einzigartig erscheint, nicht neu ist, sondern auf einer spezifischen Traditionslinie liegt.
This article analyses the emergence of European regimes of prevention by focussing on the history of knowledge-related practices as a distinctly modern form of social and political rationality in Western Europe. While the targets, means, logics and institutional forms of preventative interventions differ significantly in European national contexts, the authors also trace the elements of a convergent trajectory in the development of prevention regimes. Based on a case study on Cyprus, the article also highlights how European colonies provided a crucial “laboratory” for the development of innovative approaches to prevention, revealing a “histoire croisée” of prevention practices.
Was kommt nach dem »transnational turn«? Perspektiven für eine kritische Migrationsforschung
(2014)
Die Migrationsforschung hat seit den 1990er Jahren eine grundsätzliche Wende hin zu einer transnationalen Perspektive vollzogen, die nicht nur sie, sondern auch die an ihr beteiligten Disziplinen nachhaltig beeinflusst und verändert hat. Dem Anspruch nach soll Forschung seither – wie das Subjekt, mit dem es sich beschäftigt – selbst mobil werden und nationalstaatliche Grenzen überschreiten. Im Berliner Labor Migration haben wir uns mit dem Potenzial, aber auch den Fallstricken dieser Wende beschäftigt. Denn, so eine unserer Ausgangsthesen, transnationale Mobilisierung wurde bislang zu einem methodisch wichtigen Schritt, der jedoch in seinen konzeptionellen und theoretischen Konsequenzen für die Migrationsforschung noch keineswegs zu Ende gedacht worden ist. Relativ schnell kristallisierte sich bei unserer kritischen Bestandsaufnahme als Kernproblematik heraus, dass sich das Gros auch der transnational orientierten Migrationsforschung allzu häufig als Forschung über MigrantInnen versteht und daher insgesamt – polemisch zugespitzt – kaum hinauskommt über eine nach Herkünften sortierte »Migrantologie« unterschiedlicher Ethno-Communities, wenn auch in neuem räumlichen Maßstab.
An immer weiteren solcher Communities wird in immer neuen Varianten die immer gleiche Geschichte eines transnationalen, mehrortigen Lebens erzählt. Die Exklusivität solcher Erzählungen macht Migration zu einem abgesonderten Forschungsfeld der fremden Minderheiten am Rand der Gesellschaft und konstruiert ihren Gegenpart – die (weiße) sesshafte Nation als Zentrum – gleich mit.
Die Wurzeln einer deutschen Computergeschichte sind nicht nur in den Leistungen zahlreicher früher Erfinder zu suchen, sondern auch in einer Fülle von Erkenntnissen auf den Gebieten von Mathematik, Logik, Nachrichten- und Elektrotechnik. Konrad Zuses bahnbrechende Leistung, den ersten funktionsfähigen Computer der Geschichte entwickelt zu haben, hatte zwar initiale, leider aber kaum multiplizierende Wirkung auf das Entstehen einer eigenen Computerindustrie, so daß deren Herausbildung eher zögerlich, schließlich in den Gleisen deutscher Zweistaatlichkeit erfolgte. Am Anfang standen deshalb lediglich institutionell gefertigte Unikate. Erst Ende der 50er Jahre setzte eine massenhafte Fertigung ein, die auch Konsequenzen für Wirtschaft und Wissenschaft zeigte. Zu Konsequenzen führten auch gesellschaftlich bedingte Unterschiede zwischen Ost und West. So bedingten systemrelevante Eigenheiten -„sozialistischer Produktion“ einerseits und Marktwirtschaft andererseits - konzeptionelle und produktive Verschiedenartigkeit, die bis zur Wende 1989/90 an Signifikanz zunahm und eigenen Leitbildern gehorchte. Der Beitrag richtet sich auf einen analytischen Systemvergleich unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen, technischen und wissenschaftlichen Spezifik.
Seit dem Zweiten Weltkrieg prägen die Vereinigten Staaten von Amerika die westliche Welt nicht nur in politischer, sondern ebenso in wirtschaftlicher und technologischer Hinsicht. Während die USA insbesondere in den modernen Schlüsseltechnologien wie der Mikroelektronik und der Antriebstechnik zu den innovativsten und dynamischsten Märkten gehören, war bis in die späten 1960er Jahre hinein in den europäischen Staaten ein Mangel an technologischem Fortschritt spürbar. Am Beispiel der deutschen Computerindustrie befasst sich der Beitrag mit den Bemühungen, diesen Rückstand aufzuholen. Mit Blick auf das von Volker Berghahn geprägte Amerikanisierungs-Paradigma ist dabei vor allem nach den Konsequenzen für die Wettbewerbspolitik der 1950er bis 1970er Jahre zu fragen.
Metamorphosen der Fabriksozialisation. Zur Produktion des Arbeiters in Vergangenheit und Gegenwart
(2014)
Kaum ein Thema beschäftigt Soziologie wie Öffentlichkeit in der Bundesrepublik derzeit so nachhaltig wie die »Explosion der Ungleichheit«. Lebenschancen gelten im Zeichen der Expansion des Niedriglohnsektors, prekärer Beschäftigung, prospektiver Altersarmut und geringer sozialer Mobilitätalsgefährdet. Unterschiedliche Gründe werden für die Verschärfung der Ungleichheit angeführt: Die Neujustierung des Sozialen unter neoliberalen Vorzeichen seit den 1980er Jahren, der Umbau der bundesrepublikanischen Sozialsysteme und die zugehörigen Arbeitsmarktreformen im neuen Jahrtausend sowie die unterschiedlichen Wellen der Finanzkrise seit 2008/09, all diese Faktoren haben, wie vielerorts betont wird, ihre Spuren in der Sozialstruktur hinterlassen. In der Bundesrepublik ist es allerdings vorallem der Strukturwandel des Arbeitsmarktes, der die Entwicklung sozialer Ungleichheit prägt. Es befinden sich derzeit so viele Personen in Beschäftigung wie noch nie in der Geschichte, während gleichzeitig die Arbeitslosenquote die niedrigste seit der Wiedervereinigung ist. Nicht mehr der Ausschluss vom, sondern die spezifische Form der Ausbeutung auf dem Arbeitsmarkt wird damit zur entscheidenden Dimension für die Entwicklung sozialer Ungleichheit.
Quelle: Verlag
“Security” is such a general concept that, on the one hand, it is omnipresent in all fields of historical research; on the other hand, a closer look reveals that there seems not to exist a real specialized sub-discipline or field that bears this title. While in political sciences, criminology, sociology and jurisprudence, and especially in the field of international relations, security studies is a well established and broad field of research, history has not yet established a corresponding field. This special issue about “Security and Epochal Frontiers” shows that important contemporaneous changes in concept and practices of “security production” after the end of the Cold War (the emergence of “extended, comprehensive, human security”, the fading away of the border between internal and external security) have caused our historical perception of “security” to change massively and historiography to respond to this challenge.
Erweiterter elektronischer Sonderdruck (Stand: Juni 2009). Für 2008 konnte eine mediale Verwertung von ‚68‘ erwartet werden. Meine Prognose lautet, dass in zehn Jahren, zum 50. Dienstjubiläum von 68, nichts Vergleichbares geschehen wird. Alle 68er haben dann ihre Biografien geschrieben, in den Medien sind die Redakteursposten von anderen eingenommen worden, die keinerlei Generationsromantik mehr empfinden. Nun, 2008, haben sich die Printmedien auf einen mittleren Deutungsweg begeben. Quelle: Verlag
Wenige Fragen haben die historische Forschung zum Nationalsozialismus in den letzten Jahren so sehr beschäftigt wie jene nach der ›Volksgemeinschaft‹. Eine ganze Reihe internationaler Konferenzen hat sich mit diesem Thema befasst, ebenso zahlreiche methodische Aufsätze, Rezensionen, Überblicksdarstellungen, größere wie kleinere empirische Arbeiten deutsch wie englischsprachiger Historikerinnen und Historiker. Die Menge der entsprechenden Publikationen ist nur noch schwer zu überblicken: Die Bibliografie der Jahresberichte für deutsche Geschichte etwa verzeichnet für die Jahre seit dem Jahrtausendwechsel weit mehr als doppelt so viele Titel zum Schlagwort ›Volksgemeinschaft‹ wie für die vorangegangenen 25 Jahre und auch jenseits der schlichten Anzahl der ein schlägigen Publikationen kann man Ian Kershaw nur zustimmen, der von einer »Allgegenwart des Konzepts ›Volksgemeinschaft‹ in der gegenwärtigen Diskussion um das Dritte Reich« gesprochen hat.
Quelle: Verlag
In both the US and West-Germany, the history of the 1970s is perceived as a time of economic and cultural crises. More recent publications in both countries concentrate on political protest and reform movements. American studies, however, choose a wider focus, that could be inspiring for future German studies, through amplifying the crisis narrative with the everyday developments of the 1970s, ranging from new forms of consumption to tourism and mass sports. Moreover, successful movies and TV series were analysed to develop fundamental interpretations for the history of societies. Quite often, American publications succeed in connecting classical governmental policy with social history whereas German works tend to centre on either one of these aspects.
Quelle: Verlag
Die Auflösung von Imperien ist immer so etwas wie eine glückliche Katastrophe. Mit all ihren Unsicherheiten und Instabilitäten ist sie eine Gefahr für so sensible, über viele Generationen gewachsene und auf Ordnung angewiesene Institutionen, wie es Museen sind. Sie ist andererseits eine große Chance, weil ein neuer Anfang gemacht und der Museumskosmos neu geordnet werden kann, weil Geschichten erzählt werden können, die bisher nicht erzählt worden sind, weil neue Narrative formuliert, neue Objekte aus den Depots hervorgeholt, neue Parcours entwickelt werden können – ein »Dekorationswechsel« im buchstäblichen Sinne. Eine solche Situation ist mit der Auflösung des sowjetischen Imperiums eingetreten.
Die gewohnte Welt ist aus den Fugen. Auch wenn Vieles beim Alten geblieben ist, so scheint doch die deutsche Unternehmenslandschaft in einem grundlegenden Umbruch. Das Vertraute geht; das Neue, das in Sicht kommt, verstört, da es sich nicht nach Regeln zu richten scheint, auf die Einfluss auszuüben ist.
Privatization has recently been regarded as one of the most important historical changes since the 1970s. It has affected public enterprises and lead to a marketization of state and society on a global scale, a phenomenon which has been regarded as inevitable. This review article addresses, firstly, how privatization has been implemented as a political model and secondly, how it has been publicly constructed as an inevitable process both nationally and locally. Furthermore, the essay highlights how privatization has influenced the relationship between state, market and civil society and examines the way the differentiation between public and private sphere has been obliterated.
The role of think tanks and consultant networks, the counter movements, and the experiences of people being subject to their enterprises’ or institutions’ privatization are discussed as a closing comment, suggesting new perspectives of historical research on privatization.
Quelle: Verlag
Die DDR gilt in ökologischer Hinsicht als failed state. Diese Wertung speist sich aus den Darstellungen der ostdeutschen Umweltbedingungen in der westdeutschen Presse in den 1980er Jahren. Während vor 1981 die Umwelt in der DDR allenfalls eine marginale Rolle spielte, brannten sich während des Wendeherbstes 1989 die Bilder von biologisch toten Flüssen, großflächig absterbenden Wäldern, Tagebau-Restlöchern und unwirtlichen Industrielandschaften in das ikonographische Gedächtnis der Bundesrepublik.
Bilder können bis heute in privates und öffentliches Leben, in gegenwärtiges Geschehen auf dramatische Weise eingreifen. Sie fungieren als fotografischer Beweis, daß das unvorstellbare tatsächlich geschehen ist. Schriftliche Dokumente, wie z.B. die Ämterkorrespondenz der Todesfabriken, die Protokolle von Geständnissen und Zeugenaussagen liefern sehr viel mehr und sehr viel detailliertere Informationen als Fotografien. Der Abbildcharakter des Mediums verleiht diesen Bildern gegenüber Texten jedoch einen höheren Grad von Überzeugungskraft und Beweisstärke.
’’Die Tatsachenberichte (über die Vernichtung der Juden in Polen) klingen zwar unglaublich, doch die von der Kamera festgehaltenen Bilder bezeugen die traurige Wahrheit” ist beispielsweise in der ’’Sittengeschichte des Zweiten Weltkrieges” zu lesen.
Banale Fragestellungen sollten nur dann nützlich sein, wenn die Banalität des Festgestellten so banal nicht ist. Das heißt: Wenn gesagt werden muß - und das Zitat stammt aus einer Satire daß auch in der Nazizeit zwölfmal Spargelzeit gewesen wäre, dann gibt es zwei einander entgegengesetzte Gründe für diesen Satz. Der erste wäre, daß es auch zwischen 1933 und 1945 ein ganz normales Leben gegeben habe, das neben oder gar unabhängig von dem Verbrechen stattfand, dem das Städtchen Auschwitz seinen Namen geben mußte. Es gäbe danach in der Nazi-Zeit ein Leben ohne Verbrechen und ein Leben mit Verbrechen. Das erstere sei von dem letzteren zu trennen. Der zweite, entgegengesetzte Grund für das Diktum wäre der Hinweis, daß auch die Spargelzeit eine andere war, wenn sie gleichzeitig mit dem Verbrechen stattfand. Doch die Alternative wäre nicht mit so starkem Engagement debattiert worden, versteckte sich nicht die Frage nach der Schuld und damit nach den Schuldigen hinter der Erörterung, ob es zwischen 1933 und 1945 ein Leben ohne Auschwitz gegeben haben konnte. Die Kollektivschulddebatte der Nachkriegsjahre führte, wie wir wissen, zu keinem Abschluß, mit dem Buch von Daniel Goldhagen steht sie wieder als Interpretationsraster zur Verfügung.
“The Power of Images”, and in particular their emotional effect, is a common topos in historiography and other disciplines. Nevertheless it is not clear what the topos stands for. By exploring emotional responses to pictures, this article proposes a preliminary methodology for future case studies. Where do historians find their material when searching for emotional effects? In what ways do historians
actively produce the images they then analyse? This article debates these questions using photographs dating from the First World War to the War in Iraq in 2003.