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Juristische Zeitgeschichte
(2010)
Im Bereich der Rechtsgeschichte beginnt der von Diethelm Klippel kreierte Begriff „Juristische Zeitgeschichte” sich als Bezeichnung für den jüngsten Zeitabschnitt durchzusetzen. Nicht endgültig geklärt ist allerdings die Erstreckung dieses Zeitabschnitts; und umgekehrt herrscht nicht einmal über die Frage, ob der Begriff „Juristische Zeitgeschichte” überhaupt einen Zeitabschnitt bezeichnet, Einigkeit.
In seinem Aufsatz weist Rafał Stobiecki auf zwei Richtungen hin, die die polnische Zeitgeschichtsschreibung nach 1989 prägten: eine stark moralisierende sowie eine methodische Fragen bewusst bagatellisierende Richtung. Dies hat eine lange Tradition: Eine Geschichtsschreibung, die sich als Vermittlung der vermeintlich wahren und objektiven Geschichte versteht, welche anhand der für sich selbst sprechenden Quellen dargestellt wird, wurde in Polen schon seit Anfang des 19. Jahrhunderts erfolgreich praktiziert. Dazu kam noch das fragwürdige Ethos der Historiker als Volksgewissen und „Herzstärkung” für die Nation im besetzten Land. Ein Ethos, das sich im unhinterfragten Selbstbild der Zeithistoriker/innen als einstige Oppositionelle in der Volksrepublik Polen, in ihrem Fokus auf die Verurteilung des kommunistischen Regimes und in der oft kritiklosen Hervorhebung der entscheidenden Rolle der Opposition bis heute fortsetzt.
Für den vierten Band der „Gesellschaftsgeschichte“ von Hans-Ulrich Wehler möchte ich drei Lesarten vorschlagen. Die erste sieht den Band einfach als eine Gesamtdarstellung der deutschen Geschichte unter vielen. Bei dieser Lesart stechen die Vorzüge des gesellschaftsgeschichtlichen Ansatzes hervor. Wehler belässt es nicht bei kursorischen Bemerkungen zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, sondern er behandelt die konjunkturelle Dynamik der Wirtschaft und das soziale Profil der verschiedenen Erwerbs- und Besitzklassen in eigenem Recht und mit großer Präzision. Andererseits zeigt gerade der Abschnitt zum Kaiserreich im Ersten Weltkrieg, dass der Erfolg des Paradigmas der Gesellschaftsgeschichte den Autor Hans-Ulrich Wehler eingeholt hat. Denn eine vergleichbar gegliederte Darstellung der sozialhistorischen Ursachen für die zur Revolution von 1918 führende Legitimationskrise des wilhelminischen Systems hat unlängst Roger Chickering vorgelegt.