900 Geschichte und Geografie
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London war in den 1930er und 1940er Jahren eine Metropole des künstlerischen Exils und ein Ort der Zuflucht vor nationalsozialistischer Verfolgung. Exilierte gründeten Galerien, Verlage und Zeitschriften, sie kooperierten mit lokalen Künstler:innen, organisierten Ausstellungen, verbanden sich in Netzwerken.
Das Buch Exil London widmet sich dem vielfältigen Wirken von Emigrant:innen aus Kunst, Fotografie und Architektur in Auseinandersetzung mit ihrer Exilstadt. Wie veränderte sich die Kunstszene durch die Ankunft der Exilierten? Welche kulturellen Infrastrukturen wurden aufgebaut? Wie prägten die Exilerfahrung und die Stadt selbst das Werk der Emigrant:innen? Exil London behandelt neben bekannten urbanen Räumen wie dem Hyde Park auch ungewöhnliche Orte wie den Londoner Zoo, das Krematorium Golders Green, die Finchley Road, das Haus des Architekten Erno Goldfinger als Ausstellungsort, das Wohnhaus des Psychoanalytikers Sigmund Freud oder die Straßenmärkte der Stadt. Kunstwissenschaft, Stadt- und Exilforschung sind im Buch dynamisch aufeinander bezogen und leisten gemeinsam einen Beitrag zu einem neuen Verständnis der Kunstgeschichte der Moderne.
Die Frage, wie menschliches Verhalten beeinflusst werden kann, ist in der jüngsten Zeitgeschichte virulenter geworden. Auf der Basis verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse versprechen Expert:innen, Menschen durch subtile Interventionen glücklicher, gesünder und wohlhabender zu machen. Zugleich haben die Digitalisierung und Datafizierung unserer Welt Ängste vor einer umfassenden Verhaltensmanipulation und -kontrolle verschärft. Das Buch zeigt, dass es keineswegs selbstverständlich ist, Menschen nicht als handelnde Subjekte, sondern als sich verhaltende Organismen zu begreifen. Es untersucht, wie seit der Behavioral Revolution in der Mitte des 20. Jahrhunderts in verschiedenen Wissensfeldern, von den Wirtschafts- über die Psychowissenschaften bis zur Kriminologie, ein spezifisches Verhaltenswissen entwickelt wurde. Davon ausgehend analysiert es dessen Bedeutung für den Wandel politischer Steuerungstechniken vor allem in Bezug auf das Umwelt-, Gesundheits- und Finanzverhalten seit den 1970er Jahren.
Museen sammeln Gegenwart für eine künftige Geschichte. Dieses Buch zeigt, wie seit 1900 daraus Vergangenheiten entstanden.
Historische Museen gelten als Orte des Bewahrens von schönen, seltenen oder wertvollen Dingen. Tatsächlich sind sie jedoch keine Orte des Antiquarischen, sondern sammelnd auch der Gegenwart verbunden und gehen dabei höchst unterschiedlich vor: Einsammeln, was zu verschwinden droht, sichern, was aktuelle Ereignisse hervorbringen, aber auch ein Panorama der aktuellen Gesellschaft für die Zukunft zu dokumentieren sind Strategien des Sammelns von Gegenwart. Der Blick der historischen Museen richtet sich damit auf das Heute als künftige Vergangenheit.
Andreas Ludwig analysiert die Entwicklung des Gegenwartssammelns seit 1900 am Beispiel von nationalen Geschichtsmuseen, Stadt- und Heimat- sowie spezialisierten Fachmuseen. Beispiele aus Deutschland und darüber hinaus zeigen die unterschiedlichen Vorstellungen von dem, was es Wert erschien, für die Zukunft bewahrt zu werden. Andreas Ludwig analysiert historisch werdende materielle Archive, das Sammeln für Ausstellungen, Zeitkapseln, das Rapid Response Collecting und partizipative Wege in einer immer diverser werdenden Öffentlichkeit und schlussfolgert: Im Museum zeigt sich nämlich, wann und wie aus Gegenwart Geschichte wird.
Die bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnete Düsseldorfer Dissertationsschrift von Acelya Bakir mit dem Titel „Sehen, Hören, Mitmachen. Die mediale Inszenierung der Moskauer Schauprozesse und die Mobilisierungskampagnen in der Sowjetunion (1936-1938)“, die soeben im Stuttgarter Franz Steiner Verlag erschienen ist, stellt die erste Studie zur Bilder- und Symbolwelt der Moskauer Prozesse in ihrer Gesamtheit überhaupt dar. Sie darf daher sowohl im inhaltlichen wie im methodischen Sinne als Pionierstudie gewertet werden. Erstmals überhaupt werden in ihr die Moskauer Prozesse in ihrer Doppelbödigkeit von staatlicher Repression und integrativer Massenmobilisierung in den Blick genommen.
In this issue
(2024)
As the sociologist Wolf Lepenies asserts in his ›Brief Cultural History of Re-reading‹, ›The second reading – not the first – determines the value of a book.‹ We have now published one hundred articles under the ›Literature Revisited‹ rubric. Nicolas Berg’s text in our previous issue, which re-examined Victor Klempererʼs The Language of the Third Reich. LTI: Lingua Tertii Imperii. A Philologist’s Notebook (first published in 1947), showed once again how fruitful it can be to take a closer look at the history of the creation, publication and reception of older works, and to view them anew from current vantage points. ›Literature Revisited‹ is not limited solely to the presentation and discussion of oft-cited classics; we also re-read books and essays that may have received less attention upon their original publication, yet, in light of current issues and questions, have earned more focused attention. For the authors of these contributions, ›Literature Revisited‹ can provide an opportunity for renewed engagement with works that the authors, in their early careers, may have already subjected to intense scrutiny; however, some authors are reflecting on publications that they are encountering for the first time. In any case, this format has proved so stimulating that we will of course continue it – with four articles in the current issue.
Zu diesem Heft
(2024)
»Über den Wert eines Buches entscheidet nicht die erste, darüber entscheidet die zweite Lektüre«, betont der Soziologe Wolf Lepenies in einer »kleinen Kulturgeschichte der Relektüre«. In der Rubrik »Neu gelesen« haben wir mittlerweile 100 Beiträge veröffentlicht. Nicolas Bergs Text über Victor Klemperers »LTI. Notizbuch eines Philologen« (Erstausgabe 1947) hat im vorigen Heft erneut gezeigt, wie ergiebig es ist, der Entstehungs-, Publikations- und Rezeptionsgeschichte älterer Werke genauer nachzugehen und sie aus aktuellen Perspektiven neu zu betrachten. Nicht immer sind es solche vielzitierten »Klassiker«, die in dieser Rubrik vorgestellt und diskutiert werden. Eine Relektüre verdienen auch Bücher und Aufsätze, die bei ihrer Erstpublikation weniger beachtet wurden, aber im Lichte heutiger Fragen stärkere Aufmerksamkeit finden. Für die Autor:innen der Beiträge kann »Neu gelesen« eine Wiederbegegnung mit Werken bedeuten, die sie in einer früheren Lebensphase schon einmal intensiv studiert haben; es können jedoch auch Reflexionen über Publikationen sein, bei denen die Neulektüre eine persönliche Erstbegegnung ist. In jedem Fall hat sich die Rubrik als so anregend erwiesen, dass wir sie selbstverständlich fortsetzen werden – im aktuellen Heft nun gleich mit vier Beiträgen.
Es war eine Sensation: Der »King of Rock ’n’ Roll« sang auf Deutsch! Gegen Mitte des Kinofilms »Café Europa« (1960; amerikanischer Originaltitel: »G.I. Blues«) stimmte Elvis Presley (1935–1977) plötzlich das bekannte Volkslied »Muß i denn…« an. Er trat in der Rolle des in Westdeutschland stationierten US-Soldaten Tulsa McLean auf – im Duett mit einer Kasperle-Figur und begleitet lediglich von einem Akkordeonspieler. Besonders die deutschen Fans waren verzückt: In den Kinosälen der Bundesrepublik wurde eifrig mitgeklatscht und mitgesungen; auch die – ursprünglich für den deutschen Markt gar nicht als Single-Auskopplung vorgesehene – Schallplatte verkaufte sich innerhalb weniger Wochen über 400.000 Mal und erreichte mit Platz 2 die bis dato beste Chart-Position des Sängers in Westdeutschland. Doch nicht alle freuten sich über den Marketing-Stunt: Die West-Berliner Radiosender SFB und RIAS verbannten den Song aus ihren Programmen, ebenso wie der Bayerische Rundfunk. Während die Berliner Sender die Aufnahme lediglich als »bewußte Verschnulzung deutscher Volkslieder« kritisierten, sah der »Tanzmusik-Chef« des Bayerischen Rundfunks in dem »bescheiden verhotteten, also rhythmisch aufgemöbelten Volkslied« (so der »Spiegel«) gar eine Motivation, deutsches Liedgut künftig wieder »ernsthaft« zu pflegen: »Wir lassen uns das nicht vom Ausland oktroyieren.«
Das Anthropozän stellt eine radikale Herausforderung für die Geschichtswissenschaft dar, wie etwa die australische Umwelthistorikerin Libby Robin betont hat: »a concept that considers the role of humanity as a historical force for change in planetary systems, demands both geological and historical time-scales, and writes planetary and human histories together«. Es gelte, etablierte Vorstellungen von Raum, Zeit und ›Agency‹ kritisch zu überdenken sowie geologische und menschliche Skalen zueinander in Beziehung zu setzen. Robin reagierte damit auf Dipesh Chakrabarty, der 2009 postuliert hatte, dass der Klimawandel Historiker:innen dazu zwinge, grundlegende Annahmen zu hinterfragen: die Grenze zwischen Natur und Kultur, die Bedeutung der Moderne bzw. der Modernisierung, die Beziehung zwischen der Geschichte von Menschen und der Menschheitsgeschichte sowie die Gemeinsamkeit menschlicher Erfahrungen.
Als Günther Anders’ gesammelte »Gedanken über die atomare Situation« – zehn Aufsätze, Manifeste, Vorträge und eine Fabel – 1972 erstmals erschienen, kamen sie zu spät. Im politischen Klima nach 1968 konnte ihr Autor noch so sehr auf anhaltende Aktualität pochen, längst war die von Anders mitgeprägte Anti-Atom-Bewegung der 1950er- und 1960er-Jahre »eingegangen« (S. XII), und andere Themen wie der Vietnamkrieg hatten sich vor die immer noch »drohende Atomgefahr« (S. XI) geschoben. Hinzu kam die wachsende »Angst vor der vielfältigen und gleichfalls apokalyptische Ausmaße annehmenden Umweltverseuchung« (S. XII). Mit einer invertierten Feuerbachthese hatte Anders außerdem die Zustimmung der akademischen Jugend riskiert: Was heute »fällig« sei, forderte er im annus mirabilis der Studierendenbewegung, »mindestens ebenso fällig wie die Veränderung der Welt, ist die wirkliche Interpretation jener Veränderungen, die malgré nous, auch im Lager unserer Gegner, vor sich gegangen sind und vor sich gehen«. Gemeint war das revolutionäre Potential moderner Technik, die Anders im ersten Band seines Hauptwerks »Die Antiquiertheit des Menschen« (1956) als planetare Übermacht porträtiert hatte, als neues »Subjekt der Geschichte«. In »Endzeit und Zeitenende« spricht er der Technik echte Handlungsmacht zu (wir würden heute »Agency« sagen), nennt die uns umgebenden Artefakte gar »Pseudo-Personen« mit handlungsleitenden »stummen Prinzipien und Maximen« (S. 103), deren gleichsam politisches Endziel eine Welt sei, in der Menschen überflüssig werden (vgl. S. 199). Die Hermeneutik ihres »Totalitarismus« (S. 17) war Andersʼ Antwort auf den technikblinden Fleck linker Theoriebildung. Dass er im Gegensatz zu seinem Freund Herbert Marcuse damit in die Rolle eines Epimetheus der 68er-Bewegung geriet, dürfte ebenso wie der sperrige Titel und der pessimistische Grundton seiner Textsammlung dazu beigetragen haben, den publizistischen Erfolg des Bandes im ersten Anlauf auszubremsen. Das änderte sich erst, als das Buch zwei Jahre nach dem NATO-Doppelbeschluss in einer um ein Vorwort erweiterten, ansonsten aber identischen Ausgabe unter dem griffigeren Titel »Die atomare Drohung« erschien und bis 1986 vier weitere Auflagen erlebte (die aktuelle 8. stammt von 2023).
The Language of Eichmann in Jerusalem. Nazi German and Other Forms of German in the 1961 Trial
(2024)
The Eichmann trial granted the German language a degree of audibility unprecedented in the short history of the State of Israel, with the defendant, the judges, prosecutors, and witnesses frequently resorting to speaking in German. Drawing on archival materials, protocols, footage, and press reports, this article shows how the Eichmann trial brought to the surface several historical tensions around the postwar status of the German language. The various forms of German heard in the courtroom challenged notions of German as a Nazi language and contributed to a gradual mitigation of its status as a tainted language. The article concludes by reassessing Hannah Arendt’s 1963 Eichmann in Jerusalem and specifically her postulate that Eichmann’s language faithfully reflected his mindset. It is argued that Arendt’s understanding of Eichmann’s language echoed prewar ideas on German’s distinctive power.