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Joseph Weizenbaum (1923–2008), in Berlin geboren, war durch die Nazis gezwungen, mit seiner jüdischen Familie aus Deutschland zu fliehen. Am MIT in Boston wurde er seit den 1960er-Jahren ein renommierter KI-Forscher. Er ist bis heute nicht nur als ein Pionier der Forschung zur Künstlichen Intelligenz anerkannt, sondern vor allem als ein streitbarer Kritiker der Computerkultur. Sein Buch »Computer Power and Human Reason. From Judgement to Calculation« ist ein Klassiker der Technik- und Wissenschaftskritik, ja der Kritik an der technischen und naturwissenschaftlichen Moderne überhaupt. Es ist aber besonders der Titel der deutschen Ausgabe, der mit seiner Dichotomisierung von Macht und Ohnmacht, Computer und Vernunft die These des selbsterklärten »Dissidenten« oder »Ketzers« der Informatik eingängig auf den Punkt bringt. Und das Zitat auf der Umschlagrückseite verortet das Buch auch gleich im Feld der Kritischen Theorie Max Horkheimers, auf den Weizenbaum sich explizit bezieht: »Ich bekämpfe den Imperialismus der instrumentellen Vernunft, nicht die Vernunft an sich.«
Ein historischer Rückblick bis zurück an die Schwelle zum 18. Jahrhundert mag für medizinische Praktiker müssig erscheinen. Angesichts beschleunigter wissenschaftlicher Innovation und eines präzedenzlosen Informationsüberflusses aus rezenter Forschung, mit dem Ärzte täglich konfrontiert werden, scheint die Geschichte der Medizin oder spezifisch die der Gesundheitsvorsorge des 19. Jahrhunderts längst nichts mehr mit der Gegenwart zu tun zu haben, geschweige denn uns irgendwelche Einsichten vermitteln zu können. In den folgenden Zeilen soll demgegenüber die These vertreten werden, dass die heute fortschrittlichste Form der individuellen Gesundheitsvorsorge in einigen Aspekten wieder an Konzepte des 19. Jahrhunderts anknüpft. Die rekonstruierbare historische Erfahrung - die einen kursorischen Durchgang durch einige der wichtigen Etappen und Aspekte dieser Geschichte erfordert - könnte helfen, die heutige Situation besser zu verstehen und zu zeigen, dass das, was Ärzte einerseits und Laien andrerseits im Feld der Prävention heute tun, was sie richtig und wichtig finden, vielleicht aber auch, was als besonders neu und einzigartig erscheint, nicht neu ist, sondern auf einer spezifischen Traditionslinie liegt.
Aspekte einer Theorie der auditiven Kultur. Ästhetische Praxis zwischen Kunst und Wissenschaft
(2010)
In den letzten Jahren wurde viel über die Situation in
den Geisteswissenschaften diskutiert, zur Debatte stand ein Paradigmenwechsel – die Idee der Geisteswissenschaften sollte durch die der Kulturwissenschaften ersetzt werden. Das Bestreben, die aktuellen Lebensverhältnisse in ihren kulturellen, sozialen und gesellschaftlichen Erscheinungsformen zum Thema der Wissenschaft zu machen, hatte zunächst, so könnte man die Entwicklung im 20. Jahrhundert zusammenfassen, die Neugründung von Wissenschaften zur Folge. Dazu gehören, mit unterschiedlichen Akzentuierungen und Orientierungen, Politologie und Soziologie ebenso wie etwa auch die Anthropologie. Diese Entwicklung setzte sich jedoch weiter fort. Die aktuelle Diskussion resultiert daraus, dass nun auch Bereiche erfasst sind, in denen traditionell ein anderes Wissenschaftsverständnis herrscht, nämlich das der Geisteswissenschaften.
In der gegenwärtigen Krise europäischer Integration richtet sich der kritische Blick der Historiker auch auf problematische Ursprünge „Europas“ im 20. Jahrhundert, und hier besonders auf die NS-Zeit. Die zeitweilige deutsche Hegemonie über den Kontinent während des Zweiten Weltkriegs, die mit millionenfachen Massenmorden verbunden war, wurde in Teilen der Literatur als Ausdruck antieuropäischer Ideologie und Praxis bezeichnet, die Anwendung des Integrationsbegriffs auf die nationalsozialistische Herrschaftsausübung dagegen scharf kritisiert, ja sogar als „Pseudowissenschaft“ abgetan. Im Kontext des vorliegenden Themenhefts und im Licht neuerer Forschungen soll hier noch einmal gefragt werden, ob und wie sich die Zeit des Nationalsozialismus und besonders des Zweiten Weltkriegs als Teil europäischer Integrationsgeschichte interpretieren lässt.
Nachdem das Interesse an Dingen und damit an Materieller Kultur im Forschungsalltag mancher Disziplinen lange Zeit eher gering war, erlebt die Auseinandersetzung mit Dingen seit etlichen Jahren auch in der deutschsprachigen Wissenschaftslandschaft eine Renaissance. Das gilt nicht nur für Fächer, die sich schon seit jeher mit Materieller Kultur beschäftigen – etwa die archäologischen Wissenschaften, die Ethnologie und die Volkskunde/Europäische Ethnologie –, sondern zunehmend auch für solche Wissenschaften, deren genuiner Forschungsgegenstand keine materiellen Hinterlassenschaften sind, wie die Geschichtswissenschaft, die Philosophie, die Germanistik und verschiedene sozialwissenschaftliche Fächer. Zu denjenigen Fächern, die die Dinge für sich entdeckt haben, gehört seit wenigen Jahren auch die Zeitgeschichtsforschung. Auf den ersten Blick mag das zunehmende Interesse verwundern, verfügt die Zeitgeschichte doch über andere Quellenarten (Schriftdokumente, audiovisuelle Quellen, mündliche Zeugnisse), die deutlich mehr Aussagekraft als gegenständliche Objekte zu haben scheinen. Den Dingen wird von der Zeitgeschichtsforschung heute offenbar ein Erkenntniswert zugemessen – befördert unter anderem auch durch die Studien Bruno Latours und seine Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) –, der ihnen zuvor abgesprochen bzw. nicht zuerkannt worden war.
Die Geschichtswissenschaft stellt sich auf der einen Seite als eine von vielen Disziplinen in einer Universitas litterarum dar, auf der anderen erhebt sie den Anspruch, „alles“ als ihren Gegenstand zu betrachten. War es bis 1945 üblich, in „Geschichte“ immer nur bestimmte Facetten des vergangenen Lebens von Völkern, Staaten, Gesellschaften zu sehen – die Schwerpunkte konnten wechseln, das unterlag einer Art „Mode“ – und diese dann wie in einem „Kanon“ aufzulisten, so ist dieser „Kanon“ seitdem immer fragwürdiger geworden. Zwar gibt es noch die konventionellen Einteilungen, etwa in politische, militärische, wirtschaftliche, kulturelle Geschichte, und die Strukturen traditionsreicher Universitäten werden oft durch althergebrachte Lehrstühle für verschiedene Teilgebiete der Geschichte bestimmt, aber das ist heute nicht mehr die Regel.
Mit dem Übergang zum 21. Jahrhundert stellt sich die Frage nach den spezifischen Konturen des vergangenen 20. Jahrhunderts. Je nach Perspektive lassen sich unterschiedliche Aspekte herausarbeiten, die das letzte Jahrhundert über die Epochengrenzen hinweg entscheidend geprägt haben. Wenn Zeithistoriker versuchten, das – „kurze“ oder „lange“ – 20. Jahrhundert auf einen Begriff zu bringen, nannten sie es beispielsweise das „Zeitalter der Extreme“, „A Century of Genocide“, das „Jahrhundert des Industrialismus“ oder auch das „Zeitalter der (Hoch-)Moderne“, welches sich durch umfassendes technokratisches Ordnungs- und Planungsdenken ausgezeichnet habe. Unumstritten dürfte sein, dass der Fordismus und die damit verbundenen betrieblichen Rationalisierungsbewegungen ebenso zu den markanten Signaturen des vergangenen Jahrhunderts gehören wie die mit dem Fordismus verknüpfte Vision, gesellschaftliche Interessenkonflikte sozialtechnisch regulieren zu können. Darüber hinaus sollten die Volkswirtschaften, die Gesellschaften, die Städte und die Menschen analog zu den maschinengesteuerten Prozessen in den Fabriken rationalisiert werden, um eine größtmögliche Effizienz zu erzielen. Viele dieser technischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Bestrebungen verbanden sich bereits für die Zeitgenossen mit dem Namen des US-amerikanischen „Automobilkönigs“ Henry Ford.
Gegen Entmischung und Monotonie der Städte. Alexander Mitscherlichs »Anstiftung zum Unfrieden«
(2015)
50 Jahre ist es nun her, dass Alexander Mitscherlichs Buch »Die Unwirtlichkeit unserer Städte« erstmals erschienen ist. Es umfasst mehrere Vorträge, die sich auf den bis dahin erfolgten Stadterneuerungsprozess bezogen. Mitscherlich betrachtete den Wiederaufbau nach 1945 als verpasste Chance. Besonderer Dorn im Auge waren ihm die städtebaulich dominanten, an funktionalistischen Prinzipien orientierten Strategien zur Entmischung des Stadtraums,[1] weil dies eine Bindung der Menschen an Räume behindere und weil der »Unsinn einer Entmischung« den Verfall städtischer Öffentlichkeit bewirke.
Seit den 1960er-Jahren wurden für die Migranten in der Bundesrepublik Radiosendungen und Zeitschriften in ihrer jeweiligen Nationalsprache produziert. Die Entwicklung dieser Medien wurde von weitgreifenden Konflikten geprägt, die sich im Kontext internationaler Auseinandersetzungen um die politische Beeinflussung der so genannten „Gastarbeiter“ entfalteten. Zum einen stand die Gründung und Finanzierung von „Gastarbeitersendungen“ bzw. „Gastarbeiterzeitschriften“ im Rahmen des Kalten Krieges: Die Medien sollten die Zuwanderer vom (befürchteten) Konsum fremdsprachiger Auslandsprogramme abhalten, welche die Ostblockstaaten zu propagandistischen Zwecken ausstrahlten. Zum anderen konnten die meist autoritären Heimatregierungen der Migranten die Kritik nicht dulden, die in den „Gastarbeitersendungen“ zum Ausdruck gebracht wurde. Daraus entwickelten sich schwerwiegende diplomatische und innerdeutsche Spannungen. Trotz aller politischen Schwierigkeiten orientierten sich die Programme inhaltlich vor allem an den sozialen Bedürfnissen der Migranten.
Um 1990 wurden sie durch erste Ausstellungen allgemein bekannt: afghanische Teppiche mit Motiven aus Krieg und Politik.1 In den anderthalb Jahrzehnten, die seither vergangen sind, hat sich eine Debatte darüber entwickelt, ob die Teppiche als ethnographisch wertvolle Sammlerstücke oder als bloß touristische Souvenirs anzusehen sind.2 Der vorliegende Text schlägt eine andere Lesart vor: Die Teppiche, so meine These, sind als Medien zwischen Handwerk und Technik, zwischen Massenkommunikation und Dialog, zwischen Kunst und Nachrichtenbild zu verstehen.