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Nach 1989/90 wurde kriegerische Gewalt innerhalb Europas auf neue Weise zum Thema und gerade auch für Intellektuelle zu einer unerwarteten Herausforderung. Die Diskussion unter deutschsprachigen Schriftstellern über den Krieg im ehemaligen Jugoslawien war hauptsächlich eine Debatte um Peter Handke. Sie fungierte als eine Art Stellvertreterdebatte, während engagierte politische Interventionen deutscher Literaten meist ausblieben. In seinen kontroversen Texten seit 1996 versuchte Handke einen ‚dritten‘ Standpunkt jenseits der zweiwertigen Logik des politischen Diskurses in den Medien zur Geltung zu bringen. Dennoch tendierte sein ‚poetischer‘ Blick auf Serbien zunehmend zur politischen Parteinahme, wie etwa seine Annäherung an den in Den Haag angeklagten serbischen Präsidenten Miloševic zeigt. Obwohl seine Sprache eine Alternative zum ‚herrschenden‘ medialen Diskurs suchte, wurde sie wie die Figur ‚Peter Handke‘ letztlich von den Regeln der politischen Öffentlichkeit absorbiert.
Quelle: http://www.boehlau-verlag.com/978-3-412-14406-7.html
Dreimal feierte Berlin im 20. Jahrhundert ein historisches Jubiläum, und jedesmal diente die Stadtgeschichte der Legitimation eines anderen politischen Systems: 1937 inszenierte das NS-Regime die 700-Jahrfeier der Reichshauptstadt, und 1987 begingen Ost- und West-Berlin ihre 750-Jahrfeiern in direkter Konkurrenz. Stolze Festzüge, aufwändige Ausstellungen, reiche Verlagsprogramme und wissenschaftliche Beweisführungen untermauerten die jeweils eigene Erzählung der Stadtgeschichte. Krijn Thijs vergleicht die nationalsozialistische, die liberal-demokratische und die staatssozialistische Variante der Geschichte Berlins. Untersucht werden die Inhalte und Formen der drei historischen Erzählungen sowie ihre Entstehung unter den jeweiligen Rahmenbedingungen in Diktatur und Demokratie. Jenseits der politischen und nationalen Überformungen zeigt sich dabei, dass sich Geschichte nicht beliebig neu konstruieren lässt: Gerade in ihrer gegenseitigen Abgrenzung blieben die Erzählungen stets auch aufeinander bezogen. Der Band spiegelt die Auseinandersetzung zwischen den großen Ideologien des 20. Jahrhunderts im lokalen Raum und erschließt damit zugleich die städtische Geschichtskultur Berlins in den 1930er und 1980er Jahren. Die Studie wurde im Jahr 2007 mit dem Research Prize der Praemium Erasmianum Foundation ausgezeichnet.
Der vorliegende Band vereint methodisch-theoretische Überlegungen zur sozialhistorischen Netzwerkanalyse und empirische Einzelstudien zum Phänomen der Netzwerke im Realsozialismus. Er lädt dazu ein, die Substrukturen der realsozialistischen Gesellschaften zu analysieren. Netzwerke sind definitorisch nur schwer zu erfassen und lassen sich nicht immer scharf gegenüber Begriffen wie Patronage, Seilschaft, Arrangement etc. abgrenzen. Die Autoren der Beiträge experimentieren quasi mit dem Netzwerkbegriff auf der Grundlage ihrer jeweiligen empirischen Ergebnisse. Dabei kommt es zu Überschneidungen mit den Netzwerkbegriffen der Wirtschaftsgeschichte, der Organisationssoziologie und der Politikwissenschaften. Auf den ersten Blick scheinen sich einige der vorliegenden Untersuchungen wenig auf den Netzwerkbegriff zu beziehen. Auf den zweiten Blick jedoch, und das macht die Spezifik des Bandes aus, untersuchen sie Sonderformen von Netzwerken. Die Netzwerke in staatssozialistischen Systemen wurden, anders als etwa in westlichen Unternehmen, nicht aufgrund kalkulierter Effizienzkriterien installiert und aktiv betrieben, sondern dienten in der Regel dazu, eine Vielzahl von Defiziten zu kompensieren.
Anfang 1933 war die international hochangesehene Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) bereits eine vergleichsweise altehrwürdige wissenschaftliche Einrichtung. Gegründet wurde sie 1911 als Großorganisation der deutschen Spitzenforschung. Aufgrund exzellenter Arbeitsbedingungen in den Instituten der KWG konnten zahllose Spitzenforscher gewonnen werden; Namen wie Max Planck, Otto Hahn, Lise Meitner, Albert Einstein, Adolf Butenandt, Werner Heisenberg und viele andere sagen genug. Institutionell gegliedert war die KWG in fünf große Säulen.
Obwohl die 1952 gegründete „Bild“-Zeitung seit Jahrzehnten die größte westdeutsche Tageszeitung ist, hat sich die Zeitgeschichtsforschung mit ihr bisher höchstens am Rande befasst. Der Aufsatz untersucht die Bedeutung von „Bild“, indem er die Entwicklung des Blatts in den 1950er-Jahren analysiert. In diesem Jahrzehnt errang die Zeitung ihre überragende Stellung auf dem publizistischen Markt der Bundesrepublik; in dieselbe Zeit fällt auch der erste Versuch des Verlegers Axel Springer, das Blatt mit konkreten politischen Aufträgen zu lenken. Geprüft wird, wie die „Bild“-Redaktion die Direktiven des Verlegers in den Jahren 1957/58 umgesetzt hat. Dabei wird erkennbar, dass die Boulevardzeitung als bereits etablierter Markenartikel selbst von ihrem Eigentümer nur begrenzt verändert oder in eine bestimmte politische Richtung gelenkt werden konnte. Der Beitrag plädiert dafür, die Macht von „Bild“ eher auf der lokalen Ebene zu suchen, und demonstriert diesen Ansatz am Beispiel von Hamburg. Dies ermöglicht auch allgemeinere Zugänge zur Mentalitäts- und Gefühlsgeschichte der Bundesrepublik.
Mit dem Abkommen über die deutsche Wirtschafts- und Währungsunion galten ab 1. Juli 1990 die Bedingungen der Europäischen Gemeinschaft (EG) auch für das Gebiet der DDR. Damit war der zweite deutsche Staat dort angekommen, wo die SED-Führung nie hin wollte: in der westeuropäischen Integration. Das „Haus Europa“, das nach der Vorstellung Erich Honeckers stets Platz für zwei unterschiedliche gesellschaftliche Systeme bieten
sollte, erhielt so die Umrisse einer „Hausordnung“, die in den außenpolitischen Konzepten führender Staatsmänner weder in West noch in Ost in den vorhergehenden vierzig Jahren ernsthaft erwogen worden war. Während die Integration in Westeuropa aber bis zum Ende der achtziger Jahre sichtbare Ergebnisse und konkrete Pläne für die wirtschaftliche, politische und militärische Zukunft der westlichen Gemeinschaft hervorgebracht hatte, fielen der Ostblock und mit ihm seine Bündnissysteme in sich zusammen. Sang- und
klanglos wurde am 25. Februar 1991 der Warschauer Vertrag beendet. Am 28. Juni 1991 löste sich der Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) auf, ohne dass ersichtlich wurde, welche konkreten Vorstellungen die früheren Ostblockstaaten von ihrer zukünftigen Rolle in einem Gesamteuropa hatten.
Sowohl der Blick nach Westeuropa als auch nationale Selbstpositionierungen bestimmten Europavorstellungen im Ostblock. Besonders in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts dynamisierten sich hier Debatten um Europa, und verschiedene Narrationen von Europa standen dabei in einer Bedeutungskonkurrenz. Die politische Integration im westlichen Teil des Kontinents strahlte in die Kreise unabhängiger Intellektueller positiv aus, doch es wurden auch Debatten um eine regionale Identität Zentraleuropas geführt. Beide Stränge traten in der bekannten „Mitteleuropa-Debatte“ in einen Widerstreit. Auch wurde die Auseinandersetzung um „Polens Platz in Europa“ über die Jahre des Staatssozialismus hinweg fortgeführt, und in den Friedensbewegungen suchte man länderübergreifend nach einer europäischen Ordnung außerhalb der Systemkonfrontation. Sogar in den Parteieliten wurde darüber nachgedacht, wie sich die westlichen Staaten des Ostblocks angesichts des schwachen Zusammenhalts im Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) wirtschaftlich neu orientieren könnten. So wurden den westeuropäischen Staaten Angebote zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit, zu einer Verstärkung des Ost-West-Handels und gar zum politischen Dialog gemacht. Selbst in sich ideologisch stark vom Westen distanzierenden Staaten wie der DDR kam zur aus der Nachkriegszeit stammenden antikapitalistischen Rhetorik das intensive Reden über Ost-West-Kooperationen hinzu. Zwar wurde die Nachkriegspropaganda der Abgrenzung vom westlichen „Kleineuropa“ noch bis 1989 verfolgt, parallel wurde jedoch versucht, sich der Bundesrepublik und der Europäischen Gemeinschaft anzunähem, um wirtschaftliche Vorteile zu realisieren und damit die Herrschaft zu stabilisieren. Oppositionelle Vorstellungen von Europa befanden sich trotz der restriktiven Bedingungen der staatssozialistischen Diktaturen nicht allein in einem abgrenzenden Gegensatz, sondern auch in einem Austausch mit denen der offiziellen Propaganda.
Experten, Stiftungen und Politik. Zur Genese des globalen Diskurses über Bevölkerung seit 1945
(2008)
Der Aufsatz untersucht die weltweite Popularisierung des bevölkerungspolitischen Diskurses und leistet damit einen Beitrag zur kritischen Historisierung gegenwärtiger Deutungsmuster. Wie und warum entwickelte sich ein zunächst nur von wenigen Experten als Problem wahrgenommenes Phänomen zu einem globalen Diskurs über die Gegenwart und Zukunft der Menschheit? Im Kontext von Kaltem Krieg und Dekolonisierung rückte das Bevölkerungswachstum in der „Dritten Welt“ in den Mittelpunkt demographischer Überlegungen. Amerikanische Stiftungen, überzeugt von der humanitären und sicherheitspolitischen Relevanz des Bevölkerungswachstums, setzten sich massiv für eine globale biopolitische Steuerung ein. Seit Beginn der 1960er-Jahre beeinflussten die Stiftungen und die „epistemische Gemeinschaft“ der Bevölkerungsexperten dann auch maßgeblich das Handeln der US-Regierung. Schließlich schwenkten die Vereinten Nationen um 1970 ebenfalls auf eine neo-malthusianische Politik ein. Damit entwickelte sich die Steuerung des Bevölkerungswachstums zu einem zentralen, weithin unstrittigen, aber doch interessengeleiteten Aspekt von Weltinnenpolitik.
Der Aufsatz behandelt die Gewaltfaszination innerhalb von zwei politisch konträren Intellektuellenmilieus in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Durch eine Gegenüberstellung der Konservativen Revolution der 1920er- und der Neuen Linken der 1960er-Jahre werden Ähnlichkeiten und Unterschiede in den intellektuellen Verhaltensstilen, Denkfiguren und argumentativen Grundmustern herausgearbeitet und jenseits von Skandalisierung und Apologie kontextualisiert. So können einerseits ideengeschichtliche Analogien zwischen beiden Bewegungen aufgezeigt werden, etwa in einem Überlegenheits- und Sendungsbewusstsein sowie in der Behauptung einer bevorstehenden Epochenwende. Andererseits resultierte aus den verschiedenen inhaltlichen Positionen eine unterschiedlich ausgeprägte Handlungsbereitschaft. Während sich die Weimarer Rechtsintellektuellen mehrheitlich als interessierte, wiewohl passive Beobachter von naturwüchsigen Krisenzuständen sahen, verstanden sich nicht wenige Protagonisten der westdeutschen Neuen Linken als handelnde Subjekte eines welthistorischen Entscheidungskampfes - wenngleich auch hier letztlich nur eine Minderheit den Weg aktiver Gewaltausübung einschlug.
Fordismus und Sklavenarbeit. Thesen zur betrieblichen Rationalisierungsbewegung 1941 bis 1944
(2008)
Die arbeitsorganisatorischen und fertigungstechnischen Innovationen, die sich mit den Namen Henry Ford und Frederick W. Taylor verbinden, und ebenso die Gesellschaftsvisionen namentlich des US-amerikanischen Automobilkönigs haben das kurze 20. Jahrhundert entscheidend geprägt, auch und gerade im deutschen Raum. Hier wurde der Fordismus während der Goldenen Zwanziger Jahre, die nach der Währungsstabilisierung 1923/24 begannen und (spätestens) mit dem Schwarzen Freitag, dem 25. Oktober 1929, endeten, allerorten intensiv debattiert.