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The Holocaust and Genocide
(2004)
How does the Holocaust relate to genocide as a concept and an event? This question has caused considerable controversy because scholarly discourse and identity politics cannot be separated neatly. While the term 'genocide' was coined during the Second World War and enshrined in International law in 1948, the Holocaust as a specifically Jewish tragedy did not become an object of consciousness until almost two decades later. Ever since, those highlighting a distinctive experience for European Jewry have sought to separate it from that of other victims of the Nazis as well as other cases of ethnic and racial extermination.
Nach einer langen und noch immer anhaltenden Hochphase der Visual Studies haben sich die Geistes- und Kulturwissenschaften in den vergangenen Jahren verstärkt auch der Kulturbedeutung der Klänge und des Hörens zugewandt. Dies ging zunächst auf die Entwicklung in einzelnen Disziplinen zurück. Innerhalb der Medienwissenschaft waren hier besonders die Film Studies und Radio Studies federführend.
Seit einigen Jahren steht die Geschichte der nationalsozialistischen Zeit weniger stark im Mittelpunkt der historischen Forschung, wåhrend der Geschichte der Bundesrepublik und der DDR zunehmende Aufmerksamkeit gewidmet wird, ja als Reaktion auf die Wiedervereinigung geradezu ein Ûbergewicht der DDR-Forschung zu verzeichnen ist. Dabei scheint die historische Perspektive des Diktaturvergleichs den Blick auf das Alltagsleben und die soziale Lage der Bevölkerung der DDR eher unterbelichtet zu haben, obwohl vor allem Lutz Niethammer und seine Mitstreiter mit der Entfaltung der Oral History wesentlich dazu beigetragen haben, diese Lücke im bislang stark von Westdeutschland her geprägten Bild der DDR auszufüllen.
Dieser Beitrag befaßt sich mit den bekannten und denkbaren anderen Erklärungsgründen des ,Scheiterns‘ des frühen Elektrofahrzeugs. Archivrecherchen in Europa und Amerika zeigen, daß nur eine differenzierte Analyse (temporal und geographisch, aber auch nach Fahrzeuggattung und -Anwendung) sinnvoll ist. Da das Elektrofahrzeug hier als Alternative, das heißt als eine ,materielle Kritik‘ an der herrschenden Technik aufgefaßt wird, muß auch das Benzinfahrzeug und dessen Kultur mit in die Analyse einbezogen werden. Dazu werden zunächst die Begriffe Struktur, System und Feld eingeführt. Schließlich wird mit Hilfe eines vierten Begriffs, der Metapher des Pluto-Effekts, das ,Scheitern‘ des Elektroantriebs als ein Erfolg des Autos (aufgefaßt als Idealtypus) umgedeutet: Unser ,Auto‘ ist heutzutage im technischen als auch im kulturellen Sinn ein ,elektrisiertes‘ Auto.
Sowohl in den Kulturwissenschaften als auch in der Theologie hat sich in den letzten Jahren mehr und mehr die Einsicht durchgesetzt, dass sich die historische Entwicklung von »Religion« und »Kirche« in der Bundesrepublik Deutschland nicht allein an den statistischen Daten zur formellen Kirchenbindung wie »Mitgliedschaft«, »Gottesdienstbesuch« oder »Abendmahlbeteiligung« ablesen lässt. Die ausschließlich aus der quantitativ datenanalytischen Außensicht gewonnene Perspektive bringt nur sehr unscharfe Parameter für die Erforschung moderner Religionsausübung zutage.
This article advocates that we should understand the sound history as a new way of investigating general history. It focuses upon auditory perception and the political economy of sound utterances, and therefore identifies sound production as an indicator of the valid political and social order. As such, the sound history unearths the specific acoustemology of a given historical society, the way in which people make sense of their world via sounds and their understanding of sound.
Kritik der Sicherheit. Vom gouvernementalen Sicherheitsdenken zur Politik der ‚geteilten Sorge‘
(2009)
Sicherheit ist ein «essentially contested concept», ein politisch umkämpfter Begriff. Mit Sicherheit wird heute Politik gemacht, und um die Bedeutung von Sicherheit wird gestritten. Sicherheitsdiskurse bilden zentrale Einsatzstellen, an denen politische und soziale Verhältnisse verhandelt, strukturiert und machtpolitisch gestaltet werden. Vor diesem Hintergrund ist eine dringliche Frage, welche Sicherheitskonzepte derzeit die Macht haben, sich als hegemoniale Formen durchzusetzen und sich weltweit zu globalisieren. Den Konturen dieses Sicherheitsverständnisses denken vor allem kritische Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler nach: Sozialkontrolle, Gesundheitsprävention, privatisierte Kriegsführung, ethnisierende Terrorismusbekämpfung und individuelles Risikomanagement sind Analysefelder, die gegenwärtig im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen und das aktuelle Bezugsfeld des hegemonialen Sicherheitsdenkens umreissen.
Emmanuel Macron ist nicht nur der erste französische Präsident, der nach der Kolonialzeit seines Landes geboren wurde, sondern auch der erste, der unumwunden von einer Kolonialschuld spricht und bereits 2017 – unter zum Teil heftiger Kritik – sein Vorhaben andeutete, Rückführungen von Kulturobjekten in ihre Herkunftsländer im Globalen Süden anzuregen. Nach seiner Wahl beauftragte er die französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und den senegalesischen Intellektuellen Felwine Sarr damit, einen Bericht zu verfassen, der darlegen sollte, wie ein solches Verfahren gelingen kann.
Im Gegensatz zu Deutschland ist auf politischer Ebene in Frankreich also recht viel in Bewegung. Allerdings ist die Resonanz aus der Bevölkerung – wiederum anders als im deutschsprachigen Raum – zurückhaltender, wie Bénédicte Savoy im Gespräch mit Gabriele Metzler berichtet. Das Videointerview war Teil der Vorlesung Der lange Nachhall des Kolonialreichs. Deutsche Geschichte im europäischen und globalen Kontext seit 1919, die Metzler im ersten pandemiebedingt digitalen Universitätssemester, dem Sommersemester 2020, an der Humboldt-Universität zu Berlin hielt. Mit freundlicher Genehmigung der Gesprächspartnerinnen durfte es an dieser Stelle veröffentlicht werden.
Die Gewalt ist nicht eingehegt. Sie ist überall, allgegenwärtig, sie zeigt sich in ihrer brutalsten, grausamsten Gestalt im Nordirak und in Syrien, in Afghanistan und Somalia, im Sudan und im Nahen Osten. Gewalt nimmt viele Formen an, sie zerstört Leben, ihre Erfahrung traumatisiert Menschen für immer, sie verletzt und verstümmelt. Gewalterfahrungen können menschliche Gemeinschaften und soziale Ordnungen zerstören, mit Gewalt werden lebensnotwendige Ressourcen vernichtet. Wie lässt sich vor diesem Hintergrund, der uns doch tagtäglich vor Augen tritt, überhaupt davon sprechen, es läge ein Jahrhundert der Gewalt und ihrer Einhegung hinter uns?
Wie kann man soziale Ungleichheit in einer Gesellschaft erforschen, die sich durch immer weitergehende soziale Gleichheit auszeichnen will? Wie kann man in einer Gesellschaft, der politisch ein spezifischer Blick auf sich selber verordnet ist, soziologisch informierte Kategorien einbringen, die gleichzeitig dem Anspruch genügen, praktisch zur Weiterentwicklung der Gesellschaft beizutragen? Diesem Fragenkomplex sind die folgenden Überlegungen gewidmet. Sie fragen also nach einem spezifischen Typ der Repräsentation sozialer Ordnungen unter den besonderen politischen Bedingungen einer sozialistischen Diktatur. Damit ändern sich einige der Bedingungen, unter denen sozialwissenschaftliche Beschreibungen Wahrheitsansprüche erheben können: Sie liefern Bilder von einer Gesellschaft, die sich einerseits in der Bestätigung durch andere sozialwissenschaftliche Beschreibungen erweisen müssen. Andererseits müssen sie sich auch immer in den Augen der Untersuchten selbst bewähren.
Viele Jahrhunderte lang war der Brief fast konkurrenzlos das einzige Medium, mit dem über größere Distanzen hinweg Kontakt aufgenommen werden konnte oder Beziehungen aufrecht erhalten wurden, doch seit einiger Zeit gibt es eine Reihe von Alternativen. Der Werbeslogan der Deutschen Bundespost in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts – schreib mal wieder! – wirkte bereits zu diesem Zeitpunkt wie ein öffentlicher Aufruf, eine vom Aussterben bedrohte jahrhundertealte kulturelle Praxis und Kommunikationsform zu retten. Zwischenzeitlich haben modulierte Signale längst den Postboten überholt, und die elektronische Mailbox bietet den Anschluss an ein weltweites Kommunikationsforum. Der Medienwechsel brachte einen grundsätzlichen kulturellen Wandel mit sich, weil das kollektive Gedächtnis unserer Gesellschaft, das bisher durch Prinzipien der Schriftlichkeit charakterisiert wurde, zunehmend nach elektronischen Regeln arbeitet.
„Wife-beating is occurring every 18 seconds in the United States“, teilte das FBI 1978 mit und machte durch diesen Sprechakt deutlich, dass auch in amerikanischen Sicherheitskreisen inzwischen ein Bewusstsein für die Bedeutung häuslicher Gewalt entstanden war. Zugleich handelte es sich hierbei nicht nur um eines von vielen Verbrechen, sondern es war sogar, wie das FBI erkannte, „the largest single offense committed, and probably the least reported“. Hinzu kam, dass auch die Polizeiorgane selbst massiv von diesem Problem betroffen waren: Im Jahr 1976 standen 31% aller Angriffe auf Polizisten im Zusammenhang mit Fällen häuslicher Gewalt, „representing the greatest percentage of assaults on law enforcement officers“. Zudem starben 20% aller Beamten, die im Einsatz getötet wurden, nachdem sie einem Notruf im Zusammenhang mit domestic violence Folge geleistet hatten.
Gegenstand dieses Beitrags ist die Entwicklung der ambulanten Altenhilfe in der Bundesrepublik Deutschland von der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Beginn der 1970er Jahre, Dabei wir hier das Beispiel der Stadt Frankfurt am Main gewählt, eine Stadt, die relativ führend in ihren Angeboten war, deren Entwicklung aber durchaus mit anderen Städten vergleichbar ist und die durch Hinzuziehen von Berichten und Umfragen aus weiteren Orten, die zum Beispiel im Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche Fürsorge veröffentlicht wurden, mit diesen verglichen wird.
Gegenstand dieses Beitrags ist die Entwicklung der ambulanten Altenhilfe in der Bundesrepublik Deutschland von der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Beginn der 1970er Jahre. Dabei wird hier das Beispiel der Stadt Frankfurt am Main gewählt, eine Stadt, die relativ führend in ihren Angeboten war, deren Entwicklung aber durchaus mit anderen Städten vergleichbar ist und die durch Hinzuziehen von Berichten und Umfragen aus weiteren Orten, die zum Beispiel im Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche Fürsorge veröffentlicht wurden, mit diesen verglichen wird.
Im Januar 2012 feierte der Afrikanische Nationalkongress (ANC), die Regierungspartei der Republik Südafrika, mit großem Pomp sein hundertjähriges Bestehen. Der ANC ist die älteste Organisation des afrikanischen Nationalismus nicht nur in Südafrika, sondern auf dem Kontinent – und war lange Zeit die erfolgloseste. Während politische Parteien in Westafrika wie Kwame Nkrumahs Convention Peoples Party (Ghana) bereits zwei Jahre nach ihrer Gründung die Regierungsgeschäfte übernahmen und in anderen Beherrschungskolonien die Entkolonialisierung ähnlich schnell verlief, konnte der ANC erst 82 Jahre nach seiner Gründung die Regierung stellen.
Die Medialisierung von Politik und Gesellschaft hat zweifellos mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts eine neue Qualität erfahren. Diese ist mit dem Rundfunk, der in Deutschland zum ersten Mal auf dem Höhepunkt der Inflation, im Oktober 1923, auf Sendung ging, entscheidend befördert worden. Das Radio fungierte für die folgenden dreißig bis vierzig Jahre als Leitmedium, das als Ikone des Modernen und der Moderne galt.
Inwieweit haben Imperien – im weitesten Sinne des Wortes – zur Ordnung Europas beigetragen? Und inwieweit haben imperiale Strukturen zu katastrophalen Verwerfungen geführt, wenn man an zwei Weltkriege mit einem Blutzoll von wohl über 50 Millionen Toten (Asien nicht mitgezählt), an immer neue gewalttätige Konflikte zwischen ethnischen Gruppen und an Kriege in Osteuropa, Irland und auf dem Balkan im Gefolge ihres Zerfalls denkt? (Nicht einbeziehen wollen wir hier die Kriege außerhalb Europas, in Nahost, Südostasien, Afrika usw.)
Zunächst ein Beispiel, an dem sich die Ausgangssituation industriebetrieblichen Ordnungsdenkens und social engineerings vergegenwärtigen lässt: Es geht um einen Besuch Willy Hellpachs im Daimler-Werk in Stuttgart/Untertürkheim. Hellpach besichtigte Daimler auf Einladung Eugen Rosenstock-Huessys, zu dieser Zeit Redakteur der »Daimler Werkzeitung«, um den sozialpsychologischen Folgen und Wirkungsgrenzen von Betriebsreformen im Allgemeinen und der Gruppenfabrikation im Besonderen auf die Spur zu kommen.
Ist eine Geschichte ohne Dinge vorstellbar? Wohl kaum, denn auch der reine Gedanke benötigt Dinge, will er auf Dauer festgehalten werden. Ist eine Geschichtsschreibung ohne Dinge vorstellbar? Sehr wohl, wenn wir die in Bibliotheken und auf Festplatten angesammelte Geschichtsschreibung Revue passieren lassen. Dieses Dilemma der Diskrepanz zwischen der realen Welt, ihrer Wahrnehmung und der intellektuellen Reflexion betrifft zwar nicht allein die dingliche Dimension historischer Lebenswelten, doch stellt sich die Frage nach der Einbeziehung der materiellen Kultur in die historische Forschung aus mehreren Gründen besonders deutlich.
Als sich im Herbst 1989 Oppositionelle in Gruppen zusammenschlossen, um eine Reform der verkrusteten Herrschaftsstrukturen der DDR im Sinne einer zivilgesellschaftlichen Perspektive zu erzwingen, ging es vor allem um die Zukunft. Heute, gut 20 Jahre danach, geht es um die Vergangenheit – ein gravierender Paradigmenwechsel in der öffentlichen Debatte, der die Frage nach dem Sinn und der Bedeutung einer »Historisierung« politischer Kommunikation provoziert.
Über "Internationale Geschichte" ist in der deutschen Geschichtswissenschaft nur selten systematisch nachgedacht worden. Methodische Reflexionen und theoretische Anstrengungen galten seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts vorwiegend der Sozialgeschichte, seit den achtziger Jahren auch der noch politikferneren historischen Anthropologie. Neuerdings wird auch das Verhältnis zwischen Sozialgeschichte und Kulturgeschichte intensiv diskutiert; Mentalitätsgeschichte ist zu einem beliebten Programmpunkt geworden. Wer hingegen über internationale Beziehungen geschrieben hat, über Außenpolitik, die Geschichte des internationalen Systems oder die wechselseitige Beeinflussung von Staaten und Gesellschaften, kurz: über Krieg und Frieden, über Herrschaft und Abhängigkeit zwischen den Völkern und Nationen, hat in der Regel wenig Anstrengungen auf die explizite Darlegung seiner theoretischen Annahmen und seiner Verfahrensweisen verwendet.
The peculiar admiration that National Socialists had for Henry Ford and the supposed sympathies that the Detroit industrialist harbored for Nazism keep attracting the curious, both academic historians and Internet dilettantes. There is something irresistible about the connection between the man taken to symbolize American industrial modernity and the quintessential villains of the twentieth century.
Sind die staatssozialistischen Diktaturen an einem Übermaß an „Sicherheit“ gescheitert? Gewöhnlich werden ja eher die verschiedensten Formen des Mangels als Grund für ihren Niedergang angeführt. Es fehlte an Vielem und an allen Ecken und Enden: an individuellen Freiheiten, an Konsumgütern, und schließlich auch den Kommunisten selbst an Zukunftsperspektiven. Selbstverständlich lässt sich argumentieren, dass das eine mit dem anderen zusammenhing. Eine umfassende, die Gesellschaft durchherrschende Politik der Sicherheit nach außen und innen verschlingt beträchtliche Ressourcen für Infrastrukturen, Schutz- und Waffensysteme sowie für die alltäglich zu verrichtenden Tätigkeiten des Überwachens, Kontrollierens und Disziplinierens. Weit vorausschauende vorbeugende Gefahrenabwehr hat ihren Preis, wenn sie allzu enge Grenzen setzt: Sie schränkt die Entfaltung und Selbstbestimmung vieler Individuen ein und kann Kreativität und Unternehmungsgeist behindern, Innovation und damit auch Produktivität und Wachstum hemmen. Wiewohl umfassende Sicherheit kurzfristig der Legitimität eines Regimes zu Gute kommen mag, können ihre Kosten und Nebenwirkungen auf Dauer die soziale Entwicklung behindern und so zum Legitimitätsverlust beitragen.
Die beiden im Folgenden geschilderten Fälle polizeilicher Gewaltanwendung in Deutschland aus dem ersten und letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts haben eines gemeinsam: Sie wurden für die Zeitgenossen als »Übergriff«, als »Amtsmissbrauch« zum Skandal und zogen die Aufmerksamkeit der Presse auf sich. Daher sind sie auch verhältnismäßig gut überliefert und ragen aus der Masse der vielen, »alltäglich« gebliebenen und noch immer bleibenden Fällen polizeilicher Gewaltanwendung heraus. Das gibt uns die Möglichkeit, sie als Sonden in die öffentlichen Gewaltverhältnisse ihrer Zeit zu nutzen: Anhand der konkreten Umstände und der beteiligten Akteure lässt sich, so die Überlegung, untersuchen, wie sich Legitimation und Ausübung staatlicher Herrschaft, die öffentliche Auseinandersetzung und Konsensbildung über staatliche Gewaltanwendung und die von sozialkulturellen Erfahrungshintergründen abhängigen Standards alltäglich erfahrener Mitmenschen zugefügter Gewalt miteinander verbanden.
Sind die staatssozialistischen Diktaturen an einem Übermaß an „Sicherheit“ gescheitert? Gewöhnlich werden ja eher die verschiedensten Formen des Mangels als Grund für ihren Niedergang angeführt. Es fehlte an Vielem und an allen Ecken und Enden: an individuellen Freiheiten, an Konsumgütern, und schließlich auch den Kommunisten selbst an Zukunftsperspektiven. Selbstverständlich lässt sich argumentieren, dass das eine mit dem anderen zusammenhing. Eine umfassende, die Gesellschaft durchherrschende Politik der Sicherheit nach außen und innen verschlingt beträchtliche Ressourcen für Infrastrukturen, Schutz- und Waffensysteme sowie für die alltäglich zu verrichtenden Tätigkeiten des Überwachens, Kontrollierens und Disziplinierens. Weit vorausschauende vorbeugende Gefahrenabwehr hat ihren Preis, wenn sie allzu enge Grenzen setzt: Sie schränkt die Entfaltung und Selbstbestimmung vieler Individuen ein und kann Kreativität und Unternehmungsgeist behindern, Innovation und damit auch Produktivität und Wachstum hemmen. Wiewohl umfassende Sicherheit kurzfristig der Legitimität eines Regimes zu Gute kommen mag, können ihre Kosten und Nebenwirkungen auf Dauer die soziale Entwicklung behindern und so zum Legitimitätsverlust beitragen.
Over the last few years the 1970s have come into the focus of historians in Britain, France and Germany. The recent historiographical debates on the decade largely remain anchored in national contexts however. A comparative analysis of French and British narratives about the 1970s shows the degree to which historical interpretations of the decade remain shaped by contemporary perceptions, political strategies and historiographical traditions. This article argues that we need a real transnational historical dialogue in order to question and deconstruct the implicit assumptions which shape our interpretations of the decade.
Over the last few years the 1970s have come into the focus of historians in Britain, France and Germany. The recent historiographical debates on the decade largely remain anchored in national contexts however. A comparative analysis of French and British narratives about the 1970s shows the degree to which historical inter-
pretations of the decade remain shaped by contemporary perceptions, political strategies and historiographical traditions. This article argues that we need a real transnational historical dialogue in order to question and deconstruct the implicit assumptions which shape our interpretations of the decade.
Fragt man, wer wir seien oder wie wir gesehen werden möchten, antworten wir häufig mit einer Berufs- oder Tätigkeitsangabe; „[...] wir definieren uns und andere durch Arbeit. Durch die Art und Menge unserer Arbeit“ . ‚Arbeit‘ ist daher ein „Schlüsselwort“ unserer Gesellschaft, so der Linguist Fritz Hermanns. Jedenfalls in der modernen Welt ist es so, und das gilt nicht nur für die fortgeschrittenen westlichen und asiatischen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften, sondern auch für die sogenannten Schwellen- und Entwicklungsländer. Aber welche Wörter bilden in den gesprochenen und alten Sprachen der Welt überhaupt das Sinnfeld, das im heutigen Deutsch durch den Kollektivsingular ‚Arbeit‘, im Französischen durch travail, im Italienischen durch lavoro, im Englischen durch zwei konkurrierende Wörter – work und labour – beherrscht wird? Schon das englische Beispiel weist auf die Schwierigkeit hin, Äquivalenz des Gebrauchs und Synonymität der Bedeutungen zwischen den Sprachen – in ihren gegenwärtigen und historischen Stadien – für unser Schlüsselwort ‚Arbeit‘ ohne weiteres vorauszusetzen.
In seiner 1947 erschienenen Darstellung der »Lingua Tertii Imperii«, der Sprache des Dritten Reiches, beschrieb Victor Klemperer die Motive für die Publikation seiner Aufzeichnungen. Nach dem Ende des Krieges, »wo die Gefahr vorüber war und ein neues Leben sich vor mir auftat, da fragte ich mich doch, womit ich es nun zuerst anfüllen sollte, und ob es nicht Eitelkeit und Zeitvergeudung sein würde, wenn ich mich in die angeschwollenen Tagebücher versenkte ... Bis mich ein Wort zum Entschluss brachte.
1983, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, äußerte sich die britische Sozialanthropologin Mary Douglas in ironischer Zuspitzung zur Risikowahrnehmung der amerikanischen Bevölkerung: „What are Americans afraid of? – Nothing much really, except the food they eat, the water they drink, the air they breathe [...].“ (Douglas 1983: 10) In einer Zeit, die vom Wettrüsten, einer schlechten Wirtschaftslage und horrenden Staatsdefiziten geprägt war, drehten sich die Alltagssorgen Amerikas nicht um die großen politischen und wirtschaftlichen Krisen der Zeit, sondern um banale Ernährungs- und Trinkgewohnheiten. Zweierlei ist bemerkenswert am Kommentar von Douglas. Er verweist einerseits auf die Alltäglichkeit moderner Risikovorstellungen und der damit verbundenen Präventionspraktiken. In der Tat haben gesundheitspolitische Popularisierungen und pathologisierende Formen der Zivilisationskritik in vielen westlichen Ländern dazu geführt, dass im 19. und 20. Jahrhundert überlieferte Formen des Essens und Trinkens problematisiert, aufgebrochen und zum Gegenstand eines gesundheitsorientierten Präventionsdiskurses gemacht wurden.
This article analyses the emergence of European regimes of prevention by focussing on the history of knowledge-related practices as a distinctly modern form of social and political rationality in Western Europe. While the targets, means, logics and institutional forms of preventative interventions differ significantly in European national contexts, the authors also trace the elements of a convergent trajectory in the development of prevention regimes. Based on a case study on Cyprus, the article also highlights how European colonies provided a crucial “laboratory” for the development of innovative approaches to prevention, revealing a “histoire croisée” of prevention practices.
„Berlin, die Insel der Freiheit“, müsse „politisch und wirtschaftlich so widerstands- und leistungsfähig gemacht werden“, dass es als „Vorort der freien Welt“ auf den Osten Berlins ausstrahle. Nichts geschehe im Westteil der Stadt, was im Sowjetsektor nicht verglichen und gewertet würde, bemerkte der Regierende Bürgermeister Walther Schreiber (CDU) im April 1954. Nur wenige Monate später formulierte der ostsektorale Magistrat wie folgt: In Berlin „existieren auf engstem Raum zwei Ordnungen nebeneinander. Die Menschen haben täglich unmittelbare Vergleichsmöglichkeiten. Vom demokratischen Sektor muß daher eine magnetische Kraft ausstrahlen, daß alle Werktätigen Berlins diesem Beispiel echter Demokratie zu folgen bereit sind.“ Kaum einen Zeitgenossen des Jahrzehnts nach der politischen Spaltung Berlins im Jahre 1948 überraschten diese im Kern sehr ähnlichen Aussagen, obwohl hinter ihnen einander diametral entgegengesetzte gesellschaftliche Ordnungen und politische Interessen standen. Beide Teile Berlins trennte und verband ein allgemeines Phänomen: der Konflikt zwischen dem parlamentarischen, rechtsstaatlich verfassten liberalen Westen und der östlichen kommunistischen Diktatur nach sowjetischem Muster.
Word, Google, Facebook, Excel, R/3, Twitter – die Nutzung von Informationen und Informations- und Kommunikationstechnologie gehört heute zu den unumgänglichen Fähigkeiten, die in allen Lebens- und Arbeitsbereichen erforderlich sind. Schlagworte wie Informationszeitalter oder Wissensgesellschaft durchziehen allgemeine wie auch fachwissenschaftliche Diskurse und belegen die Nachhaltigkeit dieser Veränderungen. Auch sonst wird unser Alltag immer mehr davon durchdrungen. Manchmal wissentlich wie beim Mobiltelefon, welches sich vom einfachen Telefon zum Smartphone gewandelt hat, oder auch unwissentlich wie im Auto, wo erst das Erlebnis eines notwendigen Software-Updatesder Motorensteuerung in der Werkstatt uns bewusst macht, dass es ohne Informations- und Kommunikationstechnologie nicht funktionieren würde. Somit sind diese Dinge und ihre Nutzung zu Selbstverständlichkeiten geworden. Diese gefühlte Entwicklung spiegelt sich aber auch in wirtschaftlichen Daten wieder. So gehen über 40% des gesamtwirtschaftlichen Wachstums auf den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien zurück. Dabei kommt gerade der Software eine besondere Rolle zu, da sie die zugrunde liegenden Produktivitätssteigerungen erst ermöglicht.
Erweiterter elektronischer Sonderdruck (Stand: Juni 2009). Für 2008 konnte eine mediale Verwertung von ‚68‘ erwartet werden. Meine Prognose lautet, dass in zehn Jahren, zum 50. Dienstjubiläum von 68, nichts Vergleichbares geschehen wird. Alle 68er haben dann ihre Biografien geschrieben, in den Medien sind die Redakteursposten von anderen eingenommen worden, die keinerlei Generationsromantik mehr empfinden. Nun, 2008, haben sich die Printmedien auf einen mittleren Deutungsweg begeben. Quelle: Verlag
In ihrer Bilanz der Frauenforschung zum Nationalsozialismus stellten Dagmar Reese und Carola Sachse 1990 die Frage, wie es geschehen konnte, dass der Forschungsdiskurs, „der sich zu Beginn der 1980er Jahre in breitgefächerten Ansätzen abzeichnete, in vielfältige Einzelaspekte hineinreichte und gleichwohl um einige deutlich erkennbare Leitfragen kreiste, gegen Ende dieses Jahrzehnts nicht mehr wahrgenommen wird?" Diese Frage hat sich bis heute nicht erledigt. So hält sich hartnäckig eine dreiphasige Periodisierung der Frauen- und Geschlechterforschung zum Nationalsozialismus, die nicht von ungefähr die Assoziation von These, Antithese und Synthese erweckt: In der ersten Phase seit Mitte der 1970er Jahre seien „die Frauen“ als Opfer gesehen worden, in einer darauf folgenden Phase habe sich die Frauenforschung den Frauen als Täterinnen zugewandt, während seit den 1990er Jahren eine allgemeine Differenzierung der Frauen- und Geschlechterthematik im Verhältnis zum Nationalsozialismus stattgefunden habe. Dieser weitenden Dreiteilung liegt eine holzschnittartige Opfer-Täter-Dichotomie zugrunde, und sie basiert auf einer immer noch populären aber wie wir meinen: verfälschenden – Negativeinschätzung vor allem der ersten Phase der Frauenforschung zum Nationalsozialismus.
Die neuen Technologien des späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts, die zum ersten Mal die Reproduktion. Aufzeichnung, Manipulation und Übertragung des Tons ermöglichten, haben offensichtlich tief greifende Auswirkungen auf die Modalitäten der auditiven Wahrnehmung mit sich gebracht, sowie zur Gestaltung neuer Öffentlichkeiten beigetragen. Die These dieses Beitrages ist, dass sich gerade in diesen Zeiten des technologischen Wandels die Tätigkeit des Hörens als ein besonders umkämpftes Feld innerhalb der Konstruktion von Öffentlichkeit zeigt.
„Heimat“ – so Grete Adam-Jäckel in den ersten Zeilen eines Gedichtes –, das ist „Wiesen- und Waldesrauschen“, „Sonne und Glockenklang“, „stilles nach innen Lauschen“, "rieselnder Bronnen Gesang“. Auch wenn die „wahre Heimat“ nach ‚Flucht und Vertreibung‘ ‚verloren‘ bzw. „nicht von dieser Welt“ ist, wie Adam-Jäckel schreibt, vermag sie in der Erinnerung ‚nachzuklingen‘. – Der vorliegende Aufsatz möchte das Fragenfeld um eine ,Ästhetik des Verlusts‘ zu musik- und klangbasierten Zusammenhängen öffnen und – im Anschluss an die Tagungsschwerpunkte zu Bilderwelten, Bildgedächtnis, populären Sujets und Darstellungsformen – einige Beobachtungen, Fragen und Perspektiven in die Diskussion einbringen, die um Musik bzw. Sound als erinnerungskulturelle Medien kreisen.
Geschichte wird als Wirtschaftsfaktor genützt. Vergangenheit wird daher auch gezielt bewirtschaftet. Mit dem Begriff der „Vergangenheitsbewirtschaftung“ kreierte Iris Hanika in ihrem Roman „Das Eigentliche“ einen Neologismus im Umfeld
der Holocaustbewältigung, um einen bereits oftmals im geschichtswissenschaftlichen Diskurs stehenden Bereich zu klassifizieren und literarisch zu brechen.
Wenn in diesem Jahr die Bundesrepublik Deutschland auf 60 Jahre einer erfolgreichen Demokratie im Herzen Europas zurückblicken kann, dann ist diese Geschichte untrennbar mit dem Weg der deutschen Katholiken von der unmittelbaren Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis über die Schwelle ins 21. Jahrhundert verbunden. Bis zur friedlichen Revolution im Epochenjahr 1989 und der Wiedervereinigung 1990 war es dem deutschen Katholizismus nur im westlichen Teil Deutschlands möglich, die religiösen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen maßgeblich mitzugestalten. Die Katholiken in der DDR sahen sich bis 1989 dagegen in die Rolle einer politisch und gesellschaftlich bedrückten Minderheit mit sehr geringen influssmöglichkeiten gedrängt. Erst mit dem Fall der Mauer und mit der Deutschen Einheit eröffneten sich jene gesellschaftlichen und politischen Handlungsfelder, die bei allen bleibenden Unterschieden zwischen West und Ost Kirche und Katholizismus in der größeren Bundesrepublik allgemein in den Kontext einer pluralen Gesellschaft und freiheitlichen Demokratie stellen.
Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges war der Abschied von einem bedingungslosen Fortschrittsglauben gekommen. Die Erfahrungen des Stellungskrieges und der Materialschlacht munitionierten die Fortschrittskritik. Die universitäre Etablierung des Fachs Volkskunde im Jahr 1919 war seit den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts durch wissenschaftliche Zeitschriften, Kongresse und museale Sammlungen vorbereitet und von der »Suche nach dem Elementaren in der Kultur« begleitet worden. Die Hinwendung zu den Dingen, vor allem zu Arbeits- und Hausgerät aus europäischen Reliktgebieten, spielte in diesem Prozess eine wichtige Rolle. Die Frage nach ihrer Bedeutung und Sinnaufladung verdichtete sich mit der Disziplinierung, auch wenn die Erforschung der materiellen Kultur nicht der einzige Gegenstand des Faches war, das sich aus den Philologien herausbildete. Geht man davon aus, dass das 19. Jahrhundert das »Saeculum der Dinge« ist, weil die industrielle Massenproduktion die Verfügbarkeit sowie den Verbrauch der Dinge seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immens steigerte, dann führt der Weg zu der intensivierten Aufmerksamkeit für die Dinge des Alltags in Kunst, Literatur und Wissenschaft in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts.
Als Umbruchgeschichte verstandene Sprachgeschichtsschreibung ist weder theoretisch noch empirisch ein entwickelter Untersuchungsbereich, zumal fehlen Kategorien, die Sprachumbruch und Sprachwandel voneinander abgrenzen und zueinander in Beziehung setzen. Der Beitrag wirbt für ,Umbruch‘ als eine Perspektive der Sprach(gebrauchs)geschichte des 20. Jahrhunderts. Sprachliche Umbruchgeschichte, deren Erkenntnisziel auf die initialen Momente sprachlicher Veränderung gerichtet ist, steht in der Tradition der kulturwissenschaftlichen Linguistik. Sie stellt die Frage nach den sprachlichen Auswirkungen plötzlicher und umfassender gesellschaftlicher Veränderungen, vice versa: Sie bindet diese Veränderungen an sprachliche Verschiebungen. Damit ist sie eingelassen in handlungs- und kommunikationstheoretische Paradigmen der pragmatischen Sprachgeschichte. Im Zentrum des hier vorzustellenden Forschungskonzepts einer sprachlichen Umbruchgeschichte steht methodisch der diskursanalytische Ansatz, der nicht nur erklären kann, wie die gesellschaftliche Verfasstheit und sprachliche Verschiebungen zusammenhängen, sondern auch, wann sich solche Verschiebungen diskursiv manifestieren – diese Frage ist essentiell im umbruchgeschichtlichen Kontext. Dieser Ansatz wird im Sinn von analytischen Leitideen ausbuchstabiert. Den Schluss bildet die tentative Verdichtung der Überlegungen zu einem Modell eines sprachlichen Umbruchs.
Jürgen Habermas stellte vor einiger Zeit fest, dass Bürger diejenigen »Krisen«, die durch den Abbau staatlicher Leistungen im Bereich der Bereitstellung öffentlicher Güter und Dienstleistungen entstehen, als »lebensweltlichen Stress« erlebten. Das Wort »Stress« hat sich nicht nur in der gesellschaftsdiagnostischen Fachliteratur einen legitimen Platz erobert, sondern auch im allgemeinen gesellschaftlichen Diskurs enorm verbreitet, und ebenso die Praktiken zu seiner Bewältigung. »Nicht mehr Staat und Gesellschaft, sondern der multioptional einsetzbare Einzelne bildet nun den Knotenpunkt aller Verhältnisse. Im Fall der Ich-AG ist jeder Einzelne sogar Arbeiter und Unternehmer in einer Person; er ist Selbstmanager und Direktvermarkter und damit allein zuständig für Scheitern und Gelingen seines Lebens.«
Wahrend sich die aktuelle wissenschaftliche Beschäftigung mit Stress nicht mehr überblicken lässt, war dies zu Beginn der Stressforschung anders. Die Anfänge fallen in die anderthalb Dekaden zwischen Mitte der 1930er und den beginnenden 1950er Jahren und führen nach Nordamerika. Dort waren es zuerst die Endokrinologie und die Militärpsychiatrie, seit 1945 auch die Psychosomatik, Psychologie und Sozialmedizin, die sich für medizinische Fragen zu interessieren begannen, die wir heute unter der Bezeichnung Stress subsumieren.
Sind die 1970er-Jahre als eine umwelthistorische Epochenschwelle zu deuten? Oder waren die Veränderungen in diesen Jahren eher gradueller Natur? Wurden die sozialen Voraussetzungen für die Eruptionen der I970er-Jahre bereits in den vorangehenden Jahrzehnten gelegt, in verstreuten oppositionellen Aktivitäten, die auf nationalen Ebenen wenig Beachtung landen und daher auch den Historikern bislang weitgehend entgangen waren? Oder bieten die Ereignisse und Entwicklungen nach 1970 hinreichend Argumente, um von einem grundsätzlichen Umbruch zu sprechen? Ließe sich die Geschichte in umwelthistorischer Perspektive beispielsweise in eine präökologische und eine ökologische Zeit einteilen?
Wissenschaftlich scheint die Tragfähigkeit des Genozidbegriffes erschöpft, ironischerweise nicht zuletzt, weil seine Durchsetzung die Aufmerksamkeit auf das Phänomen massiver Gewalt gelenkt und sich unser Kenntnisstand enorm verbreitert hat. Eben weil wir jetzt so viel mehr wissen, legt er der Forschung Fesseln an. Mit seinen nur scheinbar klaren Vorgaben verstellt er den Blick auf die mitunter doch sehr anders gelagerten Realitäten entgrenzter Gewalt. Lässt man ihn für den wissenschaftlichen Diskurs fallen, könnte man sich endlich zu der Einsicht durchringen, dass Gewaltabläufe auch inkonsistent und kontingent, dass die Handlungen der Opfer, des Auslands eine Rolle spielen können für Entscheidungsprozesse der Täter, und dass nicht immer der Wille entscheidend ist, sondern die Tat.
Stellt man die Frage, was eigentlich »Militärgeschichte« genau bedeutet, so bemerkt man rasch, daß diese sich im Laufe der letzten Jahrhunderte auf charakteristische Weise gewandelt hat, in enger Anlehnung an den jeweiligen gesellschaftlichen Platz des Militärischen überhaupt. Grundsätzlich gilt ein solcher Befund wohl für alle historiographischen Teildisziplinen. Aber im Fall der Militärgeschichte erscheinen die jeweiligen Anhängigkeiten noch stärker markiert. Das Militärische trifft den Kern des Selbstverständnisses jeder Gesellschaft, und so dient Militärgeschichte direkter und wirkt sich auch direkter aus als viele andere historische Disziplinen.
Flüchtlingslager dienen weltweit der kurzfristigen Unterbringung von geflüchteten Menschen und der Bereitstellung von Schutz und Unterstützung insbesondere nach weitreichenden Fluchtbewegungen in Aufnahmeländer. Dem erhofften Übergangscharakter von Lagern, ihrer Kurzfristigkeit mit provisorischen Infrastrukturen stehen jedoch reale Entwicklungen gegenüber. Aufnahmesituationen dauern zunehmend lang an, sodass Lager über viele Jahre bis hin zu Jahrzehnten genutzt werden und sich zu restriktiven Lebensräumen der Menschen entwickeln.
History goes pop. In vielen westlichen bzw. westlich orientierten, europäischen wie außereuropäischen Kulturen ist Geschichte ein Gegenstand populärkultureller Repräsentation, Produktion und Konsumtion. Seit den 1980er Jahren ist ein steigendes öffentliches Interesse an Geschichte zu verzeichnen, das seit der zweiten Hälfte der 1990er und insbesondere in den letzten Jahren einen bisher ungekannten Höhepunkt erreicht hat.
Die folgenden Überlegungen haben den Charakter einer Gegenthese. Sie sind gegen eine Ansicht formuliert, die seit einiger Zeit eine diskursbestimmende Rolle in der Kulturöffentlichkeit spielt. Dabei handelt es sich um die Auffassung. daß das, was man mit Begriffen wie Kulturinszenierung, Bilderkult, Ausstellungsspektakel, Erlebnisort Museum oder wie auch immer zu fassen versucht, Erscheinungen einer event-hungrigen Gegenwart sind und daß die Massivität, in der sie in den letzten Jahren zu beobachten sind, eine Deformation des Museums, seine Umwandlung in einen Amüsierbetrieb, befürchten lasse.
Die Organisatoren dieser Tagung haben mich beauftragt, Reflexionen über Trends und Perspektiven, Positionen und Probleme des bundesrepublikanischen Ausstellungswesens in den letzten Jahren anzustellen. Sie haben dafür den Titel »Neue Prächtigkeit« gewählt. Dieser Titel impliziert eine These, die ich nicht teile, aber verstehen kann. Denn tatsächlich hat sich im Ausstellungswesen der letzten beiden Jahrzehnte etwas getan, das von äußerster Dynamik geprägt ist und Mißtrauen bei den einen und Zu-, fast Hochstimmung bei den anderen erzeugt hat. Es gibt Verdikte der jüngsten Trends im Ausstellungssektor, denen mich anzuschließen mir ebenso schwer, wie das kritiklose Anerkennen einer ubiquitären Musealisierung und eines auf Hochtouren laufenden Ausstellungsbetriebs mir leicht fällt. Die Situation ist verworren, aber das braucht nicht unbedingt ein Fehler zu sein.
Die volle Entwicklung der (west)europäischen Gesellschaften zu Massenkonsumgesellschaften gehört zu den bedeutendsten sozioökonomischen und soziokulturellen Wandlungsprozessen zwischen dem Beginn der Wiederaufbauära nach 1945 und der europäischen Epochenwende von 1989/90. Während die Entwicklung des Konsums materieller Güter bereits die Aufmerksamkeit zahlreicher Historiker/-innen gefunden hat, findet der Konsum immaterieller Dienstleistungsgüter eher eine stiefmütterliche Betrachtung.
Die Debatte über den Generationenvertrag hat bisher die Generationenbeziehungen in der Familie vernachlässigt. Geld- und Zeittransfers zwischen erwachsenen Familiengenerationen bilden eine informelle Versicherung gegen Lebenslaufrisiken (z. B. Arbeitslosigkeit oder Scheidung), eine Unterstützung für Elternschaft und eine Quelle von Pflegeleistungen für abhängige alte Menschen. Sie tragen überdies zur Integration der Altersgruppen und Generationen in einer alterssegregierten Gesellschaft bei. Die Fähigkeit der Familie, diese Leistungen zu erbringen, wird jedoch durch den ökonomischen, demographischen und sozialen Wandel gefährdet.
Auf der Grundlage des Survey of Health, Agehig and Retirement in Europe (SHARE) gibt der Beitrag eine Übersicht über die Struktur der Familien-Netzwerke der älteren Europäer, beschreibt die Transfermuster zwischen den Generationen und erklärt die Aktivierung von Unterstützung als Funktion des Eintretens von Lebenslaufrisiken. Die Ergebnisse zeigen eine hohe Verbreitung von Mehrgenerationenfamilien und einen Nettotransfer von den älteren Eltern zu ihren erwachsenen Kindern.
Im Hinblick auf Konsequenzen für die Politikgestaltung geht der Beitrag davon aus, dass familiale Unterstützung für die Hilfeleistenden (vor allem Frauen) kostspielig ist und zu individuellen und politischen Dilemmata führen kann. Politische Maßnahmen sollten neue Formen der Verbindung von Pflege- und Erwerbstätigkeit unterstützen und als Generationenpolitik gestaltet werden, d. h. nicht nur auf die primären Zielpersonen gerichtet sein, sondern auch auf deren Unterstützer.
Das 20. Jahrhundert war ein Jahrhundert des Bevölkerungswachstums, das 21. Jahrhundert wird ein Jahrhundert des demographischen Alterns sein. Zwischen 1900 und 2000 vervierfachte sich, trotz aller Kriege und Katastrophen, die Weltbevölkerung von 1,5 auf 6 Milliarden. Dieses Wachstum wird sich so nicht fortsetzen. Bis 2050 erwartet man „nur“ noch eine Zunahme um 50%, danach weiteren Rückgang der Wachstumsrate. In innerer Verbindung damit altert die Bevölkerung. Europa hat schon heute mehr Menschen im Alter von über 60 als im Alter von unter 15. Aber die Prognosen sagen, dass Asien diese Altersverteilung immerhin schon 2040, der amerikanische Kontinent sie wenig später erreichen wird. Für die Mitte des 21. Jahrhunderts ist zu erwarten, dass es weltweit mehr Menschen über 50 als Menschen unter 15 gibt (vgl. UNO, 2004). In allen Erdteilen wird nach Schätzungen der UNO auch zukünftig die Lebenserwartung steigen.
Der Titel legt nahe, es ginge im Folgenden darum, zukünftige theoretische oder empirische Forschungsthemen zu identifizieren, die bislang entweder kaum bearbeitet wurden oder deren weitere Bearbeitung zusätzliche Erkenntnisgewinne verspricht. Zwar wird auch davon noch die Rede sein, aber in erster Linie verfolge ich die Absicht, eine kritische Bestandsaufnahme der derzeitigen sozialwissenschaftlichen Gewaltforschung vorzunehmen, indem ich frage, welche Ansätze sich schon in der Vergangenheit als problematisch erwiesen haben und von welchen somit wohl auch in Zukunft kaum Neues zu erwarten sein dürfte. Mein Text ist thesenartig gehalten und gliedert sich in mehrere Teile: Im ersten Teil zeichne ich einleitend die Frontlinien in der vor etwa 20 Jahren aufgebrochenen und mittlerweile gut bekannten Auseinandersetzung zwischen den sogenannten »Mainstreamern« und den sogenannten »Innovateuren« der Gewaltforschung nach, bevor ich zu diesem ganzen Komplex einige wissenschaftstheoretische Anmerkungen mache, mit denen ich dann zu den Themen des zweiten Teils überleite. In diesem zweiten Teil liegt der Schwerpunkt auf Theorieangeboten, die im Kontext der Gewaltforschung derzeit gemacht werden: Aufgrund einer Reihe aktueller Publikationen zu »Gewalträumen« gehe ich zunächst vergleichsweise ausführlich und kritisch auf diese Problematik ein, bevor ich mich anschließend den organisationssoziologischen Herangehensweisen an das Gewaltthema widme. Im letzten Teil lasse ich mich zunächst von der Beobachtung einer allzu häufigen und leichtfertigen Rede von »Eigendynamiken« und »Prozessen« in der Gewaltforschung irritieren, um schließlich am Ende meiner Ausführungen einige Linien für zukünftige Arbeiten zu skizzieren.
The development of the modern concept of labour productivity. A contribution to German Business Economics history. The starting point of this article is the reduced output in German factories in the early 1920s, which employers attributed solely to workers’ inefficiency. This was possible because of the long standing lack of a common definition for productivity, particularly in the German-speaking area. This was not the result of historicism, but rather the lack of interdisciplinary and international engagement by German business economics. After World War II international research then provided an unambiguous definition related to a clear concept: that capital is of vital importance for productivity and that therefore a straightforward relationship between output and workers’ efficiency is non-existent.
Es Ist ein fragend-tastendes sich Annähern an eine historiografische Perspektivumkehr, wie sie aus den zitierten Zeilen von Tony Bennett und Patrick Joyce spricht. Beide haben mit „Material Powers" einen der Bände herausgegeben, die hier zur Diskussion stehen. Für manche Historikerinnen und Historiker mag der,material turn1 eine „Provokation“ bedeuten (so der Untertitel einer Sektion zu Geschichte und Materialität auf dem Historikertag 2012 in Mainz). Doch beweist die gegenwärtige (Wieder-)Annäherung unterschiedlicher kultur- und gesellschaftswissenschaftlicher Disziplinen an die Dimension Materialität, dass Jahrzehnte einer perspektivischen Ent-Materialisierung als Defizit wahrgenommen werden - der Archäologe Bjornar Olsen spricht von einer „kollektiven Amnesie“ der Kultur- und Gesellschaftswissenschaften gegenüber dem Materiellen.
Menschen, die mit Messer, Eisenstangen und Tischbeinen inmitten der britischen Hauptstadt London aufeinander losgingen, sich mit Flaschen und Molotowcocktails bewarfen und dabei »We want the black bastards« riefen – das ist die Gewalt, um die es hier gehen soll. Bekannt wurden diese Auseinandersetzungen zwischen Weißen und Schwarzen im Spätsommer 1958 unter dem Namen Notting Hill Riot, teils auch Notting Hill Race Riot.
In der Nachkriegsgeschichte haben die Kirchen in beiden Teilen Deutschlands weit über die kirchenhistorischen Entwicklungen im engeren Sinne hinaus eine wichtige Rolle gespielt. Insbesondere gilt das für die jüngste Zeitgeschichte: In der DDR wurde die evangelische Kirche zur Mutter der Revolution stilisiert, aber auch wegen ihrer Nähe zur SED und zur Stasi ins Kreuzfeuer der Kritik genommen. Beide Aspekte haben erklärlicherweise im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gestanden. Denn ohne die Kirche als Institution hätte es in der DDR keine Herbstrevolution gegeben, weil die Gruppen ohne das schützende Dach keine Entfaltungsmöglichkeit besaßen und so die Rolle als Motor des Umbruchs kaum hätten spielen können.
Der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) spricht von der größten humanitären Flüchtlingskatastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg (UNHCR 2014) und die Anzahl an Asyl- und Schutzsuchenden in Europa nimmt Ausmaße wie seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr an. Die Themen Flucht und Flüchtlingsaufnahme werden in Öffentlichkeit und Politik kontrovers diskutiert. Für die Sozialwissenschaften sind die Themen Vertreibung, Zwangsmigration und Flüchtlingsschutz nicht nur hoch aktuell, sondern fundamental mit der Organisation und Gestalt der modernen Staatenwelt verbunden. Aus vielfältigen Gründen sind Menschen gezwungen, auf der Suche nach Unterstützung und politischem Schutz ihre Länder zu verlassen. In der nationalstaatlich organisierten Welt können fundamentale Rechte nur gewährleistet werden, wie Hannah Arendt es bekanntermaßen ausdrückte, sofern man das Recht hat, Rechte zu haben (Arendt 1994: 290-302). Jene, die aus ihren Herkunftsländern fliehen, klagen damit nicht nur gegenüber der restlichen Welt ihre Menschenrechte ein, sie stellen auch grundsätzliche Fragen an die Sozialwissenschaften. Wie gehen in unserer globalen Gesellschaft, aber auch regional, national und lokal, Flucht und Vertreibung einher mit humanitärer Unterstützung, mit dem Anspruch auf Rechte und Schutz für Flüchtlinge? Damit verbunden sind auch Fragen von Sicherheitspolitik, Grenzschutz, Rassismus und ökonomischen Interessen, um nur einige Themen zu benennen. Flüchtlinge existieren tatsächlich und metaphorisch zugleich an der Peripherie und im Zentrum.
Im Jahr 1983 gewährte die Heilig-Kreuz-Gemeinde im Berliner Bezirk Kreuzberg mehreren palästinensischen Geflüchteten Kirchenasyl, um deren Abschiebung zu verhindern. Diesem Beispiel folgten bald weitere Westberliner Gemeinden beider Konfessionen, und bis 1988 schlossen sich insgesamt 35 Kirchen in der Initiative »Asyl in der Kirche« zusammen. Auf diesem Weg versuchten sie, vor allem »De-Facto-Flüchtlinge« vor der Abschiebung in den Libanon zu bewahren. Dies waren die ersten Fälle von Kirchenasyl in der Bundesrepublik bzw. Westberlin. Sie lieferten den Auftakt für die Entstehung der selbsternannten ökumenischen »Kirchenasylbewegung«. Dieser Zusammenschluss aus sowohl evangelischen als auch katholischen Gemeinden stellt einen signifikanten Akteur in der Migrationspolitik seit den 1980er Jahren dar und orientierte sich an internationalen Vorbildern aus den USA, den Niederlanden und der Schweiz.
Der Spanische Bürgerkrieg war zugleich ein deutscher Bürgerkrieg, denn auf beiden Seiten kämpften Deutsche: Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland hatten sich freiwillig zu den anarchistischen Milizen oder zu den Internationalen Brigaden gemeldet, die die Spanische Republik gegen den Militärputsch des selbsternannten spanischen "Führers" Francisco Franeo zu verteidigen halfen. Die Hitler-Regierung hatte auf Bitten Francos nicht nur Flugzeuge, Panzer und Munition nach Spanien geschickt, sondern dazu über 20.000 Soldaten: die Legion Condor. Diese Hilfstruppe war, weil Deutschland das internationale Nichteinmischungs-Abkommen mit unterzeichnet hatte, 1936 heimlich und in Zivil auf Touristendampfern nach Spanien gebracht worden, 1939 wurde sie dann bei der siegreichen Rückkehr offen und mit militärischem Schaugepränge in Harnburg und Berlin empfangen. Auf beiden Seiten hatten in diesem Krieg auch deutsche Journalisten und Fotografen gearbeitet.
‘Soziale Sicherheit’ ist wie sein englisches (‘Social Security’) und sein französisches (‘Sécurité sociale’) Synonym zu einem Leitbegriff der wohlfahrtsstaatlichen Entwicklung geworden. Während es die deutsche Sprache gestattet zwischen normativem Leitbild (‘Soziale Sicherheit’) und seinen institutionellen Umsetzungen (‘Soziale Sicherung’) semantisch zu unterscheiden, decken ‘Social Security’ und ‘Sécurité sociale’ grundsätzlich beide Bedeutungen. Allerdings hat sich in neuerer Zeit das institutionelle Verständnis ganz in den Vordergrund geschoben. Erst unter dem Eindruck eines Diskurses, welcher 'Globalisierung' als Gefahr für die europäische Wohlfahrtstaatlichkeit thematisiert, tritt auch die normative Komponente des Begriffs wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein.
Rückkehr oder Flucht? Als im Sommer und Herbst 1975 Hunderttausende aus Angola und Mosambik in Portugal eintrafen, schien die Not der Menschen offensichtlich und die Sache klar – doch sie war es nicht. Portugal hatte zwar 1960 die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ratifiziert. Die Regierung vertrat aber den Standpunkt, dass die Ankommenden, von denen viele Hals über Kopf aufgebrochen waren und nun mittelos und tief verunsichert in Notunterkünfte gebracht wurden, keine „Flüchtlinge“ seien.Rückkehr oder Flucht? Als im Sommer und Herbst 1975 Hunderttausende aus Angola und Mosambik in Portugal eintrafen, schien die Not der Menschen offensichtlich und die Sache klar – doch sie war es nicht. Portugal hatte zwar 1960 die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ratifiziert. Die Regierung vertrat aber den Standpunkt, dass die Ankommenden, von denen viele Hals über Kopf aufgebrochen waren und nun mittelos und tief verunsichert in Notunterkünfte gebracht wurden, keine „Flüchtlinge“ seien.
Bei der Entwicklung konventioneller und atomarer Waffen nahmen die verantwortlichen Politiker und Militärs der Vereinigten Staaten, Chinas, Frankreichs, Großbritanniens und der Sowjetunion keine Rücksicht auf soziale und ökologische Folgen. Bereits vor dem Kalten Krieg richteten sie militärische Testgelände ein, für die ganze Bevölkerungsgruppen umgesiedelt werden mussten. Indianer, Nomaden und andere Menschen, die in den Augen der Behörden unwichtig waren oder sogar der Landesverteidigung im Wege standen, wurden ihrer Dörfer, Begräbnis- und Kulturstätten, ja letztlich ihrer Lebensweise beraubt.
In diesem Aufsatz soll es indessen weniger um den relativen, in der Gerontologie ausgehandelten Stellenwert von der Länge des Lebens einerseits und seiner Qualität und Sinnhaftigkeit andererseits gehen. Was uns beschäftigen soll, ist stattdessen die besondere Form der Zukunft oder, wenn man so will, der besondere Zukunftsbegriff, der sich in Baltes' Text sowie in wissenschaftlichen Studien wie der »Berliner Altersstudie« zu Wort meldet. Dem Aufsatz liegt die Vermutung zugrunde, dass »Alter« und »Altersforschung« zu den wichtigsten »gesellschaftliche Zukunftsformen« des 20. Jahrhunderts gehören, deren Generierungs-, Wirkungs- und Entwertungsmechanismen unbedingt identifiziert und analysiert werden müssen.
»Keinem, der dem Wesen der menschlichen Angelegenheiten, das sich in Geschichte und Politik manifestiert, nachdenkt, kann die Rolle, welche die Gewalt seit eh und je in den Beziehungen der Menschen zueinander gespielt hat, entgehen; und es ist auf den ersten Blick einigermaßen überraschend, daß sie so selten zum Gegenstand besonderer Untersuchungen gemacht wurde.« So angemessen diese Feststellung Hannah Arendts im Jahre 1970 auch gewesen sein mag, inzwischen zeigt sich die intellektuelle Szenerie gründlich gewandelt. Gewalt ist in nahezu allen kulturwissenschaftlichen Disziplinen der Gegenwart zu einem beherrschenden Thema geworden. In der Epoche Hannah Arendts jedoch brachte ihre zitierte Aussage eine Theorielandschaft auf den Punkt, in der ein die Nachkriegsgesellschaften des Westens prägender Prozess von Demokratisierung das Problem illegitimer Gewaltausübung zum Verschwinden zu bringen schien. Die Modernisierungstheorie der 60er und 70er Jahre stellt sich unter diesem Gesichtspunkt als eine gegenüber Gewaltphänomenen unsensible Gesellschaftskonzeption dar.
Die Erforschung der Geschichte verfügt selbst über eine höchst interessante Geschichte und entfaltet ihre eigene Dynamik und Agenda. Eine Möglichkeit, jüngste Trends zu charakterisieren, wäre die Feststellung, daß die Internationalisierung der Geschichtsforschung die traditionelle Betonung der "Nation" als Analyseeinheit in bedeutender Weise verändert hat. Nationale Geschichte wurde bereichert, erweitert und in einigen Fällen sogar durch internationale und globale Geschichte in Frage gestellt. In diesem Beitrag möchte ich zunächst auf die Internationalisierung und Globalisierung der Geschichtswissenschaft in den letzten Jahrzehnten eingehen und dann den wachsenden Einfluß diskutieren, den Internationale Geschichte auf nationale Geschichte hatte. Schließlich möchte ich einige Beobachtungen zur Etablierung von Globaler Geschichte als einer Subdisziplin in Abgrenzung von Internationaler Geschichte anfügen.
Vorbei sind die Zeiten, als man sich mit Bemerkungen, daß die meisten Kontroversen über Gewalt aus einem »poor use of words« (Chesnais) resultierten, automatisch auf der »sicheren« Seite wähnen konnte, wenn man nur genügend differenzierte. Vorbei sind auch die Zeiten, in denen Gewalt als ein nichtssagendes Modewort bezeichnet werden konnte, weil »jeder über Gewalt redet, und keiner wirklich darüber nachdenkt« (Hobsbawm). Das Thema Gewalt ist in aller Munde, auch wenn damit je nach politischem, ideologischem oder sozialem Standpunkt höchst unterschiedliche Sachverhalte assoziiert werden. Entsprechend begegnet uns Gewalt in einer Vielzahl von begrifflichen Differenzierungen (direkte und indirekte Gewalt; personale, strukturelle, kulturelle und symbolische Gewalt; psychische Gewalt; progressive und reaktionäre Gewalt; instrumentelle und expressive Gewalt, staatliche Gewalt; legale und illegale Gewalt; legitime und illegitime Gewalt; verdeckte und offene Gewalt – die Liste ließe sich leicht fortführen), in vielen Arten und Formen [...], im privaten Alltag und in der offiziellen Politik, in Strukturen und Sprache eingelagert. Gewalt ist allgegenwärtig, vergeht doch kein Tag, an dem nicht Medien und Presse über die neuesten Gewalttaten und Greuel berichten.
Alter(n) hat sich in der Gegenwart grundlegend gewandelt. Aufgrund der Entwicklung in der Medizin haben heute viele ältere Menschen die Möglichkeit, die Lebensphase Alter nicht nur länger, sondern vor allem länger gesund zu erleben. Dies stellt nicht nur gesellschaftliche Institutionen, sondern auch das Individuum vor neue Herausforderungen. Alter(n) zeichnet sich durch eine nie gekannte Wahlfreiheit aus und sollte deshalb sinnvoll geplant und gelebt werden. Es entstehen neue Märkte und eine Vielfalt von Freizeitaktivitäten für ältere Menschen. Damit geht einher, dass das klassische dreiteilige Modell der Lebensphasen aufgebrochen ist. Statt der Kindheit und der Erwerbsphase einfach den Ruhestand und das Alter entgegenzusetzen, wird das Alter oft selbst noch einmal unterteilt, so dass seit einiger Zeit mindestens vier Lebensalter unterschieden werden.
Die DDR gilt in ökologischer Hinsicht als failed state. Diese Wertung speist sich aus den Darstellungen der ostdeutschen Umweltbedingungen in der westdeutschen Presse in den 1980er Jahren. Während vor 1981 die Umwelt in der DDR allenfalls eine marginale Rolle spielte, brannten sich während des Wendeherbstes 1989 die Bilder von biologisch toten Flüssen, großflächig absterbenden Wäldern, Tagebau-Restlöchern und unwirtlichen Industrielandschaften in das ikonographische Gedächtnis der Bundesrepublik.
Museen sind seit langem keine stillen Musentempel mehr. Das gilt auch für historische und volkskundliche Museen, die im Folgenden ausschließlich behandelt werden. Sie müssen ihr Bestehen durch ihre Erfolge rechtfertigen. Dabei wäre noch ein großes Stück Arbeit zu leisten, um komplexe und mehrdimensionale Erfolgskriterien zu entwickeln. Interessant wären z.B. Indikatoren wie Leserkontakte anhand der Pressemeldungen, Resonanz in fachwissenschaftlichen Publikationen oder die Urteile der Kritik – die aber leider im Museumsbereich ziemlich unterentwickelt ist und keinen Vergleich mit der Literaturkritik aushält. Einstweilen aber, und dazu tragen die Museen durch weitgehende Inaktivität in diesem Bereich bei, bleibt das einzig Messbare oft die Besucherzahl.
»Menschenrecht ist, sich einander als Wesen zu behandeln, die sich im Innern gleich und von Außen ähnlich, nur durch die Ungerechtigkeit so unkenntlich geworden sind.« Wer würde heute diesem Diktum eines vergessenen deutschen Publizisten aus dem Jahr 1789 widersprechen wollen? Die Menschenrechte gehören in der Gegenwart zu den wichtigsten Glaubensartikeln liberaler Demokratien. Wer die Menschenrechte anzweifelt, stellt sich anscheinend außerhalb der Grenzen einer universellen Moral im Zeitalter von Weltinnenpolitik. Oft erscheint das individuell-unveräußerliche »Recht auf Rechte« (Hannah Arendt) wie eine überhistorisch-naturrechtliche Selbstverständlichkeit. Die Menschenrechte sind die Doxa unserer Zeit, jene Überzeugungen einer Gesellschaft, die als verinnerlichte, evidente Ordnung stillschweigend vorausgesetzt werden und den Raum des Denkbaren und Sagbaren umgrenzen. Gestritten wird heute nur noch darum, wie man die Menschenrechte diesseits und jenseits des Nationalstaates zur Geltung bringen könnte. Ob sie überhaupt eine sinnvolle rechtliche oder moralische Kategorie für unser politisches Handeln darstellen, steht gleichsam außer Frage. Ziel der in diesem Band versammelten Autoren ist es, historisch zu verfolgen, wie die Menschenrechte in den globalen Krisen und Konflikten des vergangenen Jahrhunderts diese universelle Evidenz gewonnen haben.
Banale Fragestellungen sollten nur dann nützlich sein, wenn die Banalität des Festgestellten so banal nicht ist. Das heißt: Wenn gesagt werden muß - und das Zitat stammt aus einer Satire daß auch in der Nazizeit zwölfmal Spargelzeit gewesen wäre, dann gibt es zwei einander entgegengesetzte Gründe für diesen Satz. Der erste wäre, daß es auch zwischen 1933 und 1945 ein ganz normales Leben gegeben habe, das neben oder gar unabhängig von dem Verbrechen stattfand, dem das Städtchen Auschwitz seinen Namen geben mußte. Es gäbe danach in der Nazi-Zeit ein Leben ohne Verbrechen und ein Leben mit Verbrechen. Das erstere sei von dem letzteren zu trennen. Der zweite, entgegengesetzte Grund für das Diktum wäre der Hinweis, daß auch die Spargelzeit eine andere war, wenn sie gleichzeitig mit dem Verbrechen stattfand. Doch die Alternative wäre nicht mit so starkem Engagement debattiert worden, versteckte sich nicht die Frage nach der Schuld und damit nach den Schuldigen hinter der Erörterung, ob es zwischen 1933 und 1945 ein Leben ohne Auschwitz gegeben haben konnte. Die Kollektivschulddebatte der Nachkriegsjahre führte, wie wir wissen, zu keinem Abschluß, mit dem Buch von Daniel Goldhagen steht sie wieder als Interpretationsraster zur Verfügung.
In Marktwirtschaften tragen die Unternehmen nur einen Teil der Kosten des Produktionsfaktors „Arbeit“. Sie entlohnen zwar die im Betrieb geleistete Arbeit, kommen jedoch nicht ohne weiteres für die Sicherung derer auf, die arbeitslos sind oder wegen Krankheit, Invalidität oder hohen Alters vorübergehend oder auf Dauer nicht erwerbstätig sind. Die betriebliche Kostenrechnung ist daher – wenn man die Betrachtung idealtypisch zuspitzt – von einem erheblichen Teil der sozialen Kosten des Produktionsfaktors „Arbeit“ entlastet. Mit anderen Worten: Die betrieblichen Entscheidungen sind nicht unmittelbar an gesamtwirtschaftlich oder gesamtgesellschaftlich definierte Aufgaben und Ziele gebunden; sie können sich vielmehr strikt an Rationalitätskriterien eigener Art orientieren, vor allem an Kriterien der Rentabilität. Diese „Externalisierung von Kosten der freien Verfügbarkeit des Produktionsfaktors Arbeit im freien Arbeitsvertrag“ (M. Rainer Lepsius) trägt zu der hohen Anpassungselastizität und Innovationsfähigkeit der marktwirtschaftlichen Produktionsweise bei. Sie verlangt aber zugleich nach Institutionen der sozialen Sicherung, die die ausgelagerten Kosten auffangen.
Wer war früher da – der Markt oder der Staat? Es gibt Fälle, in denen sich diese Frage ganz eindeutig beantworten lässt: Das sind die Fälle marktschaffender Politik. Im Zuge des neoliberalen Imperativs »mehr Markt!« drang dieser Typ des politischen Handelns auch in Bereiche vor, die bislang zu den Kernaufgaben des »sorgenden Staates« gerechnet wurden. Dabei erwies sich die Privatisierung als einer der wichtigsten Hebel. Zwar dient nicht jede Privatisierung der Herstellung von Marktbeziehungen. Man denke zum Beispiel an die Praxisgebühr oder an viele andere Zuzahlungen zu Leistungen der Krankenkassen, womit Kosten ins Privatbudget der Haushalte verlagert wurden. Umgekehrt lassen sich auch Vermarktlichungstendenzen beobachten, die ohne das Instrument der Privatisierung auskommen wie zum Beispiel der Einbau marktförmiger Elemente in die gesetzliche Krankenversicherung (freie Kassenwahl, Wahltarife). Der folgende Essay konzentriert sich jedoch auf die marktschaffende Hebelwirkung von Privatisierungstendenzen im deutschen Sozialstaat.
Als Christoph Kleßmann in den 1990er Jahren erstmals seine Überlegungen zu einer »asymmetrisch verflochtenen Parallelgeschichte« formulierte, war ein solcher Ansatz nicht unumstritten. Wenn beide deutschen Nachkriegsgesellschaften überhaupt zusammen beschrieben wurden, so geschah dies meist im Modus einer normativ aufgeladenen Kontrastgeschichte. Auch die Frage nach Verflechtungen und Transfers stieß seinerzeit angesichts der noch hitzig geführten Debatte um den historischen Vergleich und die jüngere Kulturtransferforschung auf Widerstände. Heute haben sich diese Auseinandersetzungen längst überholt. Die Frage nach Verflechtungsprozessen bedarf nicht länger einer besonderen Legitimation. Ganz im Gegenteil: Seit Jürgen Kockas Kritik an der Verinselung der DDR-Forschung dient das Verflechtungsparadigma vielfach als Rechtfertigung, um sich überhaupt noch mit der Geschichte der DDR zu beschäftigen.
Ein Paradox prägt die Praxis kommerzieller Buchverlage: Alle wissen um die Unmöglichkeit, Bestseller zu planen und alle sind beständig mit dem Planen von Bestsellern beschäftigt. John B. Thompson, der in seiner Doppelrolle als Buchwissenschaftler und Verleger von Polity Press einen privilegierten Zugang zu den verschwiegenen Zirkeln der Verlagswelt hat, beschreibt den Umgang mit dem Paradox in »Merchants of Culture«, seiner 2010 erschienenen Untersuchung über den Buchhandel in Großbritannien und den Vereinigten Staaten. Thompson charakterisiert das Verlagswesen als eine »black swan industry«, in welcher der glückliche Zufall eine entscheidende Rolle spiele, »da bei vielen, wenn nicht allen Bücher niemand wirklich weiß, wie erfolgreich sie sein werden«. Den Verlegern bleibe bei so viel Unsicherheit nur die Entwicklung einer Strategie, um dem Zufall auf die Sprünge zu helfen.
Zwischen Historisierung und Globalisierung: Titel, Themen und Trends der neueren Empire-Forschung
(2011)
The following article examines recent publications on empires and imperial history in world history, covering general overviews, comparative studies and monographs on individual cases. As a preliminary result of a general expansion of empire-studies – diachronically, with regard to different historical spaces and thematically – the authors identify a danger of inflating the concept and thereby weakening its analytical strength. Furthermore, a growing gulf between macro-perspectives and panoramas on the one hand and mikro-analyses on the other makes it difficult to achieve a suitable framework for precise research on empires. The article therefore argues in favour of a meso level, as the comparative view on the complex relation between empires and nation-states in the nineteenth and twentieth century can illustrate.
Seit dem Zweiten Weltkrieg prägen die Vereinigten Staaten von Amerika die westliche Welt nicht nur in politischer, sondern ebenso in wirtschaftlicher und technologischer Hinsicht. Während die USA insbesondere in den modernen Schlüsseltechnologien wie der Mikroelektronik und der Antriebstechnik zu den innovativsten und dynamischsten Märkten gehören, war bis in die späten 1960er Jahre hinein in den europäischen Staaten ein Mangel an technologischem Fortschritt spürbar. Am Beispiel der deutschen Computerindustrie befasst sich der Beitrag mit den Bemühungen, diesen Rückstand aufzuholen. Mit Blick auf das von Volker Berghahn geprägte Amerikanisierungs-Paradigma ist dabei vor allem nach den Konsequenzen für die Wettbewerbspolitik der 1950er bis 1970er Jahre zu fragen.
Kein Aspekt der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine derart rasante Forschungskarriere absolviert wie das Thema „NS-Zwangsarbeit“. Ein kaum mehr überschaubarer Katalog von Veröffentlichungen legt seit den 1980er Jahren die unzähligen Einzelschichten des Themas frei, so dass unser Wissen über dieses in der Geschichte singuläre Großprojekt zur ungehemmten Abschöpfung von fremder Arbeitskraft für die eigene Kriegswirtschaft exponentiell gewachsen ist.
Wenn man sich die Mühe macht und die empirischen Studien zum Geschichtsbewusstsein und zum Geschichtsinteresse von Jugendlichen betrachtet, so gilt für die Einstellung der Schülerinnen und Schüler zum Fach Geschichte noch heute die Einschätzung Klaus Bergmanns, der bereits 1976 pointiert formuliert hatte: „Nach allen empirischen Befunden ist Geschichte für die meisten Schüler langweilig, uninteressant, überflüssig – ein ungeliebtes Schulfach.“ Auch Annette Kuhn fragte zeitgleich in einem programmatischen Aufsatz „Wozu Geschichtsunterricht?“, ob es überhaupt möglich sei, einen Geschichtsunterricht im Interesse der Schüler zu halten. In seinem breit rezipierten Aufsatz über „Begriff und Funktion der Zeitgeschichte“ hat der Autor Eberhard Jäckel bereits 1975 eine heute empirisch nachweisbare Einschätzung abgegeben, mit der er ansatzweise versucht hatte, Antwort auf die Frage zu geben: „Was denn soll jemanden, der Interesse an Geschichte hat, mehr interessieren als die Geschichte seiner Zeit?“ Die empirischen Studien bestätigen diese Aussage. Gerade für die „Periode von 1945 bis heute“ nimmt das Interesse der Jugendlichen an den zeitgeschichtlichen Inhalten deutlich zu. Auch der seit Jahren anhaltende „Geschichtsboom“, die Zuschauerzahlen historischer Spielfime mit zeitgeschichtlicher Thematik wie der „Untergang“, „Hitler – Aufstieg des Bösen“, „Stauffenberg“, das stetig wachsende Interesse an den Knoppschen Dokutainments im Fernsehen und die breite Rezeption zeitgeschichtlicher Kontroversen in der Publizistik scheinen diesen Befund zu stützen.
Gelenkte Bilder. Propagandistische Sichtweisen und fotografische Inszenierungen der Reichshauptstadt
(2013)
Berlin als administratives und politisches Zentrum des NS-Regimes war die prominenteste und »produktivste« Bühne der öffentlichen Inszenierung nationalsozialistischer Machtentfaltung. Das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) war die wichtigste Schaltzentrale der NS-Propaganda.
In der gegenwärtigen Auseinandersetzung um den Neoliberalismus“ werden immer wieder Argumente verwendet, die die 1970er Jahre als eine Wasserscheide im Übergang zum kalten Turbokapitalismus der Gegenwart sehen. Im Anschluss an Michel Foucaults Vorlesungen zur Geschichte der Gouvernementalität wird davon ausgegangen, der entscheidende Wandel habe darin bestanden, dass die Menschen seitdem permanent in ökonomische Verwertungszwänge eingespannt gewesen seien. Soziales Verhalten sei zunehmend erodiert und diskriminiert worden, während Konkurrenzverhalten und Marktbezug zum Durchbruch gekommen sei. Es sei der „Mensch des Unternehmens und der Produktion“ entstanden, ein „unternehmerisches Selbst“, wie Ulrich Bröckling es nennt, das in allen anfallenden alltäglichen Entscheidungen ökonomische Handlungsmaximen verwendet. Als ein wichtiger Referenzpunkt für diese These wird dabei auf die Neue Konsumtheorie von Gary S. Becker verwiesen, die „ökonomische Theorie des Alltags“, der in den 1970er Jahren als erster ökonomische Analysen zur Beurteilung der Nützlichkeit der Ehe, der „Kinderaufzucht“ oder der Ausbildung verwendete und damit zum punching-ball
der Kritik an der „Ökonomisierung des Sozialen“ aufstieg.
Die Welt der Gegenwart zeichnet sich durch ein dichtes Netz von globalen, grenzübergreifenden Aktivitäten aus, zu denen die ungeheure Zahl von über 61.100 internationalen Organisationen ebenso beiträgt wie die Veranstaltung internationaler Konferenzen und Kongresse. Der stolze Hinweis auf die Partizipation an internationalen Organisationen gehört zur Selbstdarstellung moderner Außenministerien, und das politische Potenzial von Nichtregierungsorganisationen in der ganzen Breite zwischen WEF-Gegnerschaft und Olympischen Spielen prägt das heutige Verständnis von Internationalität. Angesichts dieser vielfältigen und weltumspannenden Netzwerke ist die Anzahl der derzeit 193 von der UNO anerkannten souveränen Staaten lächerlich gering - und dennoch gibt es keinen Grund, von einem Ende des Nationalstaates zu sprechen.
Die öffentliche Diskussion um die nationalsozialistische Vernichtungspolitik hat sich durch die Debatte um das Buch von Daniel Goldhagen verändert. Wie immer in solchen Fällen ist diese Debatte nicht frei von schrillen Tönen und absurden Überzeichnungen. Aber bei aller Kritik an dem Buch von Goldhagen ist es doch gewiß eine positive Entwicklung, wenn die Diskussion um Nationalsozialismus und »Holocaust« nun endlich wieder auf das eigentliche Geschehen, den Massenmord selbst konzentriert wird, auf die Motive der Täter, das Leiden der Opfer. Demgegenüber sind Fragen wie: ob der Judenmord als Phänomen der Moderne zu verstehen sei oder nicht, ob er eine Art putativer Notwehr gegen den vermuteten Mordwunsch der Bolschewiki am europäischen Bürgertum gewesen sei und anderes, das in den vergangenen Jahren die öffentliche Debatte bestimmt hat, in den Hintergrund getreten.
Es liegt gleichsam auf der Hand, dass Sicherheit immer auch eine räumliche Dimension aufweist – „Territorialisierungsdynamiken“, so stellte der Historiker Eckart Conze fest, „sind über weite Strecken Sicherheitsdynamiken.“ Schon der Geograph Robert Sack fasste Territorialität als ein Bestreben von Individuen oder Gruppen, im Raum auf Personen, Phänomene und Beziehungen ordnend einzuwirken. Durch die Begrenzung eines geographischen Gebiets werde versucht, eine regulative Kontrolle durchzusetzen. Umso mehr erstaunt daher, wie wenig dieser offensichtliche Wechselbezug zwischen Räumlichkeit und Sicherheit in der Theoriediskussion bislang reflektiert worden ist. Dieser Beitrag möchte aus historischer Perspektive einzelne Ansätze systematisch aufeinander beziehen. Er wird zunächst einen kurzen Überblick über die fragmentierte Theorielandschaft geben, um dann am Beispiel zentraler interdisziplinärer Forschungsfelder neue Perspektiven für einen integrierten Gesamtansatz zu erschließen.
Am Anfang des 20. Jahrhunderts stand Mathematikern, Naturwissenschaftlern und Ingenieuren eine Reihe von mathematischen Methoden (numerischen und graphischen Verfahren) sowie technischen Hilfsmitteln (Instrumente, Apparate, Maschinen, Tafelwerke) zur Verfügung, um exakte Lösungen bzw. Näherungslösungen für mathematische Probleme »ausrechnen« zu können, die im Zusammenhang mit ihrer wissenschaftlichen oder praktischen Arbeit auftraten. Ein genauerer Blick zeigt, dass um 1900 ein ganzer »Apparate- und Methoden-Zoo« zur Verfügung stand, dessen Klassifizierung – um im Bild zu bleiben – einen sehr kundigen »Apparate- und Methoden-Zoologen« erforderte, um die »Morphologie« und »Anatomie« der Apparate und deren »Physiologie« (in Bezug auf die informationsverarbeitenden Funktionen) zu überblicken. So gab es z. B. weit verbreitete Apparate und Methoden wie Rechenschieber und Planimeter, mechanische Rechenmaschinen, Multiplikations- und Logarithmentafeln oder das Runge-Kutta-Verfahren zur numerischen Lösung gewöhnlicher Differentialgleichungen, aber auch nur in Einzelexemplaren existierende Geräte, wie die im 19. Jahrhundert verschiedentlich entwickelten Gleichungswaagen.
Die akademische Geschichtswissenschaft steht mit der Präsentation ihrer Erkenntnisse in der Öffentlichkeit heute in einer bisher nicht dagewesenen Konkurrenzsituation. Fernsehsendungen und -serien bereiten vor allem die NS-Vergangenheit, aber auch wichtige Ereignisse der Nachkriegszeit in einer publikumsgerechten Weise auf. Filme erzählen Geschichten insbesondere aus dem „Dritten Reich“, aus Bombenkrieg und Nachkriegsära. Umfangreiche Dokumentationsreihen haben Konjunktur, gut recherchiert, auf die Erzählung von Zeitzeugen gestützt, mit illustrierender Hintergrundmusik dramatisierend aufgemacht, mit zeitgenössischen Photos und Filmstreifen Augen und Ohren ansprechend.
Geschichtserzählungen haben derzeit eine Konjunktur, die einzigartig ist in der Geschichte der deutschen literarischen Kultur. Der Zusammenbruch der DDR und die deutsche Vereinigung gaben ihr zusätzlichen Auftrieb, doch handelt es sich offenkundig nicht um einen kurzfristigen Wachstumsschub, sondern um eine „Trendperiode“, die in West- und Ostdeutschland, in der alten Bundesrepublik und in der DDR nach einzelnen Vorläufern in den sechziger Jahren anlief und seit nunmehr vierzig Jahren mit einer wachsenden Zahl von Titeln und Auflagen anhält.
In den Kultur- und Sozialwissenschaften sind die letzten dreißig Jahre von einem signifikanten Boom zur materiellen Kultur geprägt, der ein immer breiter werdendes Spektrum an Fächern ergreift. Material Culture Studies sind in aller Munde. Damit einhergehend nimmt die Flut der Publikationen zu materieller Kultur zu, und zwar nicht nur in den Fächern Volks- und Völkerkunde sowie Archäologie, die auf die besondere Bedeutung der materiellen Dinge schon in der Periode der Entstehung der Fächer verweisen können. Heute sind auch Soziologen, Religionswissenschaftler, Historiker, Pädagogen und Philosophen dringend daran interessiert, über die Relevanz der Sachen nachzudenken. Der wissenschaftsgeschichtliche Vorsprung der zuerst genannten Fächer bedeutet in keinem Fall, dass deren Vertreter sich nun zurücklehnen und aus dem Fundus ihrer Fächer schöpfen könnten. Die Einsicht in die fächerübergreifende Relevanz dieses Forschungsfeldes paart sich mit dem Eingeständnis, dass keine einzelne Disziplin den Schlüssel zu seiner Bearbeitung in der Hand hält. Mit einigem Recht können die Material Culture Studies heute als ein „postdisziplinäres Feld“ gelten.
«Selbstmorde im Auto durch die Einteilung von Abgasen in den Innenraum gibt es heule kaum mehr. Die Abgase der heutigen Autos sind einfach zu sauber dazu.» Diese Aussage eines höheren Beamten des deutschen Umweltbundesamtes am Rande eines Kongresses zum «Auto der Zukunft» illustriert gerade durch ihren Sarkasmus zwei charakteristische Züge moderner Luftreinhaltepolitik: Einerseits weist sie auf die enormen Fortschritte in diesem Politikfeld hin, andererseits zeigt sie implizit auf, wie emotional aufgeladen in den letzten Jahren die Frage der Abgasentgiftung bei Autos diskutiert worden ist.
In dem Beitrag wird untersucht, in welcher Weise Lohnzugeständnisse und andere materielle Zuwendungen dazu beigetragen haben, die Industriearbeiterschaft, und hier v.a. die Arbeiter der Metallindustrie, insbesondere in der Phase der Vollbeschäftigung ab 1935/36 politisch ruhig zu halten und insgesamt erfolgreich in den gesamten Wirtschaftsprozeß zu integrieren - ohne gleichzeitig durch eine drastische Erhöhung des Konsumtionsniveaus der Arbeiterschaft die Konsumgüterproduktion 'übermäßig' zu stimulieren und damit die forcierte Aufrüstung grundsätzlich zu gefährden. Ausführlich wird dargestellt, welche Rolle dabei den spezifischen Formen der Leistungsentlohnung zukam. Da die Entwicklung der (Effektiv-)Löhne nur vor dem Hintergrund der Situation auf dem Arbeitsmarkt verständlich wird, wird zu Beginn ein Überblick über die Beschäftigungsentwicklung bis September 1939 gegeben. Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, daß die Erhöhung des Arbeitseinkommens der Metallarbeiterschaft, der am wirtschaftlichen Aufschwung am stärksten partizipierende Teil der Gesamtarbeiterschaft, auch nach Erreichen der Vollbeschäftigung nicht überschätzt werden darf.
Fordismus und Sklavenarbeit. Thesen zur betrieblichen Rationalisierungsbewegung 1941 bis 1944
(2008)
Die arbeitsorganisatorischen und fertigungstechnischen Innovationen, die sich mit den Namen Henry Ford und Frederick W. Taylor verbinden, und ebenso die Gesellschaftsvisionen namentlich des US-amerikanischen Automobilkönigs haben das kurze 20. Jahrhundert entscheidend geprägt, auch und gerade im deutschen Raum. Hier wurde der Fordismus während der Goldenen Zwanziger Jahre, die nach der Währungsstabilisierung 1923/24 begannen und (spätestens) mit dem Schwarzen Freitag, dem 25. Oktober 1929, endeten, allerorten intensiv debattiert.
Vom privatisierten Staat zum verstaatlichten Markt? Eigentum in der Sowjetunion und in Russland
(2013)
In der Sowjetunion bestand eine hierarchisch strukturierte Planwirtschaft mit Staatseigentum nur auf dem Papier. Daneben und mit ihr verknüpft gab es ausgedehnte Zweige der Untergrundwirtschaft und informelle Beziehungsnetzwerke. Die „roten Manager“ hatten sich die Betriebe jedoch nicht angeeignet. Erst in der Perestrojka begann die Privatisierung des Staatsvermögens, das vor allem an Insider aus den Betrieben ging. Anfang der 1990er Jahre sollte mit Hilfe der Gutscheinprivatisierung das ganze Volk zu Eigentümern der Betriebe gemacht werden. Doch erneut setzten sich Privilegierte mit guten Kontakten zur Bürokratie durch. Die Vertreter großer Kapitalgruppen, die als „Oligarchen“ berüchtigt wurden, kauften sich zu Vorzugspreisen in Großunternehmen ein. Das Staatsvermögen wurde rasch und weitgehend, wenn auch äußerst ungleich verteilt. Nur im Energie- und Rüstungssektor wurde die Privatisierung gestoppt. Der volle Schutz des Privateigentums steht noch aus, denn die Machtstrukturen verfolgen viele kleine und mittlere Unternehmen mit falschen Anschuldigungen.