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„Computerspiele einschließlich anderer interaktiver Unterhaltungsmedien (Video-/Konsolen-, Online- und Handyspiele) haben in den letzten Jahren kontinuierlich an Bedeutung gewonnen. Sie sind in Deutschland wirtschaftlich, technologisch, kulturell und gesellschaftlich zu einem wichtigen Einflussfaktor geworden. [...] Computerspiele transportieren gesellschaftliche Abbilder und thematisieren eigene kulturelle Inhalte. Sie werden damit zu einem bedeutenden Bestandteil des kulturellen Lebens unseres Landes und sind prägend für unsere Gesellschaft.“1 Wie der Beschluss des Deutschen Bundestags zur Einrichtung des Deutschen Computerspielpreises zeigt, der seit 2009 jährlich vergeben wird, werden Computerspiele mittlerweile auch von offizieller Seite als ebenso bedeutsam wahrgenommen wie andere, bereits etablierte Kulturgüter. Diese Entwicklung entspricht in ihrer Grundtendenz derjenigen anderer Medien wie Film oder Comic, deren kulturelle Bedeutung ebenfalls erst einige Zeit nach ihrer Erfindung gesellschaftlich anerkannt und staatlich gefördert wurde.
Ganz gegensätzlich zum teils immer noch lebendigen Vorurteil vom weltfremden Historiker, der lieber in staubigen Archiven wühle als sich im Netz zu tummeln, waren gerade die Geschichtswissenschaften sehr früh dabei, als in den 1990er-Jahren erste Versuche stattfanden, die Potenziale von Netzpublikation und -kommunikation auch für die Geisteswissenschaften fruchtbar zu machen. Viele der damaligen Initiativen haben sich – nicht zuletzt durch das Engagement Einzelner – bis heute gehalten, sich stetig weiterentwickelt und sind inzwischen Plattformen geworden, die wichtige Rollen im Arbeitsalltag der Wissenschaftler spielen, denken wir etwa an „H-Soz-u-Kult“ oder an die „sehepunkte“.
Am Beispiel des Elsass verfolgt der Aufsatz das Spannungsverhältnis von Europa-Konzepten und regionaler Selbstverortung im 20. Jahrhundert. Der zeitliche Schwerpunkt liegt auf den 1920er- und 1930er-Jahren als der entscheidenden strukturbildenden Periode regionaler Europa-Konzepte. Die damaligen Frontstellungen und Wahlverwandtschaften der Bezüge auf „Europa“, „Volkstum“ und die „deutsch-französische Verständigung“ blieben bis in die 1970er-Jahre prägend. Für die Zwischenkriegszeit ist die Unterscheidung zwischen „liberalen“ und „antiliberalen“ Konzepten zu problematisieren, da die regionalen Europa-Konzepte in den Zusammenhängen von Minderheitendiskussion und elsässischer Autonomiebewegung grundsätzlich ambivalent waren. Erst nach den Locarno-Verträgen (1925/26) zeichneten sich die antiliberalen Orientierungen eines „integralföderalistischen“ Europa-Konzepts deutlich ab. Der Aufsatz betont die Notwendigkeit, liberale und antiliberale Europa-Semantiken in gemeinsamen, längerfristigen Entwicklungsgeschichten zu untersuchen, um so auch die NS-Zeit stärker zu kontextualisieren.
Exilforschung
(2012)
Exilforschung untersucht die Vertreibung aus dem nationalsozialistischen Deutschland und die damit verbundenen kulturellen und sozialen Transfers. Claus-Dieter Krohn widmet sich in seinem Beitrag der Geschichte der Exilforschung und verweist darauf, dass diese mit ihrem schon in den 1930er-Jahren vorbereiteten Konzept der Akkulturation als ein Wegbereiter der Postcolonial Studies zu gelten hat. Die dezidiert transnationale Perspektive der Exilforschung ist dabei offen für komparative Analysen heutiger Migrationsprozesse und Exile.
Historisierung (Version 2.0)
(2012)
Der Begriff „Historisierung” stellt sicherlich keine Neuheit in der Diskussion über Geschichtstheorie dar. In der Zeitgeschichte hat er sich insbesondere dank der Auseinandersetzung zwischen Martin Broszat und Saul Friedländer über das zulässige Ausmaß historischer Relativierung des Nationalsozialismus etabliert, und in der Tat würden die meisten Fachkolleginnen und -kollegen den Begriff wahrscheinlich mit diesem intellektuellen Ereignis assoziieren. Dennoch nahm der Begriff bisher keineswegs einen zentralen Platz in den fachhistorischen Debatten ein.
Die klassische Begriffsgeschichte hat als Historische Semantik eine Renaissance erfahren. Kathrin Kollmeier widmet sich zunächst der lexikografischen Begriffsgeschichte, insbesondere den „Geschichtlichen Grundbegriffen“ und ihren theoretischen und methodischen Voraussetzungen. Ansätze hingegen, die unter dem Oberbegriff Historische Semantik firmieren, beschränken sich nicht mehr allein auf die Analyse der Historizität von Begriffen, sondern untersuchen den Bedeutungsgehalt und -wandel von Worten, Begriffen, Sprachen und Diskursen sowie kultureller Codes wie Bilder, Rituale, Habitus und Performativa. Zudem verweist der Artikel darauf, dass eine Historische Semantik des 20. Jahrhunderts sich sowohl dem semantischen Wandel im Zuge von politischen, sozialen und kulturellen Brüchen und Diskontinuitäten als auch den relativ stabil bleibenden Bedeutungen „langer Dauer” im gesamten 20. Jahrhundert widmen sollte.
Zu diesem Heft
(2012)
In this Issue
(2012)
Historischer Vergleich
(2012)
Hartmut Kaelble zeigt in seinem Beitrag für Docupedia, dass sich Methodik, Praxis und damit auch Vergleichsräume und Vergleichszeiträume des Historischen Vergleichs in den letzten Jahren stark verändert haben. Nachdem die theoretischen Diskussionen der 1990er-Jahre über den Historischen Vergleich als weitgehend abgeschlossen angesehen werden können, ist er heute ein fest etablierter, eigenständiger Teil der transnationalen Geschichte. Wissenschaftshistorisch hat er damit zur Herauslösung der Geschichtswissenschaft aus rein nationalgeschichtlichen Traditionen beigetragen.
Der Axel-Springer-Verlag gilt als ein transatlantisch orientiertes Unternehmen, was seit 2001 sogar in den Unternehmensgrundsätzen verankert ist. Dies war jedoch nicht immer so. Der Beitrag beleuchtet anhand von Medienquellen sowie deutschen und amerikanischen Archivalien eine in der Forschung bisher kaum beachtete Skepsis des Verlegers und seiner Zeitungen gegenüber den USA. Springer schreckte in den 1950er- und 1960er-Jahren vor mitunter scharfer Amerikakritik nicht zurück; er wurde von der amerikanischen Administration intern als Gegner der USA eingestuft. Erst durch die Auseinandersetzung mit der „68er“-Bewegung und der Neuen Ostpolitik gewannen Verleger und Verlag ihr bis heute charakteristisches Profil. Von nun an wurde jede antiamerikanische Tendenz deutlich kritisiert und eine „Kontinuität unseres Kurses“ konstruiert (so Springer 1973). Diese Entwicklung steht paradigmatisch für die Geschichte des deutschen Konservatismus, der im Verhältnis zu den USA eine historische Kehrtwende zum Atlantizismus vollzog.
Die Computerindustrie entwickelte sich in den USA und der UdSSR sehr unterschiedlich. Während in den Vereinigten Staaten der Konzern IBM nahezu ein Monopol erlangte, herrschte in der Sowjetunion ein Konkurrenzkampf. Mehrere Akteure verfolgten an unterschiedlichen Standorten eigene Entwicklungslinien; ein Austausch fand kaum statt. Als Reaktion auf eine von IBM 1963 vorgestellte neue Modellreihe kam es in der UdSSR zu einer Diskussion über die Computerindustrie, die den hartnäckigen Widerstand lokaler Entscheidungsträger bei der Durchsetzung zentraler Direktiven offenbarte. Es bedurfte mehrerer Machtworte von führenden Vertretern der Rüstungsindustrie, um das IBM System /360 als Vorbild einer eigenen Reihe durchzusetzen. Dabei berief man sich vor allem auf die Erfolge, die beim Nachbau von IBM-Rechnern in der DDR erzielt worden waren. Das Ministerium für Staatssicherheit hatte Entwicklungsdokumente aus dem Westen beschafft, und diese Wirtschaftsspionage trug wesentlich dazu bei, den innersowjetischen Konflikt zu entscheiden. Der technologische Rückstand der UdSSR gegenüber den USA blieb gleichwohl bestehen.
Geschlechtergeschichte
(2012)
Geschlecht, so die These des Beitrags von Kirsten Heinsohn und Claudia Kemper im Anschluss an die Forschung, ist keine geschlossene oder gar ausdiskutierte Kategorie. Vielmehr ist das, was unter Geschlecht verstanden wird, ein fortlaufender Aushandlungsprozess, der insbesondere im Hinblick auf seine strukturgebenden und situativen Bedeutungen zu historisieren ist. Die Autorinnen skizzieren das Forschungsfeld „Geschlechtergeschichte“, stellen zentrale theoretische Überlegungen vor und entwickeln schließlich Perspektiven für eine geschlechterhistorisch erweiterte Zeitgeschichte.
Wertewandel
(2012)
Wie haben sich Normen und Werte in modernen Industriegesellschaften verändert? Isabel Heinemann beschäftigt sich in ihrem Beitrag über den Begriff des „Wertewandels“ mit der Frage, welche Möglichkeiten für eine kritische Historisierung des ursprünglich sozialwissenschaftlichen Konzepts bestehen. Sie plädiert dafür, den Begriff aus seiner vorherrschenden Fixierung auf die 1960er- und 1970er-Jahre als vermeintlicher Kernphase des Wertewandels zu lösen, um durch den Vergleich von Phasen intensiven Wandels mit Perioden von größerer sozialer und normativer Kontinuität die Bedeutung und Reichweite von Wertewandelprozessen besser erschließen zu können.
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs schien eine europäische Neuordnung im Sinne internationaler Zusammenarbeit, gemeinsamer liberaler Werte und demokratischer Regierungsformen greifbar zu sein. Kaum jemand ahnte, wie rasch die ideellen Grundpfeiler des westlichen Modells, die US-Präsident Wilson in seinem 14-Punkte-Plan skizziert hatte, durch multiple Krisen erschüttert würden. Die Situation unterschied sich sehr deutlich von den epochalen Zäsuren der Jahre 1945 oder 1989, als die liberale Ordnung in Westeuropa eine historische Legitimation für sich beanspruchte. Nach 1918 zeichnete sich bald ab, dass kein Spielraum für eine selbstgewisse liberaldemokratische Verortung am „Ende der Geschichte“ vorhanden war. Anstelle einer Rückkehr zum optimistischen Fortschrittsparadigma drohte allenthalben Regression.
Die Liste der Wohltaten, mit denen die Deutsche Arbeitsfront (DAF), die mitgliederstärkste und finanzkräftigste Massenorganisation des Dritten Reiches mitsamt ihrer wichtigsten Suborganisation, der NS-Gemeinschaft "Kraft durch Freude" (KdF) das deutsche Volk zu erfreuen gedachte, ist lang. Es kann als bekannt vorausgesetzt werden, dass die DAF mit KdF die größte massentouristische Organisation des Dritten Reiches besaß, außerdem wie eine riesige Theater-, Konzert- und Unterhaltungsagentur fungierte, sich in größeren Dimensionen dem sozialen Wohnungsbau widmete, einkommensschwächeren 'Volksgenossen' den Erwerb eines erschwinglichen PKW in absehbarer Zeit versprach usw. usf. Diese Wohltaten wurden natürlich nicht uneigennützig gewährt oder in Aussicht gestellt. Im Folgenden interessiert der hinter ihnen stehende Eigennutz. Oder, um es paradox und im NS-Jargon zu formulieren: deren nationalsozialistischer 'Gemeinnutz', das 'volksgemeinschaftliche Gemeinwohl'-Konzept, die Prämissen und Zielsetzungen, die die DAF mit ihrer 'Dienstleistungspolitik' verfolgte.
Beim Umgang von Historikerinnen und Historikern mit dem Netz können wir einen interessanten Wandel beobachten: Grundsatzkritik an der Verwendung des Netzes in geschichtswissenschaftlicher Lehre und Forschung findet sich kaum mehr. Noch vor gut zehn Jahren war das anders. Da waren die Bedenkenträger nicht zu überhören, die das Netz für die (Geistes-)Wissenschaften als unnütz und unnötig einstuften und entschlossen waren, dieses vermeintlich kurze technische Intermezzo auszusitzen – Vertreter vor allem der älteren Generation, die sich schon mit der Einführung des Personal Computers seit den 1980er-Jahren schwertaten. Heute geht es vielmehr um die Frage, in welchen Bereichen und mit welchen Fragestellungen das Netz in den Forschungs- und Lehralltag zu integrieren ist.
Ist Facebook eine zeithistorische Quelle, und wer archiviert die Tweets der Politiker? Wie nutzt man digitale Quellen, und wie verändert sich die Quellenkritik, wenn die Kopie sich vom Original nicht mehr unterscheiden lässt? Seit Beginn der 2010er-Jahre wird unter dem Stichwort „Digital Humanities” insbesondere im angelsächsischen Raum eine intensive Debatte über neue Potenziale für die Geisteswissenschaften geführt: Peter Haber zeichnet in seinem Beitrag die Entwicklung der Digital Humanities nach und fragt, ob sich mit der Digitalisierung nicht nur die Qualität und Quantität der Quellen, sondern auch der gesamte Arbeitsprozess von Zeithistoriker/innen verändert hat.
Version 2.0: Theorie ist ein genuines Element des Forschungssettings wissenschaftlicher Erkenntnisarbeit. Der Begriff wird heute in verschiedenen, sich teils widersprechenden Definitionen verwendet. Mit dem jeweiligen Theorieverständnis verbunden sind Grundentscheidungen über Form und Anwendungspraxis wissenschaftlicher Methoden.
Die ab 1939 verwirklichten „Großraum“-Pläne der Nationalsozialisten werden mittlerweile auch in der deutschen Zeitgeschichtsforschung als radikale Ausprägung antiliberaler Europakonzepte anerkannt.1 Diese überhaupt als eigenständige europäische Ideen innerhalb politisch konkurrierender Vorstellungen zu behandeln war noch vor zehn Jahren keineswegs gängige Forschungsmeinung. Wenig Aufmerksamkeit wird jedoch nach wie vor den Konzeptionen anderer faschistischer Regimes und Bewegungen zuteil. Diese gerieten im Zuge des Kriegsverlaufs in ein zunehmend konfliktbeladenes Verhältnis zur deutschen Hegemonialmacht, scheiterten gleichwohl weitgehend an der Realität der nationalsozialistischen Herrschaftspraktiken. So steht eine grundlegende Untersuchung der groß angelegten Neuordnungspläne des faschistischen Italiens noch aus.2 In noch stärkerem Maße trifft dies für jene Faschismen im übrigen Europa zu, welche weder vor 1939/40 noch danach unter der deutschen Besatzung die Position eigenständiger Regimes erreichten. Gerade diese Bewegungen entwickelten aber trotz ihres politisch marginalen Einflusses eine beachtliche konzeptionelle Eigenständigkeit und Vielfalt.