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Kollegen bei der Arbeit. Die Fotografien von Günter Franzkowiak zwischen Schilderung und Portrait
(2019)
Innerhalb des weit gefächerten Feldes der auf sozialdokumentarische Inhalte ausgerichteten Fotografie nimmt der Bereich der Arbeiterfotografie einen umfangreichen, häufig politisch und sozialkritisch motivierten eigenen Bereich ein. Vor allem im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung und der Wirtschaftskrise zwischen den beiden Weltkriegen im 20. Jahrhundert entwickelte sich die authentisch von Arbeitern fotografierte Arbeitswelt mit ihren Schilderungen von Produktions- und Arbeitsbedingungen zu einem auch agitatorisch eingesetzten eigenen Bereich der Fotografie. Von der beschreibenden Darstellung bis hin zu über Missstände aufklärenden Gesichtspunkten gehört die Arbeiterfotografie bis heute zu wichtigen bildjournalistischen Inhalten.
Margaret Thatcher soll einmal gesagt haben, dass die Menschen alle dreißig Jahre etwas radikal Neues wollen. In dieser Lesart wäre es folgerichtig, dreißig Jahre nach dem letzten großen historischen Einschnitt auch Deutungen der Geschichte neu zu kontextualisieren. Nicht ohne Grund erleben wir aktuell, dass die Ereignisse der Friedlichen Revolution, der Deutschen Einheit und der ersten Jahre nach der Wiedervereinigung auch in den Fokus historischer Betrachtungen geraten. Der Abstand von einer Generation bedeutet, dass wir nunmehr allmählich von der Perspektive der Erinnerung in die Perspektive des Historisierens übertreten.
Wagen wir einmal einen Blick zurück: Auch der Umgang mit der NS-Geschichte verlief in verschiedenen Etappen. Es brauchte über zehn Jahre, bis es etwa mit Filmen wie „Rosen für den Staatsanwalt“ erste Formen der Auseinandersetzung gab. Die Auschwitz-Prozesse, der Umgang mit der Erstausstrahlung der Reihe „Holocaust“ oder auch die Frage nach dem Umgang mit dem 8. Mai – all dies waren Episoden in einem jahrzehntelangen Ringen um den Umgang mit der eigenen Vergangenheit. Was allgemein als Errungenschaft von „68“ gewertet wird, nämlich ein Wandel im Umgang mit der Vergangenheit, um daraus auch ein neues Selbstverständnis für die Gegenwart abzuleiten, war in Wirklichkeit ein mühsamer Prozess, der bereits früher begann und länger als einen Protestsommer andauerte. Die Debatten um die Weizsäcker-Rede zum 8. Mai 1985 oder der Historikerstreit der 1980er Jahre zeigten, wie hart selbst fast zwei Generationen nach Kriegsende noch um ein Geschichtsbild gerungen wurde. Die Auseinandersetzung über das Selbstbild, den Umgang mit Geschichte und den Folgerungen daraus sind eine jahrzehntelange Arbeit ist, die mit dem Abstand einer Generation eher beginnt, als das sie endet.
Europäisierung
(2010)
In Ihrem Beitrag werfen Ulrike v. Hirschhausen und Kiran Klaus Patel einen kritischen Blick auf "Europäisierung" als empirischen Prozess und analytischen Begriff. Entsprechende sozialwissenschaftliche Diskussionen haben Historiker bislang weitgehend ignoriert - zu Unrecht, so von Hirschhausen und Patel. Beide sehen hier ein lohnendes Feld der Zeitgeschichte, dem sie sich mit einem konstruktivistischen Ansatz nähern: Nur dort, wo historische Akteure konkrete Phänomene als "europäisch" wahrgenommen und benannt haben, kann Europäisierung als Herstellung einer "vorgestellten Gemeinschaft" erforscht werden, ohne mit normativen Voranahmen über einen europäischen "Wesenskern" operieren zu müssen.
The adoption of the Universal Declaration of Human Rights in 1948 was a landmark event, encoding the lessons learned from five years of total war on the European continent. The debates over the universality and inalienability of rights that dominated the writing of the document brought together statesmen and -women from across the world. But, one state was conspicuously left out of this discussion: Germany. The defeated state’s exclusion was understandable given the violence, destruction, death, and genocide the Nazi regime had unleashed on the European continent from 1939 to 1945. In many ways, it was Germany’s waging of the Second World War and their perpetration of genocide that created the urgency for a document that codified the most basic rights of men and women in the immediate postwar years.
„Bürger” ist ein geschichtlicher Grundbegriff, der auf die politische Verfasstheit und Teilhabe zielte und sich seit dem 18. Jahrhundert um soziale und kulturelle Dimensionen erweitert hat. Manfred Hettling untersucht in seinem Beitrag die Begrifflichkeit des „Bürgers”, die soziale Formation des „Bürgertums” sowie das eigene Kulturmodell von „Bürgerlichkeit” und stellt Ansätze, Zugriffe und Verfahren der historischen Bürgertumsforschung bis heute vor.
Magdeburg, 18. September 1985: Das neue Schuljahr in der DDR ist zwei Wochen alt, als eine junge Lehrerin für die Vertretungsstunde in der 9. Klasse eingeteilt wird. Ihren Englischunterricht kann sie nicht fortsetzen und so gibt sie den Schüler:innen spontan eine andere Aufgabe: „Schreibt doch mal auf, wie ihr euch das Leben im Jahr 2010 vorstellt!“ Im Gegensatz zum regulären Unterricht macht sie den Jugendlichen keinerlei Vorgaben, was der Text beinhalten soll, und wartet gespannt auf die Ergebnisse. Als sie die Aufsätze am Abend liest, überraschen die Zukunftsträume der Jugendlichen sie völlig. Die Schüler:innen träumen von offenen Grenzen, von schnellen Autos und dem Besitz eines Eigenheims. „Wenn das deine Parteisekretärin findet, dann ist deine Karriere ja ganz schnell vorbei!“[1], befürchtet sie und beschließt daher, die 23 Texte für sich zu behalten.
Über 30 Jahre später blicken wir nicht nur auf das Jahr 2010, sondern auch auf die untergegangene DDR zurück.
Ein Familienfest
(2024)
Welche Geschichte kann ein Bild erzählen? Am Beispiel eines Fotos aus dem Album der Familie Lindenberger, auf dem sich mehrere Generationen der Familie zu einem besonderen Anlass versammelt und diesen Moment für die Erinnerung künftiger Generationen festgehalten haben, möchte ich eine kurze Geschichte dieser Familie erzählen. Trotz wechselnder Lebensumstände ist es der Familie gelungen, ihre Geschichte fotografisch zu dokumentieren.
Geschlechtergeschichte
(2012)
Geschlecht, so die These des Beitrags von Kirsten Heinsohn und Claudia Kemper im Anschluss an die Forschung, ist keine geschlossene oder gar ausdiskutierte Kategorie. Vielmehr ist das, was unter Geschlecht verstanden wird, ein fortlaufender Aushandlungsprozess, der insbesondere im Hinblick auf seine strukturgebenden und situativen Bedeutungen zu historisieren ist. Die Autorinnen skizzieren das Forschungsfeld „Geschlechtergeschichte“, stellen zentrale theoretische Überlegungen vor und entwickeln schließlich Perspektiven für eine geschlechterhistorisch erweiterte Zeitgeschichte.
Wertewandel
(2012)
Wie haben sich Normen und Werte in modernen Industriegesellschaften verändert? Isabel Heinemann beschäftigt sich in ihrem Beitrag über den Begriff des „Wertewandels“ mit der Frage, welche Möglichkeiten für eine kritische Historisierung des ursprünglich sozialwissenschaftlichen Konzepts bestehen. Sie plädiert dafür, den Begriff aus seiner vorherrschenden Fixierung auf die 1960er- und 1970er-Jahre als vermeintlicher Kernphase des Wertewandels zu lösen, um durch den Vergleich von Phasen intensiven Wandels mit Perioden von größerer sozialer und normativer Kontinuität die Bedeutung und Reichweite von Wertewandelprozessen besser erschließen zu können.
Technikgeschichte
(2018)
In den vergangenen Jahren hat sich die deutschsprachige Technikgeschichte inhaltlich und konzeptionell selbstbewusst präsentiert und ihre Position als eine eigenständige Disziplin des historischen Fächerkanons bekräftigt. Eike-Christian Heine und Christian Zumbrägel stellen zentrale Perspektiven, Begriffe und Theorien vor, die die Technikgeschichte im Laufe des 20. Jahrhunderts prägten, und benennen technikhistorische Themen, die aus zeitgeschichtlicher Perspektive besonders zukunftsträchtig erscheinen.
Für den staatlichen norwegischen Fernsehsender NRK produzierte der Regisseur Alexander Kristiansen die vierteilige Serie „Frontkjempere“ (dt. die Frontkämpfer). Diese sollte Antworten auf die Frage geben, warum sich unter der deutschen Besatzung tausende Norweger freiwillig für die Waffen-SS rekrutieren ließen. Kurz vor der Erstausstrahlung wurde im April 2021 eine Diskussion um die Darstellung der SS-Veteranen durch die Filmemacher entfacht, als der Historiker Terje Emberland sich öffentlich von seiner Mitarbeit an der TV-Produktion distanzierte. Emberland erklärte in einem deutlichen Statement auf Facebook, „Frontkjempere“ spreche die ehemaligen Waffen-SS-Mitglieder von ihrer Verantwortung frei und reproduziere geschichtsrevisionistische Thesen.
Das Eintauchen in die besondere Welt der „Family of Man“ beginnt für den Besucher bereits bei der Anreise: Erscheint der großformatige Hinweis am Abzweig der Schnellstraße noch als gewöhnliches Hinweisschild, führt die weitere Fahrt über immer verschlungenere Kurven schließlich zu einer Anhöhe, die einen beeindruckenden Blick über das im Tal liegende Städtchen Clervaux eröffnet. Dominant auf der gegenüberliegenden Seite erstreckt sich leicht erhöht das schneeweiße Schloss, das im Juli 2013 nach längerer Renovierung die Wiedereröffnung der permanenten Ausstellung „The Family of Man“ feierte.
Menschenrechte sind zur globalen Leitkategorie aufgestiegen. Die wissenschaftliche Erforschung der Geschichte der Internationalisierung von Rechtsansprüchen haben Historiker/innen erst vor einigen Jahren für sich entdeckt. Lasse Heerten skizziert in seinem Beitrag, dass Menschenrechte als ein semantisch äußerst offenes Vehikel unterschiedliche Ideen transportieren können und kritisch historisiert werden müssen. Zentral sind dabei Fragen nach Emergenz, ambivalenten Effekten und der Vielgestaltigkeit von Menschenrechten im Verlauf der Geschichte.
Othering begegnet uns nicht nur im geschriebenen Wort. Es kann sich ebenfalls in der Kombination von Bild und Text manifestieren. Wie wichtig eine Reflexion der Artikelbebilderung durch die Redaktion ist, möchte ich im Folgenden anhand eines Artikels der „Berliner Morgenpost“ veranschaulichen. Hierzu ist ein poststrukturalistisch orientierter Zugriff besonders geeignet, da hier die Auffassung vertreten wird, dass die Bedeutungen den Dingen nicht immanent sind, sondern sie ihnen diskursiv zugewiesen werden. Somit werden im Diskurs die Dinge erst als soziale Phänomene konstituiert, über die gesprochen bzw. geschrieben wird. Mittels einer solchen anti-essentialistischen Perspektive auf Identitäten kann die Forschung dazu beitragen, binäre Identitätskonstruktionen aufzudecken, zu hinterfragen und letztlich zu überwinden.
Das Liederbuch der Bundeswehr war von Beginn an umkämpft. Diese offizielle Liedersammlung, 1958 in erster Auflage erschienen, sollte – und soll bis heute – den „Geist der Truppe“ widerspiegeln. Symbolisch wurde und wird in Debatten um die Liedauswahl verhandelt, was Soldatentum nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus bedeuten und welche Rolle Militarismus in der westdeutschen Gesellschaft einnehmen darf.
Ein Blick auf die Veränderung des Liedguts im Laufe der Jahrzehnte zeigt, wie sehr sich die Kräfteverhältnisse in der bundesdeutschen Demokratie verändert haben. Während die Liedsymbolik in der frühen Bundesrepublik mit positivem Kriegsbezug und „Soldatenehre“ brach, fanden entsprechende Lieder im Zuge der Neuauflagen von 1963 und 1976 wieder Eingang in das Liederbuch. Die Entwicklung liegt damit quer zum postulierten Durchbruch demokratischer Vorstellungen nach den langen 1960er Jahren. Sie zeigt auch, dass die aktuellen Vorfälle und Debatten um rechtsextreme Soldaten und Wehrmachts-Memorabilia in den „Traditionsräumen“ der Truppe in eine längere Geschichte des Umgangs mit Vergangenheit in der Institution Bundeswehr eingeordnet werden müssen.
Bürokratopoly ist ein vom DDR-Museum, gemeinsam mit Playing History herausgegebenes Spiel. Dabei handelt es sich um eine für den Schulunterricht aufbereitete Version eines Brettspiels, das 1983/84 in der DDR von dem Oppositionellen Martin Böttger für den Privatgebrauch entwickelt wurde, sich aber auch im politischen Untergrund verbreitete. Das Ministerium für Staatssicherheit bescheinigte dem Spiel einen „negativ-feindliche[n]“ Charakter und legte eine Stasi-Akte an.
Symbolisch für die menschliche Hoffnung auf eine sichere Landung schaut der kleine Hund in den Himmel (Abb. 1). In der „Parachutes-Number“ vom März 1937 brachte „Life“ einen dreiteiligen Bildbeitrag über den Fallschirmsport. Neben Titelbild und -story von Margaret Bourke-White wurde Agenturmaterial für den beim damaligen Publikum so beliebten „Thrill“ verwendet. Mit dem Bild vom deutschen Dachshund hinterließ Kurt Korff einen Nachweis seiner Beratungsarbeit für das amerikanische Magazin.
Bis in die 1990er Jahre wurde die Rolle von Maria Eisner als „Secretary and Treasurer“ immer wieder mit Sekretärin und Schatzmeisterin oder Büroleiterin im Gründerkreis der legendären Magnum-Männer übersetzt. Jubiläumsschriften, Dokumentationen und Kurzbiografien weisen Eisner bis heute immer wieder als italienische Fotografin aus, verschweigen dabei aber Teile ihres Werdegangs oder deuten ihren Einfluss auf die von ihr gegründeten Agenturen und der dort arbeitenden Fotografen nur vage an. Infolge ihres frühen Rückzugs aus dem Agenturgeschäft im Jahr 1951 sind ihre Verdienste um Assignments, Editionen und Bildrechte im frühen Bildermarkt sowie ihre Bedeutung als wichtige Mentorin bedeutender Fotograf:innen bis heute wenig beachtet.
In wenigen Jahren ist ein breiter und differenzierter Markt für Geschichte entstanden, auf dem gelernte Historiker mit unterschiedlichen Studienwegen und Ausbildungsintensitäten sehr gute Chancen haben. Eine neuerdings boomende private Kulturwirtschaft braucht Kulturunternehmer, vom Organisator oder Mitwirkenden an ‚Living-History-Events’ über das Angebot von Recherche- oder Erzähldienstleistungen für Unternehmen bis zum Reiseleiter oder ‚Destinationsmanager’ im Kulturtourismus. Chancen haben vor allem breit ausgebildete Historiker, solche, die auch von Antike und Mittelalter eine Ahnung haben, und solche Historiker, die es verstehen, eine aktuelle Nachfrage zu bedienen oder gar neue Bedürfnisse zu wecken.
Dieser Text ist Teil der Buchpublikation: Wolfgang Hardtwig, Verlust der Geschichte – oder wie unterhaltsam ist die Vergangenheit?