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Zwischen 1950 und 1980 wurden Säuglinge in der Bundesrepublik zunehmend mit Flaschenmilch ernährt. Die Produktpalette war groß, und die Werbestrategien der Nahrungsmittelhersteller waren ausgeklügelt. Dies allein kann jedoch nicht der Grund für die steigende Nutzung der Säuglingsflasche gewesen sein. Sie wird hier mit einer explizit dinghistorischen Perspektive untersucht: Wie kam sie in die Familie, und wie veränderte sie die Beziehungen von Müttern, Vätern und Säuglingen? Müttern versprach die Säuglingsflasche mehr Freiheiten in der Gestaltung ihres Alltags; Vätern ermöglichte sie es, ihre Männlichkeit neu zu definieren, indem die Väter ihre Kinder selbst fütterten. Eher als in der Bundesrepublik wurde in Schweden die Versorgung von Kleinkindern diskutiert und eine stärkere Mitverantwortung der Männer für die Familie gefordert. Für beide Länder lässt sich beobachten, dass die Säuglingsflasche – zusammen mit anderen Akteuren – die Familie während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entscheidend mitgestaltete. In beiden Ländern verlief dies durchaus kontrovers.
Die zentralen deutschen Behörden und der Nationalsozialismus – Stand und Perspektiven der Forschung
(2016)
Die Studie bietet eine zusammenfassende Bestandsaufnahme der von Bundesministerien und oberen Bundesbehörden unterstützten Forschungsprojekte zur Geschichte der eigenen Institutionen, die neben der NS-Zeit auch den Umgang mit dieser Vergangenheit in der Nachkriegszeit thematisieren. Darüber hinaus macht sie Vorschläge, bei welchen bislang noch nicht berücksichtigten Einrichtungen eine Untersuchung besonders lohnenswert sein könnte, und skizziert mögliche Perspektiven der weiteren Behördenaufarbeitung.
Version 2.0: In der römischen Republik bezeichnete die Diktatur (lat. dictatura) eine Institution des Staatsrechts: Der Senat verlieh einem Diktator in Zeiten des Notstands temporär außerordentliche Autorität, um die staatliche Ordnung zu verteidigen und wiederherzustellen. Diese klassische Bedeutung wurde im 20. Jahrhundert vielfach überformt; Diktatur wurde zu einem schillernden Begriff, dessen semantisches Feld sowohl positive Erwartungen als auch moralische Verdammung umfassen konnte.
Konstitutiv für die Moderne sind Bilder und Visualisierungsprozesse, weil sie in der Lage sind, Interventionsbereiche überhaupt erst sichtbar und zugleich komplexe, abstrakte Zusammenhänge fassbar zu machen. Die Stärke von Bildern ist die Rahmung (framing). Wie bei einem Gemälde werden Formate geschaffen, um Beobachtungen abzugrenzen, zuzuschneiden und zu rahmen. Dadurch wird in den Blick gerückt und zugleich ausgeblendet, und erst so werden Verwerfungen identifiziert und bearbeitbar. Die Ergebnisse können anschließend visuell als verbildlichtes Narrativ einer erfolgreichen Krisenbewältigung repräsentiert werden, d.h. Bilder machen Probleme und Lösungen sichtbar. Für Neuzeithistoriker sollten Bilder deshalb nicht einfach als Illustrationen oder Informationsquelle dienen, sondern sie sollten als Akteur begriffen werden. Bestimmte Bilder zeigen nicht einfach, sondern sie stimulieren Handlungen. Das möchte ich im Folgenden thesenhaft am Beispiel Brasilias skizzieren: Ikonische Bilder der Moderne stimulierten die Gestaltung des Stadtraums, die Stadtskulptur wurde zum Bild ihrer selbst, und beides, materielle Realität wie ihre visuelle Repräsentation, zielte darauf, das Sozialverhalten ihrer Bewohner zu rekonfigurieren.
Anlässlich des 60. Jahrestags der Ungarischen Revolution brachte der Tyrolia-Verlag aus Innsbruck einen Band mit Bildern des Magnum-Fotografen Erich Lessing heraus. Die oben beschriebene Szenerie ist eine von 197 Fotografien, mit denen der gebürtige Wiener von den Ereignissen in Ungarn 1956 erzählt. Der Titel „Ungarn 1956“ steht bei dieser Publikation für mehr als das Synonym für die Revolution im Herbst 1956. Er steht für die Dokumentation des ganzen Jahres und beschäftigt sich auch mit dem gesellschaftlichen Leben vor und nach der Revolution.
My main argument here is that the story seen from the perspective of the influential year of 1962 reveals a very different historical context, with a different set of actors and a different trajectory and causalities regarding the human rights breakthrough, from those stories focusing on Western agency in the 1940s and the 1970s. It repositions the history of human rights in significant ways and makes apartheid and racial discrimination more crucial to the human rights story than has hitherto been acknowledged. It is also important to emphasize that the positions and arguments presented by countries from the Global South in these UN debates were richly nuanced. These nuances are important if we are to fully appreciate the dynamics during these years. Tanzania differed significantly from, for instance, Senegal in the way it envisaged the scope and applicability of international human rights law and investigatory measures. Tanzania wanted a sole focus on Southern Africa and not beyond; Senegal had a wider perspective. This should remind us that when we are imagining Africa as a historical-political space, we need to allow for diversity, individual histories and agency, aspects that cannot be adequately captured by labels such as ›The Third World‹, ›Global South‹ or indeed even ›Africa‹.
Environmental history is the history of the changing mutual relationship between humankind and nature. The various, more or less concrete attempts to define this area of historical study can be reduced to this basic common denominator. Though the notion of man and nature's mutual dependence may sound pithy at first, it's a rather fuzzy one upon closer inspection. Melanie Arndt describes this field of research in all its facets – because the valuable contribution of environmental history as a „subdiscipline” deserves much greater recognition from the outside world and from scholars working in other disciplines.
Seit über neunzig Jahren wird über Inhalt und Reichweite des Faschismus-Begriffs gerungen. Fernando Esposito beleuchtet die Entstehung des italienischen Faschismus kursorisch und gibt einen Einblick in das Selbstverständnis der Akteure. Er stellt die Faschismusforschung im Zeichen des Kalten Kriegs vor, erörtert die Ansätze der neueren Faschismusforschung und ihre Themenfelder, um dann in einem abschließenden Fazit den Mehrwert des Faschismusbegriffs vor Augen zu führen.
Auch der 2014 veröffentlichte Comic „Irmina“, um den es hier gehen soll, entworfen und gezeichnet von der Berliner Comic-Autorin Barbara Yelin, behandelt eine Familiengeschichte im Deutschland der 1930er- und 40er-Jahre. „Irmina“ basiert auf Tagebüchern und Briefen ihrer Großmutter, auf die die Autorin vor einigen Jahren gestoßen ist. Wie nah die Geschichte sich an diesen Aufzeichnungen orientiert, bleibt offen, deutlich wird aber, dass dem Buch ausführliche historische Recherchen zugrunde liegen. Dabei nutzt Yelin, wie ich darlegen möchte, genau jene Potenziale des Comics, die das Medium für die Geschichtsschreibung bereithält.
Seit anderthalb Jahrzehnten widmet sich die Geschichtswissenschaft verstärkt dem Thema „Bild“. Dabei wurden zahlreiche, im Zuge des pictorial bzw. iconic turn in der Kunst- und der Kulturwissenschaft entwickelte Bildtheorien in den geschichtswissenschaftlichen Methodenapparat integriert. Einer der unter HistorikerInnen umstrittensten Ansätze ist die von dem Berliner Kunsthistoriker Horst Bredekamp entwickelte Bildakttheorie, die Bilder nicht nur als Ausdruck und Widerschein historischer Vorgänge, sondern als autonome, wirkmächtige Akteure begreift, die historische Prozesse auszulösen in der Lage sind. Philipp Molderings sprach mit Horst Bredekamp über die veränderte Bedeutung von Bildern in der Geschichtswissenschaft, die Skepsis von HistorikerInnen gegenüber der Bildakttheorie und über die Notwendigkeit, verstärkt die historische Eigendimension der Bilder zu erforschen.
Die gleichberechtigte Einbeziehung von Frauen in Forschung und Lehre steht heute weit oben auf der politischen Agenda bundesdeutscher Wissenschaftspolitik. Primäres Ziel ist es gemäß dem sogenannten »Kaskadenmodell«, den Frauenanteil auf allen Karrierestufen in Forschung und Lehre demjenigen der Studierenden und Promovierenden anzugleichen. Dies sei, so das Bundesministerium für Bildung und Forschung, »nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit«. Gemischte Gruppen führten, »wenn sie geeignete Rahmenbedingungen vorfinden«, außerdem »zu besseren Forschungs- und Entwicklungsergebnissen« sowie »zu einer Erweiterung der Forschungsperspektive«. Das gelte auch »für die Berücksichtigung von Geschlechterfragestellungen als Forschungsgegenstand«. Ähnlich beschreibt die Europäische Kommission das Ziel ihrer Gleichstellungspolitik für Wissenschaft und Forschung.
Strafgefangenenarbeit ist ein Merkmal des modernen Gefängniswesens in unterschiedlichen politischen Systemen. Seit einigen Jahren wird in Wissenschaft und Öffentlichkeit verstärkt diskutiert, welche Rolle sie in der DDR spielte und ob der Begriff der Zwangsarbeit dafür geeignet ist – dies nicht zuletzt deshalb, weil auch tausende politische Gefangene von ihr betroffen waren. Der Beitrag untersucht, ob die Arbeitsbedingungen politischer Häftlinge schlechter waren als diejenigen krimineller Insassen und ob die Strafgefangenen insgesamt gegenüber Zivilarbeitern in der DDR diskriminiert wurden. Das Ergebnis ist differenziert: Zwar mussten die Häftlingsarbeiter zum Teil schwerere Tätigkeiten als Zivilarbeiter ausführen, doch gab es je nach Branche und Haftort durchaus Unterschiede. Eine zentral angewiesene Benachteiligung politischer Häftlinge in Bezug auf die Arbeitsbedingungen lässt sich nicht belegen, doch konnte sie eine Folge der Gefängnishierarchie sein, die nicht zuletzt der Kontrolle der politischen Häftlinge diente.
In this issue
(2016)
Eines seiner wohl berühmtesten Bilder ist zur Ikone geworden – zu einem jener Bilder, in denen Vergangenheit und Zukunft ineinander fallen: der gealterte Nelson Rolihlahla Mandela, der mit tiefen Falten und ergrautem Haar aus dem mit massiven Gitterstäben versehenen Fenster schaut. Den rechten Ellenbogen hat Mandela auf die Fensterbank gelegt, auf seiner linken Brusttasche fällt ein Emblem ins Auge. Das Bild ist 1994 entstanden. Offiziell ist Südafrika ein freies Land, und Mandela ist für das Foto in die Zelle auf Robben Island zurückgekehrt, in der er 18 seiner insgesamt 27 Jahre in Haft verbrachte. Der Fotograf Jürgen Schadeberg erinnert sich: „This was where he studied, did pushups and reflected on the goal of the liberation of his people. He looked out of the bars and when he thought I had finished taking pictures, relaxed somewhat, and turned around to smile.“ Die Photographers‘ Gallery in London hat dieses Foto als eines der fünfzig prägendsten Bilder des 20. Jahrhunderts gewählt.
Große Kulleraugen, traumhafte Saltkrokan-Ferien oder skrupellose Ausbeutung – Historikerinnen und Historiker, die sich mit Kindheit beschäftigen, treffen nicht selten auf zahlreiche Klischees. Nicht wenige davon haben wir liebgewonnen, und sie bestimmen unser Welt- und Wertebild entscheidend mit. Umso überraschender ist es für Studierende und Forscher/innen oft, wie komplex, differenziert und herausfordernd die historische Kindheitsforschung sich gestaltet.
„Kulturtransfer wird verstanden als ein aktiv durch verschiedene Mittlergruppen betriebener Aneignungsprozess, der von den Bedürfnissen der Aufnahmekultur gesteuert wird.“ Als die beiden französischen Germanisten und Kulturhistoriker Michel Espagne und Michael Werner Mitte der 1980er-Jahre ihr Forschungsprogramm darlegten, war keineswegs abzusehen, dass dieser Vorschlag einen methodologischen Umbruch auslösen sollte. Matthias Middell zeichnet in seinem Beitrag die Rezeption und Weiterentwicklung der Kulturtransferforschung nach, beschreibt das Verhältnis zum Historischen Vergleich und fragt nach Verflechtungen in der Gegenwart sowie ihrer erst noch globalgeschichtlich zu konstruierenden Vergangenheit.
Wie wirkte sich die materielle Beschaffenheit von Kunstgegenständen auf den Kunstmarkt und seine Akteure aus? Alarmiert durch den schlechten Zustand, in dem sich die öffentlichen Kunstsammlungen präsentierten, entwickelte sich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert ein naturwissenschaftlich-technologischer Fachbereich zur Analyse von Kunstmaterialien, der durch stete Innovationen bis heute dynamisch geblieben ist. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse steigerten den Aufwand immens, der betrieben wurde, um Kunstwerke sachgerecht unterzubringen, zu versorgen und zu transportieren. Folglich beeinflussten sie auch die Sichtbarkeit und den ökonomischen Wert von Werken bildender Kunst. Die naturwissenschaftlichen Untersuchungsmethoden unterstützten zudem die Authentifizierung. Damit verringerten sie den Bestand anerkannter Originalwerke und vergrößerten zugleich die Sicherheit bei Kaufentscheidungen. Da sie dem Wahrnehmungsapparat der Menschen in dieser Frage teilweise überlegen waren, erschütterten die neuen Technologien das menschliche Selbstverständnis dabei grundlegend. Eindeutige Urteile ließen auch die naturwissenschaftlichen Befunde allerdings längst nicht immer zu.
Die Ausgangsfrage der – hier notwendig kursorischen – Analyse des persönlichen Sachbesitzes einer Schenkerin für die Sammlung eines Museums war diejenige nach dem Quellencharakter der Dingsammlung und ihrer sozialen Dimension. Der erhebliche Umfang der Schenkung könnte, so die Hypothese, ein von den Dingen ausgehendes Bild von einem Leben in der DDR ermöglichen. In der Tat zeigen sich mehrere lebensweltliche Dimensionen, die als Sedimente nunmehr im Museumsdepot zu finden und damit der Forschung zugänglich sind: soziale Praktiken und soziale Beziehungen, Informationen zur Arbeitswelt und zur Einstellung gegenüber der DDR, dazu Fragen eines kommunikativen Gedächtnisses in Dingensembles und biographische Hinweise, die auf die historischen Kontexte eines Lebensverlaufs Bezug nehmen. Die Überlieferungsstruktur ist nach den Aufbewahrungsorten organisiert, reicht aber deutlich über eine Lebensspanne hinaus. Damit wird erkennbar, dass der historisch-analytischen Ordnung eine lebensweltliche voranging, die schließlich zur Übergabe an eine öffentliche Institution führte.
Seit dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts verreiste die Mehrheit der Westdeutschen mindestens einmal im Jahr. Die Urlaubsreisen wurden zunehmend als Pauschalreisen ins Ausland unternommen und stellten für die meisten Haushalte auch in Krisenzeiten ein zentrales Konsumgut dar. Um sich dem Reiseverhalten eines Großteils der Bevölkerung anzunähern, werden hier Pauschalurlaube in Spanien untersucht. Dank des wachsenden Flugverkehrs entwickelte sich gerade dieses Land in den 1970er- und 1980er-Jahren zum beliebtesten Auslandsreiseziel der Westdeutschen. Von der zeitgenössischen Konsumkritik wurden Pauschalurlaube in Spanien jedoch häufig negativ bewertet; individuelle Ansprüche spielten bei dieser Urlaubsform angeblich keine Rolle. Anhand der Urlaubspraktiken, wie sie sich indirekt aus den Angeboten der Veranstalter sowie zusätzlich aus Fotoalben und Erinnerungsberichten erschließen lassen, ergibt sich ein differenzierteres Bild. Massentourismus und die Erfüllung individueller Vorlieben schlossen sich nicht aus; zudem waren Pauschalreisen mitunter der Einstieg in eine selbstständigere Begegnung mit dem Urlaubsland. Der Aufsatz verdeutlicht damit auch das Potential praxeologischer Ansätze zur Erforschung des bundesdeutschen Massenkonsums insgesamt.