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Nationalistische und rassistische Organisationen haben in der Bundesrepublik Tradition. Das gleiche gilt für den gesellschaftlichen Umgang mit ihnen. (Neo)nazistische Organisationen und die gesellschaftlichen Reaktionen darauf können folglich auch aus einer historischen Perspektive betrachtet werden. Das müssen sie sogar, nimmt man das heute so selbstverständlich scheinende „Nie wieder!“ der „wehrhaften Demokratie“ beim Wort. Denn was sollte sich eigentlich nicht mehr wiederholen: der Zweite Weltkrieg, die antisemitische Vernichtungspolitik oder die Abschaffung der Weimarer Demokratie durch die NSDAP?
Befreit man den Imperativ des „Nie wieders“ von den geschichtspolitischen Mythen, die ihn seit jeher umranken, ist ein nüchterner Blick auf die Konjunkturen gesellschaftlicher (Nicht-)Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus gewonnen. Dieser Blick bringt nicht nur mehr historische Klarheit, sondern stellt auch die Instrumente der „wehrhaften Demokratie“ auf den Prüfstand: Wer überprüft wen auf ‚Verfassungstreue’ und mit welchen Mitteln? Zum historischen Blick gehört also auch eine politikwissenschaftliche Perspektive. Denn der Schutz der bundesrepublikanischen Demokratie hängt davon ab, was oder wer als Ursache für das Scheitern der Weimarer Demokratie ausgemacht wird.
Nehmen wir das Ansinnen ernst, eine zeitgeschichtliche Forschung zum bundesdeutschen Rechtsextremismus zu entwickeln, dann sollte diese ihren Gegenstand in seinem Facettenreichtum würdigen. Dies bedeutet unter anderem, dass eine zeitgeschichtliche Forschung zum Thema einen Bereich benötigt der rechtsextreme Kulturarbeit und -erscheinungen untersucht. Denn Rechtsextremismus ist nicht allein ein politisches Phänomen und darum nicht vollständig über die Untersuchung von Organisationen, Ideologien, Strategien, Gewalttaten oder über Wahlergebnisse erfassbar. Vielmehr ist Rechtsextremismus in seiner Entwicklung in Deutschland seit 1945 auch als sozialer und eben kultureller Zusammenhang in den Blick zu nehmen. Die rechtsextreme Kulturarbeit dürfte bedeutende Beiträge zur Reproduktionsfähigkeit, für die Vernetzung, für die Sinnvermittlung und Traditionsvermittlung und für die Herstellung von Identität geleistet haben und stellt so einen Austragungsort für strategische, ästhetische und in zweiter Linie auch inhaltliche Debatten in ihrem Lager bereit.
In den gegenwärtigen Debatten um den richtigen Umgang mit der AfD werden oft Vergleiche mit der Weimarer Republik angestellt, der es nicht gelang, den Aufstieg der NSDAP zu stoppen. Vergleichbar ist die Situation heute aber auch mit den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Alliierten und später auch die Deutschen den Aufstieg nationalistischer Parteien sehr wohl zu verhindern wussten. Die DDR mithilfe eines extrem repressiven Antifaschismus, der organisierten Nationalismus quasi verunmöglichte; die Bundesrepublik mit einer antinazistischen Sicherheitspolitik, die nur eine relativ kleine Gruppe von „echten Nazis“ ausschloss und den Rest der Rechten sozial und emotional zu integrieren versuchte. Dieser Beitrag skizziert, welche Arten des Umgangs mit der Gefahr von rechts es bis etwa 1960 speziell in Westdeutschland gab, wobei das Hauptaugenmerk auf der Ideologie und Praxis der alliierten und deutschen Sicherheitsbehörden liegt. Der Ausblick handelt von den Folgen der antinazistischen Sicherheitspolitik für die Demokratieentwicklung.
Das Liederbuch der Bundeswehr war von Beginn an umkämpft. Diese offizielle Liedersammlung, 1958 in erster Auflage erschienen, sollte – und soll bis heute – den „Geist der Truppe“ widerspiegeln. Symbolisch wurde und wird in Debatten um die Liedauswahl verhandelt, was Soldatentum nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus bedeuten und welche Rolle Militarismus in der westdeutschen Gesellschaft einnehmen darf.
Ein Blick auf die Veränderung des Liedguts im Laufe der Jahrzehnte zeigt, wie sehr sich die Kräfteverhältnisse in der bundesdeutschen Demokratie verändert haben. Während die Liedsymbolik in der frühen Bundesrepublik mit positivem Kriegsbezug und „Soldatenehre“ brach, fanden entsprechende Lieder im Zuge der Neuauflagen von 1963 und 1976 wieder Eingang in das Liederbuch. Die Entwicklung liegt damit quer zum postulierten Durchbruch demokratischer Vorstellungen nach den langen 1960er Jahren. Sie zeigt auch, dass die aktuellen Vorfälle und Debatten um rechtsextreme Soldaten und Wehrmachts-Memorabilia in den „Traditionsräumen“ der Truppe in eine längere Geschichte des Umgangs mit Vergangenheit in der Institution Bundeswehr eingeordnet werden müssen.
Lutz Niethammer ist einer der bedeutendsten Zeithistoriker Deutschlands. Bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2005 war er Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Im Jahr 1971 wurde er zum Thema Praxis der Entnazifizierung in der US-amerikanischen Besatzungszone promoviert, hatte anschließend Professuren an der Universität Essen und der FernUniversität Hagen inne. Bekannt ist Niethammer als Doyen der Oral History in der Bundesrepublik. Kontroversen löste seine Studie über „die roten Kapos“ aus.
Sein erstes Buch ist allerdings in Vergessenheit geraten, zu Unrecht. In der Studie Angepaßter Faschismus (1969) befasste sich der damals noch unbekannte Lutz Niethammer mit der erst 1964 gegründeten Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD). Seine Erkenntnisse über das Wesen des „organisierten Nationalismus“ scheinen heute wieder aktuell. Yves Müller und Dominik Rigoll sprachen mit Lutz Niethammer über das vor 50 Jahren erschienene Buch und über gegenwärtige Gefahren für die Demokratie.
Infrastrukturen
(2020)
Als „Infrastrukturen“ werden seit Mitte des 20. Jahrhunderts Einrichtungen der Versorgung und Entsorgung, der Kommunikation und des Verkehrs bezeichnet, in einem erweiterten Sinne auch solche, die unsere Gesellschaft ökonomisch, sozial, kulturell oder medial miteinander vernetzen. Dirk van Laak rekapituliert die Konjunktur des Begriffs, geht auf die jüngere Geschichte ein und skizziert abschließend ausgewählte Felder, in denen Infrastrukturen momentan erforscht oder weiter analysiert werden könnten.
Subjekt und Subjektivierung
(2020)
Wie werden Menschen zu Subjekten gemacht, und wie machen sie sich selbst zu Subjekten? – fragt Wiebke Wiede und stellt in dem Artikel die wichtigsten Theorieansätze zur Funktionsweise von „Subjektivierung” im 20. Jahrhundert vor. Subjekte konstituieren sich im historischen Raum, und sie unterliegen institutionellen Strukturen und Subjektdefinitionen, die historisch kontingent sind. Demnach spiegeln sich auch in den Subjekttheorien die kulturellen Orientierungsbedürfnisse unserer Gegenwart.
How are people made into subjects, and how do they make themselves into subjects? - asks Wiebke Wiede and presents in the article the most important theoretical approaches to the functioning of "subjectification" in the 20th century. Subjects constitute themselves in historical space and are subject to institutional structures and subject definitions that are historically contingent. Accordingly, the cultural orientation needs of our present are also reflected in subject theories.
Der einstmals weitverbreitete Zeitvertreib der Philatelie gilt – ob zu Recht oder zu Unrecht sei einmal dahingestellt – als verstaubte Sammelleidenschaft von Stubenhockern und Philistern. Übersehen wird indes, dass zwei prominente Wegbereiter der kulturwissenschaftlichen Wende in der Geschichtswissenschaft und somit auch der visual history zu dieser im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auftretenden Spezies gehörten. Denn sowohl Aby Warburg als auch Walter Benjamin waren passionierte Briefmarkensammler.
Das Zeigen von Bildern ist innerhalb sozialgesellschaftlicher Kontexte keine unbedeutende Handlung. Bereits die Frage, welche Bilder für eine Betrachtung und Veranschaulichung eines Gegenstands ausgewählt werden und welche nicht, verweist auf ihre diskursive Einbettung und lässt darauf schließen, dass über das Medium Bild Diskurse nicht nur abgebildet, sondern auch mitgeschrieben beziehungsweise ausgeformt werden.
Die Schauspielerin hieß Henny Porten und gilt als Deutschlands erster Filmstar. Ihren Durchbruch markierte Das Liebesglück der Blinden von 1910. Ihr Aufstieg zum Star war parallel verlaufen zu dem des Kinos selbst: vom billigen Jahrmarkt-Amüsement im Kaiserreich zum kulturell, sozial und ökonomisch zentralen Unterhaltungsmedium der Weimarer Republik.
Das fotografische Werk von Siegfried Wittenburg. Quellen zur Geschichte einer Transformationsperiode
(2020)
„Eine Billion für blühende Landschaften“ heißt auch die u.a. von der Bundesstiftung Aufarbeitung geförderte Ausstellung in der Kirche St. Georgen in Wismar im Corona-Sommer 2020 mit Wittenburg-Fotografien aus der Nachwendezeit der Jahre 1990 bis 1996. Um den genauen Quellenwert der Fotografien Siegfried Wittenburgs zu bestimmen, erscheint es zunächst notwendig, einen Blick auf den Fotografen zu richten, auf die politisch-kulturellen Bedingungen seiner fotografischen Praxis und auf seinen besonderen fotografischen Stil. Siegfried Wittenburg ist nicht irgendein Fotograf. Er gehört zu jenen Fotografen, die in ihren Aufnahmen schonungslos den Untergang der DDR, die friedliche Revolution und die merkwürdigen Jahre des Anschlusses an den Westen festgehalten haben. Seine Aufnahmen sind eine Art fotografisches Tagebuch dieser Zeit.
In diesem Aufsatz sollen drei ausgewählte politische Text-Bild-Plakate der deutschen Propaganda betrachtet werden, die sich thematisch dem passiven Widerstand zuordnen lassen und gegen den „Erbfeind Frankreich“ agitierten. Dabei soll schlaglichtartig beleuchtet werden, wie und mit welchen bildrhetorischen Mitteln der passive Widerstand im Plakat gestalterisch umgesetzt werden konnte. Dazu wurden drei illustrierte Plakate aus dem Bestand des Bundesarchivs ausgewählt, die im Anschluss an eine kurze theoretische Einführung anhand eines eigens erstellten Analyseschemas untersucht werden sollen.
The Nazi occupation of large parts of Europe destroyed cities, towns, villages and entire landscapes. Every year on 10 of June, the French village of Oradour-sur-Glane commemorates the massacre that transformed the village into a scenery of ruins. The day has a resonance of death and horror in the Czech village of Lidice alike.
Vortragende wie Moderator*innen der Tagung „Private Blicke in Diktatur und Demokratie: Schmalfilme und Fotos im 20. Jahrhundert“ haben der Redaktion von Visual History vorab ein Foto oder Filmstill aus der Forschungspraxis geschickt und dazu einige Sätze notiert: zum Bild selbst, zum Projekt, zum Vortrag auf der Tagung – so ist ein visuelles Mosaik zum Informieren, Stöbern und Entdecken entstanden.
“Legacy in Stone” is tantamount to a time machine back through Syria’s historical landscape: a scenery that cannot be experienced again. Bubriski’s black and white photographs are moving messages from the past, sent into a future that has not yet been resolved. Since March 2011, images of destruction, death and terror coming from Syria have been flooding news broadcasts and social media feeds. Kevin Bubriski’s photographs taken back in 2003 are testimonies of what once existed.
Der Dresdner Kunst- und Fotohistoriker Wolfgang Hesse forscht seit vielen Jahren zur proletarischen Amateurfotografie. Seine hier vorliegende Internet-Publikation befasst sich mit dem „Roten Abreißkalender“ der KPD der Weimarer Republik. Sowohl die Arbeiter- wie die Abreißkalender gehen in ihrer Tradition auf das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts zurück. Die ersten Arbeiterkalender sind 1867 in Budapest und 1868 in Berlin nachweisbar. Die wichtigsten inhaltlichen Änderungen gegenüber dem traditionellen „Volkskalender“ bestanden darin, dass die geschichtlichen Teile statt der bisherigen „Heldengeschichtsschreibung“ Daten der allgemeinen Weltgeschichte, der demokratischen und der deutschen Arbeiterbewegung enthielten. Um 1880 tauchten in Deutschland die ersten (nicht-politischen) Abreißkalender auf, die, dem englischen Vorbild der date blocks folgend, literarische, religiöse oder Texte aus dem Alltagsleben auf den Kalenderblättern anboten. Sie inspirierten, unter neuem Vorzeichen, auch Unternehmungen wie das hier vorgestellte.
Natürlich gibt es Bilder der Shoa, die voll des Grauens sind und auf den ersten Blick Einhalt gebieten. Die Gewalt, die in ihnen ist – die Gewalt, die die Bilder zeigen und/oder die das Machen der Bilder ausdrückt – springt sofort ins Auge. Der Fotograf oder (viel seltener) die Fotografin war Teil der Tat oder stand den Tätern nahe. Die Kamera war zur Waffe geworden, die die Betroffenen zusätzlich entwürdigte. Oft ist die abgebildete Gewalt solcherart, dass die Betroffenen sie nicht überlebt haben können. Sie können also ihre Zustimmung zum Zeigen der Fotos nicht mehr gegeben haben. Doch wurden auch jene, die überlebt haben, in der Regel nicht gefragt, was sie von einer Veröffentlichung der Fotos halten.
Materielle Kultur
(2020)
Der Mensch lebt, gesellschafts- und zeitgebunden, mit physisch präsenten Objekten innerhalb einer ihn umgebenden materiellen Kultur, die Handeln und Wahrnehmungen, Möglichkeiten und Zwänge, Erinnerung und Zukunftsoptionen beinhaltet. Im folgenden Beitrag werden zunächst grundlegende Definitionen problematisiert, um dann auf die Quellenbestände und die Methodologie der Dinganalyse einzugehen. Nach einem Überblick über die interdisziplinäre Forschung und der Herausarbeitung zentraler Forschungsfelder wird am Beispiel der DDR der Vorschlag gemacht, die Erforschung der materiellen Kultur innerhalb der Zeitgeschichte anhand von drei Problemhorizonten zu stärken.