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Wer kennt heute noch den Nachfolger Kants? Das war Christian Jacob Kraus, der bis 1807 als Professor für Philosophie und Kameralistik an der Universität Königsberg lehrte. Dort sah er eine wichtige Aufgabe darin, dem Werk Adam Smiths, vor allem dessen »Reichtum der Nationen«, Geltung zu verschaffen. Deshalb gehörte er auch zu den frühen Übersetzern dieses Traktats von 1776. Sein Smithianismus erwies sich als besonders einflussreich, weil künftige preußische Beamte damals an einer Landesuniversität studiert und ihr Examen abgelegt haben mussten. Zahlreiche Beamte der Reformära haben daher bei Kraus studiert und dessen Kultbuch kennengelernt. Immer wieder verfocht Kraus sein enthusiastisches Urteil, »dass die Welt noch nie ein bedeutenderes Buch« als Smiths »Reichtum der Nationen« gesehen habe, »seit der Zeit des Neuen Testamentes hat kein Werk segensreichere Wirkungen gehabt.«
Als sich im Herbst 1989 Oppositionelle in Gruppen zusammenschlossen, um eine Reform der verkrusteten Herrschaftsstrukturen der DDR im Sinne einer zivilgesellschaftlichen Perspektive zu erzwingen, ging es vor allem um die Zukunft. Heute, gut 20 Jahre danach, geht es um die Vergangenheit – ein gravierender Paradigmenwechsel in der öffentlichen Debatte, der die Frage nach dem Sinn und der Bedeutung einer »Historisierung« politischer Kommunikation provoziert.
Rechtzeitig zu Weihnachten 2008 wetterten kirchliche Würdenträger beider Konfessionen im Zusammenhang mit der Finanzkrise massiv gegen die „gnadenlose Religion des Marktes und Konsums“. Auf protestantischer Seite verdammte der damalige EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber Raffsucht als „Tanz ums goldene Kalb“ und hielt dem Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, eine „Form des Götzendienstes“ vor. Huber, dessen Kirche genau wie ihr katholisches Pendant selbst im schlagartig verrufenen Aktien- und Wertpapiergeschäft investiert hat, bettete seine Kritik an den Symptomen der Finanzkrise in der Hoffnung auf öffentliche Zustimmungsbereitschaft bewusst in religiöse Semantik.
Auch aus der katholisch en Kirche meldete sich vermehrt religiös untermauerte Kapitalismuskritik und sogar Marxsche Kapitalismuskritik, obgleich diese mit dem Vornamen Reinhard statt Karl verbunden ist.
Seit dem 19. Jahrhundert zeichnet sich in den Selbstthematisierungen der okzidentalen Moderne immer deutlicher eine spezifische »Dialektik von Sicherheit und Unsicherheit« ab. So wird die sich herausbildende bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft zunehmend als ein Sozialzusammenhang beschrieben, der mit neuartigen Unsicherheiten verknüpft ist. Exemplarisch hierfür stehen Karl Marx und Friedrich Engels, die im kommunistischen Manifest »die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung« als zentrales Kennzeichen der neu anbrechenden »Bourgeoisieepoche« herausstelle (Marx/Engels 1848, 29). Dass sie mit dieser Charakterisierung ihrer Zeit in empirischer Hinsicht eher voraus waren, zeigt die ein knappes Jahrhundert später entstandene Autobiographie von Stefan Zweig. Ganz anders als Marx und Engels beschreibt Zweig das ausgehende 19. Jahrhundert im Rückblick als das »goldene Zeitalter der Sicherheit«. In diesem schien alles »auf Dauer gegründet […] Jeder wußte, wieviel er besaß oder wieviel ihm zukam, was erlaubt und was verboten war. Alles hatte seine Norm, sein bestimmtes Maß und Gewicht.« (Zweig 1944, 15) Für Zweig zerbrach die Beständigkeit und Erwartbarkeit »der wohlberechneten Ordnung« (ebd., 16) letztlich durch den Ersten Weltkrieg. An die Stelle stetig wachsender Sicherheit traten jetzt Chaos, Unsicherheit und Barbarei, wobei dies in seinen Augen angesichts von Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg ein ebenso nachhaltiger wie irreversibler Epochenbruch war.
Für eine junge Generation, die an der Schwelle zu einem neuen Millennium ins Erwachsenenalter eingetreten ist, dürfte es mittlerweile kaum noch nachzuvollziehen sein, wie fraglos das tägliche Leben weiter Teile der Bevölkerung in den frühen Jahren der Bundesrepublik Deutschland noch mit einer religiösen Praxis verflochten war, die maßgeblich von den großen Volkskirchen geprägt und geleitet wurde. Konfessionslosigkeit war in den meisten Regionen Westdeutschlands ein misstrauisch beäugtes Ausnahmephänomen, kirchliche Riten von der Geburt bis zur Beerdigung weithin ebenso selbstverständlich wie in vielen Bundesländern eine konfessionell geprägte staatliche Volkschule, die von der großen Mehrheit der Kinder und Jugendlichen besucht wurde. Die Konfession strukturierte auch das politische Leben in erheblichem Maße, und namentlich die katholische Kirche zögerte nicht, den zahlreichen Gläubigen an den Wahlsonntagen deutlich zu machen, wo das Kreuzchen zu setzen war.
In der zeithistorischen Wissenschaft wird schon seit geraumer Zeit darüber diskutiert, welche Bedeutung und Eigenart den 1970er-Jahren im Verlauf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zuzuschreiben seien. Frühe Überlegungen über den Charakter der Zeit als »rotes Jahrzehnt«, als »sozialdemokratisches Jahrzehnt« oder vielleicht doch schon als Inkubationsphase des erneuerten konservativen Trends nach1980 bewegten sich auf dem vertrauten Pfad der Zeitgeschichte seit 1945, die Jahrzehnt um Jahrzehnt seit den 1950er-Jahren durchmusterte und darauf konzentriert war, die Entwicklung der Nachkriegszeit als Fortschritts- und Wohlstandsgeschichte mitzuvollziehen.
In seiner 1947 erschienenen Darstellung der »Lingua Tertii Imperii«, der Sprache des Dritten Reiches, beschrieb Victor Klemperer die Motive für die Publikation seiner Aufzeichnungen. Nach dem Ende des Krieges, »wo die Gefahr vorüber war und ein neues Leben sich vor mir auftat, da fragte ich mich doch, womit ich es nun zuerst anfüllen sollte, und ob es nicht Eitelkeit und Zeitvergeudung sein würde, wenn ich mich in die angeschwollenen Tagebücher versenkte ... Bis mich ein Wort zum Entschluss brachte.
The peculiar admiration that National Socialists had for Henry Ford and the supposed sympathies that the Detroit industrialist harbored for Nazism keep attracting the curious, both academic historians and Internet dilettantes. There is something irresistible about the connection between the man taken to symbolize American industrial modernity and the quintessential villains of the twentieth century.
Jürgen Habermas stellte vor einiger Zeit fest, dass Bürger diejenigen »Krisen«, die durch den Abbau staatlicher Leistungen im Bereich der Bereitstellung öffentlicher Güter und Dienstleistungen entstehen, als »lebensweltlichen Stress« erlebten. Das Wort »Stress« hat sich nicht nur in der gesellschaftsdiagnostischen Fachliteratur einen legitimen Platz erobert, sondern auch im allgemeinen gesellschaftlichen Diskurs enorm verbreitet, und ebenso die Praktiken zu seiner Bewältigung. »Nicht mehr Staat und Gesellschaft, sondern der multioptional einsetzbare Einzelne bildet nun den Knotenpunkt aller Verhältnisse. Im Fall der Ich-AG ist jeder Einzelne sogar Arbeiter und Unternehmer in einer Person; er ist Selbstmanager und Direktvermarkter und damit allein zuständig für Scheitern und Gelingen seines Lebens.«
Die Vorstellung, das Konzentrationslager sei eine das Dritte Reich definierende Institution gewesen, ist zu einem Gemeinplatz über die 1930er Jahre geworden. Dies gilt ebenso für die Annahme, dass die deutschen Lager brutalere Instrumente waren, um Geist und Körper ihrer menschlichen Fracht zu brechen, als jede andere Form der Internierung. 1940 veröffentlichte der ungarische Autor und Journalist Arthur Koestler einen Bericht über seine Erfahrungen als Kommunist und Jude in Le Vernet, einem französischen Konzentrationslager für feindliche Ausländer. Zu seinem Glück wurde Koestler aus dem nahe der spanischen Grenze gelegenen Lager entlassen, bevor die Deutschen eintrafen.
Towards Another Concept of the State: Historiography of the 1970s in the USA and Western Europe
(2011)
After years of neglect, the 1970s have recently entered the array of academic interest. In the USA and in Western Europe a growing number of historians are finally pulling the decade out of the shadows of the 1960s and the 1980s. As can be expected in such an early phase of academic exploration, there is still littel that ties all publications about the Seventies together.
“The Power of Images”, and in particular their emotional effect, is a common topos in historiography and other disciplines. Nevertheless it is not clear what the topos stands for. By exploring emotional responses to pictures, this article proposes a preliminary methodology for future case studies. Where do historians find their material when searching for emotional effects? In what ways do historians
actively produce the images they then analyse? This article debates these questions using photographs dating from the First World War to the War in Iraq in 2003.
Das Erdklima hat auch früher Phasen der Erwärmung und Abkühlung erlebt, ich gehe jedoch davon aus, dass die gegenwärtige globale Erwärmung im Wesentlichen anthropogen, also von Menschen gemacht ist. Die Idee einer anthropogenen globalen Erwärmung ist nicht neu, es gibt sie schon mindestens seit der Zeit der Aufklärung. Heute wird diese Hypothese jedoch auf breiter Front von der Klimaforschung gestützt.
„Berlin, die Insel der Freiheit“, müsse „politisch und wirtschaftlich so widerstands- und leistungsfähig gemacht werden“, dass es als „Vorort der freien Welt“ auf den Osten Berlins ausstrahle. Nichts geschehe im Westteil der Stadt, was im Sowjetsektor nicht verglichen und gewertet würde, bemerkte der Regierende Bürgermeister Walther Schreiber (CDU) im April 1954. Nur wenige Monate später formulierte der ostsektorale Magistrat wie folgt: In Berlin „existieren auf engstem Raum zwei Ordnungen nebeneinander. Die Menschen haben täglich unmittelbare Vergleichsmöglichkeiten. Vom demokratischen Sektor muß daher eine magnetische Kraft ausstrahlen, daß alle Werktätigen Berlins diesem Beispiel echter Demokratie zu folgen bereit sind.“ Kaum einen Zeitgenossen des Jahrzehnts nach der politischen Spaltung Berlins im Jahre 1948 überraschten diese im Kern sehr ähnlichen Aussagen, obwohl hinter ihnen einander diametral entgegengesetzte gesellschaftliche Ordnungen und politische Interessen standen. Beide Teile Berlins trennte und verband ein allgemeines Phänomen: der Konflikt zwischen dem parlamentarischen, rechtsstaatlich verfassten liberalen Westen und der östlichen kommunistischen Diktatur nach sowjetischem Muster.
Führende Kenner der Vereinten Nationen haben Inis Claudes klassische Unterscheidung zwischen den »ersten UN« Mitgliedsstaaten) und den »zweiten« (Sekretariate) unlängst um die »dritten UN« ergänzt. Sie bestehen aus Nichtregierungsorganisationen (NGOs), beratenden Komitees sowie aus einzelnen Experten, Politikern und Aktivisten. Für viele Internationalisten der Nachkriegsjahre jedoch hingen die Aussichten einer demokratischen Weltordnung in letzter Instanz nicht von Regierungen, Sekretariaten oder auch den kosmopolitischen Eliten der dritten UN ab. Entscheidend für sie war vielmehr eine fiktive Gemeinschaft, die man als »vierte UN« bezeichnen könnte – eine Gemeinschaft einfacher Bürger, deren Loyalität auf die Vereinten Nationen gerichtet war. Das galt vor allem für die Anhänger der UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization/Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur). Im vorliegenden Beitrag untersuche ich diese fiktive Weltgemeinschaft, die jenen Internationalisten so lebhaft vor Augen stand, und analysiere die Strategien, mit der die neue vorgestellte Gemeinschaft verwirklicht werden sollte. Diese utopische Vision zerschellte schließlich an den harten Realitäten des Kalten Krieges. Jenseits der internationalen Politik leuchte ich zudem den Streit um ein UNESCO-Programm im Schulbezirk Los Angeles aus, um die komplexe Beziehung zwischen internationaler und lokaler Ebene zu verdeutlichen.
Soundscape Stammheim
(2010)
Die Rote Armee Fraktion (RAF) markiert nicht nur in visueller, sondern auch in akustischer Hinsicht ein herausragendes Phänomen der westdeutschen Nachkriegsgeschichte. So war eine der ersten Stellungnahmen, die nach der Befreiung Andreas Baaders im Mai 1970 veröffentlicht wurde, eine Tonbandaufzeichnung Ulrike Meinhofs. Die Journalistin Michèle Ray hatte sie nach Abschluss ihres Interviews dem „Spiegel“ überlassen. Damit konnten die Aussagen Meinhofs zum Aufbau der Roten Armee nicht nur als Text, sondern auch als Ton der Nachwelt erhalten bleiben.
Welchen Einfluss hatte die Dieselmotortechnologie auf die öffentliche Perzeption von Dieselfahrzeugen und damit auch auf ihre Absatzentwicklung in Deutschland und in den USA im Zeitraum von 1976 bis 1985? Dieser zentralen Frage geht folgender Beitrag nach und legt dar, dass Konsumenten ihre Kaufentscheidung für einen Diesel und gegen einen Benzin-Pkw nicht allein an rational-ökonomischen Gründen ausrichten, wie dies gängige Erklärungsmodelle betonen. Als alternatives Modell bieten sich so genannte Rationalitätsfiktionen an, die Konsumenten bei ihrer Kaufentscheidung als Rationalisierungsstrategie dienen. Anhand der drei Fallbeispiele Volkswagen Golf Diesel, Mercedes-Benz Diesel und Oldsmobile respektive GeneralMotors Diesel wird analysiert, wie die technischen Eigenschaften der Dieselautos mit ihrer Wahrnehmung korrelierten und wie sich dies in der Absatzentwicklung in beiden Ländern niederschlug. Entscheidend ist, dass sich in den USA bereits während der für die Marktdurchdringung wichtigen Phase um das Jahr 1981 eine überwiegend negative Sichtweise durchsetzte, die bis heute im Kern ihre Gültigkeit behielt. Seitdem gelten Diesel zum Beispiel als unzuverlässig und lahm. Diese dominierende, kulturspezifisch negative Wahrnehmung ließ das Interesse der Konsumenten an Dieselautos abflauen und verhinderte einen erneuten Dieselboom. In Deutschland bewahrten die Diesel demgegenüber ihre positiven Attribute wie Langlebigkeit und Zuverlässigkeit. Dort unterlagen der Kauf und der Besitz eines Diesels infolgedessen keinem sozialen Rechtfertigungsdruck, was maßgeblich zum Absatzboom Anfang der 1980er Jahre beigetragen hat.
Word, Google, Facebook, Excel, R/3, Twitter – die Nutzung von Informationen und Informations- und Kommunikationstechnologie gehört heute zu den unumgänglichen Fähigkeiten, die in allen Lebens- und Arbeitsbereichen erforderlich sind. Schlagworte wie Informationszeitalter oder Wissensgesellschaft durchziehen allgemeine wie auch fachwissenschaftliche Diskurse und belegen die Nachhaltigkeit dieser Veränderungen. Auch sonst wird unser Alltag immer mehr davon durchdrungen. Manchmal wissentlich wie beim Mobiltelefon, welches sich vom einfachen Telefon zum Smartphone gewandelt hat, oder auch unwissentlich wie im Auto, wo erst das Erlebnis eines notwendigen Software-Updatesder Motorensteuerung in der Werkstatt uns bewusst macht, dass es ohne Informations- und Kommunikationstechnologie nicht funktionieren würde. Somit sind diese Dinge und ihre Nutzung zu Selbstverständlichkeiten geworden. Diese gefühlte Entwicklung spiegelt sich aber auch in wirtschaftlichen Daten wieder. So gehen über 40% des gesamtwirtschaftlichen Wachstums auf den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien zurück. Dabei kommt gerade der Software eine besondere Rolle zu, da sie die zugrunde liegenden Produktivitätssteigerungen erst ermöglicht.
Soundscape Stammheim
(2010)
Die Rote Armee Fraktion (RAF) markiert nicht nur in visueller, sondern auch in akustischer Hinsicht ein herausragendes Phänomen der westdeutschen Nachkriegsgeschichte. So war eine der ersten Stellungnahmen, die nach der Befreiung Andreas Baaders im Mai 1970 veröffentlicht wurde, eine Tonbandaufzeichnung Ulrike Meinhofs. Die Journalistin Michèle Ray hatte sie nach Abschluss ihres Interviews dem „Spiegel“ überlassen. Damit konnten die Aussagen Meinhofs zum Aufbau der Roten Armee nicht nur als Text, sondern auch als Ton der Nachwelt erhalten bleiben.