Die öffentliche Wahrnehmung der Transformationen in den postsozialistischen Ländern ist in zweierlei Hinsicht unterbelichtet: Sie ist räumlich begrenzt, indem sie den Fokus auf jeweils national begrenzte Fälle im ehemaligen Ostblock richtet. Sie ist zeitlich begrenzt, indem sie den Fokus auf die Jahre des raschen Systemumbaus richtet und allenfalls die Jahre unmittelbar davor einbezieht. Transformationen ganzer Gesellschaften, so wollen wir an einer alltagsrelevanten Institution zeigen, greifen aber auch auf Ressourcen zurück, die viel weiter in die Vergangenheit zurückreichen und gerade im zentraleuropäischen Raum schon immer einen zugleich nationalen und transnationalen Charakter hatten. Die Rede ist von der Freiwilligen Feuerwehr als einem seit Mitte des 19. Jahrhunderts in allen Ländern des Deutschen Reichs wie auch der Österreichisch-Habsburgischen Monarchie verbreiteten Muster der lokalen Selbstregierung (self governance). Unsere Beispiele kommen aus Sachsen, den tschechischen Ländern und Slowenien – sie könnten aber auch aus Mecklenburg-Vorpommern, Galizien, der Slowakei oder der Vojvodina stammen. Gemeinsam ist ihnen die erstaunliche institutionelle Kontinuität der Organisation eines freiwilligen Dienstes für die lokale Gemeinschaft über die dramatischen Systemwechsel des 20. Jahrhunderts hinweg. Dabei existieren Freiwillige Feuerwehren immer lokal als Personenvereine mit aktiven (das heißt für die Brandbekämpfung einsatzbereiten) und fördernden Mitglieder*innen, die sich überlokal zu regionalen und nationalen Verbänden zusammenschließen, die wiederum untereinander rege den internationalen Austausch pflegen.
In den gegenwärtigen Debatten um den richtigen Umgang mit der AfD werden oft Vergleiche mit der Weimarer Republik angestellt, der es nicht gelang, den Aufstieg der NSDAP zu stoppen. Vergleichbar ist die Situation heute aber auch mit den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Alliierten und später auch die Deutschen den Aufstieg nationalistischer Parteien sehr wohl zu verhindern wussten. Die DDR mithilfe eines extrem repressiven Antifaschismus, der organisierten Nationalismus quasi verunmöglichte; die Bundesrepublik mit einer antinazistischen Sicherheitspolitik, die nur eine relativ kleine Gruppe von „echten Nazis“ ausschloss und den Rest der Rechten sozial und emotional zu integrieren versuchte. Dieser Beitrag skizziert, welche Arten des Umgangs mit der Gefahr von rechts es bis etwa 1960 speziell in Westdeutschland gab, wobei das Hauptaugenmerk auf der Ideologie und Praxis der alliierten und deutschen Sicherheitsbehörden liegt. Der Ausblick handelt von den Folgen der antinazistischen Sicherheitspolitik für die Demokratieentwicklung.
Die Friedliche Revolution und die folgende Systemtransformation wurden von den Ostdeutschen als tiefer biographischer Einschnitt erlebt. Weite Teile ihrer Lebenswelt veränderten sich, einstige Sicherheiten waren auf einmal nicht mehr sicher. Dieser revolutionäre Wandlungsprozess wurde ganz unterschiedlich erlebt und gedeutet. Heute prägen die damaligen Erfahrungen den Rückblick auf diese Zeit. Es besteht ein Erinnerungskonflikt zwischen einem Revolutionsgedächtnis, das die demokratischen Errungenschaften hochhält, und einem Verlustgedächtnis, das den Umbruch als Zeit der Verunsicherung und enttäuschten Erwartungen abgespeichert hat und bis heute eine skeptische Haltung zur neuen politischen Ordnung einnimmt. Eng verklammert ist die jeweilige Deutung zudem mit unterschiedlichen Geschichtsbildern von der SED-Diktatur, deren wichtigste Quelle heute die Familie ist. Schule und Gedenkstätten spielen bei der Ausprägung von Geschichtsbildern hingegen eine deutlich nachgeordnete Rolle. Auch die jeweiligen Diktaturerfahrungen prägen also die Sicht auf die Transformation.
Youth Organizations
(2019)
Hitler Youth, Komsomol, Boy Scouts – no grand narrative of the twentieth century can ignore these youth leagues and their millions of members. For some these organizations meant fun and games or adventure, for others rigid hierarchies and political indoctrination. These stereotypes notwithstanding, historians have nevertheless succeeded in painting a nuanced picture of this pedagogical innovation. This contribution outlines the key developments in scholarly debate and shows how addressing youth organizations can benefit core working areas of contemporary history.
Die Erforschung des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, die bislang vor allem im Rahmen der Politikwissenschaft und der Soziologie erfolgt ist, bedarf dringend der Ergänzung durch zeithistorische Forschungsperspektiven, Fragestellungen und Methoden. In diesem Zusammenhang schlage ich einen akteursorientierten Forschungsansatz vor. Im Mittelpunkt stehen hierbei diejenigen Äußerungsformen des Komplexes „Rechtsextremismus“, in denen einzelne Personen sowie – vor allem – Parteien, Organisationen, Verbände, Vereine, Bewegungen, Netzwerke, Medien und Verlage, Freundeskreise, Klein- und Kleinstgruppen Aktivitäten entfalten. Außerdem werden die soziopolitischen Milieus in den Blick genommen, welche die Lebenswelt der sogenannten Akteur*innen und Gruppen konstituieren. Rechtsextreme Personengruppen und Organisationen handeln historisch zwar nicht im luftleeren Raum, aber sehr wohl als eigenständige Subjekte mit spezifischen Strategien, Interessen und pfadabhängig entstandenen Handlungsmustern.
FUTURA ist ein Qualifikationsangebot für Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte in Hochschulen und Forschungseinrichtungen aller Wissenschaftsbereiche.
Das in Modulen aufgebaute Angebot vermittelt genderkompetentes Handeln im Beruf und wurde von der Zentralen Frauenbeauftragten der FU in Zusammenarbeit mit dem Weiterbildungszentrum der Freien Universität konzipiert und durchgeführt. Der erste Durchgang des Kurses fand von 2004 bis 2006 statt. Bis heute wird das Angebot vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Koordinatorinnen fortlaufend evaluiert und modifiziert.
Ziel des Programms ist es, dem in der Verfassung verankerten Recht auf Chancengleichheit im Wissenschaftsbereich mit den Mitteln der Professionalisierung der Gleichstellungs- und Frauenbeauftragten zur Durchsetzung zu verhelfen. Dabei stattet das Weiterbildungsangebot die Amtsträger*innen (auch über das Amt hinaus) mit den notwendigen Kompetenzen für eine erfolgreiche Gleichstellungsarbeit aus. Die Arbeit von Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten und Gleichstellungsakteur*innen wird somit als qualifizierte und qualifizierende Tätigkeit anerkannt. Zu den Inhalten dieses Professionalisierungsangebotes gehören neben den theoretischen Grundlagen von Gender, Diversität und Intersektionalität der rechtliche Rahmen, in dem sich Gleichstellungsarbeit bewegt, der Umgang mit sexualisierter Gewalt, gendergerechte Bewerbungs- und Berufungsverfahren u.v.m.
Unsere Gesprächspartnerin Josephine Bürgel ist Stellvertreterin der zentralen Frauenbeauftragten der FU und (gemeinsam mit Wendy Stollberg) Ansprechpartnerin und Koordinatorin des FUTURA-Programms.
Aufarbeitung von Geschichte ist anders als die geschichtswissenschaftliche Analyse ein politischer Vorgang, eine Angelegenheit der Zivilgesellschaft. Die DDR-Aufarbeitung war mit dem Grundsatz angetreten, die Demokratie im Osten zu befördern. Manche Aufarbeiter*innen verkünden sogar etwas zu vollmundig, je besser man Diktatur begreife, umso besser könne man Demokratie gestalten. Demokratie ist ein Projekt, das keiner Negativfolie bedarf.
Aufarbeitung generell ist wichtig, keine Frage. Aber wie wichtig ist sie wirklich? Wer sollte das messen, einschätzen? Wen erreicht Aufarbeitung und vor allem, wen nicht? Man sollte sie nicht überschätzen, so wie man das Gewicht einzelner dabei nicht überschätzen sollte. Es machen weder große Männer allein Geschichte noch schlanke Menschen allein Geschichtsaufarbeitung. Beide Gruppen glauben das allerdings gern.
In der DDR-Aufarbeitungslandschaft haben wir den merkwürdigen Umstand zu beobachten, dass in vielen Institutionen Personen Entscheidungen fällen, den Ton vorgeben, Verantwortung tragen, die dafür meist „nur“ durch ihre Biographie, nicht aber wegen einer professionellen Ausbildung in Museumsdidaktik, Geschichtspädagogik, Geschichts- oder Politikwissenschaften qualifiziert sind. Vor allem in den 1990er Jahren war es von hoher Bedeutung, dass Oppositionelle und Opfer der SED-Diktatur den kommunistischen und postkommunistischen Geschichtsmärchen ihre lebensgeschichtliche Wucht entgegenhielten. Aber die Revolution ist längst Geschichte. Die Kinder sind nicht entlassen worden, sondern eigentlich im Rentenalter.
“Humans of Damascus” – The (Other) Art of Community (Building). An Interview with Rania Kataf
(2019)
In his inspiring book “The Art of Community”, Charles H. Vogl goes through the principles of belonging: initiation, boundaries, symbols, rituals, stories, temple and inner rings. These seven time-tested principles for emerging and connected communities could be applied entirely or in part, even to groups not physically or geographically connected. In other words, to communities interacting between real and virtual world, like “Humans of Damascus”.
In October 2016, Rania Kataf created a group on Facebook, that has rapidly grown beyond the seven ancient gates of the Syrian capital. Damascus, one of the oldest continuously inhabited cities of the world, has been for its strategic position a nexus of powers and influences coming from everywhere, and left their marks on the city.
Wenn Historiker/innen das NS-Regime als „charismatische Herrschaft“ bezeichnen, dann legen sie ihren Ausführungen explizit oder implizit ein Modell zugrunde, das der deutsche Soziologe Max Weber entwickelt hat. Rüdiger Hachtmann stellt das Modell vor und zeigt die Grenzen und Defizite des Idealtypus „charismatische Herrschaft“ sowie seiner Anwendung auf die NS-Herrschaft auf, würdigt zugleich aber auch Webers Verdienste. Ausgelotet wird schließlich, inwieweit die Forschung daran in der Zukunft anschließen kann.
Die Redaktion lud Doktorandinnen des Zentrums für Zeithistorische Forschung (Potsdam) dazu ein, über ihre Erfahrungen im Wissenschaftsbetrieb zu sprechen. Anna Junge, Anna Katharina Laschke, Caroline Peters, Florentine Schmidtmann und Henrike Voigtländer erklärten sich dazu bereit und verabredeten sich zu einem Gespräch. Ihre Diskussion fassten sie für Zeitgeschichte|online zusammen.
Medienikonen der Fotografie bzw. des Films – denken wir etwa an den „Falling Soldier“ von 1936 in der Fotografie von Robert Capa, an den Jungen aus dem Warschauer Getto im sogenannten Stroop-Bericht, an das „Napalm-Mädchen“ aus dem Vietnamkrieg in der Fotografie von Nick Út, an den „Kapuzenmann“ in der digitalen Aufnahme eines amerikanischen Soldaten aus dem Foltergefängnis von Abu Ghraib oder an die Filmschleife vom Anflug auf die Twin Towers auf NBC – besitzen aufgrund ihrer spezifischen ikonischen Kraft einen hohen Aufmerksamkeitswert, der sie als visuelle Ankerpunkte aus der alltäglichen Bilderflut herausragen lässt. Über das abgebildete Ereignis hinaus verfügen diese Ikonen über einen symbolischen Mehrwert, der sie zu Stellvertretern historischer Ereignisse macht. Über diese erinnern wir bzw. formen wir kollektiv wie individuell unsere Vorstellung von Geschichte, unser Geschichtsbild. Zum Teil überlagern diese Bilder die eigenen Erinnerungen oder setzen sich gar an ihre Stelle. Bereits die bloße Nennung einer auf dem Bild dargestellten Person (z.B. Kim Phúc) oder eines Ereignisses (z.B. der Kniefall) vermag die visuelle Erinnerung zu aktivieren. Nicht zuletzt können diese Ikonen eigene Realitäten generieren und auf diese Weise selbst Geschichte machen, die dann eigene Geschichten erzählen und kaum mehr korrigierbar sind.
Die deutsche Zeitgeschichtsschreibung hat den Ruf, sich über Jahre hinweg nicht ernsthaft mit der extremen Rechten in der Bundesrepublik und der DDR beschäftigt zu haben, während Studien zur Geschichte des Nationalsozialismus ganze Bibliotheken füllen. Der zu früh verstorbene Zeithistoriker Axel Schildt bekundete, dass „die Geschichtswissenschaft bisher sehr wenig zur Analyse rechtsextremer Bewegungen nach 1945 beigetragen“ habe. Doch stimmt dieser Befund in seiner Pauschalisierung überhaupt?
Die historisch interessierte Forschung zum Rechtsextremismus in der DDR zieht zumeist Akten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) heran. Dass hier Vorsicht geboten ist, machte Anfang der 1990er Jahre schon Walter Süß deutlich, der in großem Umfang Akten des MfS zum Rechtsextremismus untersuchte. Süß bezeichnete den Versuch, mit diesen Akten den Rechtsextremismus in der DDR nachzuzeichnen, als „Illusion“. Seine Annahmen sind in vielen Punkten für die weitere Forschung zur Wahrnehmung des Rechtsextremismus seitens des MfS maßgeblich: Die Staatssicherheit verfing sich durch die Externalisierung des Rechtsextremismus in den Westen und die Einordnung der Jugendlichen als „gestrauchelte“ Einzelfälle in einer „hilflos-repressiven Bekämpfung von Symptomen“. Selbst ein hauptamtlicher Mitarbeiter erkannte dies und beschwerte sich, die Bekämpfung des Rechtsextremismus könne „nicht alleinige Aufgabe der Untersuchungsorgane sein“, sondern sei „eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“.
Gleichwohl können und sollen die Akten des MfS dennoch für die Rechtsextremismusforschung nutzbar gemacht werden. [...] So berichten die Akten der Staatssicherheit nicht nur über das Scheitern der Institution im Umgang mit dem Neonazismus, sondern helfen auch, die sich stärker entwickelnde Neonaziszene zu begreifen. Im Folgenden soll dies am Beispiel der 20-jährigen Sabine P. (Pseudonym) geschehen, einer Frau aus der Neonaziszene im Ost-Berliner Bezirk Lichtenberg, die nach einer Auseinandersetzung in und vor einem Jugendklub im Herbst 1987 als „Rowdy“ über anderthalb Jahre im Strafvollzug in Hoheneck verbrachte. Was wussten die ostdeutschen Sicherheitsbehörden über P.? Wie interpretierten sie ihr Wissen? Und was lässt sich anhand der Akten über Frauen in der Neonaziszene der DDR rekonstruieren?
Den Ostdeutschen wird oft vorgehalten, dank ihrer DDR-Vergangenheit nicht in der Demokratie angekommen zu sein. Die statistischen Daten scheinen eindeutig: So bewerten die Ostdeutschen die Demokratie kritischer, Minderheiten werden weniger akzeptiert und knapp ein Fünftel der Ostdeutschen nennt, unter bestimmten Umständen, eine Diktatur als beste Staatsform. Zudem ist die Wahlbeteiligung niedriger, während rechte Parteien stärker reüssieren. Ebenso sind Ostdeutsche seltener Mitglied in Parteien oder Vereinen.
Gerade weil derartige Zahlen so eindeutig wirken, sollten wir sie auch in der künftigen zeithistorischen Erforschung kritischer diskutieren. Denn erstens fällt auf, dass andere Statistiken, die mehr Ähnlichkeiten zwischen Ost und West aufzeigen, weniger Aufmerksamkeit finden.
Lutz Niethammer ist einer der bedeutendsten Zeithistoriker Deutschlands. Bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2005 war er Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Im Jahr 1971 wurde er zum Thema Praxis der Entnazifizierung in der US-amerikanischen Besatzungszone promoviert, hatte anschließend Professuren an der Universität Essen und der FernUniversität Hagen inne. Bekannt ist Niethammer als Doyen der Oral History in der Bundesrepublik. Kontroversen löste seine Studie über „die roten Kapos“ aus.
Sein erstes Buch ist allerdings in Vergessenheit geraten, zu Unrecht. In der Studie Angepaßter Faschismus (1969) befasste sich der damals noch unbekannte Lutz Niethammer mit der erst 1964 gegründeten Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD). Seine Erkenntnisse über das Wesen des „organisierten Nationalismus“ scheinen heute wieder aktuell. Yves Müller und Dominik Rigoll sprachen mit Lutz Niethammer über das vor 50 Jahren erschienene Buch und über gegenwärtige Gefahren für die Demokratie.