Refine
Year of publication
- 2011 (12) (remove)
Document Type
- Part of a Book (12) (remove)
Language
- German (12) (remove)
Is part of the Bibliography
- no (12)
In den 1970er-Jahren endete des bundesdeutschen Wirtschaftswunder. Mit den konjunkturellen - und aus heutiger Sicht vergle1chswe1se harmlosen - Krisen von 1966/67 und 1973/74, mit der Aufkündigung des Bretton-Wood-Abkommens 1971, mit dem Ölpreisschocks von 1973/74 und 1979/80, mit der Billigkonkurrenz der fernöstlichen Tigerstaaten und mit den sich am Horizont bereits abzeichnenden fundamentalen Wandlungen von Wirtschaft und Gesellschaft durch Mikroelektronik und moderne Informationstechnologien, für die sich die Bezeichnung »dritte industrielle Revolution« eingebürgert hat, kündigte sich eine anhaltende industrielle Strukturkrise an, die sich derzeit zu einer Fundamentalkrise des globalen Kapitalismus auswächst. Die fordistische Suggestion eines fortwährend boomenden Kapitalismus ohne echte Krise und ebenso die Hoffnung auf eine dauerhafte Voll- oder gar Überbeschäftigung entpuppten sich als Illusion. Stattdessen wurde nun die »Krise des Fordismus« debattiert - und oft sehr Unterschiedliches darunter gefasst. Spätestens in den 1980er-Jahren machte die Formel vom »Ende des Fordismus« die Runde. »Krise« und »Ende« sind jedoch nur die eine Seite der Medaille. Gleichzeitig blieb die Bundesrepublik Deutschland zumindest die erste Hälfte der 1970er-Jahre aber auch von einer bis dahin ungekannten gesellschaftlichen Aufbruchstimmung und Reformeuphorie gekennzeichnet, die etwa Mitte der 1960er-Jahre eingesetzt hatte. Sie zeigte ebenfalls nachhaltige Wirkungen und wird nicht selten durch die von Zeithistorikern unlängst geprägte, deprimiert-ratlose Formel »Nach dem Boom« verdeckt beziehungsweise verniedlicht.
„Berlin, die Insel der Freiheit“, müsse „politisch und wirtschaftlich so widerstands- und leistungsfähig gemacht werden“, dass es als „Vorort der freien Welt“ auf den Osten Berlins ausstrahle. Nichts geschehe im Westteil der Stadt, was im Sowjetsektor nicht verglichen und gewertet würde, bemerkte der Regierende Bürgermeister Walther Schreiber (CDU) im April 1954. Nur wenige Monate später formulierte der ostsektorale Magistrat wie folgt: In Berlin „existieren auf engstem Raum zwei Ordnungen nebeneinander. Die Menschen haben täglich unmittelbare Vergleichsmöglichkeiten. Vom demokratischen Sektor muß daher eine magnetische Kraft ausstrahlen, daß alle Werktätigen Berlins diesem Beispiel echter Demokratie zu folgen bereit sind.“ Kaum einen Zeitgenossen des Jahrzehnts nach der politischen Spaltung Berlins im Jahre 1948 überraschten diese im Kern sehr ähnlichen Aussagen, obwohl hinter ihnen einander diametral entgegengesetzte gesellschaftliche Ordnungen und politische Interessen standen. Beide Teile Berlins trennte und verband ein allgemeines Phänomen: der Konflikt zwischen dem parlamentarischen, rechtsstaatlich verfassten liberalen Westen und der östlichen kommunistischen Diktatur nach sowjetischem Muster.
Für eine junge Generation, die an der Schwelle zu einem neuen Millennium ins Erwachsenenalter eingetreten ist, dürfte es mittlerweile kaum noch nachzuvollziehen sein, wie fraglos das tägliche Leben weiter Teile der Bevölkerung in den frühen Jahren der Bundesrepublik Deutschland noch mit einer religiösen Praxis verflochten war, die maßgeblich von den großen Volkskirchen geprägt und geleitet wurde. Konfessionslosigkeit war in den meisten Regionen Westdeutschlands ein misstrauisch beäugtes Ausnahmephänomen, kirchliche Riten von der Geburt bis zur Beerdigung weithin ebenso selbstverständlich wie in vielen Bundesländern eine konfessionell geprägte staatliche Volkschule, die von der großen Mehrheit der Kinder und Jugendlichen besucht wurde. Die Konfession strukturierte auch das politische Leben in erheblichem Maße, und namentlich die katholische Kirche zögerte nicht, den zahlreichen Gläubigen an den Wahlsonntagen deutlich zu machen, wo das Kreuzchen zu setzen war.
Wer kennt heute noch den Nachfolger Kants? Das war Christian Jacob Kraus, der bis 1807 als Professor für Philosophie und Kameralistik an der Universität Königsberg lehrte. Dort sah er eine wichtige Aufgabe darin, dem Werk Adam Smiths, vor allem dessen »Reichtum der Nationen«, Geltung zu verschaffen. Deshalb gehörte er auch zu den frühen Übersetzern dieses Traktats von 1776. Sein Smithianismus erwies sich als besonders einflussreich, weil künftige preußische Beamte damals an einer Landesuniversität studiert und ihr Examen abgelegt haben mussten. Zahlreiche Beamte der Reformära haben daher bei Kraus studiert und dessen Kultbuch kennengelernt. Immer wieder verfocht Kraus sein enthusiastisches Urteil, »dass die Welt noch nie ein bedeutenderes Buch« als Smiths »Reichtum der Nationen« gesehen habe, »seit der Zeit des Neuen Testamentes hat kein Werk segensreichere Wirkungen gehabt.«
In der zeithistorischen Wissenschaft wird schon seit geraumer Zeit darüber diskutiert, welche Bedeutung und Eigenart den 1970er-Jahren im Verlauf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zuzuschreiben seien. Frühe Überlegungen über den Charakter der Zeit als »rotes Jahrzehnt«, als »sozialdemokratisches Jahrzehnt« oder vielleicht doch schon als Inkubationsphase des erneuerten konservativen Trends nach1980 bewegten sich auf dem vertrauten Pfad der Zeitgeschichte seit 1945, die Jahrzehnt um Jahrzehnt seit den 1950er-Jahren durchmusterte und darauf konzentriert war, die Entwicklung der Nachkriegszeit als Fortschritts- und Wohlstandsgeschichte mitzuvollziehen.
Seit dem 19. Jahrhundert zeichnet sich in den Selbstthematisierungen der okzidentalen Moderne immer deutlicher eine spezifische »Dialektik von Sicherheit und Unsicherheit« ab. So wird die sich herausbildende bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft zunehmend als ein Sozialzusammenhang beschrieben, der mit neuartigen Unsicherheiten verknüpft ist. Exemplarisch hierfür stehen Karl Marx und Friedrich Engels, die im kommunistischen Manifest »die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung« als zentrales Kennzeichen der neu anbrechenden »Bourgeoisieepoche« herausstelle (Marx/Engels 1848, 29). Dass sie mit dieser Charakterisierung ihrer Zeit in empirischer Hinsicht eher voraus waren, zeigt die ein knappes Jahrhundert später entstandene Autobiographie von Stefan Zweig. Ganz anders als Marx und Engels beschreibt Zweig das ausgehende 19. Jahrhundert im Rückblick als das »goldene Zeitalter der Sicherheit«. In diesem schien alles »auf Dauer gegründet […] Jeder wußte, wieviel er besaß oder wieviel ihm zukam, was erlaubt und was verboten war. Alles hatte seine Norm, sein bestimmtes Maß und Gewicht.« (Zweig 1944, 15) Für Zweig zerbrach die Beständigkeit und Erwartbarkeit »der wohlberechneten Ordnung« (ebd., 16) letztlich durch den Ersten Weltkrieg. An die Stelle stetig wachsender Sicherheit traten jetzt Chaos, Unsicherheit und Barbarei, wobei dies in seinen Augen angesichts von Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg ein ebenso nachhaltiger wie irreversibler Epochenbruch war.