Refine
Year of publication
- 2024 (2)
Document Type
Language
- German (2)
Has Fulltext
- yes (2)
Is part of the Bibliography
- no (2)
"Entscheidung in Kiew. Ukrainische Lektionen" – so hat Karl Schlögel sein 2015 veröffentlichtes Buch über die Ukraine betitelt. Drei Punkte sind es, die den Band im März 2022 zu einer ebenso fesselnden wie aufwühlenden Lektüre machen.
Erstens sind da die politischen Einschätzungen und Prognosen, die klingen, als entstammten sie unserer unmittelbaren Gegenwart. Zweitens faszinieren Schlögels Essays über (sowjet-)ukrainische Städte, die zwischen 1988 und 2015 verfasst wurden und die den größten Teil des Buches ausmachen. Manches von dem, was er etwa in Charkiw noch sah, in dieser "Stadt, die weiß, was auf dem Spiel steht und dass jederzeit alles verloren sein kann" (S. 181), ist jetzt bereits durch russische Raketen zerstört. Und drittens unterzieht er seine Doppelrolle als Historiker des sowjetischen Imperiums und teilnehmender Beobachter epochaler Zeitenwenden einer selbstkritischen Revision. Daran schließt sich die Frage an, was Zeithistorikerinnen und -historiker konkret tun können, wenn es ernst wird.
Die Bevölkerung Russlands steht nicht geschlossen hinter dem Krieg gegen die Ukraine. Trotz aller Bemühungen der staatlichen Propaganda, den Krieg in der russischen Öffentlichkeit als „Spezialoperation“ zu inszenieren, regt sich vielerorts Widerstand. Die Proteste begannen unmittelbar nach dem russischen Angriff. In vielen Städten gingen tausende Menschen auf die Straßen und Plätze um gegen den Krieg zu demonstrieren. In sozialen Medien wird der Hashtag #НетВойне (dt. Nein zum Krieg) millionenfach genutzt, geteilt und gelikt. Jede einzelne Unmutsäußerung erfordert großen persönlichen Mut und Zivilcourage im Angesicht des staatlichen Repressionsapparats. Und dennoch äußern sich viele russische Wissenschaftler:innen, Journalist:innen, Künstler:innen und Journalist:innen deutlich gegen den Krieg. Gegenwärtig kursieren mehrere "Offene Briefe", die binnen kürzester Zeit von hunderten oder gar tausenden Personen unterzeichnet wurden. Dass ihre Stimmen in Deutschland gehört werden, ist wichtig in einer Situation, in der deutsche und europäische Wissenschaftsinstitutionen ihre teils seit Jahrzehnten bestehenden Kooperationen mit russischen Universitäten und Forschungseinrichtungen auf unbestimmte Zeit unterbrochen oder gänzlich beendet haben. Deshalb werden hier drei dieser Dokumente in Auszügen übersetzt und so für ein deutschsprachiges Publikum dokumentiert.