Europa
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Foucault war einer der ersten Theoretiker, die die Historizität des Körpers radikal herausgestellt haben; seine Bedeutung für die Körpergeschichte ist entsprechend häufig hervorgehoben worden. Die meisten körperhistorischen Studien im Anschluss an Foucault haben sich auf die in „Überwachen und Strafen“ beschriebenen Disziplinartechniken und seine Überlegungen zur Biomacht in „Sexualität und Wahrheit“ bezogen. Weitgehend unbeachtet blieb in Foucaults Machtanalytik zunächst der Zusammenhang von Zugriffen auf den Körper und modernem Staat - ebenso wie die Dimension des Subjekts. Der in Foucaults Vorlesungen von 1978 und 1979 entwickelte weite Begriff von ‚Regierung‘ ist als Versuch zu verstehen, Staat und Subjekt in seine Machtanalyse zu integrieren.
Die Entstehung des modernen Staates und die damit verbundenen Herrschaftstechniken sind das Generalthema von Michel Foucaults Geschichte der modernen Gouvernementalität. In diesem Zusammenhang schreibt er dem Liberalismus eine zentrale Bedeutung zu, weil er ihn nicht als Abwesenheit von Herrschaft ansieht, sondern als eine besondere Form der ‚Regierung‘. Insbesondere der Vorlesungszyklus aus dem Jahr 1979 dient der systematischen Analyse des Liberalismus, beginnend mit dem klassischen Liberalismus des 18. Jahrhunderts bis hin zum amerikanischen „Neoliberalismus“ der 1970er-Jahre. Der Liberalismus - so Foucaults Ausgangsüberlegung - habe die Selbstbegrenzung der Regierung zum Grundprinzip der Herrschaftstechnik erhoben. Die Gouvernementalität des modernen Staates beruhe darauf, dass der Markt als eine Art Kontrollinstanz des Regierungshandelns eingeführt worden sei; das begründe seine eigentliche Stärke. Innerhalb dieser Konzeption habe sich der Liberalismus in drei groben Schritten entwickelt: vom klassischen europäischen Liberalismus des 18. Jahrhunderts über den deutschen und französischen Liberalismus der unmittelbaren Nachkriegszeit hin zum amerikanischen Neoliberalismus.
„Ich kenne kein publizistisches Mittel, das über 40 Jahre lang so kontinuierlich geführt worden ist und im Grunde fast alle wesentlichen Personen oder Persönlichkeiten aus der ganzen breiten Skala des Lebens gezeigt hat.“ Mit diesen Worten eröffnet Egon Bahr die Begleit-DVD zur Edition „klassischer“ Interviews von Günter Gaus aus den Jahren 1963 bis 1972. Bahr verweist damit bereits auf die beiden zentralen Aspekte des Quellenwertes der Interviews: Zum einen sind Gespräche inhaltliche Dokumente, in denen die Befragten über sich selbst und ihre Positionen Auskunft geben. Zum anderen repräsentieren Gaus’ Gespräche ein besonderes Stück Mediengeschichte. Ganz so bruchlos, wie Bahr suggeriert, verlief die Geschichte allerdings nicht. Daher seien zunächst ein paar Daten zur Entwicklung der Sendereihe genannt.
„Seine Darstellung wird keiner politischen Gruppe der Gegenwart viel Freude machen“, prophezeite Klaus Epstein 1963 in der „Historischen Zeitschrift“. Gemeint war die im Jahr zuvor erschienene Habilitationsschrift des jungen Politikwissenschaftlers Kurt Sontheimer, der sich in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre intensiv mit dem rechten „antidemokratischen Denken“ in der Weimarer Republik auseinandergesetzt hatte. In der Tat: Vor allem national-konservativen Kreisen in Wissenschaft und Publizistik musste Sontheimers Buch ein Ärgernis sein. Sein Gegenstand war eben nicht rein historischer Natur. Das Buch handelte von Deutschlands erstem ernstzunehmendem Experiment mit liberaler Demokratie, das gerade einmal 30 Jahre zuvor gescheitert war. Weimar war - mal mehr, mal weniger evident - integraler Bestandteil des bundesrepublikanischen Erfahrungs- und Deutungshorizonts.
Die Aktualität der Antiquiertheit. Günther Anders’ Anthropologie des industriellen Zeitalters
(2006)
Der Titel von Günther Anders’ philosophischem Hauptwerk, das vor 50 Jahren erschienen ist, macht es leicht, die historische Distanz, die uns heute von diesem Buch trennt, mit seinem eigenen Begriff zum Ausdruck zu bringen: Die „Antiquiertheit des Menschen“ erscheint heute selbst in vielerlei Hinsicht antiquiert. Anders’ „Gelegenheitsphilosophie“ (S. 8) blieb auf spezifische Weise an die Gelegenheit ihres Entstehens gebunden. Seine Studie „über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution“, so der Untertitel, ist damit zugleich ein Dokument der Zeitgeschichte und der Biographie ihres Autors. Als solches enthält sie aber auch Anregungen für die Zeitgeschichtsforschung, die durchaus noch aktuell sind.
Wissenschaftlich scheint die Tragfähigkeit des Genozidbegriffes erschöpft, ironischerweise nicht zuletzt, weil seine Durchsetzung die Aufmerksamkeit auf das Phänomen massiver Gewalt gelenkt und sich unser Kenntnisstand enorm verbreitert hat. Eben weil wir jetzt so viel mehr wissen, legt er der Forschung Fesseln an. Mit seinen nur scheinbar klaren Vorgaben verstellt er den Blick auf die mitunter doch sehr anders gelagerten Realitäten entgrenzter Gewalt. Lässt man ihn für den wissenschaftlichen Diskurs fallen, könnte man sich endlich zu der Einsicht durchringen, dass Gewaltabläufe auch inkonsistent und kontingent, dass die Handlungen der Opfer, des Auslands eine Rolle spielen können für Entscheidungsprozesse der Täter, und dass nicht immer der Wille entscheidend ist, sondern die Tat.
Kap. 2: Gewalt und Staat
(2006)
Die klassische Analyse der Gewalt unterscheidet verschiedene Ebenen. So schlug zum Beispiel in den 1960er Jahren Pierre Hassner drei unterschiedliche Betrachtungsebenen vor. Die erste war die des internationalen Systems, die seiner Ansicht nach damals »vom bipolaren Gleichgewicht durch Abschreckung und in Europa von der territorialen Aufteilung in zwei Blöcke« bestimmt war. Die zweite war die der Staaten mit ihren innenpolitischen und diplomatischen Anliegen und die dritte die der Gesellschaften innerhalb der Staaten mit ihren je eigenen politischen Systemen, Strukturen und ihrer spezifischen Dynamik. Diese Unterscheidung, die ich selbst in meinen Arbeiten über den Terrorismus der 1970er und 1980er Jahre benutzt habe, trifft sicherlich immer noch weitgehend zu. Aber da sie ganz auf den Staat zentriert ist, in dem sie den wahren Problemknoten sieht, wird sie heute auf Grund beträchtlicher Veränderungen in Frage gestellt, die es nötig machen, nach neuen Analysekategorien zu suchen und nicht mehr alles, oder fast alles, auf den Staat zurückzuführen.
Inwieweit haben Imperien – im weitesten Sinne des Wortes – zur Ordnung Europas beigetragen? Und inwieweit haben imperiale Strukturen zu katastrophalen Verwerfungen geführt, wenn man an zwei Weltkriege mit einem Blutzoll von wohl über 50 Millionen Toten (Asien nicht mitgezählt), an immer neue gewalttätige Konflikte zwischen ethnischen Gruppen und an Kriege in Osteuropa, Irland und auf dem Balkan im Gefolge ihres Zerfalls denkt? (Nicht einbeziehen wollen wir hier die Kriege außerhalb Europas, in Nahost, Südostasien, Afrika usw.)