Nationalsozialismus
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Version 2.0: In der römischen Republik bezeichnete die Diktatur (lat. dictatura) eine Institution des Staatsrechts: Der Senat verlieh einem Diktator in Zeiten des Notstands temporär außerordentliche Autorität, um die staatliche Ordnung zu verteidigen und wiederherzustellen. Diese klassische Bedeutung wurde im 20. Jahrhundert vielfach überformt; Diktatur wurde zu einem schillernden Begriff, dessen semantisches Feld sowohl positive Erwartungen als auch moralische Verdammung umfassen konnte.
(Version 1.0, siehe auch Version 2.0) Der Begriff Diktatur stammt aus dem römischen Staatsrecht, wo er die temporäre Herrschaft eines Diktators bezeichnete, der zur Verteidigung der Republik über dem Gesetz stand. Diese klassische Bedeutung wurde im 20. Jahrhundert vielfach überformt; der moderne Diktaturbegriff entstand als Eigen- und Fremdbezeichnung für die kommunistische, faschistische und nationalsozialistische Herrschaft. Der Artikel unseres Autoren Jan C. Behrends rekonstruiert die Geschichte des Begriffs im 20. Jahrhundert mit einem Schwerpunkt auf den russischen und deutschen Fall und blickt abschließend auf die zeithistorische Forschung der Gegenwart.
In seiner Antrittsrede am 12. September 1949 im Bundestag sagte der gerade gewählte erste Präsident der Bundesrepublik Deutschland, es sei eine „Gnade des Schicksals“ beim einzelnen Menschen, daß er vergessen könne, und auch für Völker gelte dies, aber seine Sorge sei, „daß manche Leute in Deutschland mit dieser Gnade Mißbrauch treiben und zu rasch vergessen“ wollten. Theodor Heuss mahnte daran anschließend, man müsse - ohne Rachebedürfnisse und Haß - das Gefühl dafür behalten, „was uns dorthin geführt hat, wo wir heute sind“. Aus der Verwirrung der Seelen im Volk müsse nun eine Einheit geschaffen werden: „Aber wir dürfen es uns nicht so leicht machen, nun das vergessen zu haben, was die Hitlerzeit uns gebracht hat.“ Mit der Sorge um Berlin und dem Bekenntnis, stellvertretend für die deutschen Brüder zu handeln, ging es weiter. Die Rede des Bundespräsidenten, der als entschiedener Hitlergegner das Dritte Reich in der inneren Emigration verbracht hatte, war symptomatisch für die Adenauer-Zeit. Man war stillschweigend einig in der Verurteilung des NS-Regimes und verwendete alle Kraft auf den Wiederaufbau des zertrümmerten Vaterlands, bzw. seines westlichen Teils, und dessen Integration in die westliche Völkergemeinschaft unter dem Schutz der Vereinigten Staaten von Amerika.
Sprachkritik und Autobiographie. Über Victor Klemperers »LTI. Notizbuch eines Philologen« (1947)
(2024)
Victor Klemperers Schrift »LTI. Notizbuch eines Philologen« wurde bereits in der Erstauflage zu 10.000 Exemplaren gedruckt, aber sie wurde nicht gleich zu dem Erfolg, den sich ihr Autor erhofft hatte. An Silvester 1947, nachdem ihm der Verlag das Geschenk eines eigens für ihn gebundenen Exemplars des ansonsten kartonierten Werks zugeschickt hatte, notierte er bedrückt in sein Tagebuch: »In diesem schönen Band […] tritt die Jämmerlichkeit des Papiers u. des Druckes noch krasser hervor. Im übrigen ist es ganz still von der LTI. Wo sind die 10.000 Exemplare? In keiner Buchhandlung, in keiner Redaktion. Keine Zeitung hat davon Notiz genommen.« Heute ist diese früh geäußerte Enttäuschung zu einer Fußnote geworden, denn das Buch gehört längst zu den Klassikern der Sprachkritik, liegt in sechsstelliger Auflagenhöhe und in vielen Übersetzungen vor. Das Nachdenken über die linguistische Korruption der modernen öffentlich-politischen Rede wurde durch wenige Werke so sehr angeregt wie durch dieses. LTI wurde dabei einerseits als »bedeutendes zeithistorisches Dokument« für die Ära des »Dritten Reiches« betrachtet, andererseits als »Wissensspeicher« für die Analyse der Funktionsweise einer Diktatur im Allgemeinen interpretiert. Beide Lesarten finden im Buch ihre Belege. Der ironische Latinismus »LTI« (für »Lingua Tertii Imperii«, »Sprache des Dritten Reiches«) war Kommentar und Deckkürzel zugleich; er persiflierte die nazistische Sucht nach Abkürzungen; und er war auch die »Geheimformel« (S. 20) in Klemperers Tagebuch der Jahre 1933–1945, mit der er seine Sprachbeobachtungen markierte. Ob nun mit dem Akzent auf die Zeugenschaft des Autors oder mit dem Blick auf die analytischen Angebote des Buches: Es ist in keiner dieser Perspektiven eine vergessene Schrift, sondern ein kanonisch gewordenes Werk, das im doppelten Wortsinne Geschichte geschrieben hat.
In den ersten Wochen der Kanzlerschaft Hitlers begann der Dresdner Romanist Victor Klemperer in seinem Tagebuch öffentliche Sprachereignisse und eigene Spracherlebnisse festzuhalten, die anzeigen, wie schnell und konsequent sich die Nazifizierung der deutschen Gesellschaft vollzog. Radikal erfolgte die sprachliche »Annullierung einer Welt«, deren Grundbegriffe kurz zuvor noch Geltung gehabt hatten. Der aus seinem Amt verjagte Gelehrte hielt beinahe täglich Beobachtungen über die Art und Weise fest, wie die staatliche Propaganda den Alltag durchsetzte: In allen Schichten und Lebensbereichen sprachen die Menschen nun »nazistisch«, grüßten anders, unterhielten sich anders, schimpften anders – und schrieben auch eine andere Wissenschaftsprosa, wie Klemperer teils ungläubig, teils verzweifelt an den Veröffentlichungen in seinem Fach konstatieren musste. Seine Notizen zur »LTI« (»Lingua Tertii Imperii«, »Sprache des Dritten Reiches«) führte er bis Mai 1945 fort (und später auch darüber hinaus). In einem Eintrag vom April 1937 hielt Klemperer das methodologische Credo der von ihm geplanten Sprachstudie fest, wenn er mit Blick auf den öffentlich zelebrierten Bekenntnisrausch der NS-Paraden, der Parteifahnen, Lieder und Schlagworte, das lateinische Sprichwort über Wein und Wahrheit zum Motto seiner Sprachkritik abwandelte: »In lingua veritas«. Diese Sentenz bündelte die Überzeugung Klemperers, der seine Sprachbeobachtungen zeitgleich auch in einem Brief an seinen Schwager Martin Sußmann erläuterte, der sich mit seiner Familie ins schwedische Exil retten konnte: »Die Arbeit bekommt eine psychologische und eine damit zusammenhängende historische Seite. […] Es ist nämlich nur zum kleiner[e]n und oberflächlichen Teile wahr, dass die Sprache dem Menschen zum Verbergen seiner Gedanken gegeben ist, vielmehr: sie verrät ihn.«
Die Gedenkstätte Theresienstadt wurde im Jahre 1947 als eine Einrichtung gegründet, die die Erinnerung an die Opfer der politischen Verfolgung der Gegner des Nationalsozialismus, des Genozids an den Juden und die Vernichtung von Häftlingen durch Sklavenarbeit bewahren sollte. Es ist notwendig darauf hinzuweisen, daß während des Krieges in Theresienstadt und seiner näheren Umgebung auf relativ kleinem Raum die drei größten Verfolgungsinstitutionen auf dem Gebiet der tschechischen Länder entstanden - das Gestapogefängnis in der Kleinen Festung, das Ghetto in Theresienstadt und das Konzentrationslager in Litomence, welches sich unweit der unterirdischen Fabrik mit den Tamnamen „Richard I“ und „Richard II“ befand. Als Standort für die Gedenkstätte wählte man die Kleine Festung, um diesen abgegrenzten Ort, an dem tausende Menschen gefangen waren, in seiner ursprünglichen Gestalt zu erhalten.
Die Pyrenäen bilden eine natürliche Grenze zwischen Frankreich und Spanien, zwischen dem europäischen Hauptland und der iberischen Halbinsel. Dort, wo sie nicht in den Himmel ragen, in ihren Tälern und auf ihren Passhöhen sowie an den Meeren, waren die Pyrenäen auch stets eine tierra de paso, eine Transitzone. An ihren östlichen Ausläufern gibt es zwei bedeutende Übergänge. Einer liegt im sanften, flachen Tal von La Jonquera und quert die Landesgrenze bei Le Perthus. Der andere kreuzt an der Küste am Coll dels Belitres zwischen Cerbère (Frankreich) und Portbou (Spanien). Daneben und dazwischen durchziehen kleine Wege die Landschaft, offizielle und inoffizielle, Pfade für Schmuggler, Verfolgte, Fliehende. Jede Gegend und jede Route hat ihre Konjunktur. Die Hoch-Zeit dieser Transitlandschaft, als sich die europäische Kriegs- und Verfolgungsgeschichte des 20. Jahrhunderts an dieser Grenze kristallisierte, war zwischen dem Winter 1938/39, als der spanische Krieg mit dem Sieg Francisco Francos endete, und den Jahren 1940/41, bevor im Sommer 1941 die systematische Vernichtung der europäischen Juden begann.
Geographische Informationssysteme (GIS) wurden bereits seit den 1960er-Jahren mit der beginnenden Computerisierung der Geographie entwickelt. Ihr Konzept folgt der Idee, Daten bzw. Informationen in ihren Raumbezügen zu organisieren und analysierbar zu machen. Mit der Weiterentwicklung und wachsenden Leistungsfähigkeit digitaler Infrastrukturen sind inzwischen komplexe Datenmodelle, flexiblere Datenformate, neue Formen der Visualisierung sowie umfassende geostatistische Analysen möglich geworden. Zudem sind kartographische Visualisierungen nicht mehr nur statisch, sondern in einem GIS können überdies Veränderungen der Daten im Zeitverlauf dargestellt und untersucht werden. Der Einsatz von GIS ist aus Forschung, Wirtschaft, Verwaltung und medialer Kommunikation kaum noch wegzudenken. Die Produkte der Arbeit mit GIS umgeben uns vielerorts, oft ohne dass wir uns der dahinterliegenden Architekturen und Annahmen bewusst sind. Aktuelle Debatten über die Sammlung zeit- und geocodierter Daten, etwa über Mobiltelefone, um Personengruppen – Konsument*innen, Migrant*innen, Geflüchtete, Bürger*innen – retrospektiv, in Echtzeit oder mit prädiktiven Modellen auf der Grundlage biometrischer und/oder sozialer Daten zu tracken, haben mit Recht Fragen zum Datenschutz und zu ethischen Implikationen dieser Technologien aufgeworfen. Anwendungen GIS-basierter Technologien, etwa bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie, dem Tracking von Verbreitungs- und Infektionswegen, der Entwicklung von Krisenreaktionsstrategien oder der medialen Kommunikation der Situation scheinen uns zugleich die beträchtlichen Potentiale der raum-/zeitsensiblen Datenanalyse – in Echtzeit – zu vermitteln. Deutlich wird, dass die ethischen, methodischen und epistemologischen Effekte der Verbreitung digitaler Werkzeuge zur Durchdringung wachsender und zunehmend komplexer Datenbestände einer mehrdimensionalen Reflexion bedürfen, die augenblicklich nur mühsam mit der Expansion der technischen Möglichkeiten Schritt hält.
Die Erforschung des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, die bislang vor allem im Rahmen der Politikwissenschaft und der Soziologie erfolgt ist, bedarf dringend der Ergänzung durch zeithistorische Forschungsperspektiven, Fragestellungen und Methoden. In diesem Zusammenhang schlage ich einen akteursorientierten Forschungsansatz vor. Im Mittelpunkt stehen hierbei diejenigen Äußerungsformen des Komplexes „Rechtsextremismus“, in denen einzelne Personen sowie – vor allem – Parteien, Organisationen, Verbände, Vereine, Bewegungen, Netzwerke, Medien und Verlage, Freundeskreise, Klein- und Kleinstgruppen Aktivitäten entfalten. Außerdem werden die soziopolitischen Milieus in den Blick genommen, welche die Lebenswelt der sogenannten Akteur*innen und Gruppen konstituieren. Rechtsextreme Personengruppen und Organisationen handeln historisch zwar nicht im luftleeren Raum, aber sehr wohl als eigenständige Subjekte mit spezifischen Strategien, Interessen und pfadabhängig entstandenen Handlungsmustern.
Von den Nürnberger Wirtschaftsprozessen bis zu den Verhandlungen um Zwangsarbeiterentschädigungen - deutsche Konzerne haben stets versucht, das öffentliche Bild von ihrer NS-Vergangenheit selbst zu prägen. Sebastian Brünger untersucht nun erstmals die Kontinuitäten und Brüche dieser Vergangenheitsbearbeitung seit 1945. An vier Beispielen (Bayer, Deutsche Bank, Daimler und Degussa) erörtert er Strategien und Formen unternehmerischer Vergangenheitsbearbeitung und analysiert sie im Kontext von Öffentlichkeit, Politik und Wissenschaft ihrer jeweiligen Zeit.
Brünger zeigt, wie Unternehmen die Veränderungen der deutschen Geschichtskultur nachvollzogen bzw. mitbestimmten, während konkrete Rollenbilder wie etwa das vom »anständigen Kaufmann« weiter tradiert und Forschungsaufträge an Historiker zunehmend zu einem wichtigen Imagefaktor wurden. Damit erweitert Brünger den gedächtnisgeschichtlichen Blickwinkel auf die deutsche Geschichtskultur um die Dimension der Unternehmensgeschichte und begreift Unternehmen als Akteure des kulturellen Gedächtnisses.