Gesellschaftsgeschichte
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Korruption ist eine flüchtige Praxis, die sich in der Regel dem Zugriff des Historikers entzieht. Prinzipiell sind korrupte Handlungen für alle Epochen und Kulturkreise anzunehmen. Zugleich variierten ihr Stellenwert und ihre Bedeutung temporär und topographisch. Eine historische Beschäftigung mit dem Phänomen Korruption verspricht deshalb Erkenntnisse über das Selbstverständnis und die Funktionsweisen einer Gesellschaft. Die jeweilige Wahrnehmung und Praxis der Korruption muß sich dabei nicht decken. Vielmehr kann gerade eine intensive Auseinandersetzung mit Bestechungen mit einer seltenen Anwendung einhergehen und umgekehrt eine routinisierte Korruption mit ausbleibenden Debatten (...)
In modernen, auf Massenbewegungen und plebiszitärer Akklamation basierenden Diktaturen, die mit ihren spezifischen pseudodemokratischen Legitimationsstrategien die Geschichte des 20. Jahrhunderts nachhaltig geprägt haben, bildet der Elitenwechsel eine integrale Komponente des ehrgeizigen Projekts, die Gesellschaft der politischen Herrschaft der jeweiligen Machthaber zu unterwerfen. In den west- und mitteleuropäischen Staaten waren dabei die vorangegangene Demokratisierung und die Ausweitung der politischen Partizipation ebensowenig vollständig reversibel wie die - durch neue Medien, Verkehrsmittel und Übermittlungstechniken begünstigte - Zunahme der sozialen Mobilität und Kommunikation seit dem späten 19. Jahrhundert. Diktatorische Regimes zielten deshalb zugleich auf eine gesellschaftliche Mobilisierung und auf die weitgehende ideologische Durchdringung sowie politische Formierung sozialer Strukturen und Beziehungen. Ausgehend von chiliastisch-eschatologischen Befreiungsvisionen, einem hypertrophen Voluntarismus und einem nahezu grenzenlosen Idealismus, sollten nicht nur Monopolpartei, Staat und Gesellschaft miteinander verschmolzen, sondern auch die Individuen zu „neuen Menschen“ umgeformt werden.
Die große Bedeutung von Vereinen scheint außer Frage zu stehen. Sie sind Träger der gesellschaftlichen Selbstorganisation, bilden Kommunikationsräume und bündeln Interessen. Sie bieten Geselligkeit, tradieren Deutungsmuster und stiften Identität. Wie sehr die bürgerliche Vereinswelt die gesellschaftliche, politische und nationale Formierung prägte, ist für das lange 19. Jahrhundert in vielfältigen Arbeiten gewürdigt und untersucht worden (...)
Gemessen an der in den siebziger und achtziger Jahren wachsenden Zahl von Vertragsarbeitern und den sowjetischen Besatzungstruppen, die den größten Teil der ständig in der DDR anwesenden Ausländer ausmachten, waren die „Polit. Emigranten“ die kleinste Gruppe von in der DDR lebenden Fremden. Dieser in der DDR-Amtssprache auch als „PE’s“ bezeichnete Personenkreis war von anderen Migrantengruppen durch seinen besonderen Aufenthaltsstatus im SED-Staat, durch das von der offiziellen Propaganda vorgestellte politische Ansehen und seine unmittelbare Aufnahme in das Alltagsleben in der DDR deutlich abzugrenzen. Idealtypisch
sollten die „Polit. Emigranten“ in der SED-Diktatur das Bild des „guten Ausländers“, des Freiheitskämpfers bzw. Antifaschisten verkörpern, also jenes Bild des „guten Inländers“, das die SED-Führung vor allem für sich selbst in Anspruch nahm und mit dem sie ihre diktatorische Herrschaft in der DDR begründete. Diese positive und
gleichzeitig instrumentelle Darstellung der wenigen Flüchtlinge des Kalten Krieges, die Asyl in der DDR suchten und erhielten, war aber weder geeignet, den Argwohn der Bevölkerung gegenüber der herrschenden Staatspartei abzubauen, noch trug sie dazu bei, ein vorurteilsfreies Zusammenleben von Fremden und Einheimischen zu fördern. Schließlich beobachtete der zentralisierte Geheimdienstapparat der DDR, das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), die „Polit. Emigranten“ genauso mißtrauisch wie die deutsche Bevölkerung. Der Anfangsverdacht der SED galt der ausländischen Herkunft der Einen und der Sehnsucht der Anderen nach dem unerreichbaren Ausland. Anhand der für diesen Beitrag hauptsächlich benutzten Quellen aus dem Archiv der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatsicherheitsdienstes der ehemaligen DDR läßt sich klar ablesen, daß unter den Bedingungen der SED-Diktatur Toleranz gegenüber dem „Anderen“ oder „Fremden“ keine geforderte Tugend war und so nur bedingt erlernt bzw. gelebt werden konnte.
Am 19. Juli 2001 tagte im Rathaus des nordbayrischen Heroldsbach der Zweckverband zur Wasserversorgung der in der Heroldsbacher Gruppe zusammengefassten Orte. „Weitreichenster (sic) Beschluss“ sei die „Zustimmung zur Übernahme der Unterhaltskosten für die Feuerlöscheinrichtungen (Hydranten) der Kreisstraße und der Bundesstraße“ gewesen, vermerkte die Pressemitteilung. Aber zu Beginn der Sitzung habe der Verbandsrat aus Heroldsbach das Fehlen von Haushaltsunterlagen moniert und im „lebhaften Wortaustausch mit dem Vorsitzenden“ die „Seilschaft zwischen Landratsamt und Gemeinden nach DDR- Muster“ kritisiert. Man wird dieser Episode imschwer zweierlei entnehmen können: Erstens galt die Existenz von Seilschaften in der DDR als ein Faktum. Zweitens erfuhr dieses eine negative Konnotation. Nicht ganz klar ist, ob der pejorative Akzent auf „Seilschaft“ oder auf „DDR“ lag, vielleicht aber auch auf beiden. Wie dem auch sei, hier wurde auf ein Beziehungsgefüge aufmerksam gemacht, das man offenbar in verschiedenen politischen und sozialen Kontexten antreffen konnte. Wie sollte das Phänomen sonst in Heroldsbach auftauchen? Der Hinweis freilich, es handele sich um Seilschaften „nach DDR-Muster“, legte immerhin nahe, dass es auch Seilschaften anderen Musters geben dürfte. Es ist dabei nicht gleich an Strukturen zu denken, wie sie die sizilianische Mafia und ihre Nachahmer in den verschiedensten Ländern der Welt hervorgebracht haben. Aber Personenbündnisse, vielleicht sogar etwas vom Geheimnis umweht, mindestens aber als simple Kungelrunden stehen dann schon vor Augen. Die Annahme eines „DDR-Musters“ setzt jedoch voraus, dass in der DDR Seilschaften sui generis existierten. Es mag lohnend erscheinen, dieser Frage etwas genauer nachzugehen.
Sind der Rechtsextremismus und die Fremdenfeindlichkeit in den neuen Bundesländern auf historische Ursachen zurückzuführen, die in der autoritär verfaßten DDR-Gesellschaft und deren defizitärer Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit zu suchen sind? Diese Frage liegt nicht erst seit dem Sommer 2000 in der Luft, als sich die Medien mit einer wahren Sintflut an Berichten und Deutungsversuchen des Themas annahmen. Sie bescheinigten der längst verblichenen DDR erneut eine weit über ihr Ende hinausreichende gesellschaftliche Wirkungsmacht. Der folgende Beitrag beschreibt mögliche Problemfelder und Fragestellungen für einen historiographischen Forschungsansatz, der die DDR-spezifischen Wurzeln des ostdeutschen Rechtsextremismus in den Blick nimmt. Als Voraussetzung dafür werden zunächst die verschiedenen Phasen der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion über die Ursachen der rechten Gewalt in der späten DDR bzw. in den neuen Bundesländern einer kritischen Bilanz unterzogen und die mit ihnen verbundenen politischen Instrumentalisierungen des Themas aufgezeigt. Plädiert wird für einen methodischen Zugriff, der den ostdeutschen Rechtsextremismus als Ergebnis eines Transformationsprozesses begreift, in dem die spezifischen aus der Vergangenheitspolitik und Erinnerungskultur der DDR resultierenden Konditionierungen revitalisiert werden. Letztere werden anhand der Krisensymptome des DDR-Antifaschismus in den achtziger Jahren diskutiert. In den Mittelpunkt des Interesses rückt dabei insbesondere die Frage nach dem mentalen Transfers zwischen den verschiedenen Generationen der DDR-Bevölkerung vor und nach 1989.
Die von der SED-Führung unter Einfluß der sowjetischen Hegemonialmacht seit 1952 betriebene „sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft der DDR“ läßt sich nicht auf die formale „Kollektivierung“ reduzieren, auch wenn deren Wirkungsmächtigkeit bis in die heutigen Transformationsprozesse hinein nachzuweisen ist. Tempo, Ausmaß und Folgen des Übergangs zur genossenschaftlichen Produktion finden weder in der historischen Entwicklung bis 1945 noch im (etwa zeitgleich einsetzenden) agrarstrukturellen Wandel in der Bundesrepublik eine Entsprechung. Das Genossenschaftsmodell war zwar bestimmendes Merkmal (Ausnahme: Polen) der jeweiligen Agrarstruktur in den Diktaturen sowjetischen Typs, aber die agrarprogrammatischen Vorstellungen griffen weiter. Sie umfaßten nicht nur Veränderungen der Organisation der Produktion, der Eigentums- und Besitzverhältnisse sowie der Sozialstruktur. Vor dem Hintergrund der Durchsetzung und Sicherung herrschaftspolitischer Interessen der SED und des anhaltenden Modemisierungsdrucks in der Landwirtschaft der DDR zielten sie auf die Konstruktion einer neuen ländlichen Gesellschaft, die bereits mit der Bodenreform 1945 eingeleitet worden war. Die gesamte Arbeits- und Lebensweise der dörflichen Bevölkerung sollte in der Perspektive auf „sozialistische Art umgestaltet“ werden.