Fotografie
Bildredakteure
(2014)
Die Frage, wie kollektive Bildgedächtnisse entstehen, ist eng verknüpft mit der Frage nach dem ästhetischen und informativen Gehalt derjenigen Bilder, aus denen sich diese Bildgedächtnisse speisen. Häufig repräsentieren sie historisch einschneidende Ereignisse oder Momente: Dies gilt für die oben genannten Bilder ebenso wie für Robert Capas Aufnahmen vom D-Day in der Normandie, das Bild des sogenannten Tank Man in Peking 1989 oder Bilder vom Einschlag der Flugzeuge in das World Trade Center im September 2001. Andere ikonische Bilder zeigen historische Personen in einer Weise, die deren „Wesen“ besonders gut zum Ausdruck bringt (oder zu bringen scheint). Zu dieser Gruppe von Bildern zählen das millionenfach reproduzierte Porträt von Ernesto „Che“ Guevara, ein Schnappschuss von Albert Einstein mit herausgestreckter Zunge oder das Bild von Marilyn Monroe mit fliegendem Rock auf einem U-Bahnschacht. Alle diese Bilder haben ästhetische Qualitäten, die ihre massenhafte Reproduktion und die daraus resultierende Ikonisierung plausibel erscheinen lassen.
Rolf Gillhausen wird am 31. Mai 1922 in Köln geboren, absolviert nach der Schulzeit eine Schlosserlehre und beginnt ein Studium an der Kölner Ingenieur-Fachschule, um später die Maschinenfabrik eines Onkels übernehmen zu können. Doch Kriegsteilnahme und -gefangenschaft verhindern dies, und so sieht sich Rolf Gillhausen in der Nachkriegszeit nach passenden Jobs um. In Heidelberg findet er Arbeit als Organisator von Festivitäten für die U.S. Army und lernt dabei den Fotografen Fred Ihrt kennen, der ihn in die Bedienung einer auf dem Schwarzmarkt eingetauschten Leica einweist.
Das Eintauchen in die besondere Welt der „Family of Man“ beginnt für den Besucher bereits bei der Anreise: Erscheint der großformatige Hinweis am Abzweig der Schnellstraße noch als gewöhnliches Hinweisschild, führt die weitere Fahrt über immer verschlungenere Kurven schließlich zu einer Anhöhe, die einen beeindruckenden Blick über das im Tal liegende Städtchen Clervaux eröffnet. Dominant auf der gegenüberliegenden Seite erstreckt sich leicht erhöht das schneeweiße Schloss, das im Juli 2013 nach längerer Renovierung die Wiedereröffnung der permanenten Ausstellung „The Family of Man“ feierte.
Vom 24. April bis zum 1. August 2015 zeigt die Staatsbibliothek zu Berlin, unterstützt von Bertelsmann, die Ausstellung „Last Folio. Spuren jüdischen Lebens in der Slowakei“. 32 großformatige Fotografien des slowakisch-kanadischen Fotografen Yuri Dojc sind im Foyer der Staatsbibliothek in der Potsdamer Straße arrangiert. Die britische Filmemacherin Katya Krausova hat die Ausstellung kuratiert.
Ob das Foyer der geeignete Ort ist, um die Bilder in Ruhe zu betrachten und auf sich wirken zu lassen, sei dahingestellt – auf jeden Fall muss man an ihnen vorbei. Auf dem Weg zur Ausleihe nimmt man sie zunächst nur aus den Augenwinkeln wahr. Auf dem Rückweg jedoch überwiegt die Neugier. Was ist auf den Bildern eigentlich zu sehen? Verlassene Räume, Bücher, die sich auflösen – nicht alles lässt sich sofort zuordnen.
Paul Glaser (*1941) wurde in der heutigen Ukraine als Sohn eines deutschen Bauern geboren, kam nach dem Krieg nach Sachsen-Anhalt und floh 1950 mit seiner Familie in die Bundesrepublik. Nach einem abgebrochenen Philosophie-Studium im Zusammenhang mit seinem beginnenden politischen Engagement im Jahr 1967 begann er ab Mitte der 1970er-Jahre als freiberuflicher Pressefotograf mit dem Fokus auf politische Ereignisse und Parteien zu arbeiten. In den 1980er-Jahren fotografierte Glaser vornehmlich Motive gesellschaftspolitischer Konflikte in Berlin, wie Hausbesetzungen, Friedensdemonstrationen und Straßen-Krawalle. Besonders ausführlich befasste er sich bei seiner Arbeit mit Berliner Ausländern in Beruf und Alltag. In den Jahren 1989 bis 1993 arbeitete Glaser in Ostdeutschland und fotografierte Entstehendes und Verfallendes: Abrisse von Fabriken, Streiks in Urangruben, verfallene Städte sowie den Neuaufbau von Parteien, Landtagen und Betrieben.
Als Ende Mai 2013 die Proteste auf dem Taksim-Platz in Istanbul und kurz darauf in vielen Städten der Türkei entflammten, hatten die Hinter- und Beweggründe bereits eine lange Geschichte, deren Einzelheiten und Verflechtungen in der Retrospektive nur schwer zu trennen und rekapitulierbar scheinen. Zur Einordnung der Bildikone The Woman in Red (auch: lady in red oder girl in red) / Kırmızılı Kadın in die Interessenkonflikte um den Gezi-Park empfehlen sich umfassende Abhandlungen der politischen Situation in der Türkei. Die islamisch-konservative AKP (Adalet ve Kalkınma Partisi, zu Deutsch etwa: Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) um Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan ist seit 2002 ununterbrochen stärkste Partei des Parlaments. Unmittelbar vor Ausbruch der Proteste wurde bekannt, dass die Regierung mit enormen Baumaßnahmen in der Millionenmetropole Istanbul die Volkswirtschaft fördern wollte. Bauarbeiten zur unterirdischen Verkehrsführung am Taksim-Platz, ein transkontinentaler U-Bahn-Tunnel unterhalb des Bosporus und die Errichtung einer der imposantesten Moscheen der Welt hatten zu diesem Zeitpunkt bereits begonnen. Neben den Umbauarbeiten, die den zähen Straßenverkehr am zentralen Knotenpunkt Istanbuls in ein unterirdisches Tunnelsystem verlagern sollten, waren für den 28. Mai 2013 Abholzungen im Gezi-Park geplant. Die städtische Grünanlage grenzt unmittelbar an den Taksim-Platz an und sollte einem weiteren Einkaufszentrum weichen.
Harald Schmitt (*1948) ist einer der bekanntesten deutschen Fotografen des späten 20. Jahrhunderts. Nachdem er sich in den 1970er-Jahren vor allem für die Fotoagentur Sven Simon betätigte, war er seit 1977 festangestellter Fotoreporter des Magazins „stern“, für das er bis 1983 in der DDR arbeitete. Danach fotografierte er weltweit für „stern“-Fotoreportagen. Während seiner Laufbahn erhielt er sechs „World Press Photo Awards“.
In einem Interview mit zwei Studierenden des Public History-Masters der Freien Universität Berlin am 27. Mai 2014 sprach Harald Schmitt über seine Zeit in Ost-Berlin, seine prägendsten Erlebnisse und den Wandel der Fotografie.
Als der Verfasser dieses Textes 2009 seine Dissertation abschloss, lagen insgesamt 49 World Press Photos of the Year vor. Seit 1955 waren sie durch eine in den Niederlanden ansässige Stiftung mit unablässigem Einsatz aus der immer größer werdenden Flut von Einsendungen herausdestilliert worden. Dass 2014 mehr als 5000 professionelle Fotografen rund 100.000 Fotos zur Begutachtung einsandten, illustriert den enormen Stellenwert dieses eigentlich impertinenten Preises. Steht es einem Foto tatsächlich zu, das Pressefoto des Jahres zu sein? Kann es in seiner endlichen Anzahl von Bildelementen die theoretisch unendliche Komplexität eines Jahres dahingehend verdichten, einen absoluten Bezugspunkt in der retrospektiven Betrachtung seiner Zeit zu verankern? Und lassen sich darüber hinaus überhaupt nachvollziehbare Maßstäbe für die Wahl eines Pressefotos des Jahres formulieren, die sich zumindest nachträglich aus der Analyse des Materials ableiten lassen?
Brasilien weist eine lange und vielfältige fotografische Geschichte auf. Bereits in den 1840er-Jahren wurden die ersten Fotostudios in den großen Küstenstädten eröffnet. Die Fotografen waren häufig europäische Immigranten, die vorzugsweise in Recife, Salvador und Rio de Janeiro erfolgreiche Studios führten.[1] In der besonderen gesellschaftlichen und politischen Situation im Brasilien des 19. Jahrhunderts, die durch eine rasante Technisierung und Modernisierung nach europäischem Vorbild geprägt war, erfüllte die Fotografie spezifische Aufgaben. Sie diente der Strukturierung von Wahrnehmung und der Repräsentation einer gesellschaftlichen Realität, die von tiefgreifenden sozialen Umbrüchen gezeichnet war. Eine besondere Rolle spielte dabei die Porträtfotografie, die eines der wichtigsten Betätigungsfelder der frühen Fotografen war. Zu ihrer Klientel gehörten die ökonomischen Eliten sowie die neu aufstrebende Mittelschicht, der ebenfalls viele europäische Immigranten angehörten. Sie teilten demnach weitgehend den Habitus der Fotografen, die mit der fotografischen Technik auch die europäischen fotografischen Bildtraditionen mit nach Brasilien brachten. Vor allem für diese neue bürgerliche Mittelschicht waren die fotografischen Porträts ein geeignetes Mittel zur Selbstvergewisserung und Kommunikation ihres neuen sozialen Status, den sie in ihren Herkunftsländern oft nicht innehatten.
Wir wissen nicht viel über Richard Wagner und seine Frau Anna – nur, dass er Bahnangestellter war und begeisterter Hobbyfotograf. Alles andere können wir vermuten und durch unser Vorwissen ableiten. Im Jahre 1900 begann das Ehepaar Wagner vor Weihnachtsbaum und Geschenken per Selbstauslöser Fotos von sich zu schießen. Der gekonnt in Szene gesetzte Gabentisch sollte zu einer 44-jährigen Tradition werden.
Birgit Jochens präsentiert als – Herausgeberin – in ihrem Buch „Deutsche Weihnacht. Ein Familienalbum 1900-1945“ die Fotografien von Anna und Richard Wagner. Die Bilder lassen Rückschlüsse auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Begebenheiten des jeweiligen Jahres zu. Zusammen mit zeitgenössischen Zeitungszitaten verbindet Jochens die Bildbeweise und schriftlichen Quellen, um diese in einen größeren Zusammenhang zu bringen.