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Wenn es darum geht, die moderne Gesellschaft gegenüber anderen abzugrenzen, ist die Frage des Umgangs mit Gewalt von zentraler Bedeutung. Denn der Moderne wird gemeinhin zugeschrieben, die Gewalt in den Griff bekommen zu haben: Die Würde und Freiheit des Einzelnen gelten ihr als universelle Prinzipien, die nicht nur philosophisch diskutiert, sondern auch in Verfassungen und Gesetzen kodifiziert worden sind und sich damit zu Grundprinzipien der Organisation von Gemeinwesen entwickelt haben. Daher gebe es in modernen Gesellschaften deutlich weniger Gewalt als in früheren und als in zeitgenössischen Gesellschaften, die (noch) nicht in der Moderne angekommen seien. Historische Untersuchungen scheinen dieses Argument zu belegen.01 Die Moderne hat – so scheint es – der Gewalt also in doppeltem Sinne den Rücken gekehrt: Sie ist gewaltavers in ihren ethischen Prinzipien und gewaltarm in ihren ihren alltäglichen Lebensrealitäten.
Das Journal of Refugee Studies (JRS) ist die wichtigste internationale Fachzeitschrift im Bereich der Flüchtlingsforschung. Seine Gründung im Jahr 1988 trug maßgeblich zur Konsolidierung der Flüchtlingsforschung als eigenständiges Forschungsfeld bei. In diesem Aufsatz reflektiere ich die 29jährige Geschichte des JRS. Ich interessiere mich insbesondere für den Anspruch des JRS, fächerübergreifend zu sein, für seine Reputation als Forum für politikrelevante, angewandte Forschung und für die Rolle, die Flüchtlingen in der Zeitschrift eingeräumt wurde. Ausgehend von der Überlegung, dass heute im JRS in erster Linie über Flüchtlinge geschrieben wird, schlage ich vor, ein Experiment aus den Anfangsjahren des JRS zu wiederholen und Flüchtlinge (wieder) selbst zu Wort kommen zu lassen. Ausgehend von meiner Lektüre der letzten 29 Jahrgänge des JRS gebe ich der Hoffnung Ausdruck, dass in einer neugegründeten Fachzeitschrift wie der Z’Flucht theoretisch ambitionierten Aufsätzen, deren Erkenntnisse auf einer breiten empirischen Basis beruhen, gebührend Platz eingeräumt wird, und dass AutorInnen zu einer rigoros selbstkritischen Herangehensweise an ihre Themen ermutigt werden.
Die Vorstellung, das Konzentrationslager sei eine das Dritte Reich definierende Institution gewesen, ist zu einem Gemeinplatz über die 1930er Jahre geworden. Dies gilt ebenso für die Annahme, dass die deutschen Lager brutalere Instrumente waren, um Geist und Körper ihrer menschlichen Fracht zu brechen, als jede andere Form der Internierung. 1940 veröffentlichte der ungarische Autor und Journalist Arthur Koestler einen Bericht über seine Erfahrungen als Kommunist und Jude in Le Vernet, einem französischen Konzentrationslager für feindliche Ausländer. Zu seinem Glück wurde Koestler aus dem nahe der spanischen Grenze gelegenen Lager entlassen, bevor die Deutschen eintrafen.
Der vergessene »Brotkasten«. Neue Forschungen zur Sozial- und Kulturgeschichte des Heimcomputers
(2019)
Kaum eine Technologie prägt unseren Alltag so sehr wie der Mikrocomputer. Die Historisierung dieses technischen Mediums, der Umstände und Folgen seiner sozialen Implementierung sowie seiner Nutzungsarten ist überfällig. Der Computer in Privatbesitz ist fester Teil nicht nur unserer Gegenwart, sondern auch jener Epochen, die schon längst »historisch« geworden sind und deren Analyse zum Standardrepertoire der Zeitgeschichte gehört. Es ist schon über 40 Jahre her, dass in den USA in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre Computerbausätze für Bastler kursierten, darunter der erste Computer aus dem Hause Apple, und bald darauf auch die ersten Fertiggeräte fürs Zuhause. In der ersten Hälfte der 1980er-Jahre, während der letzten Eskalationsetappe des Kalten Kriegs, lagen erschwingliche Heimcomputer unter Hunderttausenden von westeuropäischen Weihnachtsbäumen und prägten das Leben zahlloser Jugendlicher. Auch im Ostblock waren Heimcomputer schon Jahre vor dessen Zusammenbruch präsent. Kurzum: Der Computer als technisches Medium, als Konsumgut und als Alltagsobjekt prägte bereits jene Epochen, bei denen ein Konsens darüber herrscht, dass sie ein legitimer Gegenstand der historischen Forschung sind.
Die Digitalgeschichte ist in der deutschen Geschichtswissenschaft angekommen. Unter Digitalgeschichte verstehen wir eine neue historische Perspektive auf die fundamentale Umwälzung klassischer historischer Kategorien wie beispielsweise Raum, Zeit, Identität, Arbeit oder Nationalstaat seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch Informations- und Kommunikationstechnologien. Digitalgeschichte beschränkt sich nicht nur auf die Computergeschichte als Geschichte eines spezifischen Artefaktes, sondern umfasst alle auf binärdigitaler Codierung basierenden, elektronischen Technologien, beispielsweise auch Kommunikationsnetzwerke oder Mensch-Maschine-Hybride. Sie ist das deutsche Pendant zur englischen history of computing, hingegen mit dezidiertem Schwerpunkt auf die Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg bis in die Gegenwart.
Vertreibung, Flucht und Wanderungsbewegungen sind Phänomene, die es wohl zu allen Zeiten gegeben hat. Vor dem Beginn der Ära der Nationalstaaten wurden Flüchtlinge und Einwander*innen nicht selten als Bereicherung empfunden, da sie Informationen über andere Länder und Kulturen, Sitten und Gebräuche mitbrachten. Im Mittelalter war in Europa eine universalistische Philosophie vorherrschend, die Flüchtlingen im Allgemeinen positiv gegenüberstand. Die Vereinigten Staaten von Amerika wurden im späten 18. Jahrhundert bekanntlich auch von Flüchtlingen gegründet, die Europa verlassen hatten, weil sie hier kein Recht auf Religionsfreiheit gefunden hatten oder in anderer Hinsicht unterdrückt worden waren.
Ist eine Geschichte ohne Dinge vorstellbar? Wohl kaum, denn auch der reine Gedanke benötigt Dinge, will er auf Dauer festgehalten werden. Ist eine Geschichtsschreibung ohne Dinge vorstellbar? Sehr wohl, wenn wir die in Bibliotheken und auf Festplatten angesammelte Geschichtsschreibung Revue passieren lassen. Dieses Dilemma der Diskrepanz zwischen der realen Welt, ihrer Wahrnehmung und der intellektuellen Reflexion betrifft zwar nicht allein die dingliche Dimension historischer Lebenswelten, doch stellt sich die Frage nach der Einbeziehung der materiellen Kultur in die historische Forschung aus mehreren Gründen besonders deutlich.
Wenn man sich die Mühe macht und die empirischen Studien zum Geschichtsbewusstsein und zum Geschichtsinteresse von Jugendlichen betrachtet, so gilt für die Einstellung der Schülerinnen und Schüler zum Fach Geschichte noch heute die Einschätzung Klaus Bergmanns, der bereits 1976 pointiert formuliert hatte: „Nach allen empirischen Befunden ist Geschichte für die meisten Schüler langweilig, uninteressant, überflüssig – ein ungeliebtes Schulfach.“ Auch Annette Kuhn fragte zeitgleich in einem programmatischen Aufsatz „Wozu Geschichtsunterricht?“, ob es überhaupt möglich sei, einen Geschichtsunterricht im Interesse der Schüler zu halten. In seinem breit rezipierten Aufsatz über „Begriff und Funktion der Zeitgeschichte“ hat der Autor Eberhard Jäckel bereits 1975 eine heute empirisch nachweisbare Einschätzung abgegeben, mit der er ansatzweise versucht hatte, Antwort auf die Frage zu geben: „Was denn soll jemanden, der Interesse an Geschichte hat, mehr interessieren als die Geschichte seiner Zeit?“ Die empirischen Studien bestätigen diese Aussage. Gerade für die „Periode von 1945 bis heute“ nimmt das Interesse der Jugendlichen an den zeitgeschichtlichen Inhalten deutlich zu. Auch der seit Jahren anhaltende „Geschichtsboom“, die Zuschauerzahlen historischer Spielfime mit zeitgeschichtlicher Thematik wie der „Untergang“, „Hitler – Aufstieg des Bösen“, „Stauffenberg“, das stetig wachsende Interesse an den Knoppschen Dokutainments im Fernsehen und die breite Rezeption zeitgeschichtlicher Kontroversen in der Publizistik scheinen diesen Befund zu stützen.
Im 20. Jahrhundert, dem bisweilen so genannten »Jahrhundert der Gewalt«, ist auch die Wahrnehmung von Gewalt in ihren höchst unterschiedlichen Erscheinungsformen, mithin die Sensibilität für diese Vielfältigkeit, gewachsen. So haben wir gelernt und sind noch dabei zu lernen, Gewalt gerade auch inmitten unserer eigenen sozialen Mitwelt und Umwelt zu sehen und nicht mehr nur in der »Vorwelt« vergangener Zeiten, der Welt anonymer Nebenmenschen und entfernter Fremder, oder schließlich in der antizipierten »Nachwelt« kommender Tage. So gut wie jeder Ort erweist sich, sobald Tabus ausgeräumt sind, kulturelle Semantiken und eine gesteigerte Empfindsamkeit die Wahrnehmungsfähigkeit der einzelnen schärfen, als ein Raum, in den Gewalt einziehen und herrschen kann. Unterschiedlich strukturierte soziale Beziehungen oder Gegensätze - etwa zwischen Ehepaaren, zwischen Erwachsenen und Kindern, zwischen den Geschlechtern, zwischen Hetero- und Homosexuellen, Majoritäten und Minoritäten aller Art, zwischen Zugehörigen und Ekludierten, Etablierten und Außenseitern etc. - werden unter dem Gesichtspunkt gewalttätiger Phänomene, Interaktionen oder Strukturen auf den Prüfstand gelegt, so daß die Topographie der Gewalt erweitert und umstruktunert wird und immer weitere geographisch lokalisierbare Orte und Einrichtungen oder spezielle Lebens- und Handlungsbereiche als Schauplätze der Gewalt in Frage kommen.
Vorbei sind die Zeiten, als man sich mit Bemerkungen, daß die meisten Kontroversen über Gewalt aus einem »poor use of words« (Chesnais) resultierten, automatisch auf der »sicheren« Seite wähnen konnte, wenn man nur genügend differenzierte. Vorbei sind auch die Zeiten, in denen Gewalt als ein nichtssagendes Modewort bezeichnet werden konnte, weil »jeder über Gewalt redet, und keiner wirklich darüber nachdenkt« (Hobsbawm). Das Thema Gewalt ist in aller Munde, auch wenn damit je nach politischem, ideologischem oder sozialem Standpunkt höchst unterschiedliche Sachverhalte assoziiert werden. Entsprechend begegnet uns Gewalt in einer Vielzahl von begrifflichen Differenzierungen (direkte und indirekte Gewalt; personale, strukturelle, kulturelle und symbolische Gewalt; psychische Gewalt; progressive und reaktionäre Gewalt; instrumentelle und expressive Gewalt, staatliche Gewalt; legale und illegale Gewalt; legitime und illegitime Gewalt; verdeckte und offene Gewalt – die Liste ließe sich leicht fortführen), in vielen Arten und Formen [...], im privaten Alltag und in der offiziellen Politik, in Strukturen und Sprache eingelagert. Gewalt ist allgegenwärtig, vergeht doch kein Tag, an dem nicht Medien und Presse über die neuesten Gewalttaten und Greuel berichten.
Globale Daten in lokalen Speichern. Ethnographische infrastrukturelle Zugänge zum World Wide Web
(2015)
Wie in anderen Kultur- und Sozialwissenschaften so ist auch in der Europäischen Ethnologie das Interesse an den materiellen Dimensionen des sozialen und kulturellen Lebens im letzten Jahrzehnt gestiegen. So wurde zum einen im Sinne der bereits vor Jahren im Fach angestoßenen Diskussion die Betrachtung von Dingen als bloßen Repräsentationen und Symbolen gesellschaftlicher Prozesse und Phänomene als unzureichend kritisiert und die Eigenständigkeit von materiellen Objekten sowie die wissens- und realitätsstiftenden Funktionen ihrer Materialität hervorgehoben. Zum anderen erstarkte in der Fachdiskussion das Bewusstsein, dass die Betrachtung von einzelnen Dingen in lokalen Kontexten nicht immer ausreicht, um soziokulturelle Prozesse in der globalisierten Welt zu verstehen und ethnographisch zu greifen. Diese verengte Perspektive muss durch ein breiteres, relationales Verständnis von Materialität und um die Untersuchung komplexer, grenzüberschreitender sozio-materieller Konstellationen ergänzt werden.
Wann ein Mensch als Flüchtling gilt, hängt maßgeblich von der juristischen Einordung des Aufnahmestaates ab. Wird vom Aufnahmestaat anerkannt, dass es sich um eine erzwungene Flucht handelt, beispielsweise durch Krieg oder Verfolgung, besitzt der Geflüchtete Anspruch auf Asyl. Wird dagegen festgestellt, dass ein mehr oder weniger freiwilliger Migrationsgrund vorliegt, besitzt der Staat das Recht auf Abweisung. Diese Unterscheidung ist höchst problematisch, da die Aufnahmestaaten politisch entscheiden, welcher Rechtsstatus an welche Person vergeben wird (Benhabib 2009; Krause 2016).
When does stress – understood as a bodily and psychological condition connected to rapid social change and the pressure to perform – become a social concern? Previous historical research has situated the topic exclusively in the West: stress as a characteristic condition of what is understood to be Western capitalism. Using the examples of the state socialist GDR and Czechoslovakia in the 1960s – 1980s, this contribution demonstrates how stress became a broad social concern in a non-liberal, noncapitalist context. It thereby challenges the notion that stress is a Western phenomenon, proposing instead to see it in the context of developed and “multiple” modernities.
Jenseits des Integrationsparadigmas? Aktuelle Konzepte und Ansätze in der Migrationsforschung
(2018)
Nicht erst seit dem »langen Sommer der Migration« 2015 spielen Flucht und Zuwanderung in Politik und Wissenschaft eine zentrale Rolle. Der Migrations-
forschung kommt dabei die Aufgabe zu, das über Migration zirkulierende Wissen – zu dem sie maßgeblich beiträgt – kritisch zu reflektieren. Wie auch in anderen Ländern zeichnete sich die Migrationsforschung in der Bundesrepublik lange Zeit durch ihre starke Policy-Nähe aus. Sie hat sich in der Bundesrepublik seit den frühen 1970er-Jahren dem »Ausländerproblem« zugewendet beziehungsweise es als solches mit konstituiert, und zwar in den Parametern der Politik, des Arbeits- und Wohnungsmarkts und sukzessive weiterer gesellschaftlicher Teilbereiche. Einflussreiche Migrationsforscherinnen und -forscher wie der Soziologe Hartmut Esser fungierten als »Berater und Stichwortgeber der Politik« und lieferten anwendungsorientiertes Wissen für die staatliche Steuerung und Regulierung von Migration. In diesem Sinne ist Michael Bommes und Dietrich Thränhardt zuzustimmen, wenn sie Migrationsforschung als »rather a part of the complex of problems that it claims to describe and explain« beschreiben. Die neueren Debatten über Migration in den Geschichts-, Sozial- und Kulturwissenschaften zielen daher verstärkt auf eine kritische Reflexion des gegenwärtigen Verständnisses von und des Umgangs mit Migration ab und beziehen auch die eigene Wissensproduktion in diese Reflexion ein.
Nach zwei großen Konjunkturen von den 1920er bis in die 1940er Jahre und von den 1960er bis in die 1970er Jahre war in den 1980er Jahren ein Niedergang der vergleichenden Faschismusforschung zu verzeichnen. Hans-Gerd Jaschke sprach für diese Zeit sogar von einem »theorielosen Empirismus« und einem Abrutschen in »marginale Fragestellungen« der Faschismusforschung. Die alten Bekannten aus den 960er und 1970er Jahren, wie etwa George L. Mosse, Stanley Payne, Wolfgang Schieder und später auch Wolfgang Wippermann, publizierten zwar nach wie vor wichtige Aufsätze und anregende Monographien und Sammelbände, aber die vergleichende Faschismusforschung hatte an Ausstrahlkraft verloren. Nicht unwesentlich hatten die Probleme der tradierten Faschismusforschung der 1970er Jahre zum Erliegen der Faschismusrezeption und -forschung geführt.
Es Ist ein fragend-tastendes sich Annähern an eine historiografische Perspektivumkehr, wie sie aus den zitierten Zeilen von Tony Bennett und Patrick Joyce spricht. Beide haben mit „Material Powers" einen der Bände herausgegeben, die hier zur Diskussion stehen. Für manche Historikerinnen und Historiker mag der,material turn1 eine „Provokation“ bedeuten (so der Untertitel einer Sektion zu Geschichte und Materialität auf dem Historikertag 2012 in Mainz). Doch beweist die gegenwärtige (Wieder-)Annäherung unterschiedlicher kultur- und gesellschaftswissenschaftlicher Disziplinen an die Dimension Materialität, dass Jahrzehnte einer perspektivischen Ent-Materialisierung als Defizit wahrgenommen werden - der Archäologe Bjornar Olsen spricht von einer „kollektiven Amnesie“ der Kultur- und Gesellschaftswissenschaften gegenüber dem Materiellen.
Der Titel legt nahe, es ginge im Folgenden darum, zukünftige theoretische oder empirische Forschungsthemen zu identifizieren, die bislang entweder kaum bearbeitet wurden oder deren weitere Bearbeitung zusätzliche Erkenntnisgewinne verspricht. Zwar wird auch davon noch die Rede sein, aber in erster Linie verfolge ich die Absicht, eine kritische Bestandsaufnahme der derzeitigen sozialwissenschaftlichen Gewaltforschung vorzunehmen, indem ich frage, welche Ansätze sich schon in der Vergangenheit als problematisch erwiesen haben und von welchen somit wohl auch in Zukunft kaum Neues zu erwarten sein dürfte. Mein Text ist thesenartig gehalten und gliedert sich in mehrere Teile: Im ersten Teil zeichne ich einleitend die Frontlinien in der vor etwa 20 Jahren aufgebrochenen und mittlerweile gut bekannten Auseinandersetzung zwischen den sogenannten »Mainstreamern« und den sogenannten »Innovateuren« der Gewaltforschung nach, bevor ich zu diesem ganzen Komplex einige wissenschaftstheoretische Anmerkungen mache, mit denen ich dann zu den Themen des zweiten Teils überleite. In diesem zweiten Teil liegt der Schwerpunkt auf Theorieangeboten, die im Kontext der Gewaltforschung derzeit gemacht werden: Aufgrund einer Reihe aktueller Publikationen zu »Gewalträumen« gehe ich zunächst vergleichsweise ausführlich und kritisch auf diese Problematik ein, bevor ich mich anschließend den organisationssoziologischen Herangehensweisen an das Gewaltthema widme. Im letzten Teil lasse ich mich zunächst von der Beobachtung einer allzu häufigen und leichtfertigen Rede von »Eigendynamiken« und »Prozessen« in der Gewaltforschung irritieren, um schließlich am Ende meiner Ausführungen einige Linien für zukünftige Arbeiten zu skizzieren.
Im September 2004 gab es in Oxford bereits die fünfte «Global Conference Cultures of Violence». Und an deutschsprachigen Pendants herrscht kein Mangel – zuletzt etwa die Tagung zur Repräsentation von «Gewalt und Moral» an der Universität Basel, Juli 2006, die Sektion über Gewaltbil der auf dem Deutschen Historikertag, die Tagung «Blutige Worte: Sprache und Gewalt» im September 2006 an der FU Berlin, und noch einmal «Gewalt durch Sprache», ebenfalls in Berlin, Anfang November 2006. Das ist eine ganze Menge Gewalt. Ich habe selbst über Gewaltdarstellungen gearbeitet und fleißig Tagungsvorträge darüber gehalten. Aber ich habe allmählich leise Zweifel, ob das alles so richtig läuft mit der Gewalt in den Kulturwissenschaften. Und davon handelt dieser Versuch.
Es liegt gleichsam auf der Hand, dass Sicherheit immer auch eine räumliche Dimension aufweist – „Territorialisierungsdynamiken“, so stellte der Historiker Eckart Conze fest, „sind über weite Strecken Sicherheitsdynamiken.“ Schon der Geograph Robert Sack fasste Territorialität als ein Bestreben von Individuen oder Gruppen, im Raum auf Personen, Phänomene und Beziehungen ordnend einzuwirken. Durch die Begrenzung eines geographischen Gebiets werde versucht, eine regulative Kontrolle durchzusetzen. Umso mehr erstaunt daher, wie wenig dieser offensichtliche Wechselbezug zwischen Räumlichkeit und Sicherheit in der Theoriediskussion bislang reflektiert worden ist. Dieser Beitrag möchte aus historischer Perspektive einzelne Ansätze systematisch aufeinander beziehen. Er wird zunächst einen kurzen Überblick über die fragmentierte Theorielandschaft geben, um dann am Beispiel zentraler interdisziplinärer Forschungsfelder neue Perspektiven für einen integrierten Gesamtansatz zu erschließen.