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Es gibt keinen Krieg ohne Heldengeschichten. Gegenwärtige Forschungen zum NS-Heldenkult knüpfen an diesen Gedanken unmittelbar an, vertreten jedoch zwei sehr unterschiedliche Ansichten, ohne dass dies eine Forschungsdebatte ausgelöst hätte: Auf der einen Seite steht die Vermutung, erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, und somit nachdem der soldatische Heldenkult mit den Verbrechen der Nazis in Verbindung gebracht werden konnte, sei Abstand genommen worden von heroisierenden Kriegserzählungen. Auf der anderen Seite steht der Befund, schon während des Zweiten Weltkriegs und vor allem mit der Niederlage der 6. Armee in Stalingrad 1943 sei die Heroisierung der Wehrmacht unglaubhaft geworden. Mein Dissertationsprojekt überprüft diese These in Bezug auf die Wehrmachtssoldaten durch die Analyse der in illustrierten Zeitschriften veröffentlichten Bilder, die von Fotografen der NS-Propagandakompanien aufgenommen wurden und damit der Zensur des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda und des Oberkommandos der Wehrmacht unterstanden.
Vor etwas mehr als zehn Jahren schlug der Atmosphärenchemiker und Nobelpreisträger Paul Crutzen vor, eine neue geologische Epoche zu taufen, die mit der Industrialisierung in England und im übrigen Europa begonnen habe: das Anthropozän. Die Bezeichnung unterstreicht, dass menschliche Aktivitäten immer größere Spuren in allen Teilsystemen des Erdsystems hinterlassen, seitdem sie sich mit der Kraft fossiler Brennstoffe entfalten. Der geologische Epochenschnitt koinzidiert mit einer Zäsur in der Gesellschaftsgeschichte, die in der Geschichtswissenschaft seit langem allgemein akzeptiert ist: die industrielle Transformation. Die daraus folgende Parallelisierung von Menschen- und Erdgeschichte kann nicht zufällig sein. Aber bisher ist unklar, in welcher Verbindung ihre Narrative stehen und welche Implikationen das für die Geschichtsschreibung hat. Das folgende Plädoyer für eine Klimageschichte des 19. und 20. Jahrhunderts zielt auf diesen Nerv.
Herrschaft und Macht
(2021)
In ihrem Artikel geben Andrea Maurer und Christoph Lau einen Überblick über die Begriffe „Herrschaft“ und „Macht“, wobei sie zunächst wichtige Charakteristika von Herrschaft in Abgrenzung zu Macht und anderen Formen der Über- und Unterordnung (Gewalt) erläutern. Daran anschließend werden Forschungsperspektiven und -desiderata besprochen und die Potenziale einer wissenschaftlich fundierten Herrschaftsdiskussion ausgewiesen.
Kommerzielle Bildanbieter entledigen sich zunehmend ihrer analogen Fotoarchive. Dabei geht es nicht selten um Millionen von Fotografien. Angesichts dieser Entwicklung stellt sich die Frage, wie es bei solchen Anbietern um die Wertschätzung ihres analogen Fotoerbes steht. Die Antwort scheint entsprechend einfach zu sein: Solche Bestände werden gering geschätzt. Die Fotoarchive werden abgegeben oder gar vernichtet, weil sie für ihre Besitzer mehr Verlust als Profit einbringen. In manchen Fällen übernehmen öffentliche Gedächtnisinstitutionen wie Archive, Museen und Bibliotheken die Bestände und widmen sie von Gebrauchs- zu historischen Fotoarchiven um. Dies hat im Zusammenspiel mit der allgemeinen Digitalisierung der Fotografie das Bewusstsein für die Historizität alter Pressefotografien und damit für ihren kulturellen sowie wissenschaftlichen Wert geschärft. Die einst massenhaft für den Verkauf hergestellten Gebrauchsbilder gelten heute als zeithistorische Dokumente. In der medialen Öffentlichkeit wird vollmundig vom »visuellen« oder vom »fotografischen« Gedächtnis eines ganzen Landes geschrieben.
Im Jahr 2010 entzündete sich am Abschlussbericht einer vom Auswärtigen Amt eingesetzten Historikerkommission zur Geschichte des Ministeriums vor und nach 1945 eine außergewöhnlich heftige fachliche und öffentliche Debatte. Indem die Vorgeschichte der Einsetzung der Kommission, die grundlegende Struktur sowie Ablauf und Themen der Debatte skizziert werden, wird zunächst ein Überblick der Auseinandersetzung ermöglicht. Es entsteht das Bild einer von unterschiedlichen Faktoren bestimmten vielschichtigen Debatte, in der sich wissenschaftliche und (geschichts)politische Argumente in unterschiedlichen Anteilen mischten.
Zwar begann mit der Diskussion um eine Kulturgeschichte der Politik kein völlig neues Zeitalter; auch davor gab es Untersuchungen, die ähnliche Fragen stellten und vergleichbare Erklärungshorizonte hatten. Die theoretische und methodische Diskussion der letzten zehn Jahre hat aber eine Schärfung des methodischen Arsenals und ein klareres Bewusstsein von Kontinuität und Bruch im Verhältnis zu den älteren Ansätzen der Politikgeschichte erzeugt. Kulturgeschichte der Politik kann sich heute, soweit sie sich als Methode versteht, als eine Alternative zu herkömmlichen Politikgeschichten präsentieren.
In den 1970er-Jahren lief im westdeutschen Fernsehen eine Serie der Augsburger Puppenkiste, deren Held und Titelgeber der kleine König Kalle Wirsch war. Kalle Wirsch, König der Erdmännchen, war, wie sein Name sagte: ein freundliches kleines Männchen, alles andere als unwirsch. Der Name aber irritierte – wer benutzt schon das Wort „wirsch“? Das Wort gibt es tatsächlich, es ist aber kein Gegenbegriff zu „unwirsch“, sondern eine Verballhornung von „wirr“. Zu „unwirsch“ gibt es keinen Gegenbegriff. Der kleine König Kalle Wirsch mag einem bei „Gleichheit und Ungleichheit“ in den Sinn kommen. Denn viel wird gesprochen von Ungleichheit, und dies vor allem im Zusammenhang mit sozialer Ungleichheit. Aber Gleichheit? Nur ganz wenige Autoren haben über deren Geschichte nachgedacht. Einer davon ist der Zürcher Historiker Jörg Fisch. Er fasst, bezogen auf das späte 19. Jahrhundert, Gleichheit vor allem als einen Anspruch, als eine Forderung. Sie ist also etwas, was (noch) nicht ist. „Gleichheit“ blieb als die bürgerliche Forderung nach rechtlicher und politischer Gleichberechtigung stehen und wurde (jedenfalls in Europa) im späten 19. und im 20. Jahrhundert zumindest teilweise eingelöst. Die Forderung nach sozialer Gleichheit jedoch, die aus revolutionären Bewegungen kam, ließ sich nicht einmal als Anspruch durchhalten, wurde als staatsgefährdend identifiziert und erbittert bekämpft. Soziale Gleichheit erhielt das Stigma des Utopismus und behielt lediglich in der Forderung nach Abbau (und nicht Abschaffung) sozialer Ungleichheit eine gewisse Berechtigung.
(Version 1.0, siehe auch Version 2.0)
Zwar begann mit der Diskussion um eine Kulturgeschichte der Politik kein völlig neues Zeitalter; auch davor gab es Untersuchungen, die ähnliche Fragen stellten und vergleichbare Erklärungshorizonte hatten. Die theoretische und methodische Diskussion der letzten zehn Jahre hat aber eine Schärfung des methodischen Arsenals und ein klareres Bewusstsein von Kontinuität und Bruch im Verhältnis zu den älteren Ansätzen der Politikgeschichte erzeugt. Kulturgeschichte der Politik kann sich heute, soweit sie sich als Methode versteht, als eine Alternative zu herkömmlichen Politikgeschichten präsentieren.
Die Zeitgeschichte ist ein Kind des „Zeitalters der Extreme“. Über die aktuellen Probleme einer zeitlichen und definitorischen Einordnung des Begriffs der Zeitgeschichte schreibt Gabriele Metzler und weist dabei gleichzeitig auf die andauernde Hochkonjunktur zeithistorischer Themen in den Medien und der Öffentlichkeit hin. Die Autorin plädiert für eine unbedingt nötige Neupositionierung der Disziplin. Denn die Zeitgeschichte sieht sich angesichts technischer Neuerungen, der Verfügbarkeit neuer Ressourcen für die Forschung sowie von gewandelten trans- und interdisziplinären Verflechtungen mit neuen Herausforderungen konfrontiert.
„Kulturtransfer wird verstanden als ein aktiv durch verschiedene Mittlergruppen betriebener Aneignungsprozess, der von den Bedürfnissen der Aufnahmekultur gesteuert wird.“ Als die beiden französischen Germanisten und Kulturhistoriker Michel Espagne und Michael Werner Mitte der 1980er-Jahre ihr Forschungsprogramm darlegten, war keineswegs abzusehen, dass dieser Vorschlag einen methodologischen Umbruch auslösen sollte. Matthias Middell zeichnet in seinem Beitrag die Rezeption und Weiterentwicklung der Kulturtransferforschung nach, beschreibt das Verhältnis zum Historischen Vergleich und fragt nach Verflechtungen in der Gegenwart sowie ihrer erst noch globalgeschichtlich zu konstruierenden Vergangenheit.
Ausgehend von der These, dass die Internationalen Organisationen im Zeitalter der Dekolonisation nach 1945 auf die Erfindung einer neuen Bildsprache angewiesen waren, die uns bis heute zutiefst vertraut ist und inzwischen selbstverständlich anmutet, fragt das Projekt nach Akteuren, Politik und Praxis des Fotojournalismus im Mid-Century. Die Geschichte der Internationalen Organisationen ohne ihr Bildprogramm erklären zu wollen, läuft daher zumindest für die nach unserem heutigen Verständnis naiv-optimistischen 1950er Jahre ins Leere: Bilder waren die Sprache, welche weltweit verstanden werden konnte, und sie waren – vieles weist darauf hin – anders als die „Weltsprachen“ Englisch oder Französisch zumindest zeitgenössisch als herrschaftsfreie Ausdrucksformen weitgehend akzeptiert.
Seit anderthalb Jahrzehnten widmet sich die Geschichtswissenschaft verstärkt dem Thema „Bild“. Dabei wurden zahlreiche, im Zuge des pictorial bzw. iconic turn in der Kunst- und der Kulturwissenschaft entwickelte Bildtheorien in den geschichtswissenschaftlichen Methodenapparat integriert. Einer der unter HistorikerInnen umstrittensten Ansätze ist die von dem Berliner Kunsthistoriker Horst Bredekamp entwickelte Bildakttheorie, die Bilder nicht nur als Ausdruck und Widerschein historischer Vorgänge, sondern als autonome, wirkmächtige Akteure begreift, die historische Prozesse auszulösen in der Lage sind. Philipp Molderings sprach mit Horst Bredekamp über die veränderte Bedeutung von Bildern in der Geschichtswissenschaft, die Skepsis von HistorikerInnen gegenüber der Bildakttheorie und über die Notwendigkeit, verstärkt die historische Eigendimension der Bilder zu erforschen.
Erinnerung und Gedächtnis
(2010)
Gedächtnis und Erinnerung gehören heute zu den Schlüsselkategorien der Geistes- und Sozialwissenschaften.Gedächtnis und Erinnerung sind geläufige Begriffe, die in der Regel nur dahingehend differenziert werden, als dass das Gedächtnis die Erinnerung erst ermöglicht. Das Gedächtnis beinhaltet in diesem Sinne eine virtuelle und manifeste Infrastruktur. Menschen brauchen dabei nicht nur ein Gehirn als organische Basis, sondern sie sind in hohem Masse auf externe Erinnerungsspeicher unterschiedlichster Art angewiesen, um jene fragilen Bewusstseinsakte zu erzeugen, die gemeinhin Erinnerung genannt werden.
Wer oder was ein Intellektueller sei und worin seine politische und gesellschaftliche Aufgabe bestehe, war während des 20. Jahrhunderts stets ein umkämpfter Gegenstand intellektueller Debatten. Daniel Morat plädiert in der Auseinandersetzung mit der bisherigen Intellektuellengeschichtsschreibung für eine formale und wertneutrale Definition des Intellektuellenbegriffs, die auch unabhängig von den Selbstbeschreibungen als wissenschaftliche Analysekategorie tragfähig ist. Daran anschließend widmet er sich der Entstehung des Intellektuellen als moderner Sozialfigur im internationalen Kontext und stellt wichtige Forschungstendenzen und Themenfelder vor. Die Frage nach dem Tod des Intellektuellen in der Postmoderne verneint er klar, denn schon die anhaltende Debatte darüber sei ein Zeichen für sein Weiterleben – unabhängig davon, ob das Medium der Intellektuellen nun der klassische Leitartikel, die Fernsehshow oder aber heute der Internet-Blog ist.
Popgeschichte
(2010)
Pop bzw. das Populäre hat in den vergangenen Jahren auch im akademischen Diskurs stark an Gewicht gewonnen. Während sich Disziplinen wie die Kultur-, Musik- und insbesondere die Literaturwissenschaften schon seit Jahrzehnten verstärkt um Theoriebildung auf diesem Feld bemühen, ist es innerhalb der Geschichtsschreibung bislang eher schwach konturiert. Dennoch kommt kaum ein Überblickswerk zur Nachkriegszeit mehr ohne die Kategorie Pop aus.
Antiziganismus
(2020)
Bisweilen bestechen Bilder erst durch das, was auf ihnen nicht zu sehen ist. Die Art und Weise, wie das Abgebildete eingeordnet und ergänzt, wie aus dem Ausschnitt ein Panorama, aus dem Augenblick eine Geschichte wird, offenbart oftmals mehr über die Wirkweisen von Bildern als diese selbst. So auch im Fall von „Maria“, einem jungen Mädchen, dessen Porträt aus einer Wohnsiedlung von Rom*nja in der griechischen Stadt Farsala im Herbst 2013 weltweite Wogen schlug.
Jenseits des Integrationsparadigmas? Aktuelle Konzepte und Ansätze in der Migrationsforschung
(2018)
Nicht erst seit dem »langen Sommer der Migration« 2015 spielen Flucht und Zuwanderung in Politik und Wissenschaft eine zentrale Rolle. Der Migrations-
forschung kommt dabei die Aufgabe zu, das über Migration zirkulierende Wissen – zu dem sie maßgeblich beiträgt – kritisch zu reflektieren. Wie auch in anderen Ländern zeichnete sich die Migrationsforschung in der Bundesrepublik lange Zeit durch ihre starke Policy-Nähe aus. Sie hat sich in der Bundesrepublik seit den frühen 1970er-Jahren dem »Ausländerproblem« zugewendet beziehungsweise es als solches mit konstituiert, und zwar in den Parametern der Politik, des Arbeits- und Wohnungsmarkts und sukzessive weiterer gesellschaftlicher Teilbereiche. Einflussreiche Migrationsforscherinnen und -forscher wie der Soziologe Hartmut Esser fungierten als »Berater und Stichwortgeber der Politik« und lieferten anwendungsorientiertes Wissen für die staatliche Steuerung und Regulierung von Migration. In diesem Sinne ist Michael Bommes und Dietrich Thränhardt zuzustimmen, wenn sie Migrationsforschung als »rather a part of the complex of problems that it claims to describe and explain« beschreiben. Die neueren Debatten über Migration in den Geschichts-, Sozial- und Kulturwissenschaften zielen daher verstärkt auf eine kritische Reflexion des gegenwärtigen Verständnisses von und des Umgangs mit Migration ab und beziehen auch die eigene Wissensproduktion in diese Reflexion ein.
Dieser Text ist eine Verschriftlichung des Eingangsstatements von Maren Möhring bei der Diskussionsreihe "Geschichtliche Grundfragen". Die von Rüdiger Graf (ZZF), Matthias Pohlig (HUB) und Ulrike Schaper (FU Berlin) initiierte Veranstaltung fand im Winter- und Sommersemester 2021/22 im Online-Format statt. Zeitgeschichte|online veröffentlicht die Eingangsstatements der Veranstaltung in einem Dossier. Die Vorträge wurden bis auf wenige Ausnahmen von der Audioaufnahme transkribiert und überarbeitet, dabei wurde Wert darauf gelegt, die rein sprachliche Form der Statements beizubehalten.
Sozialgeschichte und Historische Sozialwissenschaft gehören sicherlich zu den prägendsten Methoden und Forschungsfeldern der Zeitgeschichte, auch wenn sie Ende der 1980er-Jahre in die Kritik der aufsteigenden Kulturgeschichte gerieten. Klaus Nathaus verweist auf vier Gebiete, in denen sich die Sozialgeschichte derzeit neu erfindet: die Wiederentdeckung „großer” Themen wie Ungleichheiten, Globalisierung, Arbeit, Märkte und Kapitalismus; theoriegeleitete Arbeiten zu historischem Wandel, Prozessen und Kontinuitäten im Anschluss an die „historical sociology“; die Analyse sozialer Beziehungen sowie die Untersuchung einer zunehmend medialisierten Selbstbeobachtung von Gesellschaft.
Dieser Text ist eine Verschriftlichung des Eingangsstatements von Tim Neu bei der Diskussionsreihe "Geschichtliche Grundfragen". Die von Rüdiger Graf (ZZF), Matthias Pohlig (HUB) und Ulrike Schaper (FU Berlin) initiierte Veranstaltung fand im Winter- und Sommersemester 2021/22 im Online-Format statt. Zeitgeschichte|online veröffentlicht die Eingangsstatements der Veranstaltung in einem Dossier. Die Vorträge wurden bis auf wenige Ausnahmen von der Audioaufnahme transkribiert und überarbeitet, dabei wurde Wert darauf gelegt, die rein sprachliche Form der Statements beizubehalten.