1950er
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Längst beerdigt und doch quicklebendig. Zur widersprüchlichen Geschichte der »autogerechten Stadt«
(2017)
Das Automobil steht gegenwärtig wieder einmal im Brennpunkt breiter gesellschaftlicher Debatten um Themen wie Elektromobilität, Car-Sharing, »autonomes Fahren« und verwandte Fragen. Darin kommt ein tiefer Umbruch der automobilen Kultur zum Ausdruck. Wie Konflikte um Fahrverbote in den Innenstädten, den Abriss automobiler Infrastrukturen oder die Erweiterung autofreier Zonen zeigen, erfasst dieser Umbruch auch und gerade die (großen) Städte. Vor dem Hintergrund eines sich andeutenden Abschieds von der Automobilität der Hochmoderne in den metropolitanen Räumen Europas und Nordamerikas gewinnt auch die retrospektive Reflexion über Entwicklungslinien und Wendepunkte der Raumentwicklung im Zeichen des Automobils in »seinem« 20. Jahrhundert stark an Interesse. Dies gilt umso mehr, als der epochemachende Leitbegriff der »autogerechten Stadt« die Genese und die Probleme städtischer Automobilität mehr verdeckt als freilegt.
Die Diskursgeschichte, die sich im Zuge des linguistic turn auch in Deutschland recht erfolgreich etabliert hat, eröffnet vielschichtige Zugänge, die auch für die Erforschung des Nationalsozialismus und des Holocaust wichtige Impulse zu geben vermögen. Dies gilt etwa für die Rolle von Homosexualitätsdiskursen in NS-Organisationen, für sprachliche Ausformungen genozidaler Gewalt und für narrative (Überlebens-)Strategien von Verfolgten. Besonders deutlich geworden sind die Verbindungen von sprachlichen Praktiken und Gewalt in der Diskussion über die 1995 veröffentlichten Tagebücher des Romanisten Victor Klemperer (1881–1960) aus der NS-Zeit. Diese Tagebücher hatten Klemperer, der den Holocaust in Dresden überlebte, als Vorarbeiten seiner Studie zur Sprache des „Dritten Reiches“ gedient. In dieser bereits 1947 erstmals erschienenen Arbeit argumentierte Klemperer, dass „der Nazismus […] in Fleisch und Blut der Menge […] durch die Einzelworte, die Redewendungen“ übergegangen sei, die ein Großteil der Bevölkerung „mechanisch und unbewußt übernommen“ habe. Während Klemperers Studie gerade in den letzten 15 Jahren wieder verstärkte Beachtung gefunden hat, bleibt ihre bedeu-tendste westdeutsche Parallelarbeit heute auffällig unterbelichtet: das von Dolf Sternberger (1907–1989) federführend konzipierte „Wörterbuch des Unmenschen“.
Tod, Vernichtung, alltägliches Elend und die Angst davor waren für die Einwohner der Bundesrepublik in ihrem ersten Vierteljahrhundert keineswegs neue Erscheinungen. Die Erinnerung an den Krieg, an Deutsche als Kriegsopfer und (in geringerem Maß) an Deutsche als Urheber von Mord und Verbrechen, bestimmte einen Großteil des öffentlichen und privaten Gedenkens. Der Tod als Alltagserscheinung war aber nicht nur eine rückwärtsgewandte Erfahrung. Neben dem gleichsam selbstverständlichen Tod durch Alter oder Krankheit wurde der Lebensverlust durch Verkehrsunfälle zu einem der prominentesten Themen der jungen Bundesrepublik. Zehntausende von Autofahrern und anderen Verkehrsteilnehmern starben jedes Jahr auf bundesdeutschen Straßen. Ob ihr Tod vermeidbar war oder nicht und welche Rollen Autofahrer, Automobilhersteller, Straßenbauer und Landschaftsarchitekten spielten oder spielen sollten, wurde zu einem an Stammtischen, in Gemeinderäten, Parlamenten, Ministerien, Seminarräumen und Gerichtssälen leidenschaftlich diskutierten Streitpunkt.
Das Liederbuch der Bundeswehr war von Beginn an umkämpft. Diese offizielle Liedersammlung, 1958 in erster Auflage erschienen, sollte – und soll bis heute – den „Geist der Truppe“ widerspiegeln. Symbolisch wurde und wird in Debatten um die Liedauswahl verhandelt, was Soldatentum nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus bedeuten und welche Rolle Militarismus in der westdeutschen Gesellschaft einnehmen darf.
Ein Blick auf die Veränderung des Liedguts im Laufe der Jahrzehnte zeigt, wie sehr sich die Kräfteverhältnisse in der bundesdeutschen Demokratie verändert haben. Während die Liedsymbolik in der frühen Bundesrepublik mit positivem Kriegsbezug und „Soldatenehre“ brach, fanden entsprechende Lieder im Zuge der Neuauflagen von 1963 und 1976 wieder Eingang in das Liederbuch. Die Entwicklung liegt damit quer zum postulierten Durchbruch demokratischer Vorstellungen nach den langen 1960er Jahren. Sie zeigt auch, dass die aktuellen Vorfälle und Debatten um rechtsextreme Soldaten und Wehrmachts-Memorabilia in den „Traditionsräumen“ der Truppe in eine längere Geschichte des Umgangs mit Vergangenheit in der Institution Bundeswehr eingeordnet werden müssen.
Am 21. Januar 1970 wandte sich der Unterabteilungsleiter Fü S VII des Bundesministers für Verteidigung an dessen Parlamentarischen Staatssekretär mit einer »Anregung« für die neu anstehende Entscheidung über Auftrag und Struktur des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes (MGFA). Es sei zu berücksichtigen, welche Folgen es zeitigen könne, wenn das MGFA die angelaufene Gesamtdarstellung der Geschichte des Zweiten Weltkrieges gemäß der Konzeption durchführen sollte, die sein erster, inzwischen aus dem Bundesdienst ausgeschiedener Leitender Historiker, Professor Dr. Andreas Hillgruber, am 11. Oktober 1968 dem Amtschef MGFA vorgelegt und am 25. Juni 1969 seinem Bericht an den Staatssekretär über Erfahrungen im MGFA beigefügt hatte. Seine Konzeption hatte Hillgruber auf den Nenner gebracht: »Leitender Gesichtspunkt [...] ist die Einsicht, daß eine Gesamtdarstellung der Geschichte des Zweiten Weltkrieges ein Thema der politischen Geschichte ist und daß die militär- und kriegsgeschichtlichen Partien und Aspekte - so wichtig sie sind und welch breiten Raum sie innerhalb der Darstellung auch einnehmen würden - in einen von der politischen Geschichte dieses Krieges vorgezeichneten Rahmen eingefügt werden müssen.«
Die geschichtswissenschaftliche Erforschung des Umgangs mit der NS-Vergangenheit in den beiden Nachfolgestaaten des „Dritten Reiches“ steht erst in ihren Anfängen, aber ihre Tücken zeichnen sich bereits ab. Eine der Schwierigkeiten besteht darin, daß die Thematik, jedenfalls in der „alten“ Bundesrepublik, über Jahrzehnte hinweg ein zentraler Topos der politischen Essayistik gewesen ist. Der Kern des Problems - definiert nicht als die zu Beginn der sechziger Jahre Dynamik gewinnende „Verdrängungsdebatte“, sondern als die konkrete historisch-politische Auseinandersetzung mit den ererbten Lasten und den alliierten Vorentscheidungen seit Ende der vierziger Jahre und vor allem in den Fünfzigern - ist deshalb überlagert von vielfältigen Meinungsschichten, Deutungen und Kontroversen, durch die hindurchzudringen die Aufgabe entsprechender historiographischer Bemühungen sein muß. Die in letzter Zeit erschienenen Arbeiten zur Geschichte der „Vergangenheitsbewältigung“ in der Bundesrepublik leisten dies jedoch kaum, und einige davon vermitteln im Gegenteil den Eindruck, als ob sie sich von der so lange vorherrschenden meinungsorientierten Betrachtungsweise gar nicht lösen wollten. Eine Geschichtswissenschaft, die diesen Namen verdient, muß aber alles daransetzen, beim Sturm auf tatsächliche oder vermeintliche alte „Legenden“ nicht neue zu produzieren. Das gilt zumal in einem Moment, in dem das für die Westdeutschen von jeher aufregende Thema durch die neugewonnene Möglichkeit des empirischen Vergleichs mit der Entwicklung in der DDR - ganz zu schweigen vom Vergleich mit der hier ausgeklammerten „zweiten Bewältigung“ seit 1989/90 - noch an Brisanz gewinnt.
Am Anfang des 20. Jahrhunderts stand Mathematikern, Naturwissenschaftlern und Ingenieuren eine Reihe von mathematischen Methoden (numerischen und graphischen Verfahren) sowie technischen Hilfsmitteln (Instrumente, Apparate, Maschinen, Tafelwerke) zur Verfügung, um exakte Lösungen bzw. Näherungslösungen für mathematische Probleme »ausrechnen« zu können, die im Zusammenhang mit ihrer wissenschaftlichen oder praktischen Arbeit auftraten. Ein genauerer Blick zeigt, dass um 1900 ein ganzer »Apparate- und Methoden-Zoo« zur Verfügung stand, dessen Klassifizierung – um im Bild zu bleiben – einen sehr kundigen »Apparate- und Methoden-Zoologen« erforderte, um die »Morphologie« und »Anatomie« der Apparate und deren »Physiologie« (in Bezug auf die informationsverarbeitenden Funktionen) zu überblicken. So gab es z. B. weit verbreitete Apparate und Methoden wie Rechenschieber und Planimeter, mechanische Rechenmaschinen, Multiplikations- und Logarithmentafeln oder das Runge-Kutta-Verfahren zur numerischen Lösung gewöhnlicher Differentialgleichungen, aber auch nur in Einzelexemplaren existierende Geräte, wie die im 19. Jahrhundert verschiedentlich entwickelten Gleichungswaagen.
Der Aufsatz entwirft eine Zeitgeschichte der Vorsorge, die sich für den hygienepolitischen Übergang von Praktiken der Intervention und Krisenbewältigung zu Praktiken der Prävention interessiert. Am Beispiel der Pestvorsorge in der Sowjetunion wird erstens ein Prozess der Institutionalisierung, Professionalisierung und Verwissenschaftlichung dargestellt. Zweitens werden die Eigenheiten des sowjetischen Falls herausgearbeitet. Die dortige Pestbekämpfung war bis in die 1930er-Jahre von Interventionen geprägt, die aus einem Repertoire repressiver, im Kontext der Zwangskollektivierung etablierter Maßnahmen schöpften. Der Umgang mit der Pest war nicht mit Aufklärung verknüpft, sondern mit Geheimhaltung. Die Einrichtung eines Netzwerks wissenschaftlicher Forschungsstätten führte zu einem Wandel im Umgang mit der Seuche. Dies war eingebettet in parallele Diskurse über administrative Grenzen und geographisches Wissen. Der Aufsatz stützt sich auf Quellen aus Staats- und Partei-Archiven in der Russischen Föderation und der Republik Aserbaidschan.
Walther Hofers Dokumentation über den Nationalsozialismus, erstmals im August 1957 erschienen, war bis zum Jahresende 1957 bereits mit 100.000 Exemplaren verkauft. Mit einer Gesamtauflage von über einer Million Exemplaren zählt sie bis heute zweifellos zu den Klassikern dieser Gattung. Der aus der Schweiz stammende Herausgeber lehrte damals an der Freien Universität Berlin; 1952 hatte er sich bei Hans Herzfeld mit einer diplomatiegeschichtlichen Studie über die „Entfesselung des Zweiten Weltkrieges“ habilitiert. Auf schmaler Quellengrundlage inmitten der Ruinen einer geteilten Hauptstadt verfasst, war diese Publikation, die 1954 als erster Band in der Schriftenreihe des Münchner Instituts für Zeitgeschichte erschien, ein mutiges Unterfangen, das den Ruf Hofers als eines NS-Experten begründete. 1960 wechselte er an die Universität Bern, wo er bis zu seiner Emeritierung 1988 den Lehrstuhl für Neuere Geschichte innehatte und sich als langjähriger Nationalrat der konservativen Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (später: SVP) auch aktiv in der Politik betätigte.