1980er
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Solidarität und Alltag der DDR aus der Sicht exilierter Mitglieder des African National Congress
(2023)
Mehr als io Jahre lang haben durchschnittlich etwa einhundert namibische Kinder und ihre Betreuerinnen in dem kleinen mecklenburgischen Dorf Bellin gelebt. Geredet und geschrieben wurde über sie paradoxerweise erst im Zusammenhang mit ihrer Rückkehr nach Namibia im August 1990. Wer zufällig nach Bellin kam oder doch davon gehört hatte, stand vor einem alten Gutshaus, das bis Ende 1989 für ungebetene Besucher verschlossen blieb. In der DDR wußte so gut wie niemand etwas von der Existenz eines SWAPO-Kinderheimes. Abschottung einerseits, andererseits die in der DDR einmalige Situation, daß in einem Ort etwa 25 Prozent Ausländer lebten, die meisten von ihnen Kinder.
Die Rekrutierung von Führungspersonal erfolgte in der DDR - aufgrund des zentralistischen Staatssystems, der leitenden Rolle der Partei etc. - bekanntermaßen für alle Ebenen und Bereiche von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft zentralgesteuert. Die Auswahl, Instruktion und Kontrolle des Führungspersonals stand dabei immer vor einem systemimmanenten Widerspruch zwischen Konformität und Professionalität. Trotz dieser Steuerung gelang es jedoch nicht, Frauen in größerer Zahl in Führungspositionen aller Ebenen einzusetzen, obwohl die SED zwischen 1949 und 1989 in gebetsmühlenartigem Stil immer wieder die Förderung von Frauen für Führungspositionen einklagte und zahlreiche Gesetze, Verordnungen und Förderinstrumente erließ. Die Kritik an der mangelnden Umsetzung mag anhand des vielbeachteten Kommuniques des ZK der SED „Die Frau - der Frieden und der Sozialismus“ stellvertretend für die zahlreichen gesetzlichen Maßnahmen und Anordnungen der SED in der Zeit vor Veröffentlichung des Kommuniques und bis zum Ende der DDR verdeutlicht werden: „Alle Leitungen der Partei in den Betrieben der Industrie und der Landwirtschaft, im Staatsapparat, in den kulturellen Institutionen, Gewerkschaften und anderen Massenorganisationen werden verpflichtet, die Beschlüsse der Partei und der Regierung zur Förderung und Entwicklung der Frauen zielstrebiger zu verwirklichen und ihre Durchführung ständig zu kontrollieren“. Warum auch diese „Instruktion“ ihr Ziel nicht erreichen konnte, legt eine bemerkenswerte Aussage von Inge Lange, der „ranghöchsten“ Frau in der DDR - sie war Vorsitzende der Abteilung Frauen beim ZK der SED - aus dem Jahre 1979 nahe. Demnach sei es, so Inge Lange, ganz klar, daß „in der in fernerer Zukunft zu schaffenden kommunistischen Gesellschaft alle Mitglieder der Gesellschaft, Frauen wie Männer, sozial gleichgestellt sein werden“ und nun, 1979, mit der Schaffung dieser Voraussetzungen begonnen werden müsse. Auch zu Beginn ihres letzten Jahrzehnts war die DDR somit weit entfernt von der realen Gleichberechtigung und Gleichstellung der Frauen, obwohl in den offiziellen Verlautbarungen der Partei- und Staatsfuhrung beides bereits seit langem als verwirklicht galt.
Mit den Rechtsänderungen von 1977 - einem neuen Strafvollzugsgesetz und dem 2. Strafrechtsänderungsgesetz (StÄG) - reagierte die DDR Erich Honeckers auf die gewandelten außenpolitischen Bedingungen seit Mitte der siebziger Jahre. Nach Unterzeichnung des Grundlagenvertrags mit der Bundesrepublik 1972, der Aufnahme der DDR in die UNO 1973 und der KSZE-Konferenz von Helsinki 1975 erwiesen sich überkommene Gesetzesformulierungen, in denen der westliche oder der bundesdeutsche Imperialismus angeprangert worden war, auf internationalem Parkett als ebenso störend wie extrem repressive Vorschriften im Strafvollzugsrecht.
Patronage ist eine Form menschlicher Interaktion, bei der zwei Akteure, die in ihrem Status verschieden sind, eine asymmetrische Beziehung eingehen. Der Patron verfügt gegenüber seinem Klienten über einen Vorsprung an Ressourcen materieller oder immaterieller Art, etwa über ein großes Vermögen oder eine politische Führungsposition, die ihm die Kontrolle einer Institution ermöglicht oder das Entscheidungsmonopol über die Verwendung und Zuteilung von knappen Gütern sichert. Bestimmender Inhalt einer Beziehung zwischen Patron und Klient ist der auf beiderseitigen Nutzen abzielende Austausch von Leistungen und Gegenleistungen. Diese Bindung ist informeller Natur und beruht auf Treue, Loyalität und Dankbarkeit, nicht aber auf einer rechtlichen oder vertraglichen Grundlage, das heißt, Art und Umfang der zu erbringenden Leistungen werden nicht im Voraus festgelegt und sind nicht einklagbar. Der Patron gewährt seinem Klienten Protektion und Förderung im weitesten Sinne; er vergibt an ihn Posten oder auch Zuwendungen finanzieller Art. Im Gegenzug ist der in einer Art Bringschuld stehende Klient dazu angehalten, seinen Förderer in loyaler Weise zu unterstützen und dessen Interessen zu vertreten. Vom Engagement und der Loyalität des Klienten hängt es ab, wie lange er die Protektion seines Patrons genießen wird. Er ist vom Patron abhängig, denn ohne dessen Förderung bliebe er von der Mitnutzung an bestimmten Ressourcen ausgeschlossen, die der Patron kontrolliert (z. B. Teilhabe am politischen Prozess).
Sowjetische Soldaten und Zivilpersonen bildeten mit einer Gesamtzahl von über einer halben Million Menschen die größte Gruppe von Ausländem in der DDR. Durch ihre flächendeckende Präsenz gehörten sie beinahe 50 Jahre lang für einen sehr großen Teil der ostdeutschen Bevölkerung zum Alltag. Nach Schätzungen von Kurt Arlt hielten sich zwischen 1945 und 1994 insgesamt etwa 10 Millionen Bürger der Sowjetunion bzw. ihrer Nachfolgestaaten als Soldaten, Zivilbeschäftigte der Streitkräfte oder deren Familienangehörige auf deutschem Boden auf.3 Verglichen mit den quantitativ deutlich kleineren Gruppen der Vertragsarbeiter und politischen Emigranten stellten sie daher in der DDR gleichsam „die Fremden“ schlechthin dar.
Gerichte handeln reaktiv; das heißt, sie werden nicht aus eigener Initiative, sondern erst durch Anruf von außen in Bewegung gesetzt, der auch in sozialistischen Staaten (vom Strafrecht einmal abgesehen) in aller Regel nicht vom Staatsanwalt, sondern von Bürgern (und zivilrechtlich handelnden volkseigenen Betrieben) kam. Um sein Rechtssystem im Justizalltag durchzusetzen, war also auch der sozialistische Staat auf die Mithilfe seiner Bürger angewiesen. Durch Nicht-Anrufen konnten Bürger das Recht unterlaufen; durch die Art und Weise, wie sie Gerichte benutzten, konnten sie seine Wirksamkeit beeinflussen; durch ihre Erfahrungen vor Gericht wurden die Bürger ihrerseits in bestimmten Haltungen und Wertvorstellungen bestätigt. In diesem Beitrag will ich die gegenseitige Abhängigkeit von Bürger und Rechtssystem im sozialistischen Rechtsalltag untersuchen. In welchen Angelegenheiten wandten sich Lüritzer Bürger an ihr Gericht? Wie wurden sie vom Gericht behandelt und wie verhielten sie sich selbst? Wie beeinflußte die Alltagspraxis der ostdeutschen Justiz die Wirksamkeit des Rechts als Instrument gesellschaftlicher Veränderungen? Und welche Nachwirkungen können wir heute beobachten?
Nach 1989 dauerte es einige Jahre, bis diese beiden in Geschichte- wie in den benachbarten Gesellschaftswissenschaften angesiedelten Paradigmen zu einem konstruktiven Verhältnis wechselseitiger Ergänzung fanden. Davon profitieren nun auch die neuen Ansätze zur Erforschung der Geschichte des Kalten Krieges. Die hier vorgelegte Sammlung von Aufsätzen ist im Umfeld eines Forschungsprojektes entstanden, das Teil dieser Konjunktur ist und am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam seit 2001 das Verhältnis von Massenmedien und Kaltem Krieg bearbeitet. Es handelt sich um Zwischenergebnisse aus individuellen Einzelforschungen. Arbeiten zu weiteren Untersuchungsgegenständen, deren Ergebnisse in einem weiteren, umfangreicheren Band zur Kulturgeschichte des Kalten Krieges in Europa zusammengefasst werden, dauern noch an. Die folgenden Thesen zur gesellschafts- wie mediengeschichtlichen Interpretation des Kalten Krieges halten gleichwohl in aller Vorläufigkeit und Kürze einige Grundannahmen wie auch erste allgemeine Befunde der gemeinsamen Projektarbeit fest.