1980er
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Geteilte Geschichte. Plädoyer für eine deutsch-deutsche Perspektive auf die jüngere Zeitgeschichte
(2015)
In der Geschichtswissenschaft boomen derzeit grenzübergreifende Studien. Aus transnationaler Perspektive werden nicht nur Beziehungen zwischen europäischen Ländern untersucht, sondern zunehmend auch globale und außereuropäische Verflechtungen, die bis nach Ostasien oder Afrika reichen. Umso mehr erstaunt, dass 25 Jahre nach dem Mauerfall übergreifende deutsch-deutsche Studien weiterhin selten zu finden sind. Selbst die großen Überblickswerke zur deutschen Zeitgeschichte wähl(t)en selten grenzüberschreitende Perspektiven. Die meisten Historiker/innen im alten Westen empfanden die DDR lange als eine Art »fernes Land«, dessen Erforschung, bis auf wenige Ausnahmen wie die deutsch-deutsche Politikgeschichte und der Mauerfall, den Kolleginnen und Kollegen an ostdeutschen oder Berliner Universitäten überlassen wurde. Auch in den vielfältigen theoretischen Debatten um eine transnationale Geschichte, eine »shared history« oder »entangled history« hat die deutsch-deutsche Geschichte bisher keine Rolle gespielt. Zu unklar erschien vermutlich der Status des Trans-»Nationalen« – in diesem Fall ja eine »trans-staatliche« Geschichte einer später wiedervereinigten Nation. Eine umfassende gesamtdeutsche Gesellschaftsgeschichte steht daher weiterhin aus; ebenso fehlt es an Einzelstudien zu vielen relevanten Feldern.
Von den Nürnberger Wirtschaftsprozessen bis zu den Verhandlungen um Zwangsarbeiterentschädigungen - deutsche Konzerne haben stets versucht, das öffentliche Bild von ihrer NS-Vergangenheit selbst zu prägen. Sebastian Brünger untersucht nun erstmals die Kontinuitäten und Brüche dieser Vergangenheitsbearbeitung seit 1945. An vier Beispielen (Bayer, Deutsche Bank, Daimler und Degussa) erörtert er Strategien und Formen unternehmerischer Vergangenheitsbearbeitung und analysiert sie im Kontext von Öffentlichkeit, Politik und Wissenschaft ihrer jeweiligen Zeit.
Brünger zeigt, wie Unternehmen die Veränderungen der deutschen Geschichtskultur nachvollzogen bzw. mitbestimmten, während konkrete Rollenbilder wie etwa das vom »anständigen Kaufmann« weiter tradiert und Forschungsaufträge an Historiker zunehmend zu einem wichtigen Imagefaktor wurden. Damit erweitert Brünger den gedächtnisgeschichtlichen Blickwinkel auf die deutsche Geschichtskultur um die Dimension der Unternehmensgeschichte und begreift Unternehmen als Akteure des kulturellen Gedächtnisses.
Zwei Pressefotografien zeigen Menschen unterschiedlicher Migrantengruppen: eine türkische „Gastarbeiterfamilie“ und sogenannte Aussiedlerkinder. Beide Bilder stehen in einem engeren inneren Zusammenhang, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Im Juli 1973, vier Monate vor Verkündung des „Anwerbestopps“ von Arbeitskräften aus Südeuropa, titelt „Der Spiegel“: „Gettos in Deutschland. Eine Million Türken“. Auf dem Cover des Nachrichtenmagazins ist eine achtköpfige, vermutlich türkische Familie abgebildet: fünf Kinder, Mutter, Vater und ein weiterer männlicher Verwandter oder Freund der Familie. Das zweite Bild zeigt ein modernes Sprachlabor im Durchgangswohnheim Unna-Massen im Jahr 1971: An Arbeitsplätzen, die mit Trennwänden voneinander abgeschirmt sind, sitzen „Aussiedlerkinder“ und erhalten über Kopfhörer Deutschunterricht.
Mit dem Abkommen über die deutsche Wirtschafts- und Währungsunion galten ab 1. Juli 1990 die Bedingungen der Europäischen Gemeinschaft (EG) auch für das Gebiet der DDR. Damit war der zweite deutsche Staat dort angekommen, wo die SED-Führung nie hin wollte: in der westeuropäischen Integration. Das „Haus Europa“, das nach der Vorstellung Erich Honeckers stets Platz für zwei unterschiedliche gesellschaftliche Systeme bieten
sollte, erhielt so die Umrisse einer „Hausordnung“, die in den außenpolitischen Konzepten führender Staatsmänner weder in West noch in Ost in den vorhergehenden vierzig Jahren ernsthaft erwogen worden war. Während die Integration in Westeuropa aber bis zum Ende der achtziger Jahre sichtbare Ergebnisse und konkrete Pläne für die wirtschaftliche, politische und militärische Zukunft der westlichen Gemeinschaft hervorgebracht hatte, fielen der Ostblock und mit ihm seine Bündnissysteme in sich zusammen. Sang- und
klanglos wurde am 25. Februar 1991 der Warschauer Vertrag beendet. Am 28. Juni 1991 löste sich der Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) auf, ohne dass ersichtlich wurde, welche konkreten Vorstellungen die früheren Ostblockstaaten von ihrer zukünftigen Rolle in einem Gesamteuropa hatten.
Der vorliegende Aufsatz analysiert, wie die aus damaliger und heutiger Sicht unerwartet große Flüchtlingshilfe gegenüber den vietnamesischen »Boat People« aufkam und ihre starke Dynamik gewann. Untersucht wird, welche Rolle zivilgesellschaftliche Gruppen, die staatliche Bürokratie, politische Parteien sowie Medien dabei spielten und wie diese bei der konkreten Aufnahme von Flüchtlingen interagierten. Dabei wird erstens gezeigt, dass anfangs vor allem öffentlicher Druck die sozialliberale Regierung zu einer Aufnahme der Indochina-Flüchtlinge bewegte, sich dann aber zivilgesellschaftliches und staatliches Handeln wechselseitig ergänzten. Das zweite Argument lautet, dass der öffentliche Druck insbesondere durch mediale Kampagnen und durch christdemokratische Initiativen aufkam, die entschieden für die Aufnahme der Flüchtlinge eintraten. Eine wichtige Rolle spielte dabei, so die dritte These, dass die »Boat People« diskursiv mit der deutschen Nachkriegsgeschichte verbunden wurden – speziell mit der Vertreibung der Deutschen am Ende des Zweiten Weltkriegs. Viertens zeigt der Aufsatz, wie Techniken der Flüchtlingsaufnahme und neue Formen humanitärer Hilfe entstanden, die sich als zivilgesellschaftlicher und bürokratischer Wandel interpretieren lassen.
Der vorliegende Band vereint methodisch-theoretische Überlegungen zur sozialhistorischen Netzwerkanalyse und empirische Einzelstudien zum Phänomen der Netzwerke im Realsozialismus. Er lädt dazu ein, die Substrukturen der realsozialistischen Gesellschaften zu analysieren. Netzwerke sind definitorisch nur schwer zu erfassen und lassen sich nicht immer scharf gegenüber Begriffen wie Patronage, Seilschaft, Arrangement etc. abgrenzen. Die Autoren der Beiträge experimentieren quasi mit dem Netzwerkbegriff auf der Grundlage ihrer jeweiligen empirischen Ergebnisse. Dabei kommt es zu Überschneidungen mit den Netzwerkbegriffen der Wirtschaftsgeschichte, der Organisationssoziologie und der Politikwissenschaften. Auf den ersten Blick scheinen sich einige der vorliegenden Untersuchungen wenig auf den Netzwerkbegriff zu beziehen. Auf den zweiten Blick jedoch, und das macht die Spezifik des Bandes aus, untersuchen sie Sonderformen von Netzwerken. Die Netzwerke in staatssozialistischen Systemen wurden, anders als etwa in westlichen Unternehmen, nicht aufgrund kalkulierter Effizienzkriterien installiert und aktiv betrieben, sondern dienten in der Regel dazu, eine Vielzahl von Defiziten zu kompensieren.
Für alle modernen Gesellschaften stellt die aus transnationaler Migration resultierende interkulturelle Begegnung eine fundamentale Herausforderung dar. Obwohl die DDR eindeutig als Ausreise- und nicht als Einwanderungsgesellschaft charakterisiert werden kann, galt dies auch für den SED-Staat. In der historischen DDR-Forschung ist jedoch dem Umgang mit Fremden und den Bedingungen des Fremd-Seins in der staatssozialistischen Diktatur bislang eher geringe Aufmerksamkeit gewidmet worden. Der vorliegende Band setzt - wie das ihm zugrunde liegende Forschungsprojekt „Fremde und Fremd-Sein in der DDR“ - an diesem Desiderat an.
Der Entwicklung der Einkommen in den Ostblockländem lag ein Widerspruch zwischen den ideologischen und legitimatorischen Grundlagen des ihnen eigenen staatssozialistischen Systems auf der einen und den wirtschaftlichen Erfordernissen auf der anderen Seite zugrunde. Die in diesen Staaten herrschenden kommunistischen Parteien vertraten den Anspruch, die sozialistische Utopie von materieller Gleichheit und Gerechtigkeit verwirklichen zu können. Jedoch wurde diese Idee von den Führungen jener Parteien auch instrumentalisiert, um ihre Macht zu legitimieren. Vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise der Zwischenkriegszeit faszinierte an dieser Vision besonders die Annahme, auf der Basis gesellschaftlichen Eigentums und gesamtwirtschaftlicher Planung Vollbeschäftigung garantieren zu können. Die Beseitigung der Arbeitslosigkeit wurde für den Staatssozialismus zu einem wesentlichen Wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Ziel und damit zu einer weiteren legitimatorischen Grundlage. Auf dem sozialisierten Eigentum an den Produktionsmitteln beruhte auch die Vorstellung, daß die Arbeitskraft - im Unterschied zum Kapitalismus, für den das Marx herausgearbeitet hatte - ihren Warencharakter verlieren werde. Da alle Gesellschaftsmitglieder Eigentümer der Produktionsmittel seien, müßten sie ihre Arbeitskraft nicht mehr an die Besitzer der Produktionsmittel verkaufen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Der damit letztlich zu verwirklichende Gleichheitsanspruch war jedoch nicht absolut, sondern stand latent im Widerspruch zu dem Erfordernis, auch in diesem als Alternative zur liberalen Wettbewerbswirtschaft gedachten System Wirtschaftswachstum inklusive Produktivitätssteigerung zu gewährleisten.