Wirtschaft
The paper explores representations of economic reform in Czechoslovakia immediately before and after the fall of the centrally planned economy in 1989/90. By what means was the concept of rapid economic transition towards a liberal market setting mediated into the academic and the public sphere? How did it achieve wide public consent? In the first part, the paper analyzes the Czechoslovak academic discussion about perestroika in the late 1980s, where a rapid liberal transition was cast by a distinct group of younger scholars as the only possible way of reforming the socialist economy. Their training was based above all on Paul A. Samuelson’s canonical textbook Economics, which presented this discipline almost as a natural science with universal standards. Immediately after 1989/90, when some of these scholars assumed executive positions within the new Czechoslovak government, what were at first purely economic ways of reasoning merged with certain images of the national past, creating a mixture of liberal economic knowledge and national exceptionalism.
Die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise hat nicht nur wegen ihres Ausmaßes vielfach Verweise auf die Weltwirtschaftskrise der späten 1920er- und frühen 1930er-Jahre provoziert, insbesondere aber auf die deutsche Bankenkrise des Sommers 1931. Die zunehmende Unsicherheit in breiten Teilen der deutschen Bevölkerung nährte Zweifel an der Handlungsfähigkeit von Entscheidungsträgern in Wirtschaft und Politik. Nicht nur notorische Skeptiker sind der Überzeugung, dass bei einer anhaltenden Krise das Vertrauen in das System der Sozialen Marktwirtschaft und die politische Stabilität des Landes nachhaltig unterminiert werden könnten. Der Vergleich der jüngsten Ereignisse mit der wirtschaftlich und schließlich auch politisch verheerenden Krise der frühen 1930er-Jahre fördert, bei allen durch die Quellenlage begründeten Einschränkungen, tatsächlich gewisse Parallelen zutage; er zeigt aber auch gravierende Unterschiede auf. Im Folgenden soll dies – schon aus Platzgründen auf den deutschen Fall beschränkt – in drei Abschnitten skizziert werden, die sich nacheinander mit den potenziellen Verursachern der Krisenerscheinungen beschäftigen: Managern, Märkten und Politik.
The newly emerging historical scholarship on the era ›after the boom‹, on the marketization of societies in the wake of the neoliberal political reforms, deregulation, and privatization starting in the 1970s, has emphasized this threshold as an epochal break that was driven by large-scale structural shifts in the global economy, in social relations, and in cultural identities. This new accentuation of the economic and social transformation has, for good reason, eclipsed older historical traditions that focused on events, discourses, specific interests, and individual actors. The marketization of social relations is thus often considered to be the result of processes beyond the reach and scope of purposeful actors that promoted specific societal changes. While this historical focus is quite right in denying independent causal status to specific agents and the self-aggrandizement of vain leaders and their intellectual entourage, it tends to obscure the historical genesis of ideas and concepts that later became critical components of political leadership, and the specific constellations of interests, knowledge and actors that did prefigure and originally promote the marketization of economic and political institutions.
„Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muß sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen. Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. An die Stelle der alten lokalen und nationalen Sebstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander.“
Seit dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts verreiste die Mehrheit der Westdeutschen mindestens einmal im Jahr. Die Urlaubsreisen wurden zunehmend als Pauschalreisen ins Ausland unternommen und stellten für die meisten Haushalte auch in Krisenzeiten ein zentrales Konsumgut dar. Um sich dem Reiseverhalten eines Großteils der Bevölkerung anzunähern, werden hier Pauschalurlaube in Spanien untersucht. Dank des wachsenden Flugverkehrs entwickelte sich gerade dieses Land in den 1970er- und 1980er-Jahren zum beliebtesten Auslandsreiseziel der Westdeutschen. Von der zeitgenössischen Konsumkritik wurden Pauschalurlaube in Spanien jedoch häufig negativ bewertet; individuelle Ansprüche spielten bei dieser Urlaubsform angeblich keine Rolle. Anhand der Urlaubspraktiken, wie sie sich indirekt aus den Angeboten der Veranstalter sowie zusätzlich aus Fotoalben und Erinnerungsberichten erschließen lassen, ergibt sich ein differenzierteres Bild. Massentourismus und die Erfüllung individueller Vorlieben schlossen sich nicht aus; zudem waren Pauschalreisen mitunter der Einstieg in eine selbstständigere Begegnung mit dem Urlaubsland. Der Aufsatz verdeutlicht damit auch das Potential praxeologischer Ansätze zur Erforschung des bundesdeutschen Massenkonsums insgesamt.
Die Geschichte der „Chinesenviertel“ und chinesischer Migranten in europäischen Metropolen demonstriert, wie „Fremde“ zur Gefahr für die nationale Arbeit und für die Großstädte stilisiert wurden; sie zeigt aber auch, wie Migranten wirtschaftliche Nischen besetzen und schließlich als kulturelle Bereicherung akzeptiert werden konnten. In Hamburg präfigurierte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein ausgeprägter Hygiene-Diskurs die vehemente Ablehnung, während sich die Behörden in Rotterdam anfangs indifferent verhielten und die dortige Bevölkerung in den frühen 1930er-Jahren durchaus Empathie mit arbeitslosen Chinesen zeigte. In London wiederum schlug die anfängliche Toleranz seit dem Ersten Weltkrieg in Abwehr um. Ab den 1950er- und 1960er-Jahren setzte mit dem großen Erfolg chinesischer Gastronomie eine neue Phase chinesischer Migration ein, die nun als kulinarische Bereicherung der urbanen „Konsumgesellschaft“ allgemein anerkannt wurde. Während ein kosmopolitischer Charakter von westeuropäischen Metropolen seit den 1970er-Jahren als mehr oder minder selbstverständlich gilt, ist die Geschichte chinesischer Migranten in Westeuropa ein gutes Beispiel für den langen und unebenen Weg zur multikulturellen und multiethnischen Gesellschaft.
Für dieses Buch muss man sich etwas Zeit nehmen. Ich hatte die gut 700 Seiten umfassende amerikanische Originalausgabe von »Mechanization Takes Command« (den Titel kürzte Giedion in seinen Notizen mit dem Akronym »M.T.C.« ab) im Sommer 2017 im Amtrak California Zephyr auf meiner Reise von Greenriver, UT, nach Chicago, IL, im Gepäck. Diese Reise bot aktualisiertes Anschauungsmaterial zu Giedions Sondierungen der US-amerikanischen Industrialisierungsgeschichte. Sie folgte jener Eisenbahnlinie, welche Kalifornien (wo die Frontier-Gesellschaft Amerikas im ausgehenden 19. Jahrhundert an ihr Ende gelangte) mit Chicago verbindet (der nach dem großen Brand von 1871 zur Industriemetropole avancierten Stadt am Lake Michigan). Dazwischen öffnete sich der Midwest, dessen verrostete und verlassene industrielle Infrastruktur (Bahnhöfe, Fabriken, Brücken, Städte) durch das Zugfenster ins Blickfeld geriet und somit den Endpunkt der von Giedion dokumentierten Entwicklungen brutal vor Augen führte. Die heruntergewirtschafteten Landschaften des Midwest und Giedions Streifzüge in ihre Industrialisierung während des 19. Jahrhunderts flossen ineinander über. Etwa dann, wenn der Zug stillstand und mein Blick bei den Getreide-Elevatoren hängen blieb, wo sich die Eisenbahnlinien kreuzen und der Personenzug den unendlich langen Güterwagen, die von Diesellokomotiven angetrieben werden, den Vortritt lassen musste. Oder wenn ich beim mäandrierenden Durchblättern des Buches und dem Blick aus dem Zugfenster den Faden verlor und eindöste – und dann beim Eindunkeln jäh von den sleeping car attendants, welche die ausklappbaren Sitze für die Nacht mit ein paar Handgriffen zu Betten umwandelten, in die Gegenwart zurückgeholt wurde. Oder im Nachfolgemodell des von George M. Pullman 1869 in seinem Patent beschriebenen Speisewagens, wo die Reisende aus Europa und Wählerinnen des amtierenden Präsidenten sich am gemeinsamen Tisch zum Verzehr von Burger, Steaks und Hot Dogs wiederfanden. Jenes Präsidenten, der zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine Re-Industrialisierung abgehängter Regionen im einst prosperierenden Rostgürtel der USA versprach.
Die moderne Versicherungswirtschaft entstand als Reaktion auf die vielfältigen neuen Risiken, die sich mit der Industrialisierung entwickelten. Die verstärkte Risikoabsicherung war verbunden mit einem Denken in Wahrscheinlichkeiten und deren rechnerischer Bestimmung. Ende des 19. Jahrhunderts war die Versicherungsindustrie bereits voll entwickelt, und der Staat erklärte das Versicherungsprinzip zur Leittechnik der Risikovorsorge. Heute stößt die Versicherungswirtschaft aufgrund der global wirksamen ökologischen, ökonomischen und terroristischen Risiken jedoch an ihre finanziellen Grenzen; sie kann mit der raschen Expansion der Risiken kaum noch Schritt halten. Der Aufsatz skizziert die Anfänge von Versicherungen sowie die Durchsetzung des Versicherungsprinzips vor allem im Laufe des 19. Jahrhunderts. Er gibt einige Hinweise zur weiteren Entwicklung von Versicherungen im 20. Jahrhundert und lenkt den Blick schließlich auf die neuartigen Probleme, denen sich Versicherungen in der „Weltrisikogesellschaft“ des beginnenden 21. Jahrhunderts ausgesetzt sehen.
Since the 1950s, cycling policy in China has gone through three phases: from active encouragement (1955–1994) and systematic discouragement (1994–2008) to neglect and ambivalence (since the 2010s). Parallel to the expansion of automobility, the country has been unique in its development of innovations in electric-powered two-wheelers and a vibrant e-cycling practice since the 1980s. Electric bikes have given over 300 million low-status commuters and peddlers access to jobs and housing, even though planners have dismissed them as a problematic ›floating population‹ and remnants of the past. Given China’s current urban sustainable mobility challenges and ambition to become the world’s first ›Ecological Civilization‹ (2013), China’s bicycle industry, e-vehicle manufacturers, and the e-commerce sector may offer an alternative to the US-based ›car civilization‹ if ecological (e-cycles) and social (low-status workers) sustainability are brought into one analytical frame.
Rund 50 bundesdeutsche Unternehmen hatten während der Apartheid eigene Produktionsstätten in Südafrika. Wie legitimierten diese Unternehmen ihr Engagement? Nachdem gegenüber der Situation der schwarzen Bevölkerungsmehrheit lange eine Ignoranz vorgeherrscht hatte, wurde ab den 1970er-Jahren die Verbesserung der Arbeitsbedingungen schwarzer Beschäftigter ein erklärtes Ziel – als Folge ökonomischer Probleme (wie dem Fachkräftemangel) und eines steigenden politischen Drucks durch Kirchen und Gewerkschaften in der Bundesrepublik. Seit 1977 bildete der »Code of Conduct«, den die Europäische Gemeinschaft erließ, einen institutionellen Rahmen für die Menschenrechte aller Beschäftigten. Im zerfallenden Apartheid-Staat forderten westdeutsche Unternehmen während der 1980er-Jahre politische Reformen und etablierten mit den schwarzen Gewerkschaften stabile Verhandlungsbeziehungen. Anhand des Volkswagen-Konzerns und seiner Tochtergesellschaft Volkswagen of South Africa (VWoSA) wird dieser Prozess nachgezeichnet. Der Konflikt um die Apartheid zählt zu den Ausgangspunkten für die heutige Corporate Social Responsibility multinationaler Konzerne, mit der soziale Normen und Verpflichtungen auch für Tochterunternehmen festgeschrieben werden.
Wie hängen Arbeit und Geschlecht, Erfahrungen marginalisierter Männlichkeit und die Möglichkeiten des Zugangs zu (Erwerbs-)Arbeit zusammen? Dies war die Ausgangsfrage des vorliegenden Gesprächs. Ausdrücklich wollten wir dabei eine relationale Perspektive einnehmen, weil – je nach Kontext differierende – Vorstellungen und Praktiken von Männlichkeit nicht ohne Vorstellungen von Weiblichkeit zu verstehen sind und hegemoniale Männlichkeit auf marginalisierte Männlichkeiten verweist. Das Interesse am Thema erwuchs aus einem Forschungsprojekt zu »Maskulinität(en)«, das Cornelia Brink (Neuere und Neueste Geschichte, Historische Anthropologie) und Olmo Gölz (Islamwissenschaft, Iranistik) gemeinsam mit Kolleg*innen aus weiteren Disziplinen seit 2020 als Teilprojektleiter*innen im Sonderforschungsbereich 948 »Helden – Heroisierungen – Heroismen. Transformationen und Konjunkturen von der Antike bis zur Moderne« an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg bearbeiten. Der Forschungsgruppe geht es darum, Heldentum und Männlichkeiten zusammenzudenken und das Heroische als – möglicherweise – zugangsregulierendes Paradigma für Positionen in Geschlechterordnungen zu problematisieren. In einer interdisziplinär besetzten Diskussionsrunde und mit dem Blick »von außen«, d.h. jenseits der Heldenforschung, sollte die Frage nach Zugang und Ausschluss, den damit verbundenen Wahrnehmungen, Handlungsoptionen und (vermeintlichen) Ansprüchen für den Zusammenhang von Männlichkeit und Arbeit erweitert werden. Neben ihrer jeweiligen fachlichen Spezialisierung aus Medizin/Psychoanalyse, Geschichte und Soziologie brachten die Beteiligten durch ihre nicht nur berufliche Sozialisation in Iran und in der Schweiz, in der (»alten« und »neuen«) Bundesrepublik und den USA sowie in der DDR und im vereinten Deutschland ganz unterschiedliche lebensgeschichtliche Zugänge ein. In einer Zeit, in der interdisziplinäre Zusammenarbeit sich als Versprechen ganz selbstverständlich in Anträgen findet, die geistes- und sozialwissenschaftliche Praxis dagegen weiter oft von wechselseitigen Abgrenzungen der einzelnen Fächer bestimmt zu sein scheint, sehen wir einen wichtigen Ertrag des Gesprächs in der Annäherung an einen gemeinsamen Problemzusammenhang aus verschiedenen fachlichen Perspektiven.
Nichts Besonderes. Bundesdeutsche Rüstungsexporte nach Israel in der sozialliberalen Ära (1969–1982)
(2020)
Auf breiter empirischer Grundlage überprüft der Aufsatz das gängige Bild, aus historischer Verantwortung habe die Bundesrepublik Deutschland den Staat Israel schon immer besonders großzügig mit Waffen beliefert. Im Fokus steht die Rüstungsexportpolitik der sozialliberalen Bundesregierungen unter Willy Brandt und Helmut Schmidt. Anhand interner Regierungsakten sowie auch internationaler Datenbanken der Friedensforschung wird in komparativer Perspektive untersucht, welche Rüstungstransfers von 1969 bis 1982 mit Bonner Zustimmung an Israel und andere Empfängerländer gingen. Der jüdische Staat, so zeigt sich, genoss als Abnehmer westdeutscher Militärware keineswegs eine bevorzugte Stellung – nicht einmal im Vergleich zu arabischen Ländern, mit denen er sich im Kriegszustand befand. Was den Bonner Kurs auf diesem Feld bestimmte, war nüchternes politisches und ökonomisches Eigeninteresse, nicht das Postulat, wegen des Holocaust gegenüber Israel in besonderem Maße verpflichtet zu sein. Der Befund sensibilisiert für die Brüche in der Geschichte der deutsch-israelischen Beziehungen, auch für die Zusammenhänge zwischen Erinnerungskultur und Außenpolitik, die in der Bundesrepublik erst ab Anfang der 1980er-Jahre stärker zum Tragen kamen.
Anhand der bundesdeutschen Pharmawirtschaft, genauer der Unternehmen Bayer, Hoechst, Merck und Schering, wird gezeigt, dass die Bedeutung von Patentrechten für die Gesundheitsökonomie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts deutlich wuchs: Die Unternehmen erhöhten nicht nur die Anzahl von Patenten, sondern auch die Investitionen in immaterielles Vermögen erheblich. Die Kosten für Forschung und Entwicklung (F&E) überstiegen seit etwa Ende der 1970er-Jahre die Investitionen in Produktionsanlagen. Patente selbst avancierten zum Instrument, um unternehmensseitig den Wettbewerb zu beeinflussen. Das 1968 eingeführte »Stoffpatent« für neue chemische Verbindungen hatte dafür erweiterte Möglichkeiten geschaffen. Patent- und Lizenzabteilungen wurden zu wichtigen Orten unternehmensinterner Entscheidungsfindung. Zudem wurden die Forschungsleistungen hervorgehoben, um den Anstieg der Arzneimittelpreise zu rechtfertigen. Der Aufsatz leistet einen Beitrag zur Beantwortung der Frage, wie und wann die bundesdeutsche Wirtschaft verstärkt zu einer »Intangible Economy« wurde. Er verdeutlicht, wie relevant geistiges Eigentum für die Transformation seit den 1970er-Jahren war – und damit für die Zeitgeschichte des Kapitalismus als Kombination von Vermarktlichung und Verrechtlichung, von globalem Wettbewerb und nationalstaatlicher Regulierung.
Seit dem Ende der 1960er-Jahre lieferte der für seine Sofortbildkameras und -filme bekannte US-amerikanische Fotografiehersteller Polaroid Apparate nach Südafrika, die zur effizienten Erstellung von Ausweisdokumenten für die schwarze Bevölkerung dienen konnten. Besonders in der Firmenzentrale in Massachusetts löste dies den Protest schwarzer Mitarbeiter/innen aus (Polaroid Revolutionary Workers Movement, PRWM). Die Fallstudie untersucht einige Pamphlete und Flugblätter, die sich elaborierter Manipulationen von Fotografien und einer aufrüttelnden Bildsprache bedienten. Die Bewegung setzte das Medium Fotografie gegen den Sofortbildhersteller ein, um diesen mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Der Streit um den US-amerikanischen Handel mit Südafrika gelangte bis ins Repräsentantenhaus. Die Darstellung der Bild- und Konfliktgeschichte ermöglicht es zugleich, einen breiteren Blick auf die Genese und die konkrete historische Situation der ausweisbasierten Kontrollmechanismen im Apartheidstaat Südafrika zu richten. Der tatsächliche Einsatz der Polaroid-Technik für Überwachungszwecke lässt sich nicht eindeutig ermitteln, und der Protest hatte insofern Erfolg, als das Unternehmen seine Lieferungen nach Südafrika Ende der 1970er-Jahre stoppte.
Die Jahrzehnte »nach dem Boom«, also nach der ökonomischen Krise von 1973, erscheinen in historischen Darstellungen häufig wie eine Phase der Stagnation. Für viele Bereiche gilt dies freilich nicht. In der westdeutschen Werbewirtschaft etwa stiegen bereits in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre allein in der Tagespresse die Umsätze um 50 % auf gut fünf Milliarden DM (...)
Politische Medizin. Ideologie und Gesundheitsökonomie im SED-Staat der 1950er- und 1960er-Jahre
(2020)
Mitte der 1950er-Jahre feierte ein bundesdeutscher Film auch in DDR-Kinos Premiere: »Weil Du arm bist, mußt Du früher sterben« thematisierte im Gewand eines Sozialdramas die Mängel des Gesundheitssystems der Bonner Republik. Schon die Präsentation eines »Westfilms« an sich war keineswegs selbstverständlich. Darüber hinaus durfte der Streifen mit Bernhard Wicki in der Hauptrolle in der DDR gezeigt werden, obgleich als Drehbuch-Autor Ernst von Salomon verantwortlich zeichnete. Das Werk des Schriftstellers, der 1922 das Attentat auf Walter Rathenau mit vorbereitet hatte, stand eigentlich weitgehend auf dem politischen Index der DDR. Doch passte die radikale Kritik am bundesdeutschen Gesundheitswesen den Partei-Verantwortlichen hervorragend in ihr propagandistisches Konzept: Der Film sei geeignet, so das »Neue Deutschland«, »die Legende, die um den ›goldenen Westen‹ gewoben wird, zu zerstören und uns bewußt zu machen, wieviel Licht in unserem Arbeiter-und-Bauern-Staat bereits ist, wo dort noch tiefe Dunkelheit herrscht«.
Seit den frühen 1970er-Jahren entstanden in vielen westeuropäischen Ländern »Dritte-Welt-Läden«. Sie waren bis in die späten 1980er-Jahre die wichtigste Verkaufsform des »Alternativen Handels«. Der Aufsatz interpretiert diese Läden als konsumkritische Konsumorte, in denen zeitgenössische Utopien eines gerechten, postkolonialen Welthandels symbolisch realisiert werden sollten. Der Aufsatz ordnet den »Alternativen Handel« zunächst in die ideengeschichtlichen Kontexte der 1960er- und 1970er-Jahre ein; anschließend wird die konkrete Verkaufspraxis, Inszenierung und Gestaltung der Läden analysiert. Mit Hilfe von Beispielen aus der Bundesrepublik Deutschland und aus Großbritannien werden zudem die Unterschiede in der Verwirklichung des Handelsmodells herausgearbeitet. Der »Alternative Handel« steht für ein neues Verhältnis von Konsum, Moral und politischem Protest in der Zeit »nach dem Boom«. Allerdings führt von den »Dritte-Welt-Läden« der 1970er- und 1980er-Jahre keine gerade Linie zu den heutigen Milliardenumsätzen mit »Fairtrade«-Produkten. Diese Marktexpansion ist eher eine Geschichte der Diskontinuität.
Der Beitrag fragt nach den Anfängen und den Triebkräften der Ökonomisierung von Altenpflege in England und in der Bundesrepublik Deutschland. Schon vor den marktschaffenden Reformen der 1990er-Jahre stieg der Anteil der privatwirtschaftlichen Altenpflege deutlich an, wobei häufig Kleinunternehmen und Soloselbstständige dieses Segment der Sozialwirtschaft trugen. Der National Health Service and Community Care Act in England (ab 1990) und die Pflegeversicherung in Deutschland (ab 1995) beschleunigten die Ökonomisierung der Altenpflege auf spezifische Weise: In beiden Ländern entstanden Großunternehmen, die den Kommunalverwaltungen und Pflegekassen als mächtige Verhandlungspartner gegenübertraten. Privatisierung und Bürokratisierung griffen ineinander. Für Deutschland lässt sich zudem feststellen, dass der Bezug von Geldleistungen die Vorstellung von Pflege als bezahltem Wirtschaftsgut verbreitete. Wie weit die Vermarktlichung im deutschen Fall ging, wird indes erst deutlich, wenn man die Schattenwirtschaft der prekär und teils illegal Beschäftigten einbezieht. Der zeithistorische Blick legt offen, wie tief Strukturen der Ausbeutung in die Pflege eingeschrieben sind.
The peculiar admiration that National Socialists had for Henry Ford and the supposed sympathies that the Detroit industrialist harbored for Nazism keep attracting the curious, both academic historians and Internet dilettantes. There is something irresistible about the connection between the man taken to symbolize American industrial modernity and the quintessential villains of the twentieth century.
„Unhappy is a society that has run out of words to describe what is going on“, schrieb Daniel Bell 1973 in „The Coming of Post-Industrial Society“ (S. 294). Bell war diesbezüglich um Worte nicht verlegen, und hier liegt die historische Relevanz des Buches: Es handelt sich um einen bis heute einflussreichen Versuch, einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel westlicher Industriegesellschaften zu beschreiben und intellektuell zu erfassen, während er sich noch vollzog. Bell, der sich schon in seiner Studienzeit als „Spezialist für Generalisierungen“ bezeichnet hatte, wagte damit den großen Wurf, ordnete gesellschaftliche Entwicklungen seit dem Zweiten Weltkrieg in weiter Perspektive historisch ein und identifizierte langfristige Trends. Die zukünftige Gesellschaft werde eine postindustrielle sein, und die USA hätten diese Schwelle zum Beginn der 1970er-Jahre bereits überschritten. Unter den zeitgenössischen gesellschaftstheoretischen Gegenwartsdiagnosen und Zukunftsentwürfen nimmt Bells Konzept der postindustriellen Gesellschaft auch deshalb eine Sonderstellung ein, weil es sich umgehend als ein bekanntes, wenn auch verkürzendes Schlagwort etablierte.