Sound History
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Nach einer langen und noch immer anhaltenden Hochphase der Visual Studies haben sich die Geistes- und Kulturwissenschaften in den vergangenen Jahren verstärkt auch der Kulturbedeutung der Klänge und des Hörens zugewandt. Dies ging zunächst auf die Entwicklung in einzelnen Disziplinen zurück. Innerhalb der Medienwissenschaft waren hier besonders die Film Studies und Radio Studies federführend.
Besucht man heute das Gelände, auf dem sich ab 1940 das nationalsozialistische Konzentrationslager Gusen befand, das lange Zeit größte KZ auf österreichischem Gebiet, mag der Anblick überraschen: Das ehemalige Lagergelände, das direkt an der Straße zwischen Linz und Mauthausen liegt, ist nun eine idyllische Siedlung mit Einfamilienhäusern, kleinen Gärten und Heckenzäunen, durchkreuzt von ruhigen Straßen mit lieblichen Namen: Spielplatzstraße, Parkstraße, Blumenstraße. Einzig ein monumentaler Betonbau am Rand der Siedlung stört die Idylle und erinnert daran, was zwischen dem 25. Mai 1940 und dem 5. Mai 1945 an diesem Ort geschehen ist.
Radiophone Stimminszenierungen im Nationalsozialismus. Eine medienwissenschaftliche Perspektive
(2011)
Walter Benjamin zufolge hat das mediale Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit von Stimmen und Klängen die Tradierung des Wissens aus ihrem Jahrtausende alten Kreislauf mündlicher Erzählung gelöst, die „Geschichten dem Gedächtnis nachhaltiger anempfiehlt“, als es deren mediale Wiedergabe vermag. Je fesselnder die Erzählsituation von Geschichten ist, „desto größer wird ihre Anwartschaft auf einen Platz im Gedächtnis des Hörenden, desto vollkommener bilden sie sich seiner eigenen Erfahrung an, desto lieber wird er sie schließlich eines näheren oder ferneren Tages weitererzählen. Dieser Assimilationsprozeß“, so fährt Benjamin fort, „bedarf eines Zustandes der Entspannung, der seltener und seltener wird. Wenn der Schlaf der Höhepunkt der körperlichen Entspannung ist, so die Langeweile der geistigen. Die Langeweile ist der Traumvogel, der das Ei der Erfahrung ausbrütet. Das Rascheln im Blätterwalde vertreibt ihn. Seine Nester – die Tätigkeiten, die sich innig mit der Langeweile verbinden – sind in den Städten schon ausgestorben, verfallen auch auf dem Lande. Damit verliert sich die Gabe des Lauschens, und es verschwindet die Gemeinschaft der Lauschenden. Geschichten erzählen, ist ja immer die Kunst, sie weiter zu erzählen, und die verliert sich, wenn die Geschichten nicht mehr behalten werden.“
Noch immer wird Zeithistorikern gelegentlich nachgesagt, sie hätten ein gestörtes Verhältnis zu den modernen audiovisuellen Medien, und in der Tat hat die Disziplin erst mit einiger Verzögerung auf deren Ausbreitung reagiert. Dies galt lange für die Massenmedien ganz allgemein, deren Quellenwert aus der Perspektive einer klassischen, staatszentrierten Politikgeschichte äußerst begrenzt erschien. Aber auch die Wendung hin zur Gesellschaft, zur Erfahrungs- und Erinnerungsgeschichte hat zunächst überraschenderweise kaum dazu geführt, dass die Präsenz von Medien im Alltag in diesen Ansätzen besondere Berücksichtigung gefunden hätte. Zwar ist diese traditionelle Zurückhaltung – von einigen Residuen abgesehen – inzwischen erodiert: „Mediengeschichte“ hat sich als Subdisziplin innerhalb der Zeitgeschichte etabliert. Aber jenseits eines Verständnisses als Spartengeschichte verbreitet sich erst sehr langsam die Erkenntnis, dass die Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts generell nicht mehr angemessen geschrieben werden kann, ohne die ubiquitäre Verbreitung und Rezeption der Massenmedien zu berücksichtigen. Das gilt keineswegs nur für die sozial- und erfahrungsgeschichtliche Dimension des Mediengebrauchs. Wenn sich, um nur ein Beispiel zu nennen, die Darstellungsseite von Politik bereits seit geraumer Zeit maßgeblich in populären Medien wie dem Fernsehen vollzieht und Repräsentationen und Wahrnehmungen mit dem politischen Prozess rückgekoppelt sind, dann muss auch die Politikgeschichtsschreibung diesem Umstand Rechnung tragen.
Wer „Religion“ für die Bundesrepublik Deutschland zeithistorisch erforschen will, kann nicht absehen von den Formen der Frömmigkeit und Spiritualität, wie sie von Kirchen, religiösen Bewegungen, Gemeinden, Gruppen und Einzelnen in unterschiedlichen Graden von Öffentlichkeit praktiziert wurden und werden. Hierbei wären etwa Gottesdienstordnungen („Agenden“) und konkrete Ablaufpläne von Gottesdiensten und Feiern, spirituelle Angebote von Bildungseinrichtungen, ästhetisch-kulturelle Manifestationen religiöser Erfahrung und der große Bereich der populären religiösen Literatur genauer in den Blick zu nehmen. Zu wenig beachtet ist bislang die besondere Bedeutung der Kirchenmusik, und hier des geistlichen Liedes, für die zeithistorische Erfassung von Mentalitäten und Eigenheiten religiöser Bewegungen und von Veränderungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Zwar existiert eine eigene Subdisziplin der Praktischen Theologie, die Hymnologie, die sich der Erforschung des Kirchenliedes und der Musik in der Kirche widmet. Doch stehen dabei meist sprachliche, musikalische und theologische Werkanalysen oder historische Detailstudien zu einzelnen Liedern (vorzugsweise aus den kirchlichen Gesangbüchern) in praxiserschließender Absicht im Vordergrund, während kultursoziologische und kulturgeschichtliche Einordnungen der jüngsten Entwicklungen vergleichsweise selten vorgenommen werden. Immerhin hat der Volkskundler Wilhelm Schepping wertvolle Beiträge zu einer kulturwissenschaftlichen bzw. kulturgeschichtlichen Erhellung des Neuen Geistlichen Liedes beigesteuert, an die methodisch wie inhaltlich anzuknüpfen wäre.
Am Beispiel Hamburgs wird untersucht, wie die Geräusche einer bedeutenden Hafenstadt auf die einheimische Bevölkerung und auf Besucher wirkten. Die Klänge der Schiffssirenen, mitunter als „herrlicher Lärm“ bezeichnet, banden die Bewohner emotional an ihre Stadt. Auch bei Auswärtigen hinterließ das akustische und visuelle Erlebnis des Hamburger Hafens einen nachhaltigen Eindruck, nicht zuletzt da Hafengeräusche mit Fernweh und Abenteuerlust assoziiert wurden. Schon seit dem frühen 20. Jahrhundert griffen Massenmedien und Massenkultur die maritime Geräuschkulisse auf. Sehr populär wurde etwa die 1929 begonnene, bis heute fortgeführte Radiosendung „Hamburger Hafenkonzert“. Auch in Filmen fungierten maritime Klänge als variierende Bedeutungsträger. Während sich die ökonomische und soziale Bedeutung des Hafens für die Stadt Hamburg seit den späten 1960er-Jahren veränderte, werden maritime Sounds und Images auf medialer Ebene fortgeschrieben.