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Geschichtspolitik
(2014)
Das Politik- und Forschungsfeld „Geschichtspolitik“ polarisiert. Stefan Troebst diskutiert in seinem Beitrag den Umgang von politischen Akteuren und Instanzen mit der nationalen Geschichtsvermittlung. Der Fokus des Forschungsfelds liegt auf Osteuropa und Deutschland und zeigt eine Lücke in transnational vergleichenden Studien auf. Troebst hebt insbesondere die kulturwissenschaftlich-praktische Herangehensweise hervor und ordnet die „Geschichtspolitik“ im Zusammenhang der Vergangenheits- und Erinnerungspolitik neu ein.
Seit den 1980er-Jahren erleben wir in der Bundesrepublik und auch in anderen Ländern einen Museumsboom, der noch lange nicht abgeschlossen zu sein scheint. Er zeichnet sich nicht allein durch immer neue Museumsgründungen und hohe Besuchszahlen aus, sondern auch durch eine umfassende mediale Begleitung und öffentliche Diskussion von Museums- und Ausstellungseröffnungen. Gleichzeitig wandeln sich Funktion und Selbstverständnis vieler Museen seit Beginn des 21. Jahrhunderts: weg von elitären Bildungseinrichtungen, hin zu Orten des zivilgesellschaftlichen Austauschs und der Partizipation. Dieser Wandel in der Museumswelt trifft gegenwärtig auf ihrerseits gewandelte geschichtspolitische Ansprüche, die an die Museen herangetragen werden.
Richard Horton, ein britischer Arzt und Chefredakteur der einflussreichen medizinischen Fachzeitschrift »The Lancet«, löste Ende 2012 mit einer Serie von Twitter-Nachrichten eine hitzige Debatte aus. Polemisch zugespitzt kritisierte Horton den schädlichen Einfluss der Ökonomie auf das öffentliche Gesundheitswesen. In zehn Thesen beklagte er, dass die Wirtschaftswissenschaften keine Vorstellung von moralischem Handeln hätten und einem falschen Menschenbild folgten. Die Marktideologie lasse sich nicht vereinbaren mit den Werten, auf denen sozialstaatliche Gesundheitssysteme begründet seien. Auch wenn die Gesundheitsökonomie das Gegenteil behaupte – Gesundheit sei kein ökonomisches Gut. Horton folgerte: »Economics […] may just be the biggest fraud ever perpetrated on the world.«
Vorsorge war immer. Bereits in der Frühgeschichte stoßen wir auf Kulturtechniken, mit denen Menschen Risiken vorbeugen und Gefahren verhüten wollten. Schon das Anlegen von Vorräten, die Präparierung von Landschaften oder die Anrufung von Schutzgöttern waren Konzepte und Praktiken der Vorsorge. In der Moderne jedoch wuchs die Vielfalt an Befürchtungen und Ängsten, die eine nicht minder große Vielfalt an Vorsorgekonzepten und -maßnahmen mit sich brachte. Spürbar wurde dieser Anstieg in einem Boom an Versicherungen, in der Popularisierung medizinischer, sozialreformerischer und pädagogischer Maßnahmen, in der Verbreitung von Diäten, in den Sport- und Turn- oder den Anti-Tabak- und Anti-Alkohol-Bewegungen.
»So darf es nicht weitergehen«, forderten im September 2019 hunderte deutsche Ärzte und Verbände des Gesundheitssektors. Sie formulierten eine flammende Anklage gegen »das Diktat der Ökonomie« und gegen eine »Enthumanisierung der Medizin« in Krankenhäusern und Arztpraxen. Dieser »Ärzte-Appell« ist ein aktueller Beitrag zu einer langjährigen intensiven Debatte um das Verhältnis von Gesundheit und Ökonomie. In der Öffentlichkeit stehen die »Folgen der Ökonomisierung des Gesundheitswesens« meist als Menetekel für eine »Medizin ohne Empathie« und für die Verschärfung sozialer Ungleichheiten am Krankenbett: Kinder, aber auch Migranten, Alte und Arme seien die Leidtragenden, wenn es »an Geld, Ärzten und Pflegern« fehle. Die Binnenperspektive eröffnet nicht minder alarmierende Einblicke. In einer Studie wurden 2018 zahlreiche Geschäftsführer und Ärzte an Kliniken zu betriebswirtschaftlichen Einflüssen auf ihre Arbeit befragt. Sie zeichneten ein bedrückendes Bild, das die Autoren der Studie wie folgt zusammenfassten: »Die Krankenhausmedizin nimmt fabrikmäßige Züge an, die medizinische Arbeit wird für das ärztliche und pflegerische Personal tendenziell als fremdbestimmt erlebt. [...] Insofern verändert die Ökonomisierung auch mittelbar den Charakter der Medizin.«
Gewalt und Gewaltforschung
(2014)
Weder im alltagssprachlichen Gebrauch noch in der Wissenschaft ist es kaum möglich zu sagen, was Gewalt ist. Entsprechend handelt es sich bei der Gewaltforschung um ein fast unüberschaubares Feld, das sich mit Kriegen bis hin zu sprachlichen Praktiken oder Rollenverteilungen in privaten Räumen beschäftigt. Felix Schnell stellt in seinem Artikel das Spektrum der gängigen Gewaltbegriffe dar, schildert die Entwicklung der relativ jungen Gewaltforschung im engeren Sinne und gibt einen Überblick über aktuelle Forschungstendenzen.
Um Anerkennung als legitimes Objekt wissenschaftlichen Fragens muss die Populärkultur längst nicht mehr kämpfen. Zwar dürfte es kaum möglich sein, die vielfältigen Ansätze zur Massen- und Unterhaltungskultur auch nur des späten 20. Jahrhunderts auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, aber unter den dabei bevorzugt behandelten Gegenständen müsste wohl den James-Bond-Filmen ein prominenter Platz eingeräumt werden. Mehr als jede andere Filmreihe haben sie ein ganzes Genre des Actionkinos definiert und Standards des Spionage- und Agententhrillers etabliert, die bis heute und noch in ihrer ironischen Brechung als Referenzgröße dienen.
Im Frühjahr 2007 veröffentlichte der „Spiegel“ eine Hommage an das „neue Berlin“. Die Titelstory über die „Wiederkehr einer Metropole“ – „Aufgebaut von den Preußen, geschändet von den Nazis, zerstört von den alliierten Bombern, meldet sich Berlin auf der Weltbühne zurück“ – nimmt ihren Ausgangspunkt am „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“. Zitiert wird aus der Besucherordnung, die ein Begehen im Schritttempo vorschreibt, die Lärmen, lautes Rufen und Rauchen verbietet und somit „eigentlich genau regelt, in welcher Gefühlslage hier in den Abgrund der deutschen Geschichte geschaut werden soll“. Doch die Jugendlichen, „die seit den ersten Frühlingstagen […] wieder das Denkmal bevölkern, denken nicht daran, hier nur Trauerarbeit zu leisten. Eine siebte Klasse aus Fürth, soeben noch ergriffen von den Dokumenten im Souterrain des Denkmals, spielte vergangenen Donnerstag inmitten des Stelenfeldes Fangen. Als sich zwei Schüler plötzlich in die Arme fielen, kreischten sie.“ Diese Szene wird zum Symbol für die neue „Leichtigkeit“, die Berlin im Umgang mit seiner traumatischen Vergangenheit erlangt habe: „Vielleicht gibt es ja im Leben jeder Stadt so etwas wie eine Relativitätstheorie. Jedes Ereignis, auch das finsterste, verblasst demnach mit der Zeit. […] Das neue Berlin ist mehr als nur ein Ort des Gedenkens und Trauerns – fröhlich, frech und manchmal mit dreister Leichtigkeit findet die Preußen-Hauptstadt zu einer neuen Identität.“
»What was it that converted capitalism from the cataclysmic failure which it appeared to be in the 1930s into the great engine of prosperity of the post war Western world?« (S. 3) Das ist die Leitfrage von Andrew Shonfields vor 50 Jahren erschienenem Buch über den »modernen Kapitalismus« der 1960er-Jahre. Wie konnte es zu dem »Goldenen Zeitalter« (Eric Hobsbawm), also der fast drei Jahrzehnte andauernden Nachkriegsprosperität kommen, nachdem der Kapitalismus im Zuge der Großen Depression abgewirtschaftet zu haben schien und sich eine breite ordnungspolitische Debatte um alternative Wirtschaftsformen entwickelt hatte?
Grenzerfahrungen. Mobilitätsbegeisterung für Auto, Flugzeug und Boot im frühen 20. Jahrhundert
(2013)
Zwischen 1880 und dem Ersten weltkrieg kam es zu einer Revolution der Mobilität: Kleine, individuelle Geräte wie Fahrräder, Segeljollen oder Paddelboote, aber auch Rollschuhe, und später Automobile und Fluggeräte wurden erfunden und fanden begeisterte Nutzer. Mit den neuen Mobilitätsmaschinen entstand auch ein neuer technischer Stil, eine neue Art des Konstruierens und Fertigens. Während Technik bis dahin schwer und solide erschien und eher schwerfällig wirkte, kam es nun zu einem grazileren und leichteren Technikstil. Typisch dafür war das Fahrrad: Aus leichten Rohren, gepressten Blechteilen, drahtspeichen und Kugellagern entstand eine Maschine, die das Zehnfache ihres eigenen Gewichts trug und dabei das Geschwindigkeitspotential des Radfahrers vervielfachen konnte. Auch die frühen Flugmaschinen entsprachen dem, gebaut aus ungewöhnlichen Materialien wie Bambus, Aluminiumblechen oder Klavierdrähten, transparent und trotzdem kraftvoll, Maschinen, die den alten Menschheitstraum des Fliegens mit neuer Technik verwirklichten.