Religion
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Mitten in der Stadt, direkt neben dem Viktualienmarkt, eröffnete im Frühjahr 2007 das Jüdische Museum München. Integriert in ein Ensemble aus der neuen Hauptsynagoge, dem jüdischen Gemeindezentrum und dem Stadtmuseum, soll es nicht nur ein Ort von Geschichte und Erinnerung sein, sondern ein Ort der Gegenwart, Kommunikationsraum und Haus der Begegnung. Jüdisches Leben in den verschiedensten Facetten in Vergangenheit und Gegenwart zu zeigen - das ist Konzept und Ziel des neuen Museums.
Wenn in diesem Jahr die Bundesrepublik Deutschland auf 60 Jahre einer erfolgreichen Demokratie im Herzen Europas zurückblicken kann, dann ist diese Geschichte untrennbar mit dem Weg der deutschen Katholiken von der unmittelbaren Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis über die Schwelle ins 21. Jahrhundert verbunden. Bis zur friedlichen Revolution im Epochenjahr 1989 und der Wiedervereinigung 1990 war es dem deutschen Katholizismus nur im westlichen Teil Deutschlands möglich, die religiösen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen maßgeblich mitzugestalten. Die Katholiken in der DDR sahen sich bis 1989 dagegen in die Rolle einer politisch und gesellschaftlich bedrückten Minderheit mit sehr geringen influssmöglichkeiten gedrängt. Erst mit dem Fall der Mauer und mit der Deutschen Einheit eröffneten sich jene gesellschaftlichen und politischen Handlungsfelder, die bei allen bleibenden Unterschieden zwischen West und Ost Kirche und Katholizismus in der größeren Bundesrepublik allgemein in den Kontext einer pluralen Gesellschaft und freiheitlichen Demokratie stellen.
Der „Neue Mann“ des „New Age“. Emotion und Religion in der Bundesrepublik Deutschland 1970–1990
(2010)
»Das Verhältnis zwischen Mann und Frau ordnet sich neu im New Age. [...] Neben der Neuen Frau entsteht unter dem Druck des weiblichen Aufbruchs zugleich ein Neuer Mann.« Das »New Age«, das »Neue Zeitalter«, suggerierte und propagierte in den 1970er- und 1980er-Jahren einen angeblich radikalen Einschnitt in der Geschichte der Menschheit, einen vermeintlich fundamentalen Bruch, der alles und jeden »transformiere« – auch und nicht zuletzt die traditionelle Ordnung der Geschlechter, deren hierarchische Stellung zueinander und deren exkludierenden Umgang miteinander.
Der Religionsgeschichte ist vielfach vorgeworfen worden, die entscheidenden methodischen ‚turns‘ und ‚shifts‘ der allgemeinen Geschichtswissenschaft erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung vollzogen zu haben. In der Tat, zu lange wurde die Geschichte von Religionen und Konfessionen lediglich als eine Geschichte von Kirchen und Verbänden beschrieben: Ereignisse und Institutionen rangierten weit vor Praktiken und Mentalitäten. Dies gilt insbesondere für die Zeitgeschichte: Während die Erforschung der religiösen Formationen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit schon längst mit neueren kulturgeschichtlichen Ansätzen operierte, galt es bezogen auf das 19. und 20. Jahrhundert noch immer als innovativ, den Anschluss an die Sozialgeschichte zu vollziehen und hinter den Kirchen und Verbänden das konfessionelle „Milieu“ und Formen kollektiver „Frömmigkeit“ zu entdecken. Nach dem Abschmelzen fester, homogener Konfessionsmilieus spätestens seit den 1960er-Jahren stellt sich nicht nur empirisch die Frage: „Was kommt nach dem Milieu?“ Auch methodisch ist zu überlegen: Was kommt nach der Milieuforschung?
Wer „Religion“ für die Bundesrepublik Deutschland zeithistorisch erforschen will, kann nicht absehen von den Formen der Frömmigkeit und Spiritualität, wie sie von Kirchen, religiösen Bewegungen, Gemeinden, Gruppen und Einzelnen in unterschiedlichen Graden von Öffentlichkeit praktiziert wurden und werden. Hierbei wären etwa Gottesdienstordnungen („Agenden“) und konkrete Ablaufpläne von Gottesdiensten und Feiern, spirituelle Angebote von Bildungseinrichtungen, ästhetisch-kulturelle Manifestationen religiöser Erfahrung und der große Bereich der populären religiösen Literatur genauer in den Blick zu nehmen. Zu wenig beachtet ist bislang die besondere Bedeutung der Kirchenmusik, und hier des geistlichen Liedes, für die zeithistorische Erfassung von Mentalitäten und Eigenheiten religiöser Bewegungen und von Veränderungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Zwar existiert eine eigene Subdisziplin der Praktischen Theologie, die Hymnologie, die sich der Erforschung des Kirchenliedes und der Musik in der Kirche widmet. Doch stehen dabei meist sprachliche, musikalische und theologische Werkanalysen oder historische Detailstudien zu einzelnen Liedern (vorzugsweise aus den kirchlichen Gesangbüchern) in praxiserschließender Absicht im Vordergrund, während kultursoziologische und kulturgeschichtliche Einordnungen der jüngsten Entwicklungen vergleichsweise selten vorgenommen werden. Immerhin hat der Volkskundler Wilhelm Schepping wertvolle Beiträge zu einer kulturwissenschaftlichen bzw. kulturgeschichtlichen Erhellung des Neuen Geistlichen Liedes beigesteuert, an die methodisch wie inhaltlich anzuknüpfen wäre.
Im Jahr 1963 veröffentlichte der Religionssoziologe Thomas Luckmann ein nur 83 Druckseiten langes Buch mit dem eher unscheinbaren Titel „Das Problem der Religion in der modernen Gesellschaft“. Das schmale Bändchen war zunächst einmal ein Eingriff in eine aktuelle und kontrovers beurteilte Praxis: die Nutzung religions- und kirchensoziologischer Erhebungen und Daten als „Hilfswissenschaft“, deren „Probleme“, so Luckmann, „von den institutionellen Interessen religiöser Organisationen bestimmt“ würden. Damit spielte Luckmann, der selbst empirische Erhebungen zur religiösen Praxis in protestantischen Gemeinden durchgeführt hatte, auf den engen „positivistischen“ methodischen Rahmen vieler pastoralsoziologischer Untersuchungen an, die von katholischen wie protestantischen Bistümern seit Anfang der 1950er-Jahre durchgeführt worden waren. Solche Studien erhoben zum Beispiel Sozialdaten von Kirchenbesuchern oder Imagewerte verschiedener pastoraler Dienstleistungen, um den Bistumsleitungen Anhaltspunkte für die Neuordnung seelsorglicher Angebote zu liefern. Doch für Luckmann verfielen diese empirischen Erhebungen nicht nur wegen der kurzschlüssigen kirchlichen Verwertungsinteressen und ihrer Fokussierung auf klar operationalisierbare, durch Teilnahme am Ritual definierte Formen des Religiösen der Kritik. Problematisch erschien ihm mehr noch die damit verbundene Einschreibung in ein Säkularisierungsparadigma, das ganz eindimensional an der „zurückgehenden Reichweite der Kirchen“ orientiert war.
Die These von der „Wiederkehr der Götter“ hat die Sozial- und Geisteswissenschaften erfasst. Als hätte man nur auf das Stichwort gewartet, so bereitwillig wird die Behauptung von der Renaissance des Religiösen und seiner Entprivatisierung aufgegriffen, und so eifrig werden immer wieder Belege dafür beigebracht, dass das Verhältnis von Religion und Moderne neu zu denken sei. Nicht mehr die Spannung zwischen Religion und Moderne interessiert, sondern ihre Kompatibilität. Nicht mehr die negativen Auswirkungen der Moderne auf die Integrationsfähigkeit von Religion und Kirchen werden analysiert; im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen die religionsproduktiven Potenzen der Moderne und deren religiöse Wurzeln. Folgt man Sozialwissenschaftlern wie Wolfgang Knöbl, Hans Joas, José Casanova oder Talal Asad, dann ist die Säkularisierungsthese strikt abzulehnen. Prozesse der Modernisierung und funktionalen Differenzierung führten nicht zwangsläufig zur Säkularisierung; zwischen beiden bestehe vielmehr ein kontingentes Verhältnis. Doch nicht nur in der Soziologie und Ethnologie häufen sich die skeptischen Stimmen gegenüber der Säkularisierungsthese. Der Abschied von ihr wird auch in den Geschichts- und Religionswissenschaften auf breiter Front vollzogen.
Institutionen, Ideen oder Deutungsmuster lassen sich aus unterschiedlichen Perspektiven erforschen. Für gewöhnlich wird vor allem die Perspektive der untersuchten Akteure analysiert. Wer als Historiker über die Sozialdemokratie, das Militär oder die Bildung in einer bestimmten Zeit arbeitet, wertet vornehmlich die Schriften, Dokumente oder Statistiken aus, die die damit verbundenen Organisationen selbst produzierten. Ähnliche Ansätze verfolgte auch die Religions- und Kirchengeschichte lange Zeit, indem sie sich auf Quellen der kirchlichen Institutionen konzentrierte, auf deren Akteure, Texte, Statistiken oder auf die Lebenswelt religiöser Gruppen. Allerdings erscheint es in modernen Gesellschaften unzureichend, Institutionen oder weltanschauliche Gruppen vornehmlich von ihrer Selbstbeschreibung her zu begreifen. Gerade Beharrungs- oder Wandlungsprozesse sind zumeist auch mit externen Veränderungen und Außendeutungen verbunden. Wer den Wandel der Sozialdemokratie, der Universitäten oder eben der Kirchen erklären will, muss die von außen an sie herangetragenen Erwartungen und Deutungen ebenfalls einbeziehen, da gerade Großorganisationen sich eher durch Außendruck bewegen.
Sowohl der Aufstieg der christlichen Rechten in den USA als auch der 11. September 2001 und seine Folgen haben erneut gezeigt, dass Religion und Politik keine Dichotomien darstellen, sondern vielfach miteinander verflochten sind. Das für die Erklärung dieses Sachverhaltes eminent wichtige Konzept der „Zivilreligion“ ist aber bislang hauptsächlich in den USA diskutiert worden und gerade von HistorikerInnen (sträflich) vernachlässigt worden. Wir plädieren im Folgenden für eine „offenere“ Definition von Zivilreligion sowie für eine intensivere Nutzung des Konzepts, um Phänomene des Religiösen im Politischen zu erklären sowie Politik-, Kultur- und Kirchengeschichte stärker miteinander zu vernetzen.
Wie viele andere, inzwischen zumeist und zu Unrecht als randständig behandelte Ideenlieferanten in der Bundesrepublik Deutschland der 1970er- oder 1980er-Jahre ist auch die amerikanische Wissenschaftsjournalistin Marilyn Ferguson bislang noch kaum in den Genuss historiographischer Weihen gekommen. Im Gegensatz zu den Meisterdenkern der Frankfurter Schule oder liberalen und konservativen Cheftheoretikern sind Ferguson und andere Bezugsgrößen der „Gegenkultur“ und „alternativer“ Lebensweisen nach „1968“ selten zum Gegen-stand der Zeitgeschichtsschreibung geworden – zumal sich diese erst seit wenigen Jahren verstärkt Fragen der Religion zuwendet. Obwohl „Die sanfte Verschwörung“ in deutscher Übersetzung bis 1989 acht Auflagen erreichte und vom „Spiegel“ sehr treffend als „New-Age-Bibel“ bezeichnet wurde, findet sich in keiner der großen Überblicksdarstellungen zur Geschichte der Bundesrepublik auch nur ein kurzer Verweis auf dieses Vademekum esoterischer Praktiken und Diskurse.