Postcolonial Studies
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Im Gegensatz zu Teilen Asiens, wo die Unabhängigkeitskämpfe etwa in Indochina und Malaya durch langjährige militärische Auseinandersetzungen gekennzeichnet waren, kam es auf dem afrikanischen Kontinent nur in Algerien zu einem vergleichbar blutigen Dekolonisationskrieg. Das heißt freilich nicht, dass das Ende der europäischen Empires im Rest von Afrika ein friedlicher Prozess gewesen wäre. In der britischen Siedlerkolonie Kenia etwa mussten im Zuge des so genannten Mau-Mau-Aufstandes Tausende von Menschen ihr Leben lassen. Mehr als 1.000 Afrikaner wurden auf der Grundlage von hastig verabschiedeten Antiterrorgesetzen gehenkt, weit mehr als in jedem anderen kolonialen Konflikt einschließlich Algeriens.1 Doch es war vor allem der Algerienkrieg, welcher sich im Bewusstsein der Zeitgenossen mit spätkolonialer Gewalt und Gegengewalt verknüpfte.2 Und wie kaum ein zweiter Autor hat der intensiv am algerischen Unabhängigkeitskampf beteiligte Frantz Fanon damalige Debatten über den Prozess der Dekolonisation, über die Berechtigung antikolonialer Gewalt sowie über die Zukunft der „Dritten Welt“ geprägt.
Katalysator wider Willen. Das Humboldt Forum in Berlin und die deutsche Kolonialvergangenheit
(2019)
Das neu-alte Schloss steht bereits. Die Baugerüste sind Ende 2018 gefallen und haben den Blick auf die rekonstruierten Barockfassaden an der Nord-, West- und Südseite freigegeben. Lediglich die moderne Ostfassade lässt von außen erkennen, dass es sich bei dem Gebäude auf dem Berliner Schlossplatz nicht wirklich um das alte Stadtschloss handelt, sondern um eine Teilrekonstruktion. In deren Innerem soll ab Ende 2019, im 250. Geburtsjahr Alexander von Humboldts, das Humboldt Forum etappenweise eröffnen. Neben Sonderausstellungsflächen, Veranstaltungsräumen und einer Ausstellung zur Geschichte des Ortes im Erdgeschoss sowie Ausstellungen des Landes Berlin und der Humboldt-Universität im ersten Obergeschoss wird es im zweiten und dritten Obergeschoss die Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst beherbergen, die beide zu den Staatlichen Museen zu Berlin gehören und damit Teil der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sind.
Das Ende der britischen Kolonialherrschaft in Indien 1947 zerteilte das Land nicht nur, sondern verursachte auch (jahrzehntelange) Migrationsbewegungen. In den Ostteil des neu gegründeten Pakistans migrierten urdusprachige Muslime, die der banglasprachigen Mehrheitsgesellschaft trotz gemeinsamer Religionszugehörigkeit überwiegend fremd gegenüberstanden. Als die Spannungen zwischen den ungleichen pakistanischen Landesteilen im Kampf um die Unabhängigkeit Ostpakistans eskalierten und daraus 1971 der neue Staat Bangladesch entstand, galten die Urdusprachigen als »Volksverräter« und verloren ihre Staatsbürgerschaft. Zum Teil bis heute leben sie mit ihren Nachkommen in mehr als 100 Flüchtlingscamps innerhalb des Landes. Der seit über 40 Jahren andauernde Wartezustand dieser Gruppe führt zu unterschiedlichen Strategien und Konflikten. Geschlecht, Bildung und besonders das Alter entscheiden über das Selbstverständnis der Campbewohner: Während sich die ältere Generation weiterhin für eine Repatriierung nach Pakistan einsetzt, fordern die Jüngeren verstärkt die bangladeschische Staatsbürgerschaft, die 2008 vom Obersten Gerichtshof des Landes formal anerkannt wurde. Dazwischen steht eine große Zahl Unentschlossener, die sich mit den Camps arrangiert hat. Der Aufsatz zeigt, dass weder Staatsangehörigkeit noch Staatenlosigkeit festgefügte Identitäten sind; Flüchtlingscamps sind zugleich Orte des Transits, der Vergemeinschaftung und der Stigmatisierung. Der praxeologische Ansatz des Diasporakonzepts bietet Zugang zu der perpetuierten migrantischen Situation der Urdusprachigen.
Worin bestand die globale Anziehungskraft des Kommunismus im 20. Jahrhundert? Das Ver-sprechen, die Ausbeutung im eigenen Land zu beenden, war immer auch gebunden an die Idee, zukünftig eine andere humanere internationale Ordnung zu schaffen: „Die Internationale erkämpft das Menschenrecht.” Das Ende des Kolonialismus in den drei Dekaden nach 1945 veränderte die Welt grundstürzend und mit ihr das Völkerrecht. Es waren vor allem die neuen unabhängigen Staaten Afrikas und Asiens (oft mit Unterstützung der Sowjetunion im Kalten Krieg), die in den internationalen Organisationen auf eine postimperiale Weltordnung drängten, aufgebaut auf den Leitbegriffen der Menschenrechte und des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Erst seit den späten 1970er-Jahren, vor allem aber nach 1989/90 werden die Menschenrechte vom Westen neu entdeckt und begrifflich gewendet angesichts des Scheiterns der postkolonialen und sozialistischen Staaten und des Absturzes in Bürgerkriege und Genozide. Die Menschenrechte wurden so, wie Hans Magnus Enzensberger schon 1993 beobachtete, zum letzten Refugium des Eurozentrismus.
Menschenrechte sind zur globalen Leitkategorie aufgestiegen. Die wissenschaftliche Erforschung der Geschichte der Internationalisierung von Rechtsansprüchen haben Historiker/innen erst vor einigen Jahren für sich entdeckt. Lasse Heerten skizziert in seinem Beitrag, dass Menschenrechte als ein semantisch äußerst offenes Vehikel unterschiedliche Ideen transportieren können und kritisch historisiert werden müssen. Zentral sind dabei Fragen nach Emergenz, ambivalenten Effekten und der Vielgestaltigkeit von Menschenrechten im Verlauf der Geschichte.
Ohne afroamerikanische Geschichte kann die amerikanische Geschichte und Gegenwart nicht verstanden werden. Ihre Ausrichtung und Forschungsschwerpunkte sind daher stark geprägt von den gesellschaftlichen und politischen Konjunkturen der Zeit. Christine Knauer zeichnet in ihrem Beitrag die Genese der afroamerikanischen Geschichtsschreibung nach und verweist auf die enge Verknüpfung von Geschichtsschreibung, Freiheitskampf und Bürgerrechtsbewegung im 19. und besonders im 20. Jahrhundert. Sie beschreibt die derzeitigen Forschungsansätze und -trends in der afroamerikanischen Historiografie, die auch in der europäischen sowie deutschen Amerikaforschung zunehmend bearbeitet werden.
Orientalismus
(2012)
Westliche Repräsentationen des „Orients“ gehören zu den zentralen Gegenständen geistes- und kulturwissenschaftlicher Forschung der letzten Jahrzehnte, was insbesondere auf Edward Saids 1978 erschienene, äußerst umstrittene Studie „Orientalism“ zurückzuführen ist. Felix Wiedemann widmet sich in seinem Docupedia-Beitrag ausgehend vom Werk Saids der Rezeption, Kritik und den vielfältigen Weiterführungen dieser „Gründungsurkunde des Postkolonialismus“, um dann in einem zweiten Teil insbesondere auf den deutschen und den jüdischen Orientalismus einzugehen.
Durch die theoretischen Einflüsse der Postcolonial Studies hat sich die Neuere Kolonialgeschichte insgesamt tiefgreifend gewandelt: Zunehmend wird von einer verflochtenen, reziproken Geschichte des Westens und des „globalen Südens” ausgegangen, ältere Perspektiven wie ein einseitiger Einfluss Europas oder eine verspätete Moderne des Südens treten in den Hintergrund. Nach einem Überblick über die wesentlichen theoretischen Ansätze geht Ulrike Lindner insbesondere auf neuere Forschungen zur deutschen Kolonialgeschichte ein, die verstärkt kulturgeschichtliche Aspekte einbeziehen, Verflechtungen zwischen Kolonien und Mutterland herausarbeiten und die Einflüsse von kolonialen Strukturen, Diskursen und Vorstellungen in der deutschen Gesellschaft aufzuzeigen versuchen.