Besatzungsherrschaft
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"Ob es dir gefällt oder nicht, da musst du durch, meine Schöne. Du musst dich fügen, anders geht es nicht", bemerkte Vladimir Putin am 7. Februar 2022 salopp in Richtung der Ukraine, als es auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Emanuel Macron um die Einhaltung der Minsker Abkommen ging. Vor dem Hintergrund des massiven russischen Truppenaufmarsches war der französische Präsident sichtlich um eine diplomatische Lösung bemüht und überging – ob aus Irritation oder aus mangelnder Verdolmetschung – die sexuelle Anspielung, mit der Putin der Ukraine unverhohlen eine Vergewaltigung androhte. Tatsächlich fiel Putin in der Vergangenheit bereits mit der Verharmlosung von sexualisierter Gewalt auf und ist berüchtigt für seine verbalen Ausfälle auch bei offiziellen Anlässen. Sein Rückgriff auf eine sexualisierte Rhetorik im Vorfeld und bisherigen Verlauf des brutalen Angriffskriegs, den die russischen Streitkräfte am 24. Februar 2022 auf seinen Befehl hin gegen die Ukraine entfesselten, ist kein Ausrutscher, sondern integraler Bestandteil seiner Vorstellungswelt und Selbstinszenierung.
Dnipro oder Dnjepr? Über die Ortsnamen, die wir wählen, und die Folgen unserer Entscheidungen
(2024)
Die moderne westliche Welt bekennt sich bewusst zu Toleranz, zur Achtung lokaler Stimmen, zur Demonstration der Ideale der Gleichheit, auch auf sprachlicher Ebene. Wichtige Elemente dieses Prozesses sind das konsequente ‘Gendering‘, die Betonung der Tatsache, dass der gewählte Begriff die Gruppenidentität nicht verletzt und keine koloniale Optik reproduziert. Wie sieht die deutsche Terminologie in diesem Zusammenhang in Bezug auf die Länder Osteuropas aus? In den folgenden Ausführungen geht es nicht um die Nationalisierung der Geschichte, sondern um die Gefahr von Doppelstandards bei der Wahl der Terminologie und die Bedeutung einer angemessenen Darstellung der historischen Vergangenheit und Gegenwart. Eine Darstellung, die allen historischen Akteuren Respekt zollt. Und die Komplexität der Geschichte Osteuropas vermitteln und nicht ausblenden will.
Vergangene Zukunft? Der russisch-ukrainische Krieg und die Rückkehr der modernen Zeiterfahrung
(2024)
Seit dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine überbieten sich die Prognosen über den Anbruch einer neuen (oder alten?) Zeit der Geopolitik. Es prägen die Sorgen des „Krieges in Europa“ beziehungsweise eines „Dritten Weltkrieges“, in dem sich die Kategorien des Westens und Ostens, der Demokratie und Diktatur (wieder) feindselig gegenüberstehen.
Die Bedrohungskulisse des Krieges suggeriert die Reaktivierung einer Zukunftsperspektive, die sich als genuin modern bezeichnen lässt: erstens und ganz banal, weil sich darin die moderne Geschichte des 19. und vor allem des 20. Jahrhunderts zu wiederholen scheint; zweitens aufgrund der wiedergewonnenen Bedeutung des historischen Ost-West-Konfliktes, die die bereits länger diskreditierte These eines postmodernen Endes der Geschichte nach 1989 endgültig archiviert; und schließlich, weil der Krieg einen Erwartungshorizont eröffnet, dessen Gestaltung allein in den Händen der Menschen – nicht Gottes, der Viren oder des Klimas – liegt und somit eine völlig menschliche „Machbarkeit“ der eigenen Geschichte voraussetzt.
Erleben wir aber wirklich eine Rückkehr der Moderne oder wie können wir die Zeiterfahrung sonst begreifen, die durch den Diskurs über den Krieg gerade ausgelöst wird? Ich möchte hier einige Überlegungen über diese Fragen zusammentragen, die mich in den letzten Tagen und Wochen begleitet haben.
"Zeitenwende": gleich mehrfach gebrauchte Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung zum Krieg in der Ukraine am 27. Februar im Deutschen Bundestag dieses Wort, um zu beschwören, dass seit dem russischen Überfall auf die Ukraine plötzlich alles ganz anders sei. Außenministerin Annalena Baerbock hatte schon am Morgen des russischen Überfalls bekundet: „Wir sind heute in einer anderen Welt aufgewacht.“
Doch provozieren die großen Worte von der Zeitenwende die Skepsis des Zeithistorikers. Mit einigem zeitlichen Abstand hat sich schon manche eilig ausgerufene historische Zäsur als weniger einschneidend erwiesen, als sie im Eifer des Moments noch scheinen mochte.
Im Falle der deutschen Bundesregierung stößt die eminent politische Absicht, mit der der russische Angriffskrieg zum unvorhersehbaren historischen Wendepunkt erklärt wird, übel auf.
Die Wirklichkeit ist angekommen … Ein Dossier aus Anlass des russischen Überfalls auf die Ukraine
(2024)
Dieser Band dokumentiert die Texte von deutschen, ukrainischen, polnischen, US-amerikanischen, belarussischen, georgischen und auch russischen Historiker:innen, die kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 entstanden sind. Sie behandeln ganz unterschiedliche Dimensionen einer geschichtlichen Diskussion, die durch die russische Großinvasion ausgelöst wurde. Denn auch zwei Jahre nach Kriegsbeginn ist die historische Kontextualisierung des aktuellen Geschehens wichtiger denn je.
Die Publikation basiert auf einem Dossier auf dem Online-Portal zeitgeschichte | online (zeitgeschichte-online.de) und wird durch einige Texte zum Thema "Bilder des Krieges in der Ukraine" des Online-Angebots Visual History (visual-history.de) ergänzt. Beide Angebote werden vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) Open Access im Internet zur Verfügung gestellt. Das Werk ist auch als Open Access-Publikation online abrufbar unter www.zdbooks.de.
Von Feinden zu Freunden? Eine Geschichte der US-Militärpräsenz in West-Berlin und der transatlantischen Beziehungen.
In den Nachkriegsjahren entstand eine Meistererzählung, die noch heute die Geschichte der Beziehungen zwischen West-Berlin und den USA prägt: Die sowjetische Blockade 1948/49 habe die USA zur wichtigsten »Schutzmacht« des bedrohten »Vorpostens der Freiheit« inmitten der DDR werden lassen. Aus den einstigen Feinden seien damals Freunde geworden, die erst abzogen, als ihre Mission 1989 /90 erfüllt war. Dieser linearen Erfolgsgeschichte stehen Bilder von Protesten gegen den Vietnamkrieg oder im Umfeld der Besuche des US-Präsidenten Ronald Reagan diametral entgegen.
Stefanie Eisenhuth fügt diese widersprüchlichen Elemente zu einer neuen Erzählung zusammen, die sowohl die Höhe- als auch die Tiefpunkte des transatlantischen Verhältnisses erörtert. Sie fragt nach der Wahrnehmung und Deutung der US-Militärpräsenz sowie nach den Bedingungen des deutsch-amerikanischen Zusammenlebens in einer Stadt, die eine räumliche Abgrenzung nur bedingt erlaubte und zudem von enormer symbolischer Bedeutung war. Sie analysiert Begegnungen auf offizieller und informeller Ebene, individuelle und inszenierte Freundschaftsbekundungen, organisierte Proteste und Konflikte in West- sowie in Ost-Berlin zwischen 1945 und 1994.
Ausweisungen können weitere politische Funktionen einnehmen, die über die staatliche Steuerung von Migration hinausgehen. Wie wir in diesem Aufsatz anhand zweier Sondertypen von Ausweisungen zeigen, können solche Maßnahmen gerade in Phasen staatlicher Konsolidierung und bei der Überlappung von Souveränitätsansprüchen als politisches right-peopling auftreten. In diesem Kontext untersuchen wir die Rolle von Ausweisungen während der kritischen Phase der deutschen Nationalstaatsbildung nach dem Ersten Weltkrieg. Für die 1920er-Jahre analysieren wir einerseits Ausweisungen von Deutschen aus anderen Landesteilen durch deutsche Landesbehörden (etwa von Württembergern aus Baden), andererseits Ausweisungen von Deutschen aus dem besetzten Rheinland durch die alliierten Besatzungsbehörden. Mit Bezug auf aktuelle Debatten um Illegalisierung und deportability von Migrant*innen betrachten wir Beispiele aus regional- und rechtshistorischen Quellen der Weimarer Republik. So zeigen wir, wie Ausweisungen sozialpolitische und ethnisch-exklusive Ziele hatten, aber auch zu einer Stärkung staatlicher Institutionen und zu einer nationalistischen Identifikation mit dem Deutschen Reich nach dem verlorenen Krieg führten.
Die Umbrüche nach 1989 eröffneten für die niederschlesische Stadt Breslau neue Wege, mit seinem „fremden Erbe“ umzugehen. Nach über 40 Jahren politisch erzwungenen kollektiven Vergessens war das Tabu der multiethnischen und insbesondere deutschen Vergangenheit der Stadt gebrochen. Diese Stadt ist nämlich Teil des Gebietes, welches von einer massiven Zwangsmigration betroffen war. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als entsprechend den Bestimmungen der Potsdamer Konferenz 1945 die Grenzen europäischer Nationalstaaten neu gezogen wurden, folgte die „Umsiedlung“ von zwölf Millionen Menschen. Weite Teile multiethnischer Grenzgebiete, die für Zentral- und Osteuropa vor dem Zweiten Weltkrieg typisch waren, sollten von da an unter dem kommunistischen Diktat, zu monoethnischen Staaten werden. Die kulturelle Vielfalt in diesem von Hannah Arendt als „belt of mixed populations“ bezeichneten Territorium war 1989 nahezu vollständig homogenisiert worden.
Am 19. April 2023 jährte sich der Beginn des jüdischen Aufstandes im Ghetto in Warschau zum 80. Mal. Es war die erste Erhebung einer unbewaffneten Stadtbevölkerung gegen die Deutschen während des Zweiten Weltkriegs. Die deutschen Besatzer hatten das Ghetto (1940–1943) in Warschau für ein Drittel der Stadtbevölkerung am 2. Oktober 1940 mitten im Zentrum in unmittelbarer Nachbarschaft zur katholisch-polnischen Bevölkerung innerhalb eines Gebietes errichtet, das sie als „Seuchensperrgebiet“ bezeichneten. Zwischen dem 22. Juli 1942 und dem 21. September 1942 deportierten die Deutschen und ihre Helfer vom sog. Umschlagplatz in der Stawki-Straße ca. 300 000 jüdische Männer, Frauen und Kinder aus dem Ghetto in das 100 km von Warschau entfernt und von Feldern umgebene NS-Vernichtungslager Treblinka II. Unter den in Treblinka Ermordeten waren auch deutsche Juden und Jüdinnen, die im März und April 1942 aus mehreren Städten des Deutschen Reiches nach Warschau deportiert worden waren.
Von den Nürnberger Wirtschaftsprozessen bis zu den Verhandlungen um Zwangsarbeiterentschädigungen - deutsche Konzerne haben stets versucht, das öffentliche Bild von ihrer NS-Vergangenheit selbst zu prägen. Sebastian Brünger untersucht nun erstmals die Kontinuitäten und Brüche dieser Vergangenheitsbearbeitung seit 1945. An vier Beispielen (Bayer, Deutsche Bank, Daimler und Degussa) erörtert er Strategien und Formen unternehmerischer Vergangenheitsbearbeitung und analysiert sie im Kontext von Öffentlichkeit, Politik und Wissenschaft ihrer jeweiligen Zeit.
Brünger zeigt, wie Unternehmen die Veränderungen der deutschen Geschichtskultur nachvollzogen bzw. mitbestimmten, während konkrete Rollenbilder wie etwa das vom »anständigen Kaufmann« weiter tradiert und Forschungsaufträge an Historiker zunehmend zu einem wichtigen Imagefaktor wurden. Damit erweitert Brünger den gedächtnisgeschichtlichen Blickwinkel auf die deutsche Geschichtskultur um die Dimension der Unternehmensgeschichte und begreift Unternehmen als Akteure des kulturellen Gedächtnisses.