21. Jahrhundert
Emmanuel Macron ist nicht nur der erste französische Präsident, der nach der Kolonialzeit seines Landes geboren wurde, sondern auch der erste, der unumwunden von einer Kolonialschuld spricht und bereits 2017 – unter zum Teil heftiger Kritik – sein Vorhaben andeutete, Rückführungen von Kulturobjekten in ihre Herkunftsländer im Globalen Süden anzuregen. Nach seiner Wahl beauftragte er die französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und den senegalesischen Intellektuellen Felwine Sarr damit, einen Bericht zu verfassen, der darlegen sollte, wie ein solches Verfahren gelingen kann.
Im Gegensatz zu Deutschland ist auf politischer Ebene in Frankreich also recht viel in Bewegung. Allerdings ist die Resonanz aus der Bevölkerung – wiederum anders als im deutschsprachigen Raum – zurückhaltender, wie Bénédicte Savoy im Gespräch mit Gabriele Metzler berichtet. Das Videointerview war Teil der Vorlesung Der lange Nachhall des Kolonialreichs. Deutsche Geschichte im europäischen und globalen Kontext seit 1919, die Metzler im ersten pandemiebedingt digitalen Universitätssemester, dem Sommersemester 2020, an der Humboldt-Universität zu Berlin hielt. Mit freundlicher Genehmigung der Gesprächspartnerinnen durfte es an dieser Stelle veröffentlicht werden.
FUTURA ist ein Qualifikationsangebot für Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte in Hochschulen und Forschungseinrichtungen aller Wissenschaftsbereiche.
Das in Modulen aufgebaute Angebot vermittelt genderkompetentes Handeln im Beruf und wurde von der Zentralen Frauenbeauftragten der FU in Zusammenarbeit mit dem Weiterbildungszentrum der Freien Universität konzipiert und durchgeführt. Der erste Durchgang des Kurses fand von 2004 bis 2006 statt. Bis heute wird das Angebot vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Koordinatorinnen fortlaufend evaluiert und modifiziert.
Ziel des Programms ist es, dem in der Verfassung verankerten Recht auf Chancengleichheit im Wissenschaftsbereich mit den Mitteln der Professionalisierung der Gleichstellungs- und Frauenbeauftragten zur Durchsetzung zu verhelfen. Dabei stattet das Weiterbildungsangebot die Amtsträger*innen (auch über das Amt hinaus) mit den notwendigen Kompetenzen für eine erfolgreiche Gleichstellungsarbeit aus. Die Arbeit von Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten und Gleichstellungsakteur*innen wird somit als qualifizierte und qualifizierende Tätigkeit anerkannt. Zu den Inhalten dieses Professionalisierungsangebotes gehören neben den theoretischen Grundlagen von Gender, Diversität und Intersektionalität der rechtliche Rahmen, in dem sich Gleichstellungsarbeit bewegt, der Umgang mit sexualisierter Gewalt, gendergerechte Bewerbungs- und Berufungsverfahren u.v.m.
Unsere Gesprächspartnerin Josephine Bürgel ist Stellvertreterin der zentralen Frauenbeauftragten der FU und (gemeinsam mit Wendy Stollberg) Ansprechpartnerin und Koordinatorin des FUTURA-Programms.
Die Erforschung des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, die bislang vor allem im Rahmen der Politikwissenschaft und der Soziologie erfolgt ist, bedarf dringend der Ergänzung durch zeithistorische Forschungsperspektiven, Fragestellungen und Methoden. In diesem Zusammenhang schlage ich einen akteursorientierten Forschungsansatz vor. Im Mittelpunkt stehen hierbei diejenigen Äußerungsformen des Komplexes „Rechtsextremismus“, in denen einzelne Personen sowie – vor allem – Parteien, Organisationen, Verbände, Vereine, Bewegungen, Netzwerke, Medien und Verlage, Freundeskreise, Klein- und Kleinstgruppen Aktivitäten entfalten. Außerdem werden die soziopolitischen Milieus in den Blick genommen, welche die Lebenswelt der sogenannten Akteur*innen und Gruppen konstituieren. Rechtsextreme Personengruppen und Organisationen handeln historisch zwar nicht im luftleeren Raum, aber sehr wohl als eigenständige Subjekte mit spezifischen Strategien, Interessen und pfadabhängig entstandenen Handlungsmustern.
Am 31. Mai 2022 wurde in Hamburg eine Open-Air-Ausstellung unter dem Titel „Wir hatten ein normales Leben. Ukraine 2006-2022“ eröffnet – zu sehen bis zum 3. Juli 2022. Es ist ein gemeinsames Projekt der Fotograf:innen-Agenturen Focus (Hamburg) und MAPS (Brüssel). Die Landeszentrale für politische Bildung Hamburg ermöglichte die Ausstellung durch ihre Förderung. Das Mahnmal St. Nikolai, Hamburgs zentraler Erinnerungsort für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft, stellte den Raum zur Verfügung und unterstützte das Team bei der Ausstellung und beim Rahmenprogramm, das auch in Kooperation mit dem ZEIT-Verlag entstanden ist. Bei der Ausstellung wirkte David Rojkowski als freier Co-Kurator mit.
Von der Lügenpresse zur Lügenwissenschaft? Zur Relevanz der Zeitgeschichte als Wissenschaft heute
(2018)
Der hier publizierte Festvortrag über die gegenwärtige Relevanz und Zukunft der Zeitgeschichte wurde im Rahmen der Festveranstaltung anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam (ZZF) am Donnerstag 12. Oktober 2017 von Andreas Wirsching gehalten. Das ZZF Potsdam nahm das Jubiläum zum Anlass, um den geschichtswissenschaftlichen Umbruch der 1990er Jahre genauer zu beleuchten. In einem öffentlichen Kolloquium wurden die turbulenten Anfangsjahre des ZZF und die damaligen Transformationen in der Geschichtswissenschaft diskutiert. In der Abendveranstaltung standen schließlich die gegenwärtigen Herausforderungen der Zeitgeschichtsforschung und ihre Zukunft im Mittelpunkt.
Ol’ga Šparaga hat die belarusischen Untersuchungsgefängnisse von innen gesehen. Sie erzählt vom Schmutz und von der Kälte, von den Verhören – und von der Angst der Wärter. Um einem drohenden Strafverfahren wegen angeblicher Organisation von Massenunruhen zu entgehen, ist sie nach Litauen geflohen, wo sie Bildungsbeauftragte des Koordinationsrats der belarussischen Gesellschaft wurde. Trotz der massiven Repressionswelle, mit der das Regime die Gesellschaft überzieht, bleibt sie optimistisch: An dem Versuch, die Zeit anzuhalten, ist bisher noch jeder gescheitert.
Die Vorwürfe gegen den Kameruner und in Südafrika lebenden Historiker Achille Mbembe, er sei Antisemit, „Israel-Hasser“ und habe zudem den Holocaust relativiert, lösten eine kontroverse und verbissene Diskussion aus, die in Feuilletons, sozialen Medien, aber auch auf politischer Ebene insbesondere Mitte letzten Jahres heftig ausgetragen wurde. In diesem Zusammenhang gerieten auch die diversen heterogenen, unter dem Signet „postkoloniale Theorie“ firmierenden Ansätze unter Beschuss, für die Mbembe als wichtigster afrikanischer Repräsentant steht, obgleich er sich mehrfach von ihnen distanziert hat. So beklagte er etwa in seinem Buch „On the Postcolony“ (2000) die Gegenstandsferne postkolonialer Perspektiven auf Afrika, die komplexe Phänomene wie Staat und Macht auf Diskurse und Repräsentationsmodelle reduzieren würden.
Die Umbrüche nach 1989 eröffneten für die niederschlesische Stadt Breslau neue Wege, mit seinem „fremden Erbe“ umzugehen. Nach über 40 Jahren politisch erzwungenen kollektiven Vergessens war das Tabu der multiethnischen und insbesondere deutschen Vergangenheit der Stadt gebrochen. Diese Stadt ist nämlich Teil des Gebietes, welches von einer massiven Zwangsmigration betroffen war. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als entsprechend den Bestimmungen der Potsdamer Konferenz 1945 die Grenzen europäischer Nationalstaaten neu gezogen wurden, folgte die „Umsiedlung“ von zwölf Millionen Menschen. Weite Teile multiethnischer Grenzgebiete, die für Zentral- und Osteuropa vor dem Zweiten Weltkrieg typisch waren, sollten von da an unter dem kommunistischen Diktat, zu monoethnischen Staaten werden. Die kulturelle Vielfalt in diesem von Hannah Arendt als „belt of mixed populations“ bezeichneten Territorium war 1989 nahezu vollständig homogenisiert worden.
Sprache formt die Wirklichkeit, in der wir leben. Diese Annahme bedeutet im Umkehrschluss, dass wir durch eine bewusste Nutzung von Sprache diese Wirklichkeit mitgestalten können. Dies ist ein grundlegender Gedanken vieler sozialer Bewegungen, so auch von trans* Bewegungen weltweit. Gerade für Personengruppen, die sehr lange abwertenden, stigmatisierenden und verletzenden Fremdbezeichnungen ausgesetzt waren oder es noch immer sind, spielt die selbstbestimmte Bezeichnung von Identitäten eine große Rolle. Gleichzeitig sind Selbstbezeichnungen komplex, vielfältig und ständig im Wandel, sodass der Versuch einer Beschreibung und Einordnung von Begrifflichkeiten immer eine lokal und zeitlich begrenzte Momentaufnahme bleiben muss. Dies gilt auch für den folgenden Versuch eines kurzen Überblicks über Begriffe, die seit dem letzten Jahrhundert für trans* Personen im deutschsprachigen Raum wichtig waren oder sind.
Ukrainische „Nachtwache“
(2022)
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine, den die russischen Streitkräfte unter der bewusst nebulös gehaltenen Bezeichnung als „militärisch-technische Sonderoperation“ mit ihrer Invasion am 24. Februar 2022 begonnen haben, wird auch in einer globalisierten medialen Öffentlichkeit als sogenannter Kommunikations-Krieg ausgetragen – darüber sind alle Kommentare und Analysen einig. Auf diesem Kriegs-Schauplatz kommt der Darstellung und Deutung der Ereignisse mittels visueller Medien eine zentrale Bedeutung zu: Auch diese Feststellung wird nicht nur weithin geteilt, sie beeinflusst deren Auswahl aufgrund des Referenzrahmens, den sie für die Deutung des Geschehens zur Verfügung stellen.
Hier soll ein Motiv herausgehoben werden, dem in allen Analysen ebenfalls eine zentrale Bedeutung zugeschrieben wird: der Repräsentation der beiden Spitzenpolitiker als zentraler Akteure, des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und seines russischen Gegenübers, Wladimir Putin.
Die Stasi führt ein intensives Nachleben, zumindest auf der Leinwand. Im Kino erfreut sich der ostdeutsche Geheimdienst schon seit vielen Jahren einer anhaltend großen Beliebtheit, vor allem in Filmen über die DDR-Vergangenheit, in denen Stasi-Figuren meist den repressiven Charakter der SED-Diktatur symbolisieren. Doch die Zeiten, in denen Stasioffiziere als simple Bösewichte mit grauen Anzügen und schlechtsitzenden Frisuren in Erscheinung traten, scheinen vorbei zu sein. Die Ambivalenz der Figuren hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen, auch positiv besetze Heldenfiguren sind keine Seltenheit mehr. Das Spektrum der Filme reicht dabei von authentischen Annäherungen an widersprüchliche IM-Biografien („Gundermann“, 2018, Regie: Andreas Dresen) über radikal stilisierte Dramen („Nahschuss“, 2021, Regie: Franziska Stünkel) bis hin zu grotesk überzeichneten Satiren („Stasikomödie“, 2022, Regie: Leander Haußmann).
Während die DDR-Geschichte bislang meist im Genre der Komödie oder des Familiendramas erzählt wurde, zeigt sich in neuen filmischen Inszenierungen eine Offenheit für andere Formen. Dabei rückt wieder die Staatssicherheit in den Mittelpunkt. Mit „Kleo“ zeigt Netflix aktuell eine Serie über eine Profikillerin im Dienst des MfS, die mit Anspielungen auf die Popkultur der 1980er und 1990er Jahre gespickt ist. „Kleo“ knüpft dabei an die erfolgreichen Erzählmuster der Serie „Deutschland 83/86/89“ (2015-2020) an, die eine Agenten-Story mit einem ironischen Blick auf das MfS verknüpfte. Doch während die Geschichte von „Deutschland 83/86/89“ noch vor einem realen historischen Hintergrund angesiedelt war, geht „Kleo“ ein ganzes Stück weiter: Die Serienmacher nutzen die DDR-Vergangenheit nur noch als Aufhänger für eine blutig inszenierte und trashig überspitzte Rachegeschichte im Stil amerikanischer B-Movies. Das wirft die Frage auf, was einen an sich eher biederen Geheimdienst wie das MfS anschlussfähig für das Genre-Kino und die zeitgenössische Popkultur macht.
In diesem Essay begeben wir uns auf die Spurensuche in den Rayon Chojniki, der teilweise zur 30-km-Sperrzone von Tschernobyl gehört. Im ersten Teil wird die Geschichte von Chojniki vor und vor allem nach dem Jahr 1986 zusammenfassend geschildert. Anschließend reflektiert die aus dem Rayon Chojniki stammende Germanistin Ekaterina Jadtschenko die aktuelle Lage und ihren eigenen Weg von einer Sympathisantin des Präsidenten Lukaschenka zur Aktivistin der demokratischen Protestbewegung.
Im Jahr 2020 soll nach aktuellem Zeitplan das Humboldt Forum eröffnen – sollten bis dahin alle technischen Probleme gelöst sein. Damit würde nach über sechs Jahren Bauzeit das rekonstruierte Berliner Schloss der Öffentlichkeit übergeben. Mit der (teilweise) wiederhergestellten Hohenzollernresidenz kehrte dann nicht nur eines der markantesten Bauwerke in die historische Stadtmitte zurück. Im 30. Jahr der deutschen Einheit erhielte Berlin endlich jenes lang ersehnte Symbol, das die „neue“ Bundesrepublik und ihre Hauptstadt für alle Welt sichtbar an preußische Traditionen rückbinden soll: die der Aufklärung, der Toleranz und des Humanismus. Mit diesem Brückenschlag zum „anderen“ – besseren – Preußen hätte die Suche nach einer vom 20. Jahrhundert möglichst unbelasteten, Identität stiftenden Meistererzählung im Zeitalter „post-murum“ ihr (vorläufiges) Ende gefunden.
Selten ist das Thema eines Sammelbandes so aktuell wie das des vorliegenden: „Corona und die journalistische Bildkommunikation“, herausgegeben von dem Kommunikationswissenschaftler und Journalisten Felix Koltermann. Dass es sich dabei nur um eine Momentaufnahme handeln kann, ist kaum nötig zu erwähnen. Ein absehbares Ende der Pandemie war zum Redaktionsschluss des Bandes im Mai 2021 ebenso wenig in Sicht wie zur Veröffentlichung dieser Rezension. Folgerichtig beabsichtigen die Autor:innen nicht, die langfristigen Folgen der Pandemie auf den Bildjournalismus zu prognostizieren; vielmehr soll hier eine Art Zwischenfazit nach rund einem Jahr Pandemie gezogen werden. Die einzelnen Beiträge betrachten, wie die Coronakrise die Arbeit von Bildredakteur:innen, Foto- und Datenjournalist:innen bis zu diesem Zeitpunkt eingeschränkt und verändert sowie neue Diskurse geschaffen hat.
Der Kunsthistoriker Peter Geimer zeichnet in seinem jüngsten Buch mit dem griffigen Titel „Die Farben der Vergangenheit“ die Entwicklungen und Veränderungen der „visuellen Repräsentation von Geschichte“ seit dem 19. Jahrhundert nach. Eröffnet wird die Darstellung mit kenntnisreich und flüssig geschriebenen Kapiteln zur Historienmalerei, die zeigen, wie sich die Malerei im 19. Jahrhundert mit dem Aufkommen der Idee, Wirklichkeit abzubilden, veränderte. Fortan galt es, detailliert und so genau wie möglich, Ereignisse wiederzugeben, die sich im besten Falle durch Zeitzeugen bzw. Augenzeugen oder originale Objekte belegen ließen. Anja Tack rezensiert im Visual-History-Beitrag das neu erschienene Werk.
Radio San Remo
(2018)