Zeithistorische Forschungen
Refine
Year of publication
Document Type
- Journal Article (647) (remove)
Language
- German (647) (remove)
Has Fulltext
- yes (647)
Wie reagieren Menschen auf Katastrophen? Wie lassen sich Bevölkerungen in Extremsituationen führen? Mit diesen Fragen beschäftigten sich in den 1950er-, 1960er- und 1970er-Jahren mehrere US-amerikanische, teilweise durch die Armee finanzierte Forschungsgruppen. Sie waren interdisziplinär zusammengesetzt, aber mehrheitlich soziologisch ausgerichtet. Innerhalb wie außerhalb der USA studierten sie das Stressverhalten von Individuen und Gruppen in Tornados, eingeschneiten Autobahnraststätten und »racial riots« sowie ergänzend in Laborsimulationen. Anhand zeitgenössischer Publikationen und interner Akten werden in diesem Aufsatz die Erkenntnisinteressen und Untersuchungsfelder der sozialwissenschaftlichen Katastrophenforschung, ihre Befunde und deren Nutzung dargestellt. Die Tätigkeit der Wissenschaftler/innen stand im Kontext des Kalten Kriegs und eines sich verschiebenden Gefahrensinns. Dabei ließen sich die Forscher/innen keineswegs vollständig politisch vereinnahmen, sondern verfolgten durchaus eigene Interessen und gaben mitunter Antworten, die den Intentionen der Auftraggeber zuwiderliefen.
Dem Aufsatz liegt die These zugrunde, dass sich während der 1970er-Jahre in den europäischen Industriegesellschaften eine systemübergreifende Krise ausbildete. Sie ging von einer wirtschaftlichen Strukturanpassungskrise aus und mündete in eine Krise des Sozialstaates. Zugleich war sie im Ostblock wesentlicher Teil der finalen Systemkrise. Im Westen besaß die Krise Durchgangscharakter - allerdings mit bis heute reichenden Folgen. Anhand der wirtschaftlichen Entwicklung, des Arbeitsmarktes und des Sozialstaates werden für die Bundesrepublik und die DDR die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede dieser Krisenprozesse aufgezeigt. Dabei wird der Blick auch auf die Wahrnehmung der neuen Probleme durch die Entscheidungseliten und deren Handeln gelenkt.
Zu den Voraussetzungen der ‚alten‘ Diplomatie im 19. Jahrhundert gehörte eine gemeinsame, universal verständliche und verlässliche Formen- und Zeichensprache. Durch den Ersten Weltkrieg geriet die Diplomatie in eine Vertrauens- und Legitimationskrise, machte die Öffentlichkeit doch diplomatische Geheimverhandlungen für den Krieg verantwortlich. Der amerikanische Präsident Wilson forderte deshalb eine transparentere New Diplomacy. Das Austarieren von Geheimnis und (Medien-)Öffentlichkeit war nun Teil eines fundamentalen Wandlungsprozesses der ‚alten‘ Diplomatie. Mit kulturgeschichtlichem Zugriff geht der Aufsatz diesem Wandel nach. Untersucht werden die Pariser Friedenskonferenz von 1919 und speziell die beiden Begegnungen zwischen alliierter und deutscher Delegation bei der Übergabe und Unterzeichnung des Friedensvertrags in Versailles. Anhand dieser Szenen wird diskutiert, wie die gemeinsame Sprache zwischen Diplomaten verloren ging, welche langfristigen Faktoren dafür verantwortlich waren und wie der Krieg als Katalysator für tiefgreifende Veränderungen wirkte.
Die Zeit der weitreichenden antikommunistischen Repression in den USA zwischen 1947 und 1954, verkürzt als McCarthyism bekannt, ist bis heute ein bedeutsamer Bezugspunkt - sowohl in politischen Debatten wie innerhalb der Historiographie. Während ein erster Abschnitt des Beitrags einen Überblick zum McCarthyism gibt und dabei den Stellenwert von Denunziationen diskutiert, widmet sich ein zweiter Teil am Beispiel des Theater- und Filmregisseurs Elia Kazan konkret der Frage, wie Denunziationen in zeitgenössischen Debatten als liberale, staatsbürgerliche Akte gedeutet und gerechtfertigt wurden. Unter Bezugnahme auf Michel Foucaults Theorie der Gouvernementalität wird erkennbar, dass die zur patriotischen Tat umgedeutete Denunziation für den antikommunistischen Liberalismus nach 1945 die Funktion einer maßgeblichen Selbsttechnologie besaß.
Im Laufe des 20. Jahrhunderts verwandelte sich die arbeitsfreie Zeit in ein Produkt der Leistungsgesellschaft: Der »Kult der Effizienz« dirigiere die Freiheit unserer Freizeit, so 1972 der Zukunftsforscher Horst Opaschowski. Jede Leistung bedürfe der »Abschlaffung«, verkündete ein Jahr später der Philosoph Franz Vonessen auf einer von der Carl Friedrich von Siemens Stiftung organisierten Vortragsreihe zum »Sinn und Unsinn des Leistungsprinzips«; eine Ausnahme bilde nur das »ernste Spiel der Gedanken« zum reinen Selbstzweck. Das allein am Erfolg orientierte Leistungsdenken sei ein »tödlicher Scherz«. Die wahre Leistung bestehe in der Ruhe, erinnerte er an Blaise Pascals berühmtes Diktum, also in der Fähigkeit des Menschen, in seinem Zimmer zu bleiben.
Der Aufsatz skizziert Migrationen aus der Volksrepublik Polen (1949–1989). Besonders berücksichtigt werden dabei die Politik der Ausreiseverhinderung seit den späten 1940er-Jahren und die Errichtung eines Grenzkontrollsystems nach sowjetischem Vorbild, die neuen Möglichkeiten für Migrationen im Jahr 1956 und danach, die relative Öffnung zum Westen in den 1970er-Jahren und die Erosion der restriktiven Ausreisepolitik in den 1980er-Jahren, die schließlich zum Exodus von 1987–1989 führte. Der Beitrag nennt wichtige Faktoren der Migrationsentwicklung: die Muster und Institutionen der „Passpolitik“ (die mit der generellen Entwicklung des Herrschaftssystems verbunden war), die Dynamik von Migrantennetzwerken, relative Deprivation und Entfremdung von „Volkspolen“, Druck von außen und Schattenwirtschaft.
Archiv der Poeten. Eine Anthologie zur Geschichte des lyrischen Sprechens – und der Aufnahmetechnik
(2011)
Mit der Erfindung des Phonographen durch Thomas Alva Edison im Jahre 1877 wurde möglich, was bis dahin ins Reich der Fantasie gehörte: die Speicherung von Schall und Klang. Damit wurde wiederholt und jederzeit abrufbar, was zuvor nur in seiner flüchtigen Einmaligkeit zu vernehmen war: die Stimme, oder konkreter: Gesungenes und Gesprochenes. Gereimtes war es, was Edison als Beweis für das Funktionieren seiner Technik in den Schalltrichter des Sprechapparates hineinrief: „Mary had a little lamb. Its fleece was white as snow. And everywhere that Mary went, the lamb was shure to go.“ Auch wenn diese Aufnahme nicht mehr existiert, da sich die ersten Wachswalzen bloß ein- bis zweimal abspielen ließen, kann man von der Geburt der Tonaufnahme aus dem Geiste des Gedichts sprechen.
Der Erfolg der inzwischen nicht mehr ganz so neuen Informations- und Kommunikationstechnologien sowie die damit verbundene Vervielfachung von Daten und Informationen bedeutet weiterhin eine Herausforderung für die Wissenschaft. Die Option des synchronen Zugriffs auf eine Vielzahl von Informationen, ihre Rasterung mittels Suchmaschinen und Datenbanken dynamisiert und dezentralisiert herkömmliche Wissensspeicher wie Archive, Bibliotheken oder Enzyklopädien. Dies wirft grundlegende Fragen auf: Wie kann zuverlässiges Wissen im Netz generiert, präsentiert und distribuiert werden? Wer bürgt bei einer Vielzahl dezentraler Informationskanäle für deren Validität und Stabilität?
Am Abend des 30. Oktober 1938, einen Tag vor Halloween, ging der Schauspieler und Regisseur Orson Welles in New York auf Sendung, um für CBS eine Hörspiel-Fassung des Science-Fiction-Romans „Krieg der Welten“ zu präsentieren. Das Buch des britischen Autors H.G. Wells war 1898 erschienen und verarbeitete in einer packenden Schilderung der Invasion Südenglands durch Marsmenschen zeitgenössische Theorien über Rassenbeziehungen, Kolonialismus und technologischen Fortschritt. Der Drehbuchautor Howard Koch hatte die Vorlage gemeinsam mit Welles zu einer einstündigen „Live-Reportage“ über die Landung von Marsmenschen an der amerikanischen Ostküste umgestaltet. Das Ergebnis war beklemmend und machte die Übertragung zu einer künstlerischen Sternstunde des Radios. Ob allerdings während der Sendung tatsächlich Millionen Amerikaner glaubten, Außerirdische würden New York und New Jersey in Schutt und Asche legen, wie es die Schlagzeilen der Zeitungen in den Tagen danach suggerierten, wird inzwischen bezweifelt.
Von 1950 bis 1980 vervielfachten sich Zahl und Größe religiöser Minderheitengruppen in Großbritannien aufgrund der Nachkriegszuwanderung, doch anders als bei vorangegangenen Wanderungen und im Unterschied zur Gegenwart wurden die verschiedenen Glaubensrichtungen der neuen Einwanderer während dieses Zeitraums kaum thematisiert. Dieser Zugang ist vor dem Hintergrund einer untergehenden Kolonialmacht zu sehen, die an der Illusion eines Commonwealth mit gleichberechtigten Untertanen („subjects“) festhielt, aber die eigene Dominanz nicht aufgeben wollte. Das Gruppenmerkmal „race“ diente in der Endphase des Empires als allumfassendes Etikett, das weitere Differenzierungen überflüssig machen sollte. Eine neue Minderheitengeneration, die die Religion seit den 1980er-Jahren als wichtiges Element der Abgrenzung entdeckt hat, und das davon unabhängige Aufkommen des islamistischen Terrorismus haben die Phase des religiösen Desinteresses beendet.