2 / 2005 Offenes Heft
„Da hat er uns wieder mal einen ordentlichen Sprengsatz untergeschoben!“, ließ ein leitender Kulturfunktionär der SED-Bezirksleitung mit gepresster Stimme vernehmen, als er während seines Rundgangs durch die 11. Kunstausstellung des Bezirkes Leipzig Anfang Mai 1985 auf die Plastik „Jahrhundertschritt“ von Wolfgang Mattheuer stieß. Und so oft sich Funktionäre in der Geschichte der DDR in Sachen Kunst irrten - hier sollten sie einmal Recht behalten, und zwar im doppelten Sinn des Wortes: Wie aufgesprengt wirkt nicht nur der schrundige, eingerissene Brustkorb von Mattheuers ‚kopfloser‘ Figur; Sprengkraft enthielt vor allem die künstlerische Botschaft des Werkes, in dem der Künstler das 20. Jahrhundert Gestalt werden ließ. Die vier Gliedmaßen der Figur streben so heftig auseinander, dass sie diese schier zu zerreißen drohen: Den rechten Arm zum faschistischen Gruß ausgestreckt, die linke Hand zur proletarischen Faust geballt, hinkt das von einer Blutspur gezeichnete linke Stiefelbein dem ungestüm ausschreitenden, makellos weißen rechten Bein unheilschwer hinterher. „Symbolhaft“ hat Mattheuer in dieser Plastik „die Unsicherheit und Zerrissenheit unserer Zeit eingefangen“. Und da der nahezu gesichtslose Kopf der Figur fast vollständig in ihrem aufgerissenen Rumpf zu versinken droht, fehlt diesem Jahrhundert zugleich die (geistige) Mitte, die es zusammenhält. „Verlorene Mitte“ und „Verlust der Mitte“ heißen denn auch zwei Grafiken, mit denen Mattheuer 1980 das Ringen um diese Figur aufnahm.
Wie kaum eine andere deutsche Fotografin hat Barbara Klemm (geb. 1939) das Zeitgeschehen der letzten Jahrzehnte mit der Kamera begleitet. Von 1970 bis 2004 als feste Redaktionsfotografin der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) tätig, hat sie zahllose Ereignisse und Personen der deutschen und internationalen Politik und Kultur bildlich festgehalten - ohne die im Fotojournalismus nicht selten anzutreffende Sensationsgier, sondern mit Gespür für Nuancen und Respekt vor den fotografierten Menschen.1 Auch wer auf die kleine Zeile „Foto Barbara Klemm“ bei der Lektüre der „FAZ“ noch nie geachtet haben mag, wird viele ihrer Fotos kennen, weil sich diese von der üblichen Bilderflut abheben und Zeitgeschichte prägnant auf den Punkt bringen. Barbara Klemm hat etliche Auszeichnungen erhalten, zum Beispiel den Erich-Salomon-Preis der Deutschen Gesellschaft für Fotografie. Das folgende Interview, das Irmgard Zündorf und Jan-Holger Kirsch am 19. Februar 2005 in Berlin führten, kreist um die Fotografie als Modus der (Geschichts-)Beobachtung, um praktische Erfahrungen des Fotojournalismus und nicht zuletzt um die kleinen Zufälle, die für gute Bilder ebenso essentiell sind wie das handwerkliche Können.
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Während sich die Zeitgeschichtsforschung über mangelnde Aufmerksamkeit heute nicht beklagen kann, fristet die Geschichtsdidaktik sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung als auch in den Fachdebatten der Geschichtswissenschaft eher ein Schattendasein. Die erregten historisch-politischen Diskussionen der 1970er-Jahre, in denen gerade Geschichtsdidaktiker für ein emanzipatives „Geschichtsbewusstsein“ stritten, sind in den Hintergrund getreten. Aus der Sicht der meisten Zeithistoriker gibt es gegenwärtig keinen besonderen Anreiz, sich mit der Geschichtsdidaktik näher zu befassen, da sich diese Disziplin in einer Abwärtsspirale aus intellektueller Mittelmäßigkeit und Sparzwängen befinde - so zumindest eine verbreitete Meinung.
Der Begriff „Didaktik“ stammt vom griechischen Wort „didaskalia“ ab, was so viel wie „Lehre“, „Unterweisung“, „Unterricht“ bedeutet. Die Erörterung von Präsentationsformen des Wissens war fester Bestandteil antiker und christlicher Philosophie. Das Wort „Didaktik“ wurde allerdings als Neologismus erst im frühen 17. Jahrhundert geprägt; es entstand im Zusammenhang der Debatten um eine Reform des christlichen Schulunterrichts, in dem Mathematik und Naturwissenschaften sowie die deutsche Sprache größere Bedeutung erhalten sollten.
Von den Toten der Berliner Mauer nimmt Peter Fechter (1944-1962) im kollektiven Gedächtnis einen herausgehobenen Rang ein. Schon unmittelbar nach seiner gescheiterten Flucht wurde in der Berliner Zimmerstraße nahe dem ehemaligen Checkpoint Charlie ein Denkmal in der Form eines Holzkreuzes errichtet, das man am 13. August 1999 durch eine Stahlstele ersetzte. Jährlich legten und legen Delegationen Kränze am Denkmal nieder. Fernsehdokumentationen informierten 1997 aus Anlass des Prozesses gegen die Mauerschützen. In der öffentlichen Wahrnehmung gilt Peter Fechter deswegen für viele als der erste Tote an der Berliner Mauer überhaupt.
Nach wie vor gilt „1968" vielen Beobachtern als eine klare Zäsur in der bundesdeutschen Geschichte, als Übergang von der „restaurativen" Adenauer-Zeit zu einer liberalen westlichen Demokratie. In Schweden dagegen scheint „1968" keine Wirkungen gezeitigt zu haben; zumindest ist durch die (deutsche) Forschung nichts überliefert. In diesem Aufsatz werden die 68er-Ereignisse in beiden Ländern verglichen, um ihren historischen Stellenwert genauer zu bestimmen. Trotz unterschiedlicher Voraussetzungen gab es manche Gemeinsamkeiten. Das lag an einem ähnlichen gesellschaftlichen Strukturwandel in der Nachkriegszeit, in den die 68er-Bewegungen eingebettet waren, aber auch an kollektiven Wahrnehmungsprozessen, durch die das magische Jahr „1968" in beiden Ländern überhöht wurde. Aus dieser vergleichenden Perspektive erscheint „1968" weniger als spezifisch bundesdeutsche Zäsur denn als Katalysator der gesellschaftlichen Umbrüche in der gesamten westlichen Welt.