Part of a Book
Refine
Year of publication
Document Type
- Part of a Book (395) (remove)
Language
- German (395) (remove)
Keywords
Vergangenheit mutet mitunter höchst gegenwärtig an. Der Blick in angestaubte, schon lange abgelegte Polizeiakten und Gerichtsprotokolle kann über das unmittelbar historische Interesse hinaus lehrreich sein, nämlich zeigen, wie scheinbar zeitlos der Umgang mit politischen Gegnern der jeweiligen Obrigkeit, nicht zu letzt mit vermeintlichen linken "Schreibtischtätern" ist. Auch darüber will die folgende biographische Studie berichten. Im Jahre 1851, wenige Tage vor Herbstbeginn, kam es in Berlin zu einem aufsehenerregenden Prozeß, in dem die Staatsanwaltschaft eine Anklage verlas, die in ihrer Wortwahl merkwürdig ,modern', geradezu aktuell anmutet: Der von mehrwöchiger Untersuchungshaft auch körperlich angeschlagene
Angeklagte habe (so das Resümee der Anklageschrift) nicht nur nicht den "Terrorismus" gegeißelt, wie es sich für jeden braven preußischen Staatsbürger gezieme, oder sich wenigstens distanziert, nein, er habe sich "unumwunden dahin artikulirt'', dass, solange die Linksterroristen "vor nichts zurückbebte[n] und unerschrocken den Vernichtungskrieg gegen alle Feinde der Demokratie" geführt hätten, sie richtig gehandelt, nämlich "die Herrschaft der Demokratie" gegen die alten Mächte gesichert hätten. Der Angeklagte habe die demokratischen Terroristen dann links zu überholen versucht, nämlich diese wegen ihres schließlich doch zögerlichen Handelns, dass sie den "Terrorismus nicht bis zur äußersten Consequenz zu verfolgen die Kraft besessen" hätten, sogar noch gescholten. Nicht genug damit, habe der Angeklagte zur "Nacheiferung" des Terrorismus in deutschen und preußischen Landen aufgefordert, zur "Ueberschreitung der als Schwäche bezeichneten Grenzen, an denen Jene [die ,Terroristen'-R.H.] endlich doch inne gehalten" hätten. Durch eine breite und farbige Schilderung historischer Ereignisse habe der Angeklagte beim preußischen Volk
"Beifall für die terroristische Herrschaft" radikaler "Revolutionsmänner" hervorrufen wollen - allein das sei hochgradig verdammenswert. Dieser erste Blick in eine staatsanwaldiche Anklageschrift wenige Jahre nach der Revolution von 1848 zeigt, daß die Begriffe Terror, Terrorismus und Terroristen keine Erfindungen moderner, spätbürgerlicher Staaten und Öffentlichkeiten sind. Nicht erst seit der Wende ins 21. Jahrhundert war die Obrigkeit mit entsprechenden Verdächtigungen schnell bei der Hand, wenn es darum ging, kritische Stimmen gegen die Allgewalt eines gegenwärtigen Staates mundtot zu machen. Diese Politik und mit ihr der Terrorismusverdacht besitzen eine lange Vorgeschichte.
In diesen Sätzen ist anschaulich und wie im Brennglas die zentrale Bedeutung der Wissenschaften für die Kriegführung zusammengefaßt. Darüber hinaus macht das Zitat deutlich, daß der Erste Weltkrieg eine Epochenschwelle markiert - für die Geschichte der Kriege, für die Geschichte der Wissenschaften und für die Geschichte des Verhältnisses beider zueinander. Dies heißt selbstredend nicht, daß die Wissenschaften für die älteren Kriege und in den älteren Kriegen keine Rolle gespielt haben. Sie blieben bis weit ins 19. Jahrhundert jedoch von eher untergeordneter Bedeutung. Das änderte sich mit Beginn der Hochindustrialisierung. Die Entwicklungen seit 1945, sowohl innerhalb der Wissenschaften als auch im Verhältnis von Wissenschaften und Militär zueinander, wiederum unterscheiden sich - allen personellen und auch organisatorisch-strukturellen Kontinuitäten zum Trotz - auf Grund eines völlig veränderten politisch-ökonomischen Kontextes von den Jahrzehnten zuvor so stark, daß es den Rahmen eines Aufsatzes sprengen würde, ihnen gleichfalls nachzugehen. Der Schwerpunkt des folgenden Beitrages liegt deshalb auf dem Zeitraum zwischen 1880 und 1950.
»Arm« und »Reich« waren keine dominierenden zeitgenössischen Klassifizierungen, um die soziale Ordnung der späten Sowjetunion zu beschreiben. Zumindest sind sie dies in den rückblickenden Erzählungen ehemaliger Sowjetbürger nur selten explizit. Da die Repräsentationen der sowjetischen sozialen Ordnung unmittelbar mit Bewertungen der gegenwärtigen Gesellschaft verbunden sind, rücken sie ganz überwiegend den Aspekt der verlorenen sozialen Gleichheit in den Mittelpunkt. Den Repräsentationen liegen rückblickende Klassifizierungen zugrunde, die von nostalgischen Erzählstrategien geprägt werden. Von den drei Idealtypen nostalgischer Erzählstrategien – restaurativ, reflexiv und synthetisierend –, die hier den analytischen Bezugsrahmen bildeten, dominierte die restaurative. Sie konstruiert traditionale Zugehörigkeiten und knüpft an das erinnerungspolitische Narrativ der »Goldenen 70er Jahre« an. Es lässt weniger Raum für ambivalente Wahrnehmungen der vergangenen sowjetischen Gesellschaft und betont den Verlust der alten Werteordnung.
Fragt man, wer wir seien oder wie wir gesehen werden möchten, antworten wir häufig mit einer Berufs- oder Tätigkeitsangabe; „[...] wir definieren uns und andere durch Arbeit. Durch die Art und Menge unserer Arbeit“ . ‚Arbeit‘ ist daher ein „Schlüsselwort“ unserer Gesellschaft, so der Linguist Fritz Hermanns. Jedenfalls in der modernen Welt ist es so, und das gilt nicht nur für die fortgeschrittenen westlichen und asiatischen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften, sondern auch für die sogenannten Schwellen- und Entwicklungsländer. Aber welche Wörter bilden in den gesprochenen und alten Sprachen der Welt überhaupt das Sinnfeld, das im heutigen Deutsch durch den Kollektivsingular ‚Arbeit‘, im Französischen durch travail, im Italienischen durch lavoro, im Englischen durch zwei konkurrierende Wörter – work und labour – beherrscht wird? Schon das englische Beispiel weist auf die Schwierigkeit hin, Äquivalenz des Gebrauchs und Synonymität der Bedeutungen zwischen den Sprachen – in ihren gegenwärtigen und historischen Stadien – für unser Schlüsselwort ‚Arbeit‘ ohne weiteres vorauszusetzen.
Obgleich der Berliner Handwerkerverein erst 1850 verboten - und 1859 erneut ins Leben gerufen - wurde, beschränken sich die folgenden Ausführungen im wesentlichen auf die Zeit bis Anfang 1848: Mit der Berliner Märzrevolution brach eine neue Zeit an, während der der große Handwerkerverein an Bedeutung verlor. Die über den März 1848 hinausreichenden Wirkungen des Handwerkervereins, seine Bedeutung als Keimzelle der späteren Arbeiterbewegung, werden nur gestreift. In anderer Beziehung wird uns die in dem eingangs zitierten Satz von Born aufgeworfene Frage allerdings näher interessieren: Lange vor der Märzrevolution hatten Vertreter der Obrigkeit den gleichen Verdacht geäußert, bei dem Handwerkerverein handele es sich um einen “Heerd der Hegung und Verbreitung politisch gefährlicher Bestrebungen". Die Frage, warum der Verein von den Behörden dennoch nicht kurzerhand verboten wurde, bedarf der Klärung. In diesem Zusammenhang müssen ferner die Querverbindungen zu liberal- bürgerlichen Vereinen, die in der ersten Hälfte der vierziger Jahre ins Leben gerufen wurden, und zum Bund der Kommunisten wenigstens in groben Zügen nachgezeichnet werden. Schließlich ein terminologisches Problem: Eigentlich müßte man nicht von einem, sondern von vier Berliner Handwerkervereinen in der Zeit des Vormärz sprechen; denn neben dem 'großen' existierten in der preußischen Hauptstadt noch drei kleinere. Allein die Zahl der Mitglieder des ‘großen’ Handwerkervereins (nach seinem Gründer und langjährigen Vorsitzenden auch: Hedemannscher Handwerkerverein genannt) übertraf die der drei kleineren um das vier- bis achtfache. Um ihn geht es in erster Linie: Wenn im folgenden im Singular von 'Handwerkerverein’ die Rede ist, ist stets der große, Hedemannsche gemeint.
Gerichte handeln reaktiv; das heißt, sie werden nicht aus eigener Initiative, sondern erst durch Anruf von außen in Bewegung gesetzt, der auch in sozialistischen Staaten (vom Strafrecht einmal abgesehen) in aller Regel nicht vom Staatsanwalt, sondern von Bürgern (und zivilrechtlich handelnden volkseigenen Betrieben) kam. Um sein Rechtssystem im Justizalltag durchzusetzen, war also auch der sozialistische Staat auf die Mithilfe seiner Bürger angewiesen. Durch Nicht-Anrufen konnten Bürger das Recht unterlaufen; durch die Art und Weise, wie sie Gerichte benutzten, konnten sie seine Wirksamkeit beeinflussen; durch ihre Erfahrungen vor Gericht wurden die Bürger ihrerseits in bestimmten Haltungen und Wertvorstellungen bestätigt. In diesem Beitrag will ich die gegenseitige Abhängigkeit von Bürger und Rechtssystem im sozialistischen Rechtsalltag untersuchen. In welchen Angelegenheiten wandten sich Lüritzer Bürger an ihr Gericht? Wie wurden sie vom Gericht behandelt und wie verhielten sie sich selbst? Wie beeinflußte die Alltagspraxis der ostdeutschen Justiz die Wirksamkeit des Rechts als Instrument gesellschaftlicher Veränderungen? Und welche Nachwirkungen können wir heute beobachten?
Im Januar 1957 verfilmte die DEFA eine Kabarettnummer. Der Sketch „Hausbeleuchtung“ aus dem achten Programm der Ost-Berliner „Distel“ lieferte die Grundlage für die 98. Folge der satirisch-humoristischen Kurzfilmserie „Das Stacheltier“. Was ist im Film zu sehen? Wir erleben das Ende einer Hausversammlung, auf der ein Funktionär versucht hatte, ausschweifend die „brennenden Probleme des Zeitgeschehens immer noch heller zu beleuchten“. Seine Frage „Was bewegt Sie, wenn Sie einen Blick auf das Weltgeschehen werfen?“ wird durch einen Kameraschwenk über die Hausbewohner beantwortet, die eingenickt sind: Sie bewegt nichts. Vom Redner „zur Diskussion“ geweckt, stellen sie Fragen, die sie tatsächlich interessieren, nach der Reparatur der Hausbeleuchtung und der morschen Treppe. „Aber Freunde“, geht der Referent darüber hinweg, „das sind doch Kleinigkeiten [...] Wir müssen doch immer das große Ganze sehen [...]“ - „Aber das können wir doch nicht, wenn wir kein Licht haben!“, versucht ein Bewohner spitzfindig, den Redner auf die Niederungen des Alltags zu zwingen. Nur seinen Auftrag im Blick - die Belehrung in Sachen Weltgeschehen - weigert sich dieser jedoch hartnäckig, auf die konkreten Fragen der Hausbewohner einzugehen. Auf diese Ignoranz folgt in der Szene umgehend die Strafe: Als der Funktionär die Versammlung beendet und forsch abgeht, bricht unter ihm die unbeleuchtete, morsche Treppe zusammen. Lädiert, aber mit unerschüttertem Optimismus, verabschiedet er sich von uns, dem Publikum: „Für wahre Demokratie und Frieden! Und für eine lichtere Zukunft!“
„Es darf kein Gebiet der Landwirtschaft geben, das die Volkspolizei nicht kennt.“ Mit dieser Forderung begann ein Mitarbeiter der Hauptverwaltung Deutsche Volkspolizei im September 1952 einen Artikel in der Zeitschrift Die Volkspolizei. Ähnliche Forderungen finden sich in zahlreichen anderen Artikeln der polizeilichen Fachpresse der fünfziger Jahre. Als ein Sicherheitsorgan der „Arbeiter-und-Bauem-Macht“ hatte auch die Deutsche Volkspolizei (DVP) ihren Beitrag zur „sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft“ zu leisten. Für dessen Untersuchung ist zunächst von folgenden Voraussetzungen auszugehen.
Die von der SED-Führung unter Einfluß der sowjetischen Hegemonialmacht seit 1952 betriebene „sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft der DDR“ läßt sich nicht auf die formale „Kollektivierung“ reduzieren, auch wenn deren Wirkungsmächtigkeit bis in die heutigen Transformationsprozesse hinein nachzuweisen ist. Tempo, Ausmaß und Folgen des Übergangs zur genossenschaftlichen Produktion finden weder in der historischen Entwicklung bis 1945 noch im (etwa zeitgleich einsetzenden) agrarstrukturellen Wandel in der Bundesrepublik eine Entsprechung. Das Genossenschaftsmodell war zwar bestimmendes Merkmal (Ausnahme: Polen) der jeweiligen Agrarstruktur in den Diktaturen sowjetischen Typs, aber die agrarprogrammatischen Vorstellungen griffen weiter. Sie umfaßten nicht nur Veränderungen der Organisation der Produktion, der Eigentums- und Besitzverhältnisse sowie der Sozialstruktur. Vor dem Hintergrund der Durchsetzung und Sicherung herrschaftspolitischer Interessen der SED und des anhaltenden Modemisierungsdrucks in der Landwirtschaft der DDR zielten sie auf die Konstruktion einer neuen ländlichen Gesellschaft, die bereits mit der Bodenreform 1945 eingeleitet worden war. Die gesamte Arbeits- und Lebensweise der dörflichen Bevölkerung sollte in der Perspektive auf „sozialistische Art umgestaltet“ werden.