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„History, in general, only informs us what bad Government is“, schrieb Thomas Jefferson, der Verfasser der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und dritte Präsident der USA, im Juni 1807. Mit der rund drei Jahrzehnte zurückliegenden Loslösung vom britischen Mutterland, mit der Revolution und der Gründung der Republik hatte sich die Frage danach, was „gute“ von „schlechter“ Regierung unterscheide, in Nordamerika mit besonderer Dringlichkeit gestellt. Schließlich hatte man in den ehemaligen Kolonien bewusst den Despotismus verabschiedet und eine Gesellschaftsordnung auf den Weg gebracht, die das Glück des Einzelnen, Freiheit, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung zu ihren Grundsätzen erhob. Damit wurden die leitenden Prinzipien der Aufklärung in der politischen und gesellschaftlichen Realität auf die Probe gestellt. John Adams, ein weiterer „Gründervater“ und später zweiter Präsident der Republik, hatte schon einige Monate vor der Unabhängigkeitserklärung geschrieben, mit der Revolution lösten sich sämtliche autoritär strukturierten Herrschaftsverhältnisse, und zwar nicht nur diejenigen zwischen Mutterland und Kolonien, sondern auch die zwischen Herren und Sklaven, Lehrjungen und Meistern oder Eltern und Kindern. Angesichts solcher Veränderungen empfand Adams - wie viele andere auch - nicht nur Freude und Zuversicht, sondern zugleich ein gewisses Unbehagen. Man musste neue Formen der Regierung finden, die die Menschen ohne imperativen Zwang derart führten, dass sie in einer freiheitlichen Ordnung funktionierten.
Während die Jahrzehnte des Booms nach dem Zweiten Weltkrieg durch eine weitgehend stabile Ordnung geprägt waren, setzte mit dem Sinken wirtschaftlicher Wachstumsraten, dem Zerfall des internationalen Währungssystems und den beiden Ölpreiskrisen im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts eine Zeit zunehmender Komplexität unternehmerischer Entscheidungen ein. Statt der bis dahin dominierenden Orientierung an der Produktion wurde der Markt zum wichtigsten Bezugspunkt und die Kapitalrendite zum maßgeblichen Indikator. Am Beispiel des Chemiefaserproduzenten Enka Glanzstoff bzw. dessen Mutterkonzern Akzo wird gezeigt, auf welche Weise der Markt durch die Öffnung der Vorstandsetagen für externe Berater (in diesem Fall von McKinsey) an Bedeutung gewann. Seit den 1970er-Jahren wurden zahlreiche Unternehmen nach kompetitiv gedachten Organisationsprinzipien umstrukturiert. Trotz der Gegenwehr von Gewerkschaften und Betriebsräten schritt damit auch die interne Vermarktlichung von Unternehmen voran. Während die Unternehmen zudem stärker multinational agierten, gelang dies den Arbeitnehmervertretungen nicht in gleichem Maße.
Im Januar 2012 feierte der Afrikanische Nationalkongress (ANC), die Regierungspartei der Republik Südafrika, mit großem Pomp sein hundertjähriges Bestehen. Der ANC ist die älteste Organisation des afrikanischen Nationalismus nicht nur in Südafrika, sondern auf dem Kontinent – und war lange Zeit die erfolgloseste. Während politische Parteien in Westafrika wie Kwame Nkrumahs Convention Peoples Party (Ghana) bereits zwei Jahre nach ihrer Gründung die Regierungsgeschäfte übernahmen und in anderen Beherrschungskolonien die Entkolonialisierung ähnlich schnell verlief, konnte der ANC erst 82 Jahre nach seiner Gründung die Regierung stellen.
Die Apartheid-Politik, wie Premierminister Verwoerd (1958–1966) sie umsetzte, war eine Politik der autoritären Modernisierung, die die weiße Herrschaft auf Dauer sichern sollte – und aus Sicht der damaligen Akteure keineswegs rückwärtsgewandt. Die 1959 den »Homelands« in Aussicht gestellte staatliche Unabhängigkeit sollte durch Ausbürgerung der Schwarzen einen weißen Nationalstaat schaffen. Die südafrikanische Regierung interpretierte die internationale Kritik an der Apartheid im Kontext des Kalten Krieges sowie eines weltweiten Rassenkonflikts zwischen Asien und Europa, in dem sich der Westen zu nachgiebig verhalte. Verwoerds Nachfolger Vorster (1966–1978/79) wollte die außenpolitische Isolation Südafrikas durch eine Politik der Entspannung mit den afrikanischen Nachbarn durchbrechen. Nach seinem Scheitern ging Botha (ab 1978 Premierminister, seit 1984 dann Staatspräsident) zu einer aggressiven Politik der regionalen militärischen Hegemonie über. Die hohen Repressionskosten und der wirtschaftliche Niedergang trugen schließlich dazu bei, dass eine Verhandlungslösung angestrebt wurde und die Apartheid 1994 offiziell endete.
Gegenstand dieses Beitrags ist die Entwicklung der ambulanten Altenhilfe in der Bundesrepublik Deutschland von der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Beginn der 1970er Jahre, Dabei wir hier das Beispiel der Stadt Frankfurt am Main gewählt, eine Stadt, die relativ führend in ihren Angeboten war, deren Entwicklung aber durchaus mit anderen Städten vergleichbar ist und die durch Hinzuziehen von Berichten und Umfragen aus weiteren Orten, die zum Beispiel im Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche Fürsorge veröffentlicht wurden, mit diesen verglichen wird.
Gegenstand dieses Beitrags ist die Entwicklung der ambulanten Altenhilfe in der Bundesrepublik Deutschland von der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Beginn der 1970er Jahre. Dabei wird hier das Beispiel der Stadt Frankfurt am Main gewählt, eine Stadt, die relativ führend in ihren Angeboten war, deren Entwicklung aber durchaus mit anderen Städten vergleichbar ist und die durch Hinzuziehen von Berichten und Umfragen aus weiteren Orten, die zum Beispiel im Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche Fürsorge veröffentlicht wurden, mit diesen verglichen wird.
Die Frage, ob und wie Fotografien als historische Quellen über Ereignisse der letzten rund 150 Jahre genutzt werden können, ist oft gestellt worden.1 Der englische Kulturhistoriker Peter Burke hat in seiner Studie über die „Augenzeugenschaft“ von Bildern allerdings jüngst kritisiert, dass visuelle Darstellungen - seien es Gemälde, Grafiken oder auch Fotos - von Historikern immer noch zu selten dazu verwendet würden, tatsächlich „neue Antworten zu geben oder neue Fragen zu stellen“.2 Es sind zwei bereits häufig reproduzierte Aufnahmen von Robert Capa, dem wohl bekanntesten Kriegsfotografen des 20. Jahrhunderts, die im Folgenden näher betrachtet werden sollen - nicht als Illustrationen von Geschichte, sondern als eigenständige Bildaussagen. Ihre „Relektüre“ dient weniger dazu, neue Antworten zu geben, als in Kenntnis des Publikationskontextes ihre Geschichte und Bedeutung neu zu entschlüsseln.
Ende der 1970er Jahre tauchte »Preußen« in beiden deutschen Staaten wieder auf. Die »Preußenrenaissance« wurde bislang vor allem als geschichtspolitisches und intellektuellengeschichtliches Phänomen betrachtet. Preußen wurde aber auch, das zeigt der Blick auf die formative Phase der Preußenkonjunktur um 1980, in breiten Bevölkerungsschichten populär. Der nach 1989/90 betriebene Versuch indes, Preußen zur Traditionsstiftung für das vereinigte Deutschland zu nutzen, scheiterte auf lange Sicht. Heute ist Preußen, jenseits der Hohenzollerndebatte, nurmehr punktuell im Rhythmus der Jahrestage präsent.
Blick durchs Ökoskop. Rachel Carsons Klassiker und die Anfänge des modernen Umweltbewusstseins
(2012)
Kaum ein anderes amerikanisches Buch hat in aller Welt so hohe Wellen geschlagen wie „Silent Spring“. Einem Tsunami vergleichbar, der sich von seinem unterirdischen Ursprung über lange Perioden und große Entfernungen hinweg ausbreitet, hat Rachel Carsons Buch tradierte Sichtweisen auf die Natur erschüttert, unerhörte Zerstörungen sichtbar gemacht und den Ausblick auf eine gefährdete Welt zurückgelassen. Eine „Flutwelle von Briefen“ fegte unmittelbar nach der Veröffentlichung des ersten Kapitels im „New Yorker“ im Juni 1962 über die USA hinweg. Carson sah in den anhaltenden Reaktionen auf ihr Buch dessen eigentliche Bedeutung. Vieles spricht dafür, dass „Silent Spring“ einer der Auslöser für die ‚ökologische Revolution‘ der 1960er-Jahre war. Woher kam diese Sprengkraft? Und welche Bedeutung hat Carsons Klassiker heute – ein halbes Jahrhundert nach seinem Erscheinen?
Vor etwas mehr als zehn Jahren schlug der Atmosphärenchemiker und Nobelpreisträger Paul Crutzen vor, eine neue geologische Epoche zu taufen, die mit der Industrialisierung in England und im übrigen Europa begonnen habe: das Anthropozän. Die Bezeichnung unterstreicht, dass menschliche Aktivitäten immer größere Spuren in allen Teilsystemen des Erdsystems hinterlassen, seitdem sie sich mit der Kraft fossiler Brennstoffe entfalten. Der geologische Epochenschnitt koinzidiert mit einer Zäsur in der Gesellschaftsgeschichte, die in der Geschichtswissenschaft seit langem allgemein akzeptiert ist: die industrielle Transformation. Die daraus folgende Parallelisierung von Menschen- und Erdgeschichte kann nicht zufällig sein. Aber bisher ist unklar, in welcher Verbindung ihre Narrative stehen und welche Implikationen das für die Geschichtsschreibung hat. Das folgende Plädoyer für eine Klimageschichte des 19. und 20. Jahrhunderts zielt auf diesen Nerv.
Herrschaft und Macht
(2021)
In ihrem Artikel geben Andrea Maurer und Christoph Lau einen Überblick über die Begriffe „Herrschaft“ und „Macht“, wobei sie zunächst wichtige Charakteristika von Herrschaft in Abgrenzung zu Macht und anderen Formen der Über- und Unterordnung (Gewalt) erläutern. Daran anschließend werden Forschungsperspektiven und -desiderata besprochen und die Potenziale einer wissenschaftlich fundierten Herrschaftsdiskussion ausgewiesen.
„Wife-beating is occurring every 18 seconds in the United States“, teilte das FBI 1978 mit und machte durch diesen Sprechakt deutlich, dass auch in amerikanischen Sicherheitskreisen inzwischen ein Bewusstsein für die Bedeutung häuslicher Gewalt entstanden war. Zugleich handelte es sich hierbei nicht nur um eines von vielen Verbrechen, sondern es war sogar, wie das FBI erkannte, „the largest single offense committed, and probably the least reported“. Hinzu kam, dass auch die Polizeiorgane selbst massiv von diesem Problem betroffen waren: Im Jahr 1976 standen 31% aller Angriffe auf Polizisten im Zusammenhang mit Fällen häuslicher Gewalt, „representing the greatest percentage of assaults on law enforcement officers“. Zudem starben 20% aller Beamten, die im Einsatz getötet wurden, nachdem sie einem Notruf im Zusammenhang mit domestic violence Folge geleistet hatten.
Die Problematik, die mit dem Alltagsleben in den Betrieben und mit der Sozialgeschichte der Arbeitermilieus verbunden ist, stellt keine Spezialität der polnischen Historiographie dar. Aber ähnlich wie anderswo wurden die Forschungen zu den Anpassungsstrategien oder auch zu ambivalenten und konformistischen Haltungen gegenüber dem Regime, die für die Erforschung des Alltags so wichtig sind, durch Arbeiten dominiert, die dem Widerstand und der politischen Opposition gegen die Macht gewidmet waren. Doch treten die Publikationen aus dem Grenzbereich von Wirtschafts- und Sozialgeschichte langsam heraus aus dem Schatten der Vielzahl von Büchern über das Martyrium der Soldaten des bewaffneten und politischen Untergrunds der vierziger Jahre, über die Repressalien gegen die katholische Kirche, über die politischen Gefangenen oder die spektakulären gesellschaftlichen Aufstände. Wenig vorangekommen sind die Forschungen, die zeitlich über die Epoche des Stalinismus hinausreichen. Teilweise wird das durch die zeitgenössische soziologische Literatur kompensiert, die eine ziemlich glaubwürdige Informationsquelle zur Realität in der Volksrepublik Polen (VRP) darstellt. Aus allen erwähnten Gründen sind die Sozialhistoriker, die sich in Polen mit dieser Epoche beschäftigen, auf ihren Gebieten Pioniere oder schreiten auf kaum gebahnten Wegen.
Als Brigitte Reimann, die literarische Chronistin des Aufbaus von Hoyerswerda-Neustadt, 1968 die Stadt nach einem knappen Jahrzehnt wieder verließ, schreibt sie voller Verwunderung: „Merkwürdig, wie man sein Herz an diese öde Landschaft gehängt hat, an diese unmögliche Stadt, an die Leute, an - Gott weiß was. Wenn ich denke, daß nur ein paar Blöcke in einer Sandwüste standen, als wir hierherkamen, und jetzt ist es eine Stadt von fast sechzigtausend Einwohnern, und das Kombinat ist ein riesiger Komplex geworden.“ Nicht nur die sensible Schriftstellerin besaß ein zwiespältiges Verhältnis zu dieser Stadt, sondern dieses Gefühl zwischen Zuwendung und Ablehnung ist heute noch bei der Aufbaugeneration verbreitet; der Stolz auf das Geleistete herrscht vor, wobei die triste Gegenwart zur Verklärung der Vergangenheit beiträgt. Der Chefarchitekt von Hoyerswerda betrachtete sein Werk bereits 1963 mit einer gewissen Trauer: „Er hat sich seine Stadt auch anders vorgestellt. Er sagt, er habe sich vorgestellt, er werde eine wunderschöne Stadt bauen und später, wenn er alt ist, zuweilen aus Dresden rüberkommen, die Straße entlanggehen und in seiner Stadt Kaffee trinken. Die Mittel für die zentralen Bauten sind rigoros gestrichen worden.“
Viele Jahrhunderte lang war der Brief fast konkurrenzlos das einzige Medium, mit dem über größere Distanzen hinweg Kontakt aufgenommen werden konnte oder Beziehungen aufrecht erhalten wurden, doch seit einiger Zeit gibt es eine Reihe von Alternativen. Der Werbeslogan der Deutschen Bundespost in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts – schreib mal wieder! – wirkte bereits zu diesem Zeitpunkt wie ein öffentlicher Aufruf, eine vom Aussterben bedrohte jahrhundertealte kulturelle Praxis und Kommunikationsform zu retten. Zwischenzeitlich haben modulierte Signale längst den Postboten überholt, und die elektronische Mailbox bietet den Anschluss an ein weltweites Kommunikationsforum. Der Medienwechsel brachte einen grundsätzlichen kulturellen Wandel mit sich, weil das kollektive Gedächtnis unserer Gesellschaft, das bisher durch Prinzipien der Schriftlichkeit charakterisiert wurde, zunehmend nach elektronischen Regeln arbeitet.
Das seit April 2017 laufende Dissertationsprojekt untersucht den sich wandelnden Medieneinsatz und Stellenwert von Visualisierungen in lokalen Stadtplanungsdebatten der Berliner Öffentlichkeit im Laufe des 20. Jahrhunderts. In der sozial- und medienhistoriografischen Arbeit werden anhand ausgewählter Beispiele der Berliner Bebauungsgeschichte aus verschiedenen Zeitphasen (zwischen1910 und 1990) schlaglichtartig zeitgenössische Schnittpunkte zwischen Stadtplanung, Gesellschaft, Öffentlichkeit sowie Medientechnologie und -einsatz erforscht. Um die historischen Prozesse von Mediatisierung und Medienwandel einzuordnen, sollen die Erkenntnisse zu Nutzung und Stellenwert von visuellen Medien aus den Fallbeispielen in Form einer diachronen Vergleichsgeschichte systematisch kontextualisiert werden.
Die Volksrepublik China, die Mongolei, Nordkorea und Japan – vier von insgesamt vierzehn direkten Nachbarn Russlands sind ostasiatische Staaten. Im Allgemeinen wird Russland als geografisches, politisches und kulturelles Bindeglied zwischen Asien und Europa verstanden. Allerdings wird Russland in Ostasien und „in Japan nicht primär als europäische, sondern als asiatische Macht wahrgenommen.“ Aus Japans Sicht führt die asiatische Großmacht Russland unter Missachtung territorialer Grenzen einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit Auswirkungen auf Japans politische Agenda.
Ivan Mládek entwickelte Anfang der 1990er-Jahre im postsozialistischen Tschechien das Wirtschaftsspiel Soudruhu, nezlob se! (Genosse ärgere Dich nicht). Der 1942 in Prag geborene Sänger und Komiker Mládek erfuhr Unterdrückung und Einschränkungen im Privatleben von Seiten des tschechischen Regimes. Das von ihm entwickelte Brettspiel, das vom Titel her an den Spieleklassiker Mensch ärgere Dich nicht angelehnt ist, thematisiert die totalitäre Vergangenheit des tschechoslowakischen Staatssozialismus auf besondere Art. Einzelne Ereignisse und Missstände in der Tschechoslowakei werden hier durch eine auf die Spitze getriebene Polemik – begleitet von schwarzem Humor – im Spiel nacherlebt. Nach ausdrücklicher Empfehlung des Herstellers ist das Spiel insbesondere für jene geeignet, die sich rückblickend mit der Erfahrung von Unterdrückung und Ausgrenzung auseinandersetzen möchten. Somit sollen schwer lastende, gar traumatische Erinnerungen durch Humor an Leichtigkeit gewinnen und Möglichkeiten eröffnen, die Vergangenheit auf eine weniger schmerzhafte Weise nachzuerleben oder sogar aufzuarbeiten.
Kommerzielle Bildanbieter entledigen sich zunehmend ihrer analogen Fotoarchive. Dabei geht es nicht selten um Millionen von Fotografien. Angesichts dieser Entwicklung stellt sich die Frage, wie es bei solchen Anbietern um die Wertschätzung ihres analogen Fotoerbes steht. Die Antwort scheint entsprechend einfach zu sein: Solche Bestände werden gering geschätzt. Die Fotoarchive werden abgegeben oder gar vernichtet, weil sie für ihre Besitzer mehr Verlust als Profit einbringen. In manchen Fällen übernehmen öffentliche Gedächtnisinstitutionen wie Archive, Museen und Bibliotheken die Bestände und widmen sie von Gebrauchs- zu historischen Fotoarchiven um. Dies hat im Zusammenspiel mit der allgemeinen Digitalisierung der Fotografie das Bewusstsein für die Historizität alter Pressefotografien und damit für ihren kulturellen sowie wissenschaftlichen Wert geschärft. Die einst massenhaft für den Verkauf hergestellten Gebrauchsbilder gelten heute als zeithistorische Dokumente. In der medialen Öffentlichkeit wird vollmundig vom »visuellen« oder vom »fotografischen« Gedächtnis eines ganzen Landes geschrieben.
Die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker (UNDRIP) bildet einen Meilenstein in der Entwicklung der Menschenrechte. Das gilt nicht nur für die jahrzehntelangen Auseinandersetzungen um die Etablierung von indigenen Menschenrechten, sondern auch für das internationale Menschenrecht selbst. Denn die Entwicklung indigener Menschenrechte steht exemplarisch für die Vielfältigkeit und die Multiplizierung des Menschenrechts. Sie zeigt, dass Menschenrechte sich seit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948 weiterentwickeln, ausdifferenzieren und verändern können, ohne damit die Idee von Menschenrechten zwangsläufig zu unterminieren. Gleichzeitig zeigt sie in all ihren (teilweise nach wie vor bestehenden) Kontroversen, dass die Prozesse der Multiplizierung und Entwicklung von Menschenrechten weder bruchlos noch widerspruchsfrei verlaufen. Indigene Menschenrechte stehen mithin für die sensible Balance zwischen dem Festhalten an der Idee von Menschenrechten einerseits und der Notwendigkeit ihrer zeithistorischen Veränderung und Herausforderung andererseits.
Im Jahr 1983 erschien mit „Nationalsozialistische Massentötungen durch Giftgas“ ein Sammelwerk, das erstmals in einem für ein breites Publikum konzipierten Band einige der wichtigsten Zeugnisse der während der nationalsozialistischen Zeit begangenen Morde zusammentrug. Angesichts der stark angestiegenenBemühungen zahlreicher Alt- und Neonazis, eben jene Verbrechen pauschal zu leugnen oder pseudowissenschaftlich zu widerlegen, war das erklärte Ziel der zahlreichen Herausgeber – darunter die Konzentrationslager-Überlebenden Eugen Kogon und Hermann Langbein sowie der Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, Adalbert Rückerl –, „die historische Wahrheit gerade des Massenmordes durch Giftgas so konkret und unwiderlegbar, wie es nur möglich ist, nachzuweisen“. (...)
"Auschwitz muss fallen ..." Die Negation des Holocaust und die extreme Rechte in der Bundesrepublik
(2016)
Im April 1992 wurde der Dokumentarfilm "Wahrheit macht frei" erstmals im deutschen Fernsehen ausgestrahlt. Der Autor des Films, der Journalist Michael Schmidt, hatte sich von 1989 bis 1991 in die deutsche Neonazi-Szene begeben – in einer Zeit, in der die sogenannte Revisionismus-Kampagne der extremen Rechten, mit der der Holocaust aus den Geschichtsbüchern getilgt werden sollte, auf ihrem Höhepunkt angelangt war (...)
Vor einigen Jahren nannte Peter Longerich das Protokoll der Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 "eines der wichtigsten überlieferten Dokumente zur Planung und Organisation des millionenfachen Mordes an den europäischen Juden durch das NS-Regime".
Dieser Einschätzung, der sich die überwiegende Zahl der Fachkollegen wohl vorbehaltlos anschließen kann, fügte Longerich aber noch einen wichtigen Aspekt hinzu. »Durch dieses Dokument«, so Longerich im darauf folgenden Satz, "ist die Konferenz am Großen Wannsee als Synonym für den kaltblütigen, verwaltungsmäßig und arbeitsteilig organisierten Massenmord der NS-Zeit in der Erinnerung". (...)
Das Protokoll der Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 ist, so der Holocaust- Historiker Peter Longerich, „eines der wichtigsten überlieferten Dokumente zur Planung und Organisation des millionenfachen Mordes an den europäischen Juden durch das NS-Regime“. „Durch dieses Dokument“, so Longerich weiter, „ist die Konferenz am Großen Wannsee als Synonym für den kaltblütigen, verwaltungsmäßig und arbeitsteilig organisierten Massenmord der NS-Zeit in der Erinnerung“.(...)
In den zurückliegenden anderthalb Jahrzehnten hat sich in der deutschen Geschichtswissenschaft ein spezielles Forschungssegment herausgebildet. Begonnen 2005/06 mit einem Auftrag des Auswärtigen Amts, haben seitdem mehr als zwanzig Bundesbehörden, darunter das Justiz- und Innenministerium, der Bundesrechnungshof, das Robert Koch-Institut und selbst der Bundesnachrichtendienst Forschungsprojekte zu ihrer Geschichte gefördert. Mehr und mehr erfasst dieser Trend auch die Behörden der Länder und Kommunen sowie die Parlamente, zudem lief 2017 ein Forschungsprogramm der Bundesregierung an, in dessen Rahmen zehn Projekte mit zumeist behördenübergreifendem Querschnittcharakter finanziert werden.
"Für das Jahr 2013 hatte der Berliner Senat ein Themenjahr ausgerufen:
'Zerstörte Vielfalt. Berlin im Nationalsozialismus'. Zwischen dem
30. Januar und dem 9. November sollte an die Machtübernahme der
Nationalsozialisten vor 80 Jahren und an die Novemberpogrome vor
75 Jahren erinnert werden. Über 1000 Veranstaltungen konnten in der
Stadt besucht werden: Ausstellungen der großen Museen und Gedenkorte,
der Regional- und Stadtmuseen, kleiner privater, zivilgesellschaftlicher, kirchlicher oder gewerkschaftlicher Initiativen, dazu Konzerte,
Lesungen, Theateraufführungen.(...)"
„Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muß sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen. Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. An die Stelle der alten lokalen und nationalen Sebstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander.“
Zwar begann mit der Diskussion um eine Kulturgeschichte der Politik kein völlig neues Zeitalter; auch davor gab es Untersuchungen, die ähnliche Fragen stellten und vergleichbare Erklärungshorizonte hatten. Die theoretische und methodische Diskussion der letzten zehn Jahre hat aber eine Schärfung des methodischen Arsenals und ein klareres Bewusstsein von Kontinuität und Bruch im Verhältnis zu den älteren Ansätzen der Politikgeschichte erzeugt. Kulturgeschichte der Politik kann sich heute, soweit sie sich als Methode versteht, als eine Alternative zu herkömmlichen Politikgeschichten präsentieren.
In den 1970er-Jahren lief im westdeutschen Fernsehen eine Serie der Augsburger Puppenkiste, deren Held und Titelgeber der kleine König Kalle Wirsch war. Kalle Wirsch, König der Erdmännchen, war, wie sein Name sagte: ein freundliches kleines Männchen, alles andere als unwirsch. Der Name aber irritierte – wer benutzt schon das Wort „wirsch“? Das Wort gibt es tatsächlich, es ist aber kein Gegenbegriff zu „unwirsch“, sondern eine Verballhornung von „wirr“. Zu „unwirsch“ gibt es keinen Gegenbegriff. Der kleine König Kalle Wirsch mag einem bei „Gleichheit und Ungleichheit“ in den Sinn kommen. Denn viel wird gesprochen von Ungleichheit, und dies vor allem im Zusammenhang mit sozialer Ungleichheit. Aber Gleichheit? Nur ganz wenige Autoren haben über deren Geschichte nachgedacht. Einer davon ist der Zürcher Historiker Jörg Fisch. Er fasst, bezogen auf das späte 19. Jahrhundert, Gleichheit vor allem als einen Anspruch, als eine Forderung. Sie ist also etwas, was (noch) nicht ist. „Gleichheit“ blieb als die bürgerliche Forderung nach rechtlicher und politischer Gleichberechtigung stehen und wurde (jedenfalls in Europa) im späten 19. und im 20. Jahrhundert zumindest teilweise eingelöst. Die Forderung nach sozialer Gleichheit jedoch, die aus revolutionären Bewegungen kam, ließ sich nicht einmal als Anspruch durchhalten, wurde als staatsgefährdend identifiziert und erbittert bekämpft. Soziale Gleichheit erhielt das Stigma des Utopismus und behielt lediglich in der Forderung nach Abbau (und nicht Abschaffung) sozialer Ungleichheit eine gewisse Berechtigung.
(Version 1.0, siehe auch Version 2.0)
Zwar begann mit der Diskussion um eine Kulturgeschichte der Politik kein völlig neues Zeitalter; auch davor gab es Untersuchungen, die ähnliche Fragen stellten und vergleichbare Erklärungshorizonte hatten. Die theoretische und methodische Diskussion der letzten zehn Jahre hat aber eine Schärfung des methodischen Arsenals und ein klareres Bewusstsein von Kontinuität und Bruch im Verhältnis zu den älteren Ansätzen der Politikgeschichte erzeugt. Kulturgeschichte der Politik kann sich heute, soweit sie sich als Methode versteht, als eine Alternative zu herkömmlichen Politikgeschichten präsentieren.
Wie kann man soziale Ungleichheit in einer Gesellschaft erforschen, die sich durch immer weitergehende soziale Gleichheit auszeichnen will? Wie kann man in einer Gesellschaft, der politisch ein spezifischer Blick auf sich selber verordnet ist, soziologisch informierte Kategorien einbringen, die gleichzeitig dem Anspruch genügen, praktisch zur Weiterentwicklung der Gesellschaft beizutragen? Diesem Fragenkomplex sind die folgenden Überlegungen gewidmet. Sie fragen also nach einem spezifischen Typ der Repräsentation sozialer Ordnungen unter den besonderen politischen Bedingungen einer sozialistischen Diktatur. Damit ändern sich einige der Bedingungen, unter denen sozialwissenschaftliche Beschreibungen Wahrheitsansprüche erheben können: Sie liefern Bilder von einer Gesellschaft, die sich einerseits in der Bestätigung durch andere sozialwissenschaftliche Beschreibungen erweisen müssen. Andererseits müssen sie sich auch immer in den Augen der Untersuchten selbst bewähren.
Das Ende des Kalten Krieges gilt gemeinhin als Auftakt des Engagements der Bundeswehr in aller Welt, beginnend mit den UN-Missionen in Somalia und Kambodscha 1992. Übersehen wird dabei, dass sich die Bundeswehr schon seit 1959 mit großem Aufwand an mindestens 135 Hilfsaktionen im Ausland beteiligt hatte – auf dem Gebiet der NATO, aber auch darüber hinaus, wie etwa in Äthiopien, Bangladesch oder Peru. Der Beitrag fragt nach den Gründen für den bemerkenswerten Einsatz und stellt dar, welche Logik hinter dieser Beteiligung stand. Die Bundeswehr selbst betonte als zentrales Motiv den Dienst an der Menschlichkeit. Aus einer militärisch-operationellen Perspektive wird aber deutlich, dass die Hilfsaktionen attraktiv waren, weil sie einem »echten Einsatz« glichen. Für die westdeutsche Armee im Kalten Krieg boten sie gute Möglichkeiten, ihre Bereitschaft zu testen, die eigenen Fähigkeiten auszubauen und Orientierung im Raum zu entwickeln. Da die Hilfsaktionen in der öffentlichen und in der rechtlichen Diskussion zugleich als selbstlos, gut und daher unproblematisch galten, erwies sich die humanitäre Hilfe als ein Vehikel, um die Bundeswehr für den Einsatz »out of area« vorzubereiten.
Die Arbeitsumstände der westlichen Korrespondenten, die während des Ost-West-Konflikts aus der Hauptstadt der Sowjetunion berichteten, waren ein alltäglicher Ausdruck gerade jener widersprüchlichen politischen Entwicklungen, über die sie eigentlich informieren wollten, zu denen ihnen aber oft der Informationszugang und die erforderlichen Übermittlungswege versperrt waren. Der Beitrag beleuchtet die Hindernisse, mit denen die Journalisten um 1960 zu kämpfen hatten und die ihnen selbst nur in zweiter Linie berichtenswert erschienen. Wie gingen die Journalisten an der Schnittstelle zwischen Ost und West mit solchen Schwierigkeiten um? Wenn man die Tätigkeit der westlichen, speziell der westdeutschen Korrespondenten in Moskau näher betrachtet, wird es möglich, ein vielschichtiges und präzises Bild des Ost-West-Konflikts jenseits der außenpolitisch-diplomatischen Ebene zu erhalten sowie die in den westlichen Medien verbreiteten Nachrichten als kontextgebundene Produkte zu analysieren.
Die Gewalt ist nicht eingehegt. Sie ist überall, allgegenwärtig, sie zeigt sich in ihrer brutalsten, grausamsten Gestalt im Nordirak und in Syrien, in Afghanistan und Somalia, im Sudan und im Nahen Osten. Gewalt nimmt viele Formen an, sie zerstört Leben, ihre Erfahrung traumatisiert Menschen für immer, sie verletzt und verstümmelt. Gewalterfahrungen können menschliche Gemeinschaften und soziale Ordnungen zerstören, mit Gewalt werden lebensnotwendige Ressourcen vernichtet. Wie lässt sich vor diesem Hintergrund, der uns doch tagtäglich vor Augen tritt, überhaupt davon sprechen, es läge ein Jahrhundert der Gewalt und ihrer Einhegung hinter uns?
Selten gerinnt „ein Stück empirisch orientierter, projektiver Gesellschaftstheorie“ (S. 13) aus der Feder eines Soziologen so rasch zum Schlagwort der Feuilletons wie Ulrich Becks „Risikogesellschaft“. Kurz vor der Drucklegung mit einem zweiten Vorwort versehen („Aus gegebenem Anlaß“), offerierte sich der Text selbst als Kommentar zur Reaktorkatastrophe von Tschernobyl; Beck ordnete den Vorfall historisch am Ende einer Kette von „zwei Weltkriege[n], Auschwitz, Nagasaki, dann Harrisburg und Bhopal, nun Tschernobyl“ ein (S. 7). Rhetorisch beginnend mit einem Paukenschlag, bleibt das Zugespitzte, Provokante für seinen Stil bis zur letzten Seite kennzeichnend. Die erste Auflage war schnell verkauft, schon 1987 erschien eine zweite, mittlerweile liegt das Buch in der 19. Auflage vor. Seit 1992 ist es auf Englisch und in vielen weiteren Sprachen auf dem Markt.
Es war eine reizvolle Aufgabe, die Jürgen Habermas (im Zusammenspiel mit Günther Busch und Siegfried Unseld vom Suhrkamp-Verlag) Mitte 1978 Freunden und Kollegen stellte: Wolle man nicht, fragte er an, das bevorstehende Erscheinen des 1000. Bandes der edition suhrkamp (es) zum Anlass nehmen und eine Zeitdiagnose aus linksintellektueller Sicht wagen? 32 Autoren - Wissenschaftler, Publizisten, Schriftsteller - folgten seinem Aufruf und sandten ihre Beiträge ein, so dass aus der ‚es 1000’ sogar zwei Bände mit insgesamt 861 Seiten wurden. Das Projekt war ambitioniert, obgleich Habermas um einen moderaten Grundton bemüht war. Als Vorbild fungierte der 1000. Band der Sammlung Göschen, „Die geistige Situation der Zeit“ von Karl Jaspers, 1931 erschienen. Jaspers’ Schrift war ganz dem kulturkritischen Duktus seiner Zeit verhaftet gewesen, hatte er doch die fortschreitende Rationalisierung und Technisierung der Welt als Ursachen einer allgemeinen menschlichen Sinnkrise gedeutet, die nicht mehr innerweltlich zu lösen sei, sondern nur durch den Sprung des Einzelnen in die Transzendenz.
Die Zeitgeschichte ist ein Kind des „Zeitalters der Extreme“. Über die aktuellen Probleme einer zeitlichen und definitorischen Einordnung des Begriffs der Zeitgeschichte schreibt Gabriele Metzler und weist dabei gleichzeitig auf die andauernde Hochkonjunktur zeithistorischer Themen in den Medien und der Öffentlichkeit hin. Die Autorin plädiert für eine unbedingt nötige Neupositionierung der Disziplin. Denn die Zeitgeschichte sieht sich angesichts technischer Neuerungen, der Verfügbarkeit neuer Ressourcen für die Forschung sowie von gewandelten trans- und interdisziplinären Verflechtungen mit neuen Herausforderungen konfrontiert.
Emmanuel Macron ist nicht nur der erste französische Präsident, der nach der Kolonialzeit seines Landes geboren wurde, sondern auch der erste, der unumwunden von einer Kolonialschuld spricht und bereits 2017 – unter zum Teil heftiger Kritik – sein Vorhaben andeutete, Rückführungen von Kulturobjekten in ihre Herkunftsländer im Globalen Süden anzuregen. Nach seiner Wahl beauftragte er die französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und den senegalesischen Intellektuellen Felwine Sarr damit, einen Bericht zu verfassen, der darlegen sollte, wie ein solches Verfahren gelingen kann.
Im Gegensatz zu Deutschland ist auf politischer Ebene in Frankreich also recht viel in Bewegung. Allerdings ist die Resonanz aus der Bevölkerung – wiederum anders als im deutschsprachigen Raum – zurückhaltender, wie Bénédicte Savoy im Gespräch mit Gabriele Metzler berichtet. Das Videointerview war Teil der Vorlesung Der lange Nachhall des Kolonialreichs. Deutsche Geschichte im europäischen und globalen Kontext seit 1919, die Metzler im ersten pandemiebedingt digitalen Universitätssemester, dem Sommersemester 2020, an der Humboldt-Universität zu Berlin hielt. Mit freundlicher Genehmigung der Gesprächspartnerinnen durfte es an dieser Stelle veröffentlicht werden.
Kritik der Sicherheit. Vom gouvernementalen Sicherheitsdenken zur Politik der ‚geteilten Sorge‘
(2009)
Sicherheit ist ein «essentially contested concept», ein politisch umkämpfter Begriff. Mit Sicherheit wird heute Politik gemacht, und um die Bedeutung von Sicherheit wird gestritten. Sicherheitsdiskurse bilden zentrale Einsatzstellen, an denen politische und soziale Verhältnisse verhandelt, strukturiert und machtpolitisch gestaltet werden. Vor diesem Hintergrund ist eine dringliche Frage, welche Sicherheitskonzepte derzeit die Macht haben, sich als hegemoniale Formen durchzusetzen und sich weltweit zu globalisieren. Den Konturen dieses Sicherheitsverständnisses denken vor allem kritische Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler nach: Sozialkontrolle, Gesundheitsprävention, privatisierte Kriegsführung, ethnisierende Terrorismusbekämpfung und individuelles Risikomanagement sind Analysefelder, die gegenwärtig im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen und das aktuelle Bezugsfeld des hegemonialen Sicherheitsdenkens umreissen.
Mit Theatre Europe veröffentlichte das britische Spieleunternehmen Personal Software Service (PSS) 1985 ein Strategiespiel, das innerhalb Europas für Furore sorgte. Die rundenbasierte Konfliktsimulation, in der die SpielerInnen entweder die Rolle der NATO oder die des Warschauer Pakts übernehmen, konfrontierte diese mit dem virtuellen Szenario eines „heißen“ Krieges in Mitteleuropa. Ziel des Spiels war es, die Bundesrepublik 30 Tage lang zu verteidigen (NATO) oder sie in derselben Zeit einzunehmen (Warschauer Pakt). Das Ausspielen des Konflikts im Rahmen des Mediums Spiel war keine gänzlich neue Erfindung: Auch das Computerspiel Reforger ’88: NATO Defense of the Fulda Gap von 1984 oder das Brettspiel Fulda Gap hatten dasselbe Thema zum Inhalt. Beide Titel wurden aber zunächst nur in den USA veröffentlicht. Folgerichtig war Theatre Europe eines der ersten Spiele, das eine öffentliche Debatte zu diesem Thema in Westeuropa auslöste. Im Jahr 1986 startete der Verkauf des Spiels in Frankreich, und auch den deutschen SpielerInnen sollte das Produkt nicht vorenthalten werden. In der Bundesrepublik wurde das Spiel jedoch noch vor Erscheinen von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert, sodass es keinen breiten Vertrieb fand. Erst im Jahr 2011 wurde Theatre Europe wieder vom Index genommen.
„Kulturtransfer wird verstanden als ein aktiv durch verschiedene Mittlergruppen betriebener Aneignungsprozess, der von den Bedürfnissen der Aufnahmekultur gesteuert wird.“ Als die beiden französischen Germanisten und Kulturhistoriker Michel Espagne und Michael Werner Mitte der 1980er-Jahre ihr Forschungsprogramm darlegten, war keineswegs abzusehen, dass dieser Vorschlag einen methodologischen Umbruch auslösen sollte. Matthias Middell zeichnet in seinem Beitrag die Rezeption und Weiterentwicklung der Kulturtransferforschung nach, beschreibt das Verhältnis zum Historischen Vergleich und fragt nach Verflechtungen in der Gegenwart sowie ihrer erst noch globalgeschichtlich zu konstruierenden Vergangenheit.
Der Aufstieg der französischen Comics (bandes dessinées) von einer als problematisch geltenden Form der Massenkultur zur akzeptierten Kunstform war begleitet von ihrer Nationalisierung. Hierzu trugen die Kontrolle des jugendliterarischen Markts und Zensurmaßnahmen ebenso bei wie die gegenkulturellen Indienstnahmen des Mediums durch Katholizismus und Kommunismus, die Entdeckung der Comics durch die Wissenschaft sowie seit den 1980er-Jahren die staatliche Förderung. Der Aufsatz untersucht diesen Prozess der nationalen Integration und zeigt, dass der ambivalente Charakter der Comics zwischen kulturellem Gut und kommerziellem Produkt ihre Aneignung in Frankreich befördert hat. Die nationale Identitätsbehauptung verband sich dabei mit der Abgrenzung von „Amerika“ und der Vorstellung einer „europäischen Kultur“ – eine für die Konstruktionen des Nationalen im Europa des 20. Jahrhunderts typische Konstellation.
„Masse"
(2013)
Die Masse ist ein Gespenst der europäischen Geschichte – und dennoch, so zeigt es Stefanie Middendorf in ihrem Beitrag auf, als zeithistorischer Forschungsgegenstand relativ unentdeckt geblieben. In ihrem Beitrag gibt Middendorf einen Aufriss zur Geschichte der Masse, erläutert deren verschiedene Interpretationsansätze und plädiert dafür, sich der Geschichte des Massenbegriffs, seinen erfahrungs- und wahrnehmungsbedingten Aufladungen sowie seinem analytischen Wert
vermehrt aus historiografischer Sicht zu widmen.
Im Dezember 2020 gab der schwedische Möbelhersteller IKEA bekannt, die weltweite Distribution seines gedruckten Warenkatalogs nach 70 Jahren einzustellen. Im deutschsprachigen Feuilleton wurde diese Nachricht zum Ereignis: »Auch das noch: Den IKEA-Katalog gibt’s nur noch digital«, stellte Jens Jessen in der »ZEIT« leicht ironisch fest. Angesichts der Unsicherheiten, die von der globalen Covid-19-Pandemie ausgingen, schien im nun umso wichtiger gewordenen Bereich des Wohnens eine weitere Konstante des Alltagslebens wegzubrechen. Der ausbleibende Katalog veranlasste einige Kommentator*innen zu sehr persönlichen Formen der Anteilnahme und Abschiedsbekundung. Mitunter ließen diese, nostalgisch gefärbt, das eigene Erwachsenwerden Revue passieren – schließlich waren die IKEA-Kataloge in den Industriestaaten weltweit ein Teil davon. So erscheint der Möbelkatalog als Medium zum Träumen, als warenästhetischer Coming-of-Age-Roman, der Jugendliche im Akt des Durchblätterns von Erwachsenenleben und Unabhängigkeit fantasieren lässt; als Schwelle in eine selbstständige, bessere Zukunft: »Du warst das Fenster, das reale Einrichtungshaus die Tür.« Das IKEA-Du, das in den Katalogen und Einrichtungshäusern propagiert wird – die Bundesrepublik hat es dankend umarmt und vielfach verflucht.
Junge Menschen brauchen moderne Möbel – so lautete sinngemäß der Appell in dem Artikel »Wohnen zwischen Teen und Twen«, der 1962 in der Einrichtungszeitschrift »Die Kunst und das schöne Heim« erschien. Darin bemängelte die Autorin, dass Jugendliche keinen Sinn für die Vorzüge moderner Möbel hätten und hartnäckig an den wuchtigen Einrichtungsgegenständen eines althergebrachten Stils festhalten würden: »Die modernen Möbel werden allgemein als ›zu leicht‹, ›zu empfindlich‹, und per se als ›wenig dauerhaft‹ empfunden.« Dabei sei gerade das in der modernen Inneneinrichtung verwendete Stahlrohr bemerkenswert knickfest und das gebogene Bugholz trotz seiner papierdünnen Leichtigkeit enorm stabil (schließlich werde es erfolgreich im Flugzeugbau verwendet). Das Unbehagen am neuen Wohnen, aller Vorzüge zum Trotz, betraf laut Verfasserin des Artikels beide Geschlechter: Männliche Teenager klagten darüber, dass die modernen Sitzmöbel unbequem und wenig rückenfreundlich seien, während junge Mädchen insbesondere skeptisch auf die neuen Schränke und Regale reagierten und sich die konventionellen tiefen Kommodenschubladen zurückwünschten, um Ordnung halten zu können. Rückwärtsgewandter sei nur die Elterngeneration, die das neue Wohnen komplett ablehne.
Die Geister der Bombe. Der Ausstellungskatalog „Nachbilder. Wechselnde Perspektiven auf Hiroshima“
(2021)
Der zweisprachig gehaltene Ausstellungskatalog „Nachbilder. Wechselnde Perspektiven auf Hiroshima“ basiert auf der von dem freien Journalisten und Fotografen David Rojkowski kuratierten gleichnamigen Hiroshima-Ausstellung. Im Sommer 2020 wurde sie im Mahnmal St. Nikolai in Hamburg gezeigt. In Zusammenarbeit zwischen dem Japan-Zentrum der Ludwig-Maximilians-Universität München (Gabriele Vogt; Essay) und der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg entstand zur Ausstellung der eher schlicht anmutende Begleitband mit über 150 Abbildungen auf 132 Seiten. Seit Anfang des Jahres 2021 gibt es auch eine Website, die einen guten Einblick in die Wanderausstellung ermöglicht.
This article advocates that we should understand the sound history as a new way of investigating general history. It focuses upon auditory perception and the political economy of sound utterances, and therefore identifies sound production as an indicator of the valid political and social order. As such, the sound history unearths the specific acoustemology of a given historical society, the way in which people make sense of their world via sounds and their understanding of sound.