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Wer die lange Geschichte der „Wende“ und den Zusammenhang von Lebenswelt und Systemwechsel erforschen will, sieht sich mit einer Zweiteilung der Quellenüberlieferung konfrontiert. Während für die Phase bis 1989 und auch die Epochenzäsur 1989/90 häufig klassische Archivakten bereitstehen, ist die Überlieferung für die Zeit danach überwiegend von den Forschungsdaten der Sozialwissenschaften geprägt. Es ist also interdisziplinäres Arbeiten gefragt. Dabei geht es nicht nur um die geschichtswissenschaftliche Nutzung und Interpretation „fachfremder“ Quellen oder den Rückgriff auf Methoden anderer Disziplinen, sondern auch um die Weiterentwicklung von Methoden gemeinsam mit Wissenschaftler*innen anderer Fachrichtungen. Drei Szenarien seien hier skizziert.
In demokratischen Gesellschaften ist Courage wohlfeil - obwohl es selbst dann für Wissenschaftler und (andere) Intellektuelle durchaus Mut braucht, kritische Positionen gegen den Mainstream zu formulieren, wenn der Arbeitsmarkt überfüllt ist und Anpassung mit Karriere honoriert wird. In Zeiten der Unfreiheit riskieren couragierte Menschen die ökonomische Existenz und manchmal auch Leib und Leben. Die Zeit der größten Unfreiheit in der deutschen Geschichte waren ohne Zweifel die zwölf Jahre, die das "Tausendjährige Reich" überdauerte. Ich werde mich im Folgenden einer Persönlichkeit zuwenden, deren hohes wissenschaftliches Renommee unbestritten ist, deren politisch-moralische Positionierung zwischen 1933 und 1945 jedoch in einem merkwürdigen Halbdunkel verschwimmt. Es geht um Max Planck, den weltberühmten Physiker, der auch während der NS-Zeit wichtige wissenschaftspolitische Ämter innehatte. Nämlich von 1930 bis 1937 als Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KGW) amtierte und nach 1933 innerhalb der Preußischen Akademie der Wissenschaften seine Funktion als einer der vier beständigen Sekretäre, in die er am 23. März 1912 für die mathematisch-physikalischen Klasse gewählt worden war, beibehielt.
Wie der Marxismus-Leninismus die Ideengeschichte des Bildes prägte, ist in der Forschung bislang kaum gefragt worden. Auch oder gerade in den vergangenen zwanzig Jahren nach dem Mauerfall war für Probleme dieser Art nur sehr vereinzelt Platz.
Fehlte der nötige historische Abstand, um in den politisch sensiblen, stets xistentielle Fragen der Identität berührenden Debatten der deutschen Wiedervereinigung subtile Fragen dieser Art an den Kalten Krieg zu richten? Bedarf es überhaupt dieser Abstände und des Pathos der Distanz, um sich politischen Phänomenen und aktuellen Ereignissen als Historiker wissenschaftlich stellen zu können? Das vorläufige Ausbleiben des Interesses am politischen Bild nach 1990 ist wissenschaftsgeschichtlich aus mehrerer Hinsicht interessant und wirft ein Licht auf die asynchron verlaufende Entwicklung von
Bildpraktiken, Bildpolitiken und Forschungsparadigmen.
Anthropocene
(2024)
The “Anthropocene” has garnered much attention since the turn of the millennium, being widely and controversially discussed in the natural sciences and the humanities as well as in the media and the arts. Ariane Tanner explains the history of the term and shows how the concept enables contemporary historians to rethink temporality and agency in history, allowing them to expand their research questions, methods and narratives.
Anthropozän
(2022)
Seit der Jahrtausendwende wird das „Anthropozän“ in den Natur- und Geisteswissenschaften sowie in Medien und Kunst breit und kontrovers diskutiert. Ariane Tanner erläutert die Begriffsgeschichte und zeigt auf, wie das Konzept Anthropozän der Zeitgeschichte erlaubt, über Zeitlichkeit und Akteur*innen der Geschichte neu nachzudenken und ihre Forschungsfragen, Methoden und Narrative auszuweiten.
Few of Hannah Arendt’s declarations have had as enduringly a controversial legacy as the one she gave in her famous 1964 West German television conversation with Günter Gaus, proclaiming uncompromised loyalty to her first language – German – despite Hitler. The statement was misconstrued as a privileging of the language of the perpetrators and expressing a bias against Eastern European Jews. In conversation with the recent ›Taytsh turn‹ (Saul Zaritt) in Yiddish Studies, this article focuses instead on two Yiddish newspaper articles published by Arendt in 1942 and 1944 and explores what I call a ›Taytsh move‹ in Arendtʼs language politics. Taytsh, an alternative name for the Yiddish language meaning, literally, German, foregrounds (Jewish) cultures’ inherent translational mode and interconnectivity with the world that makes and sustains these cultures. Arendt reactivated the inherent unbordered nature of languages – with an awareness of the dangers of monolingualism; for the sake of overcoming reductive constructions of Jewishness and modern identity; against the atomizing forces of fascism.
The word "anti-Semitism" serves on the one hand as a generic term for every type of hostility towards Jews. More specifically on the other hand, as a term formed in the final third of the 19th century, it characterizes a new, pseudo-scientific anti-Jewish prejudice that no longer argued religiously but employed qualities and characteristics associated with "race". A distinction needs to be drawn between the older religiously-motivated anti-Judaism and modern anti-Semitism.
Der Beitrag gibt einen Überblick über die Begriffsgeschichte des Antifaschismus und das dazugehörige Forschungsfeld. Ziel der Ausführungen ist es, einige Entwicklungen der internationalen Literatur und Potenziale des „transnational turn“ in Bezug auf das Thema herauszuarbeiten. Räumlich konzentriert sich der Beitrag auf die historischen Ursprungsländer Italien und Deutschland. Zugleich öffnen europäische und globale Seitenblicke vergleichende und beziehungsgeschichtliche Perspektiven.
Antikommunismus
(2017)
Mit der Ausbreitung des Kommunismus, mit der Diffusion von Ideologien und Bewegungen waren Abstoßungseffekte, d.h. die Entstehung von Gegenideologien und Gegenbewegungen verbunden. Der Beitrag von Bernd Faulenbach behandelt „Antikommunismus” als historische Kategorie. Er thematisiert zunächst seine Entstehung seit 1917, dann werden die Epochen des Antikommunismus dargestellt bis hin zur Auseinandersetzung mit dem Kommunismus seit der Epochenwende 1989-91. Abschließend erörtert er den Forschungsstand und offene Fragen.
Der Kalte Krieg war konstitutiv für die Mentalität der frühen Bundesrepublik Deutschland. In den 1950er Jahren war die innere Entwicklung Westdeutschlands - politische Konsolidierung, gesellschaftliche Stabilisierung, ideelle Institutionalisierung etc. — untrennbar verbunden mit den spezifischen Bedingungen und Vorgaben der Systemauseinandersetzung zwischen Ost und West. Dies bezog sich etwa auf das zunächst noch überlebensnotwendige Interesse der USA an dem ehemaligen Feindstaat einschließlich massiver ökonomischer, außenpolitischer und sozialpsychologischer Unterstützung der neuen westdeutschen Eliten, was in einer (relativ) bedingungslosen Westintegration mitsamt einem auf der „Politik der Stärke“ fußenden System der militärisch-strategischen Einbindung umgesetzt wurde. Die Vorstrukturierung der außen- wie innenpolitischen Optionen durch die bipolare Weltordnung schloss daneben Zurückwendungen in die Taktiken der Vorkriegsdiplomatie, aber auch alle politischen Experimente im Sinne eines „Dritten Weges“ aus. Schließlich konnten durch die fundamentale Ablehnung des sowjetisch dominierten Diktatursystems auch erste, wenngleich nur provisorische Grenzen zum NS-System gezogen werden; diese - theoretisch mit Totalitarismuskonzepten unterfütterten - Demarkationen ermöglichten den demokratischen Institutionen zunächst relativ sichere, wenngleich nur bescheidene und eindimensionale Entwicklungsspielräume.